Lange habe ich gezögert, bevor ich mir "Gegen Demokratie", das neueste Buch des amerikanischen Philosophen und Politikwissenschaftlers Jason Brennan, besorgt habe. Denn was wäre, wenn er tatsächlich gute Argumente gegen die Demokratie vorzubringen hätte? Menschen sind ja nicht besonders heiß darauf, dass man ihre Weltbilder erschüttert. Und warum sollte ich eine Ausnahme machen?
Meine Sorge war gäntlich unbegründet, so viel vorab. Brennan schafft es nicht, mich davon zu überzeugen, dass eine "Epistokratie", also eine wie auch immer geartete Philosophenherrschaft, auch nur ein interessanter Test sein könnte. Und dass er es nicht geschafft hat, mich zum Grübeln zu bringen, liegt nicht an mir, sondern an ihm. Doch der Reihe nach.
Brennans Argumentation geht ungefähr so: Die Demokratiepraxis hat nicht allzu viel mit der Demokratietheorie zu tun, und das hat vor allem damit zu tun, dass viele Menschen weder Willens noch in der Lage sind, am demokratischen Prozess sinnvoll teilzuhaben. Vielmehr bringt die Demokratie Menschen gegeneinander auf, die ein sorgenloses Leben führen könnten, wenn an ihrer Statt wohlmeinende und gut informierte Philosophen oder Experten die Entscheidungen treffen würden, um beste Ergebnisse zu erreichen.
Auch wenn sich Brennan sicher dagegen wehren würde: Das ist nichts anderes als das Grundgerüst für ein totalitäres autoritäres System. Und dass Brennan in seiner Kritik an der Demokratie eine ganz ähnliche Argumentation führt, wie die Vordenker der Neuen Rechten, die auch davon überzeugt sind, dass der Parlamentarismus ein an sich homogenes Staatsvolk auseinander dividiert, mag ihm selbst vielleicht nicht bewusst sein. Aber damit ist auch schon das Grundproblem in Brennans ganzem Denken beschrieben: Er ist nicht in der Lage, Theorie und Praxis zu trennen. Genau dieses Problem sollte allerdings spätestens seit diversen Sozialismusexperimenten (gerade wieder live zu beobachten in Venezuela) bekannt sein. Nett gedacht ist eben oft falsch gedacht, wenn die Erdung fehlt.
Man könnte nun lang und breit ausführen, was alles falsch ist an Brennans Gedanken. Aber das spare ich mir, weil es einen Denkfehler gibt, der so fundamental ist, dass man danach alles als "Folgefehler" verbuchen kann. Denn wie um alles in der Welt sollen denn die "Philosophen" ausgewählt werden, die dann absolut herrschen können? Wer wäre überhaupt ein geeigneter Philosoph? Und wer legt die Kriterien fest? Was sind denn gute Ergebnisse? Und vor allem: Was passiert in einem solchen System mit Systemkritikern? Vielleicht hätte Brennan mal Stalin fragen sollen. Oder zumindest beim Philosophen Fichte nachlesen, der die heutigen Denkfehler des Amerikaners schon vor 200 Jahren gemacht hat (diese Verwirrungen hat Prof. Claus Dierksmeier in seinem Buch "Qualitative Freiheit" gut aufgelöst).
Ist "Gegen Demokratie" also einfach nur ein dummes Buch? So einfach ist es dann doch nicht. Viele Problembeschreibungen rund um die Demokratie treffen durchaus ins Schwarze und sind wissenschaftlich untermauert. Alleine dafür lohnt sich die Lektüre und es ist das Verdienst des Ullstein-Verlags, dass er dieses Werk auch nach Deutschland gebracht hat. Doch was würde das in der Praxis wohl heißen, wenn Brennan feststellt, dass ethnische Minderheiten in den USA eine schlechtere politische Bildung besitzen als die weiße Mehrheit - und nur besonders befähigte Menschen entscheiden sollen? Anstatt sich für mehr politische Bildung auszusprechen, würde Brennan wohl ohne viel Federlesens Jahrzehnte politischer Emanzipation rückabwickeln. Donald Trump gefällt das.
Am Ende ist es eben ein wenig so, wie wenn man Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht zuhört: Deren Analyse ist regelmäßig brauchbar, nur die Ableitungen sind absurd. Demokratie aufgrund ihrer Schwächen gleich ganz durch ein totalitäres autoritäres System zu ersetzen dürfte noch dümmer sein, als wenn man Selbstmord aus Angst vor dem Tod begeht. Arbeiten wir lieber gemeinsam an einem Demokratie-Update.
Jason Brennan: "Gegen Demokratie, Ullstein 2017
Anmerkung: Ich habe im Text "totalitär" durch "autoritär" ersetzt. Zwar glaube ich, dass autoritäre Systeme immer eine Tendenz zum Totalitären haben (müssen), weil sie nur so die Abweichung von ihren Regeln entsprechend sanktionieren können. Allerdings wird das in der Wissenschaft wohl in Teilen anders gesehen. An meiner Grundhypothese ändert das freilich nichts. Und ich weiß an dieser Stelle auch einen Denker an meiner Seite, mit dem ich ansonsten öfter über Kreuz liege, nämlich Friedrich August von Hayek. Der hatte in "Weg in die Knechtschaft" bereits festgestellt, dass jede Form gesellschaftlicher Planung letztlich im Totalitarismus enden muss. Autoritarismus kann eben nur ein Zwischenstopp sein, entweder zurück in die Demokratie. Oder eben in den Totalitarismus. Zumindest das, so unterstelle ich, hat Brennan nicht verstanden.
Anmerkung: Ich habe im Text "totalitär" durch "autoritär" ersetzt. Zwar glaube ich, dass autoritäre Systeme immer eine Tendenz zum Totalitären haben (müssen), weil sie nur so die Abweichung von ihren Regeln entsprechend sanktionieren können. Allerdings wird das in der Wissenschaft wohl in Teilen anders gesehen. An meiner Grundhypothese ändert das freilich nichts. Und ich weiß an dieser Stelle auch einen Denker an meiner Seite, mit dem ich ansonsten öfter über Kreuz liege, nämlich Friedrich August von Hayek. Der hatte in "Weg in die Knechtschaft" bereits festgestellt, dass jede Form gesellschaftlicher Planung letztlich im Totalitarismus enden muss. Autoritarismus kann eben nur ein Zwischenstopp sein, entweder zurück in die Demokratie. Oder eben in den Totalitarismus. Zumindest das, so unterstelle ich, hat Brennan nicht verstanden.
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