Donnerstag, 26. Oktober 2017

Warum Christian Lindners „Schattenjahre“ Pflichtlektüre für 546 Bundestagsabgeordnete ist

Gestern erschien ein Buch des FDP-Chefs Christian Lindner über die „Schattenjahre“ in der Opposition. Es ist, das kann man vorweg nehmen, ein für ein Politikerbuch überraschend lesenswertes Werk. Und es wird, das wage ich vorauszusagen, nicht nur kommerziellen Erfolg haben, sondern in den nächsten Wochen und Monaten auch zur Pflichtlektüre für die neugewählten Abgeordneten aus Union, SPD, Grünen und FDP werden – wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Aber der Reihe nach.

Das Buch ist eine Mischung aus Rückblick, strategischer Analyse, Liberalismusdefinition und - wo es für das Verständnis notwendig ist - Biografie. Wäre es nur eines davon, wäre es ein Politikerbuch, wie es viele gibt. Und die zu lesen sich daher nicht lohnt. So hilft die Schrift aber nicht nur, Christian Lindner als einen der vermutlich wichtigsten Politiker der nächsten Jahre besser zu verstehen, sondern auch, wenn man ein echtes Interesse an den Funktionsmechanismen moderner Politik hat. Dazu gibt es zwar viele Werke - aber wenige davon profitieren von der Insiderperspektive.

Sicher, einige Journalisten hätten sich mehr Skandal gewünscht. Kritisiert wird etwa, dass man nichts über das Zerwürfnis mit Philipp Rösler oder über die Ablösung Guido Westerwelles liest. Aber was würde man dadurch für die Zukunft lernen? Mehr als ein paar Schlagzeilen für den Boulevard und die Ablenkung von inhaltlichen Fragen würde damit nicht erreicht. Als ernsthafter Journalist sollte man viel mehr Interesse daran haben, was Lindner aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat, als daran, wie genau Konflikte vor vier, fünf Jahren ausgefochten wurden. Wer nach Ersterem sucht, wird dann auch tatsächlich fündig.

Warum sehe ich in "Schattenjahre" nun aber eine "Pflichtlektüre" für so viele Politiker im Bundestag (und auch darüber hinaus)? Nun, die grundsätzliche Antwort ist einfach: Es dürfte kaum einmal vorgekommen sein, dass ein aktiver Politiker, der seine Zukunft mehr vor als hinter sich haben dürfte, in der komprimierten Form eines Buches einen solchen Einblick in sein - wohlgemerkt vor allem politisches - Seelenleben gegeben haben dürfte. Das ist angesichts der gerade laufenden Sondierungsgespräche umso bemerkenswerter. Lindner legt die Karten auf den Tisch, und das in einer Phase, in der man - nach den Regeln der Vergangenheit - möglichst alles unternommen hätte, um sich gerade nicht in eben diese Karten schauen zu lassen.

Für die 80 FDP-Abgeordneten (und die meisten Mitglieder) sollte Schattenjahre alleine schon deshalb eine wichtige Lektüre sein, weil es starke Argumentationsteile für einen modernen, aufgeklärten Liberalismus enthält, die auch für einen Teil derjenigen Wähler, die den Liberalen noch mit abwartender Skepsis gegenüberstehen, attraktiv sein dürften. Noch dazu ist es vielleicht auch nicht ganz irrelevant, zu verstehen, wo man mit dem eigenen Vorsitzenden übereinstimmt - und wo vielleicht auch nicht. Denn auch wenn manche Medien Christian Lindner zur unangreifbaren Lichtgestalt der Partei erklärt haben, werden inhaltliche Weichenstellungen immer noch in den Parteigremien getroffen. Und dort hat auch Christian Lindner nur genau eine Stimme. Die Arbeit an einem schlagkräftigen politischen Liberalismus ist mit dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag nicht etwa abgeschlossen. Vielmehr wurde schlicht sichergestellt, dass sie überhaupt wieder richtig Fahrt aufnehmen kann.

Die 313 Abgeordneten von CDU, CSU und Grünen können in dem Buch eine Anleitung für den Umgang mit ihrem möglichen Koalitionspartner finden. Dabei sollte man nicht nur nach möglichen roten Linien suchen, die Lindner zwischen den Zeilen durchscheinen lässt, sondern auch nach den Punkten, in denen die FDP verhandlungsfähig sein kann, wenn sie liberal gedacht und argumentiert werden (etwa in Fragen des Umweltschutzes). "Schattenjahre" legt die Hürde, an der sich Lindner messen lassen muss, zwar hoch. Man kann das Buch daher auch als Risiko sehen. Aber gleichzeitig macht es die FDP unter ihrem Chef in einer beruhigenden Weise berechenbar. Das war bei den Liberalen nicht immer so.

Für die 153 SPD-Abgeordneten wiederum geht es bei der Lektüre des Buches weniger um die FDP, als um die eigene Partei. Oder besser: sollte es gehen. Wer den Artikel von Markus Feldenkirchen über den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz gelesen hat, dürfte eine Menge über den Zustand der SPD und die dort anstehenden Aufgaben gelernt haben. Lindners Buch zeichnet den Weg, den die Sozialdemokraten nun zu gehen haben, am Beispiel, wie ihn die FDP gegangen ist, vor. Natürlich wird die Sozialdemokratie nicht auf alle Fragen dieselben Antworten geben, die sich die Liberalen gegeben haben. Aber es wäre schon ein Fortschritt für die große Traditionspartei, wenn sie überhaupt zu den richtigen Fragen finden würde.

An einer Stelle musste ich schmunzeln, nämlich dort, wo Christian Lindner sich dagegen wehrt, als Sozialliberaler bezeichnet zu werden. Er hat Recht, das ist er nicht. Im Vergleich zu dem, was in den 1970ern in der FDP gedacht wurde, sind das übrigens nicht einmal mehr die Grünen. Zeiten ändern sich. Wenn Lindner allerdings heute tatsächlich das Spektrum der neuen FDP ziemlich mittig repräsentiert, muss man auch sagen dürfen, dass das vor einigen Jahren anders war. Da war er tatsächlich eher "links" zu verorten. In der Zwischenzeit hat sich aber weniger Lindner verändert. Vielmehr haben sich die Koordinaten der FDP insofern in die Mitte verschoben, dass ein Flügel weggebrochen ist, der mit dem Liberalismus wenig zu tun hatte - und der sich heute am rechten Rand der AfD pudelwohl fühlt. Es wird in der FDP auch in den nächsten Jahren in der Sache gestritten werden, aber echte Flügel gibt es nicht mehr. Für mich ist das ein riesiger Fortschritt auf dem Weg hin zu einer Partei, die sich als progressive Kraft in einem sehr statusorientierten Parteiensystem aufstellt. Nun wird sich zeigen, ob auf die "Schattenjahre" ein Band II folgt. Titelvorschlag: "Lichtjahre".

Sonntag, 24. September 2017

Den unbekannten AfD-Wählern: Ich verachte Euch!

Heute werdet Ihr wieder jubeln. Die AfD wird nun auch in den Bundestag einziehen. Was wir von dieser Partei zu erwarten haben, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Auf ihren Listen ziehen Rassisten, Antisemiten, Antidemokraten, Chauvinisten, gescheiterte Persönlichkeiten, Faulpelze und Lügner in die Parlamente ein. Begleitet werden sie von hunderten Rechtsradikalen, denen sie in ihren Büros, in der Fraktion und im Wahlkreis, Arbeit geben. Gemeinsam werden sie auf Kosten der Steuerzahler vier Jahre daran arbeiten, die Demokratie abzuschaffen. Oder sich einfach nur so die Taschen vollstopfen. Ihr wählt diese Partei trotzdem. Oder besser: Genau deswegen. Euch stört nicht, dass an der AfD nichts Seriöses ist. Ihr findet das gut. Weil Ihr selbst genauso seid – und auch noch stolz darauf. Dafür verachte ich Euch!

Leute wie Ihr, ein entfesselter Mob in einem feuchten Traum von einer deutschen Vormachtstellung, haben schon einmal dafür gesorgt, dass die klugen Köpfe unser Land verlassen mussten und anderswo ihr literarisches Lebenswerk, ihre wissenschaftlichen Glanzleistungen, ihre technischen Innovationen, von denen die Menschheit heute noch profitiert, zur Reife gebracht haben. Es sind Freiheit, Weltoffenheit und Demokratie, die den Rahmen schaffen, in dem Höchstleistungen möglich sind. Ihr wollt das Gegenteil. Ich glaube, dass Ihr insgeheim Menschen mit besonderen Talenten hasst, weil Ihr so unglaublich mittelmäßig seid.

Das erklärt auch, dass Ihr so eine fast schon sexuelle Begeisterung für Gewalt als Lösung für gesellschaftliche Probleme zeigt. Deutsche Hooligans, die deutsche Frauen gegen Ausländer verteidigen. Nicht deutsche Polizisten, die Straftaten gegen jeden, egal ob In- oder Ausländer, vermeiden und verfolgen. Ihr wollt das Faustrecht zurück, weil Ihr den Rechtsstaat hasst. Ihr braucht das Faustrecht, um wieder jemand zu sein. Dass sich auch Typen in diesen Wahn steigern, die bei jeder Schlägerei auf einer Dorfkirmes den Kürzeren ziehen würden, lässt eine unglaubliche Distanz von der Realität erahnen. Das passt ungefähr so gut zusammen wie die Phantasien der Hitlers und Görings vom Herrenmenschen. Und nein, ich habe Euch nicht Nazis genannt. Aber ich verachte Euch!

Früher haben selbst die größten Vollpfosten, die jede Woche am Stammtisch ihren „Man müsste mal“-Quatsch abgelassen haben, am Wahltag kurz nachgedacht und festgestellt, dass sie eigentlich gar nicht wollen, dass ihresgleichen wirklich regiert. Denn insgeheim wussten sie, dass mit ihren dummen Floskeln und einfachen Lösungen kein Staat zu machen war. Da wählten dann selbst diejenigen, die sich abgehängt fühlten, lieber einen Franz-Josef Strauß, der ihnen einigermaßen nach dem Mund redete, von dem sie aber wussten, dass er intellektuell unfraglich eine Kapazität war und dem sie zutrauten, auch schwierige Sachverhalte zu durchschauen.

Wo die AfD antritt, stellt sie in weiten Teilen Menschen mit dem IQ eines Besenstiels auf, deren Unfähigkeit man auf drei Kilometer gegen den Wind riechen kann. Ihr seid es, die diese Leute wählen. Ihr seid es, die dafür sorgen, dass diese Leute über Jahre auf unser aller Kosten den Parlamentsbetrieb blockieren oder boykottieren. Ihr wisst das, und wählt sie trotzdem. Ohne Euch vorher zu informieren. Ihr seid im besten Wortsinne Primitivbürger: Euer Wahlrecht nehmt Ihr wahr, was Euch zusteht wisst Ihr immer ganz genau. Aber Verantwortung für dieses Land wollt Ihr nicht übernehmen. Es reicht Euch, dabei mitzuhelfen, dass kaputtgeschlagen wird, was Euch alles nicht passt.

Ihr wollt zerschlagen, was Ihr niemals hättet aufbauen können. Ihr formuliert dabei noch nicht einmal mehr den Anspruch, irgendetwas besser zu machen. Der Hass gegen „die da oben“ ist nicht mehr von dem Traum an eine bessere Welt getrieben. Nein, Eure Kritik am Establishment beschränkt sich darauf, dass Ihr nicht das Establishment seid. Noch nicht. Ihr wollt nach oben, nicht um zu zeigen, wie es geht, sondern um Euch die Taschen voll zu machen und um endlich mal austeilen zu können gegen alle anderen. Das kennt man aus Bananenrepubliken. Mit Euch entwickelt sich Deutschland genau in diese Richtung zurück. Dafür verachte ich Euch!

Bevor Ihr jetzt wieder brüllt, ich wollte Euch den Mund verbieten, in dieser „linksgrünversifften Meinungsdiktatur“: Regt Euch ab. Das will ich nicht. Ganz im Gegenteil: Es macht die Gesellschaft, in der ich leben will, gerade aus, dass auch Ihr Euren Müll loswerden dürft. Und das sogar obwohl ich weiß, dass es mit meiner Meinungsfreiheit vorbei wäre in dem Moment, in dem Ihr an der Macht seid. Ihr seid wie diese dreckigen Islamisten auch: Ihr wollt die Freiheiten, die Ihr so hasst, ausnutzen, um sie langfristig abzuschaffen. Und ach ja, falls ich es noch nicht gesagt habe: Auch dafür verachte ich Euch!

Ihr brüllt, Ihr seid das Volk. Meines seid Ihr nicht. Bis zu dem Tag, an dem Ihr die Mehrheit habt, werde ich mich dafür einsetzen, dass die Demokraten aller Farben gegen Euch zusammenstehen. Ich werde dafür kämpfen, dass Ihr jeden Morgen aufs Neue aufsteht und in einer Gesellschaft leben müsst, die alles ist, was Ihr ablehnt: Offen, liberal, demokratisch. Und ich werde dafür kämpfen, dass Ihr meine Verachtung und die Verachtung jedes einzelnen Demokraten Euch gegenüber jeden Tag aufs Neue zu spüren bekommt. Hofft nicht auf Entgegenkommen. Ihr nennt uns „Volksverräter“, weil wir eine andere Meinung haben. Ihr wollt Regierungsmitglieder hängen, wenn Ihr an die Macht kommt. Damit habt Ihr unserem Gesellschaftsmodell den Rücken zugedreht, nicht andersrum. Ihr wollt nach Euren eigenen Regeln spielen. Das könnt Ihr tun. Aber das macht Ihr mal schön alleine. Und lebt mit der Verachtung, die Ihr Euch redlich verdient habt.

#11 - Politisches Engagement wieder schätzen

Wenn ich über Dinge nachdenke, die anders besser wären, fallen mir natürlich zunächst Missstände bei Staat und Verwaltung ein. Aber auch wir Bürger sind natürlich nicht frei von Fehlern. Dazu will ich eine kleine Geschichte erzählen. 

Ich war nicht ganz 19, als ich begann, mich politisch zu engagieren. Bis heute habe ich dafür keinen Cent Geld bekommen, aber eine ganze Menge Geld selbst ausgegeben. Nicht, um etwas zu werden, sondern tatsächlich aus Überzeugung. Ich vergesse nie eine Begegnung an einem Samstagmorgen in der Idar-Obersteiner Fußgängerzone, es muss der Landtagswahlkampf 2001 gewesen sein, mitten im eiskalten Winter. Während viele andere in meinem Alter noch im Bett lagen, standen ich und einige andere Liberale an einem Wahlstand und versuchten vorbeihuschende Menschen mit Inhalten von einem Kreuz für unsere Partei zu überzeugen. Ein paar Meter weiter ging es Mitglieder anderer demokratischer Parteien nicht anders. Wie aus dem Nichts begann ein Mann mittleren Alters, sicher nicht schlecht situiert, uns zu beschimpfen. Sein Hauptanliegen: Es sei eine Schande, wie wir uns hier als hochbezahlte Handlanger von ihm als Steuerzahler bezahlt die Taschen vollmachten.

Ich war perplex und hakte den Vorfall zunächst als "Wieder so ein Spinner" ab. Aber in den Jahren danach passierte so etwas noch häufiger. Es dauerte eine Weile und viele Gespräche, bis ich begriff: Es gibt tatsächlich Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass die allermeisten Menschen, die sich politisch engagieren, dies aus purer Überzeugung tun - und dafür nie in ihrem Leben Geld erhalten (oder auch nur danach fragen würden). 

Am heutigen Wahltag wird eine Partei, die es schafft, den Zorn auf all diese engagierten Menschen zu bündeln, in den Bundestag einziehen. Sie wird dort, wie auch in den Landesparlamenten auch, nichts zustande bringen außer schlechtem Benehmen und Skandalen. Das muss eine Demokratie aushalten. Und das wird sie auch. Was mich allerdings unglaublich ärgert, ist dass die Lautsprecher der AfD ganz nebenbei auch all diejenigen, die sich heute als Wahlhelfer einen Sonntag um die Ohren schlagen, um das Königsrecht der Demokratie zu garantieren und sauber abzuwickeln, unter einen Generalverdacht stellen, sie würden manipulieren. "Wahlbeobachter" wie in Diktaturen sollen diesen Ehrenamtlichen über die Schultern gucken. Das ist zwar nicht verboten - aber es ist eine Farce, dass das genau diejenigen sein werden, die zum Gelingen unserer Gesellschaft am allerwenigsten beitragen.

Mein Vorschlag daher: Machen wir uns wieder bewusst, dass bei aller berechtigter Kritik an politischen Entscheidungen und Entscheidern die allermeisten "Politiker" sich ehrenamtlich engagieren. Sie investieren ihre Freizeit, wenn andere es sich gut gehen lassen. Sie sorgen dafür, dass es in den Gemeinden eine funktionierende Friedhofsordnung gibt oder die Abwassersysteme instand gehalten werden. Ohne diese Menschen würde unser Land einfach nicht funktionieren. Sie haben daher nicht unsere Verachtung, sondern unseren Respekt verdient. Heute, im Wahllokal, ist eine gute Möglichkeit, einfach einmal danke zu sagen. Und sich in Zukunft vielleicht auch zweimal zu überlegen, gegen wen man am heimischen Küchen- oder am öffentlichen Stammtisch austeilt. Ein Blick in den Spiegel könnte eine gute Alternative sein. 

Und übrigens: Neue Mitstreiter - Engagierte für unsere freie und demokratische Gesellschaft - werden immer gebraucht!

Dieser Beitrag ist der Abschluss der Serie #11Dinge zur Bundestagswahl. Was dahinter steckt kann hier nachgelesen werden. #10 ist hier zu finden. Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".

Samstag, 23. September 2017

#10 - Regionalisierung neben Globalisierung

Ich bin ja ein großer Freund der Globalisierung. Nicht nur, weil es mein Leben deutlich einfacher macht, wenn ich mit meinen Freunden einfacher in Kontakt bleiben, kostengünstig Dinge aus dem Ausland bestellen oder ohne großen Aufwand reisen kann. Sondern auch, weil ich davon überzeugt bin, dass möglichst freier Handel die Grundvoraussetzung dafür ist, dass sich auch die Zweite und die Dritte Welt entwickeln können. 

Aber das soll an dieser Stelle nicht vertieft werden, mir geht es um etwas anderes. Ein unfraglich bestehendes Problem der derzeitigen Globalisierung ist, dass auch politische Entscheidungen sich immer weiter von den Menschen entfernen. Selbst Berlin ist für viele ja schon ein Raumschiff, dessen Funktionsweise sie nicht durchschauen. 

Mein Vorschlag daher: Stellen wir neben die fortschreitende Globalisierung eine Re-Regionalisierung, die all diejenigen Entscheidungen, die nicht zentralisiert getroffen werden müssen, zurück zu den Bürgern bringen. Keine Frage, die Ebene, die darunter am meisten leiden würde, wäre die Bundesebene. Aber ich würde auch die die Länder nicht ungeschoren davon kommen lassen. Zunächst würde ich ihre Zahl auf die Hälfte reduzieren - dann würde ich die Beamten in die Fläche schicken, wo sie sich mit den wichtigen regionalen Themen beschäftigen.

Selbst innerhalb eines einzigen Bundeslandes wie Rheinland-Pfalz, Niedersachsen oder Sachsen sind die Bedürfnisse der einzelnen Regionen sehr, sehr unterschiedlich. Eine Großstadt mit starker Industrie und das zugehörige Umland brauchen andere Prioritäten als ländliche Regionen, die in den Hauptstädten gerne vergessen werden. Dazu kommt, dass an der Landesgrenze oft Schluss ist mit Denken - auch wenn manchem Saarländer oder Rheinland-Pfälzer Luxemburg oder Frankreich näher sein mögen, als das nächste deutsche Oberzentrum.

Eine Re-Regionalisierung spricht weder gegen die EU und die europäische Einigung, noch ist sie das Gegenteil von Globalisierung. Ganz im Gegenteil. Blockiert wird vieles durch Nationalismus, der dann auch nur wenigen zu Gute kommt. Das geht definitiv besser.

Freitag, 22. September 2017

#9 - Losen statt wählen

Gestern ging es um das "Wie", also um die Frage, wer wann was mitbestimmen soll. Heute geht es vor allem um das "Wer". Genauer gesagt um die Frage, wer im Bundestag sitzen und Entscheidungen treffen soll.

Ich bin sicher der letzte, der nicht anerkennt, dass Erfahrung in der Politik einen Wert hat. In manchen Fällen mehr, etwa in der Außenpolitik. In anderen Feldern weniger. Die etablierten Parteien stellen sicher, dass durch sie immer wieder zumindest ein Teil der ehemaligen Abgeordneten wiedergewählt wird. Momentan liegt das Problem eher auf der anderen Seite: Es gibt zu wenig frischen Wind. 

Dabei ziehen natürlich auch bei Union und SPD immer wieder neue Gesichter in den Bundestag ein. Doch sind diese oft am Ende der jahrelangen Ochsentour durch die Parteien im Denken so frisch nicht mehr. Vor allem aber wollen sie meistens mehr als eine Wahlperiode im Parlament bleiben - und ordnen sich daher allzu oft der Parteidisziplin unter. 

Mein Vorschlag daher: Losen wir einen Teil der Abgeordneten aus. Ich weiß, das klingt erst einmal absurd. Denn wählen zu können, gilt doch als das Königsrecht der Demokratie. Daher würde ich auch nur fünf, vielleicht zehn Prozent der Abgeordneten losen. Der Rest wird weiter wie bisher gewählt.

Die gelosten Abgeordneten dürfen nur eine Legislaturperiode amtieren. Sie sind keine Verfügungsmasse der Parteien, sondern müssen von der Koalitionsmehrheit von deren Vorschlägen zumindest in so großer Zahl überzeugt werden, dass die Mehrheit auch weiterhin steht. Das würde eine Erdung der Parlamentsdebatten ebenso garantieren, wie das Gefühl für die Bürger, dass tatsächlich "jemand von uns" mitbestimmen durfte.

Auch für diesen Vorschlag gilt übrigens das Prinzip meines allerersten Vorschlags: Probieren wir im Kleinen und sehen, wie es geht. 

Und abschließend noch eine Leseempfehlung: David Van Reybrouck mit seinem Buch "Gegen Wahlen". Man muss ja nicht jede Idee teilen, aber man lernt eine Menge über Idee und Ausgestaltung von Demokratie.

Donnerstag, 21. September 2017

#8 - Mehr Demokratie, aber richtig

"Mehr Demokratie", das ist so eine Forderung, das fast jeder Bürger zunächst unterschreiben würde. Und tatsächlich: Außer der CDU haben alle maßgeblichen Parteien die Forderung nach einem Ausbau direktdemokratischer Elemente - bis hin zu Volksentscheiden auf Bundesebene - in ihren Wahlprogrammen. Man darf also hoffnungsfroh sein, dass in der nächsten Legislaturperiode etwas passiert, auch wenn das Thema im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat.

Doch was heißt das nun genau? Wie so oft geht es ja nicht nur um das Ob, sondern auch um das Wie. Die AfD etwa zielt mit ihrer Forderung nach mehr direkter Demokratie klar auf ein Unterlaufen von Grundgesetzstandards, die heute in einem Aushandlungsprozess zwischen Regierung, Parlamenten und Verfassungsgerichten geschützt werden. Wenn ich von direkter Demokratie spreche, habe ich aber ein ganz anderes Ziel, nämlich Betroffene zu Beteiligten zu machen. Oder - frei nach Bertold Brecht - den Bürgern die Chance zu geben, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen. Ein Prozess wie ich ihn mir vorstelle, sähe dann ganz anders aus als das Instrument einer rechtsradikalen Partei zur Zerschlagung des Rechtsstaats. 

Mein Vorschlag daher: Wenn wir mehr Demokratie und Transparenz wollen, sollte auch der Prozess dorthin schon diese Werte widerspiegeln. Ein runder Tisch aus Bundestagsabgeordneten und Fachleuten, der der Öffentlichkeit dann am Ende sein Ergebnis vorlegt, dass man nur in Gänze unterschreiben oder ablehnen kann, ist nicht der richtige Weg. Es braucht auch dort die Fähigkeit, sich zu öffnen, Impulse von außen aufzunehmen - und ggf. auch das eine oder andere Mal Ideen im Kleinen zu testen (siehe dazu #1 meiner Liste). 

Wir Bürger können das, davon bin ich überzeugt. Nur sind die wenigsten bereit, sich mit Themen intensiver zu beschäftigen, bei denen sie sowieso nichts zu entscheiden haben. Das Beispiel Schweiz, aber auch die seit Jahren erfolgreich stattfindende Erstellung eines Bürgerhaushalts in der brasilianischen Millionenstadt Porto Alegre zeigen, dass die Menschen sich dann engagieren, wenn es um etwas geht. Das wird in Deutschland sicher nicht anders laufen.

Mittwoch, 20. September 2017

#7 - Weniger Regeln, mehr Moral

In einem Rechtsstaat gilt: erlaubt ist, was nicht verboten ist. Und als Liberaler bin ich natürlich dafür, möglichst wenig zu verbieten und alles andere in den Händen der Menschen zu belassen. Nun beobachte ich aber seit einiger Zeit den Trend, dass man dieses Prinzip versucht, bis an die Grenze auszunutzen - ohne Rücksicht auf andere. Das beschädigt die Gesellschaft. 

Ich will ein Beispiel aus der Wirtschaft erzählen, das mir gut in Erinnerung geblieben ist. Dort wehrte sich ein hochrangiger Unternehmensverantwortlicher mit einem Gehalt jenseits der Millionengrenze mit Händen und Füßen gegen eine Regelung für Geschenke durch Lieferanten. Diese "Compliance"-Regulierung war eigentlich gedacht, um die Bestechung einfacher Angestellter zu verhindern. Aber was das eigentlich wirklich das Problem? Für mich muss man - nicht nur hier - höher ansetzen. Denn der Hintergrund des Widerstands war schnell gefunden: Der hochrangige Manager ließ sich schon viele Jahre regelmäßig für viel Geld zu Golfurlauben einladen. Und jeder seiner Mitarbeiter wusste das.

Natürlich kann man solche Dinge, egal ob in einem Unternehmen, in einer Behörde oder für alle Bürger, gesetzlich regeln. Aber das Problem in dem beschriebenen Fall ist doch nicht, ob es eine Regelung gibt oder nicht, sondern dass der Unternehmensführer offenbar jede Form von Maß und Anstand verloren hatte und sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht hat, was für ein Vorbild er auch für seine Mitarbeiter abgibt. So lange es Regeln gibt, gibt es immer auch Menschen, die Wege finden, diese zu umgehen - auch rechtlich sauber. Mehr Regeln lösen das eigentliche Problem also nicht. Das sieht man auch an Polit-Personalien wie Ronald Pofalla, der bei seinem Wechsel aus dem Kanzleramt in den Bahnvorstand keine rechtlichen Regelungen riss, moralische aber allemal.

Mein Vorschlag daher: Setzen wir wieder mehr auf Führungskultur und Verantwortung statt Reglementierung. Handeln wir verantwortlich - und fordern wir Mitarbeiter, aber auch unsere Kinder, dazu auf, ebenso verantwortlich zu handeln. Wenn wir das nicht tun, wird die Reaktion sein, dass immer weitere Gesellschaftsbereiche reglementiert werden und gleichzeitig der Versuch auf der Strecke bleibt, Dinge so gut wie möglich zu tun. Wer sich geradeso an die Regeln gehalten hat, ist dann fein raus. Wer sie gerissen hat, beim Versuch, das Richtige zu tun, bekommt Probleme. Eine Gesellschaft wird aber nicht durch Pflichterfüller stark, sondern durch diejenigen, die den einen Extraschritt gehen. 

P.S.: Hier ein Artikel aus dem Tagesspiegel zu genau diesem Thema bei Ex-Verfassungsrichtern. Der wesentliche Satz darin: "Compliance wird nötig, wenn Haltung fehlt."

Montag, 18. September 2017

Warum ich diesmal FDP wähle

Wer meine Äußerungen in den letzten Monaten verfolgt hat, dürfte nicht überrascht darüber sein, dass ich am 24. September meine Stimme der FDP geben werde. Nachdem ich die Liberalen 2013 nicht gewählt habe, will ich das aber an dieser Stelle begründen.

Es wird derzeit viel geschrieben über die FDP. Manches liest sich wie eine Kampagne, etwa wenn Spiegel Online versucht, der Partei Schulden der Fraktion in die Schuhe zu schieben. Auch der Stern zeigt, wie sehr wir tatsächlich mittendrin sind in der größten Medienkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber darum soll es hier nur am Rande gehen. Einer der Hauptvorwürfe in Richtung der FDP ist, sie habe sich nur außen erneuert, innen sei sie dieselbe wie 2013 oder gar 2009 geblieben. Das ist hanebüchener Quatsch - und auch leicht zu widerlegen.

Zunächst einmal sind schon in 2013 zahlreiche Vertreter des rechten Parteiflügels nahtlos in die AfD gewechselt. Waren sie vorher Rechtsradikale, die die FDP zu unterwandern versuchten, sind sie nun offen Rechtsradikale in einer rechtsradikalen Partei. Und damit dort, wo sie hingehören. Kein Mensch will diese Spinner zurück, ganz im Gegenteil. In der Partei kursiert die Aussage, die AfD ist so etwas wie die "Bad Bank" der FDP, in die man die Altlasten ausgelagert hat, die es immer schwierig gemacht haben, aus der FDP eine wirklich liberale Partei zu machen. Dass das auch so bleibt, dafür hat die Parteispitze unter Christian Lindner auch mit dem Nichtvereinbarkeitsbeschluss einer FDP-Mitgliedschaft mit einer Pegida-Unterstützung und höheren Hürden für eine Rückkehr aus der AfD in die FDP gesorgt. Auch wenn die Umsetzung parteienrechtlich nicht immer einfach ist, ist die Botschaft doch klar.

Gleichzeitig hat die FDP gerade wieder den Stand von 60.000 Mitgliedern erreicht. Diese Zahl hatte die Partei zuletzt 2012. Es sind also seitdem viele Leute gegangen, aber auch viele neue, oftmals junge, Gesichter dazugekommen. Das hat sicher auch mit der inhaltlichen Ausrichtung zu tun. War die FDP früher tatsächlich (auch) eine Klientelpartei, etwa für Apotheker, schießen diese heute gegen niemanden so scharf wie gegen die FDP. Man muss nicht jeden Punkt teilen, aber auch für andere Bereiche gilt: Die FDP hat deutliche Kurskorrekturen durchgeführt, die durchaus zu Lasten ihrer ursprünglichen Klientel gingen. Ein mutiger Schritt, wie ich meine, denn wenn man aus der APO den Weg zurück in die Parlamente finden will, ist man eigentlich auf jede Stimme angewiesen. 

Erfreulich ist, dass die verlorenen Wählerstimmen an anderer Stelle mehr als aufgewogen wurden durch den Gewinn von neuen Wählern durch Schwerpunktthemen wie Digitalisierung. Es ist eine Schande, dass keine andere Partei diese Themen glaubhaft besetzt und vorangetrieben hat. Für die FDP war es eine Chance, die sie genutzt hat. Das hat sicherlich auch mit Christian Lindner als Person zu tun. Denn welcher Spitzenpolitiker könnte sonst dieses Thema glaubhaft besetzen? Angela Merkel schickt noch SMS. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.

Als mindestens ebenso wichtigen Impuls empfinde ich die Positionierung der FDP in der Flüchtlings- und Zuwanderungsfrage. Viel zu lange gab es nur schwarz und weiß: Bist Du für Merkel, oder dagegen? Oder: bist Du "Gutmensch" oder "Rechtsradikaler", je nachdem, wer gerade wen beschimpfen wollte. Ich habe mich persönlich vom ersten Tag an in keiner der beiden Lager wohlgefühlt. Und wie mir geht es vielen. Ich halte Merkels Flüchtlingspolitik für eine Katastrophe, aber die Ideen der AfD sind so weit weg von allen Menschenrechten und den Gedanken des Grundgesetzes, dass sie als Alternative nur für Menschen gelten können, die jedes Fünkchen Menschlichkeit und Liberalität längst verloren haben. Das Modell der FDP, das endlich wieder klare Regeln vorsieht, auch sagt, wer nicht hier bleiben kann, aber gleichzeitig jedem eine klar formulierte Chance geben will, durch Integration seinen Platz hier zu finden, dazu kann ich uneingeschränkt stehen. Und jedem, der der FDP und Christian Lindner böswillig unterstellt, er würde sich damit an die AfD ranwanzen, muss wissen: Dann muss er oder sie das auch über mich sagen. Und wie absurd das klingt, dürfte jedem Menschen bei Verstand schnell klar sein. Und wer mir nicht glauben will, hier ein Zitat von Spiegel Online - wahrlich nicht FDP-groupieverdächtig (siehe oben):
Tatsächlich ähnelt der Kurs, den die FDP in ihrem Papier fordert, nicht dem der AfD - weder im Grundsatz, noch im Detail. Die FDP will nicht das Recht auf Asyl einschränken. Lindner äußert sogar Verständnis für Angela Merkels Entscheidung, im September 2015 die Sonderzüge aus Ungarn einzulassen. Er kritisiert aber, dass die Grenzen danach offen blieben. Gleichzeitig will die FDP zum Beispiel in Zukunft Familiennachzug auch für Kriegsflüchtlinge wieder ermöglichen und setzt auf Integration, auf schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt. Anders als die AfD grenzt sich die FDP auch nicht von anderen Kulturen oder Religionen ab oder diffamiert Menschen. Nichts dergleichen.
Auch die Person Christian Lindner ist für mich einer der Gründe, der FDP meine Stimme zu geben. Das liegt an verschiedenen Dingen. Zunächst einmal halte ich ihn tatsächlich für das mit Abstand größte politische Talent seiner Generation - und darüber hinaus. Nicht, weil er ein kluger Debattenredner ist. Das kommt noch dazu. Vielmehr weiß ich, auch aus einem langjährigen persönlichen Austausch, dass Lindner etwas kann, was nur wenige können: Er ist gleichzeitig strategisch brillant und inhaltlich gut, er ist gleichzeitig philosophisch sattelfest und pragmatisch, er denkt groß und hat trotzdem eine für die Politik seltene Demut. Alleine, dass er in einer Regierung wohl keinen Ministersessel anstrebt, sondern vielmehr als Fraktionsvorsitzender die Regierung das erste Mal seit - ja, seit wann eigentlich? - wie ursprünglich einmal von den Denkern der Gewaltenteilung vorgesehen auch wirklich herausfordern würde, ist ein riesiger Fortschritt an politischer Kultur.

Natürlich ist aber auch bei der neuen FDP nicht alles perfekt. Wenn ich den Wahlomat mache, kommt bei mir die FDP zwar in der Regel auf Platz eins. Aber der Abstand zu anderen Parteien variiert, auf den Plätzen dahinter geht es oft wild durcheinander. In der Vergangenheit hatten es schon die Piraten, die SPD und die Grünen auf Platz zwei geschafft, diesmal schafft das - für mich selbst überraschend - die CDU. Wenn ich auf dem Spitzenplatz 70 Prozent Übereinstimmung habe, ist das viel. Und so ist es auch diesmal so, dass ich selbstverständlich in einige Themen nicht mit der Linie meiner eigenen Partei übereinstimme. Den Vorstoß von Christian Lindner zum Umgang mit der Krim etwa halte ich inhaltlich wie taktisch für falsch. Taktisch nachvollziehen kann ich die Positionierung zu Griechenland, inhaltlich halte ich auch diese für falsch. Portugal zeigt gerade, wie es gehen kann - da braucht es niemanden, der wieder mit den Daumenschrauben durch Europa läuft. 

Das ändert aber nichts daran, dass ich die FDP trotz allem mit Überzeugung wählen kann. Denn erstens besteht nicht die Gefahr einer Alleinregierung - die Liberalen werden einen oder gar zwei Koalitionspartner brauchen, wodurch die Positionen natürlich durch einen Kompromissfindungsprozess gehen werden. Und zweitens halte ich die Positionen zwar selbst für falsch, es aber gleichzeitig für wichtig, dass sie im Bundestag vertreten werden. Zwar bin ich weit davon weg, so zu tun, als ob zwischen den Parteien keine Unterschiede mehr zu erkennen wären. Scharfe Kontraste vermisse ich allerdings durchaus hin und wieder. Mit einer FDP unter einem Fraktionsvorsitzenden Christian Lindner kehren diese ganz sicher zurück in den Bundestag. Und das ist schon ein Wert an sich für die Debattenkultur in diesem Land, der nicht zu gering geschätzt werden darf.

Einer der für mich wichtigsten Gründe für mein ganz persönliches Kreuz bei den Liberalen: Ich bin Individualist, nicht Kollektivist. Die Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas seit einigen Jahren hat mit Kollektivismen zu tun - mit Zuschreibungen, die Menschen übergestülpt werden, ob sie wollen, oder nicht. Da machen der IS und Pegida oder die AfD keinen Unterschied: Sie alle ordnen Menschen nach ihrem Glauben oder ihrer Herkunft, ihrer Sexualität oder ihrem Aussehen in Schubladen ein, ohne zu fragen, ob diese dort auch hineingehören wollen. Nicht die Individualisierung ist das Kernproblem unserer Zeit, sondern der wiederaufflammende Kollektivismus. 

Schlussendlich gibt es noch einen nicht ganz unwichtigen Grund, warum auch eine taktische Entscheidung für die FDP diesmal Sinn macht, selbst wenn man nicht abschließen überzeugt ist. Sollte es nämlich wieder zu einer GroKo kommen, stellt nach derzeitigem Stand der Umfragen entweder die FDP oder die AfD den Oppositionsführer. Jeder sollte sich selbst prüfen, ob er oder sie nicht alles dafür tun will, dass anstatt irgendwelcher Lügner, Antisemiten, Rassisten und Antidemokraten Christian Lindner oder ein anderer Liberaler nach der Regierung ans Rednerpult tritt.

Die FDP ist nicht perfekt. Aber sie wird nicht die Fehler von 2009 bis 2013 wiederholen. Dafür werde ich mich auch persönlich einsetzen. Eine Stimme für die FDP ist 2017 ein Auftrag für eine liberalere, fortschrittlichere Gesellschaft - unter Bewahrung des Sinns fürs Machbare. Denken wir neu.

#6 - Ein neues Narrativ für Europa

Ich muss gestehen, ich habe tatsächlich Hoffnungen in die Nominierung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat gesetzt. Nicht nur, dass ich es gut gefunden hätte, einen ernsthaften Wettkampf um die Kanzlerschaft zu erleben. Vielmehr hatte ich die Hoffnung, dass mit dem ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten eine Debatte in den Wahlkampf gebracht wird, die meiner Meinung nach seit Jahren überfällig ist (und auch von Angela Merkel verschleppt wird): Wie sieht die Zukunft der Europäischen Union aus?

Ich habe selbst 2004 für das Europaparlament kandidiert und kann mich noch gut daran erinnern, wie anders damals die Diskussion lief. Die Europäische Einigung mit EU und Euro als sichtbarsten Meilensteinen stellte damals von links bis rechts niemand in Frage. Man diskutierte, wie Europa demokratischer werden könnte, wie der Erweiterungsprozess laufen sollte - lauter Dinge, die den weiteren Weg nicht infrage stellten, sondern nur unterschiedliche Antworten im Detail ermöglichten. 

Heute sieht das anders aus. Es ist fast schon normal, auf Europa zu schimpfen. Dass die EU das größte "Friedensprojekt" der Geschichte ist - wahrlich keine kleine Leistung -, lockt heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Frieden und Freiheit scheinen selbstverständlich geworden zu sein. Aber das sind sie nicht. Wenn der Blick nach hinten aber nicht mehr zieht, muss man nach vorne blicken.

Mein Vorschlag daher: Wir brauchen ein neues Narrativ, eine neue Erzählung für Europa. Wie das aussehen kann? Eine abschließende Antwort darauf habe ich - natürlich - nicht. Ich bin ja nicht größenwahnsinnig. Aber ich glaube, dass uns die vielen Menschen, die derzeit nach Europa streben, beim Finden einer guten Antwort helfen können. Denn was wir selbst nicht mehr zu sehen in der Lage sind, scheint für sie offensichtlich. Europa ist der letzte verbliebene Hort von Freiheit und Demokratie, Menschen- und Bürgerrechten - und der Verknüpfung von alldem.

Es mag Gegenden geben, die wirtschaftlich erfolgreicher sind derzeit. Aber was gelten dort die Freiheitsrechte? Und was die Idee der Demokratie? Ich glaube, es gibt genügend Gründe, jetzt schon auf unser Europa stolz zu sein. Aber vielleicht müssen wir noch ein paar Schritte nach vorne wagen, damit das auch wieder offensichtlich wird. Dann kommt die Erzählung, die die Menschen wieder mitreißt, von ganz alleine.

Dieser Beitrag ist Teil #6 der Serie #11Dinge zur Bundestagswahl. Was dahinter steckt kann hier nachgelesen werden. #5 ist hier zu finden. Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".

Freitag, 15. September 2017

#5 - Digitalministerium

Zahl und Zuschnitt von Ministerien wird auf Landesebene deutlich häufiger geändert als auf Bundesebene. Dabei gibt es eigentlich keinen Grund, warum man daran nicht rütteln kann (und sollte), denn auch jetzt gibt es oft genug seltsame oder ungeklärte Zuständigkeiten. Das hat auch damit zu tun, dass es Querschnittsministerien gibt, die auch in den Bereich von anderen Ministerien hineinwirken. Das Justiz- und das Finanzministerium sitzen sowieso überall mit am Tisch. Aber auch die Arbeit des Verkehrsministeriums hat unfraglich Auswirkungen auf die Möglichkeiten des Wirtschaftsministeriums. Denn ohne Infrastruktur wie Autobahnen und Bahnstrecken kann Wirtschaft kaum florieren. 

Nun gibt es allerdings eine weitere Aufgabe, die zu bewältigen die gesamte Regierung gefragt ist, nämlich Digitalisierung. Egal ob es um die Auswirkungen von eCommerce auf Arbeitsplätze, Verkehrsströme und die Machtkonzentration im Handel geht, oder ob man über den Umgang mit digitalen Patientendaten oder die Ausstattung von Schulen mit Tablet-Computern diskutiert - Digitalisierung ist wirklich überall. Aber warum gibt es bis heute niemanden in der Bundesregierung, der für dieses Thema ganzheitlich zuständig ist?

Mein Vorschlag daher: Die nächste Bundesregierung braucht ein Digitalministerium, das eine zukunftsfähige Digitalstrategie für alle Ressorts entwickelt und mit den anderen Beteiligten abstimmt und auch die notwendigen Maßnahmen in die Wege leitet. 

Das Personal dafür kann aus den schon bestehenden Ministerien rekrutiert werden, um sicherzustellen, dass man keinen Fremdkörper im politischen Berlin schafft, der sich an den etablierten Strukturen die Zähne ausbeißt. Wichtig wäre mir außerdem, dass an der Spitze des Ministeriums eine Ministerin oder ein Minister steht, der gleichermaßen einen Namen in der Politikszene hat, aber auch selbst Digitalisierung lebt. Einen Minister, der glaubt, nur weil er WhatsApp bedienen kann, sei er qualifiziert, würde dem Anliegen mehr schaden als nutzen.

Die Forderung gilt übrigens ebenso für die Landesebene. Auch da wäre viel nachzuholen. Aber irgendwo muss man ja anfangen.

Dieser Beitrag ist Teil #5 der Serie #11Dinge zur Bundestagswahl. Was dahinter steckt kann hier nachgelesen werden. #4 ist hier zu finden. Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".

Mittwoch, 13. September 2017

Wen ich nicht wähle - und wieso

Es ist ja inzwischen fast schon gute Tradition, dass ich die interessierten Leser an meiner Wahlentscheidung teilhaben lasse. Das soll auch diesmal so sein, und zwar in zwei Teilen. Im ersten Teil begründe ich, wen ich nicht wähle und warum.

Bei der letzten Bundestagswahl habe ich noch SPD gewählt. Meine damit verknüpften Erwartungen wurden allerdings leider nicht erfüllt. Nun tritt mit Martin Schulz ein neuer Kandidat an, einer, der nicht in der letzten Bundesregierung saß. Aus grundsätzlichen Erwägungen heraus könnte man ihm also trotz der Enttäuschung seit 2013 eine Chance geben. Und ich muss gestehen, ich habe die steigenden SPD-Umfragewerte nach seiner Nominierung durchaus mit Freude wahrgenommen, alleine schon aus demokratietheoretischen Erwägungen heraus. Eine Wahl, bei der der nächste Kanzler (oder in diesem Fall: Kanzlerin) schon vor dem Wahltag festzustehen scheint, ist aus meiner Sicht keine gute Wahl.

Trotzdem werden die SPD und Martin Schulz dieses Mal meine Stimme nicht bekommen. Das liegt zum einen am Kandidaten selbst. Unsympathisch finde ich den wahrlich nicht, und auch seine Arbeit als EU-Parlamentspräsident war so verkehrt nicht. Wenn es in der SPD einen Kandidaten hätte geben können, der Merkel auf Augenhöhe begegnet, wäre es tatsächlich dieser Mann aus Brüssel gewesen. Nur leider hat er es nicht geschafft, die Kanzlerin bei seinem Kernthema der letzten Jahre - und meinem Herzensthema - zu packen. Neue Impulse für Europa? Fehlanzeige. Stattdessen setzt Schulz ohne Kreativität auf die Klassiker der Sozialdemokratie. Wie man Gewerkschaften wieder stärken könnte, wie man Arbeitnehmervertretung auch in einer globalisierten Welt sicherstellen kann - das wären moderne Seiten alter Themen. Aber nicht einmal so weit schafft er es. Schulz wirkt wie ein Kanzler am Ende seiner Amtszeit. Und das ist wahrlich kein Bewerbungsschreiben.

Dazu kommt, dass die SPD als Partei am Ende ist. Das merkt man daran, wie sie es geschafft hat, den Schulz-Hype komplett verpuffen zu lassen, weil aus der Parteizentrale einfach keine inhaltlichen Impulse kamen. Ich finde eine starke Sozialdemokratie wichtig für die deutsche Demokratie. Aber damit es diese in Zukunft wieder geben kann, braucht sie Zeit, sich zu regenerieren. Ab in die Opposition also. 

Dasselbe gilt eigentlich auch für die CDU. Ich bin davon überzeugt, dass die Partei an dem Tag wie eine leere Hülle in sich zusammenfallen wird, an dem Angela Merkel nicht mehr Kanzlerin ist. Bis auf den neuen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten mit seiner Jamaika-Koalition sehe ich niemanden in der gesamten Union, der das Format hätte, als Zukunftshoffnung zu gelten. Auch die Schwarzen bräuchten daher dringend eine Frischzellenkur in der Opposition. Nur leider wird es eine gleichzeitige Oppositionsrolle von Union und SPD auf absehbare Zeit nicht geben. Daher müssen wir wohl noch einige Jahre mit Angela Merkel als Kanzlerin leben. Meine Stimme bekommt diese Politik des Stillstands nicht. 

Und ja, ich halte auch die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel für komplett verfehlt und glaube darüber hinaus, das viele derjenigen, die sich an Merkels Seite wähnen, nicht wirklich verstanden haben, was die Kanzlerin tatsächlich getan hat. Dass es überhaupt zu den vielen Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen kam, war auch den Fehlern der deutschen Außenpolitik unter Merkel geschuldet. Die Öffnung der Grenzen 2015 war aus humanitären Gründen richtig, aber jemanden dafür zu feiern, dass er ein Problem löst, dass er vorher selbst maßgeblich mit verursacht hat, halte ich für falsch. Und ganz nebenbei hat man 2015 und 2016 zwar vielen Menschen geholfen, gleichzeitig aber mit den Stimmen von Union und SPD seitdem das Asylrecht weitgehend ausgehöhlt und verstümmelt. Frau Merkel hat damit den rechten Hardlinern einen Traum erfüllt, der ohne den Herbst 2015 immer an empörten Protesten von Menschenrechtlern gescheitert wäre. Ein christlicher Impuls, Nächstenliebe, war sicher zu keinem Zeitpunkt Handlungsgrundlage der Kanzlerin.

Blieben von den etablierten Parteien noch die Grünen, weil für mich als Demokraten weder die rechtsradikale AfD mit ihren zum Teil verfassungsfeindlichen Forderungen noch eine Linke mit einer Sahra Wagenknecht und ihrem Querfrontdenken an der Spitze in Frage kommen. Ich habe durchaus Sympathien für nachhaltiges Denken und halte grüne Ziele oft für richtig, komme aber mit dem Weg dorthin, den die Grünen zeichnen, oft nicht klar. Mein Gefühl ist, dass die Grünen immer noch das Problem haben, dass sie eine zeitlang zu erfolgreich waren. Dosenpfand, LKW-Maut, Energiewende - was kann denn da noch kommen? Wenn man in die Partei hineinhört, hört man die Geräusche von Machtkämpfen, von Jürgen Trittin, der immer noch Strippen zieht, von Kretschmann gegen Hofreiter, vor Özdemir gegen Palmer. Die Grünen müssen ihre internen Gefechte zu Ende bringen, dann werden sie (vielleicht) als Alternative wieder interessant.

Zwei weitere Parteien will ich noch kurz erwähnen, die einen, weil es für sie zu spät ist, die anderen, weil es für sie zu früh ist. Ersteres gilt für die Piraten. Ja, die gibt es noch. Aber sie scheinen noch nicht verstanden zu haben, dass es ihre eigenen Fehler waren, die sie wieder so klein gemacht haben. Hört man Piratenpolitikern allerdings zu, hört man ein "Weiter so". Das ist absurd. Und schade. Letzteres gilt für "Demokratie in Bewegung". Ich durfte die Macher Anfang des Jahres kurz kennenlernen, und ich habe größten Respekt für das, was die junge Bewegung seitdem auf die Beine gestellt hat. Ihnen meine Stimme geben werde ich diesmal aber nicht. Ich bin zwar durchaus offen für Experimente, will jetzt aber erstmal sehen, ob die Partei Substanz genug hat, auch bei der nächsten Wahl noch anzutreten und bis dahin kommunal und auf Landesebene einen Fuß auf den Boden zu bekommen.

#4 - Bürokratieabbauinitiative

Manches Erlebnis in meinen fünf Jahren als Selbständiger hat mich in meiner Meinung noch bestätigt: Deutschland erstickt Inititative und Kreativität in einem unerträglichen Bürokratiewahnsinn. Das sorgt für absurde Situationen, etwa wenn das Finanzamt gewisse Ausnahmetatbestände nicht versteht oder sogar gar nicht kennt. Aber selbst in diesem Fall heißt: Zusätzliche Arbeit, endlose Diskussionen und oft auch das Beschaffen zusätzlicher Nachweise. Zeit, die einem für produktive Arbeit fehlt. Oder noch schlimmer: Zeit, die einem für Freunde und Familie fehlt.
Jeder von uns kennt zahllose Beispiele unnötiger - oder zumindest: unnötig komplizierter - Bürokratie. Dabei ist gut gemeint oft das Gegenteil von gut gemacht. Die Broschüre zum Elterngeld etwa ist nach weitere Nachbesserungen, um wirklich auch jeder Lebenssituation gerecht zu werden, auf deutlich über 100 Seiten angeschwollen. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, wie verzweifelt manche Menschen vor diesem Monstrum sitzen - und am Ende fast zwangsläufig Fehler machen. 

Es gibt Wochen, in denen fange ich am Mittwoch irgendwann nach dem Mittagessen an, mich meiner eigentlichen Arbeit zu widmen. Vorher beschäftige ich mich nur mit Bürokratie, von der Umsatzsteuervoranmeldung bis hin zum Elterngeld. Das kann nicht Sinn und Zweck der Gesetzgebung sein.

Mein Vorschlag daher: Es braucht jemanden in der Bundesregierung bzw. auf einer hohen Verwaltungsstelle, dessen Aufgabe es ist, zusätzliche Bürokratie für Bürger und Unternehmen zu verhindern und bestehende Bürokratie zu vereinfachen oder - wo möglich - abzubauen

Gibt es politische Probleme zu lösen, werden in der Regel neue Regelungen zur Problemlösung diskutiert und geschaffen. Die zusätzliche Komplexität spielt allerdings bei der Entscheidungsfindung keine Rolle. Mit einer Bürokratieabbauinitiative, an deren Spitze ein durchsetzungskräftiger Kopf steht, könnte hier Abhilfe schaffen. Finanzieren würde sich diese Stelle durch die Einsparungen an anderer Stelle sowieso locker. 

Dieser Beitrag ist Teil #4 der Serie #11Dinge zur Bundestagswahl. Was dahinter steckt kann hier nachgelesen werden. #3 ist hier zu finden. Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".

Dienstag, 12. September 2017

#3 - Erste Hilfe in Schulen und Universitäten

Rettungswagen sind in Deutschland in der Regel schnell vor Ort. Doch was kaum jemandem bewusst ist: Bei den jährlich rund 280.000 Herzinfarkten in Deutschland braucht es viel schneller erste Hilfsmaßnahmen, als das irgendein Rettungsdienst leisten kann. Innerhalb der ersten drei Minuten muss etwas getan werden; mit jeder Minute, die ohne Hilfe vergeht, schwindet die Überlebenschance um zehn Prozent. Nur in 37 Prozent der Fälle aber helfen Anwesende. In der Regel bleiben die anderen nicht aus bösem Willen untätig, sondern sind schlicht überfordert.

Das verwundert nicht, wenn es stimmt, dass der letzte Erste-Hilfe-Kurs bei den Menschen in Deutschland im Schnitt 15 Jahre zurückliegt. Genau da liegt aber auch der Hebel. Denn wer erinnert sich schon sein Leben lang an das, was er mit 18 kurz vor dem Führerschein einen Tag lang gelernt hat? 

Mein Vorschlag daher: Jährliche Erste-Hilfe-Kurse in allen Schulen ab der achten Klasse, dasselbe ebenso an Universitäten und Fachhochschulen. Durchgeführt werden diese im besten Fall von Ehrenamtlern (Freiwillige Feuerwehr, First Responder, ect.). Arbeitgeber, die solche Kurse anbieten wollen, werden großzügig gefördert.

Dieses Vorgehen hätte gleich mehrere Vorteile:
  • Die Ersthelferquote dürfte steigen,
  • Die Qualität der geleisteten Ersten Hilfe dürfte steigen,
  • Die Kosten dürften zum Teil durch Einsparungen für Operationen und Pflege abgedeckt werden,
  • Ehrenamtliche Initiativen haben die Chance, für sich zu werben und Nachwuchs zu gewinnen,
  • Empathie und verantwortliches Handeln wird gefördert.
Bis es soweit ist: Erste-Hilfe-Kurse kann man auch heute schon freiwillig belegen. Meistens kosten sie kaum mehr als 40 Euro pro Person. Und die sind doch gut angelegt, wenn man dafür weiß, dass man auch für Eltern, Kinder, Freunde oder Verwandte da sein kann, wenn tatsächlich einmal etwas passiert.

Nächste Woche findet übrigens die jährliche "Woche der Wiederbelebung" statt, und zwar bundesweit. Mehr Informationen hier.

Die Zahlen stammen aus dem lesenswerten Artikel "Hand aufs Herz" des Hamburger Abendblatts.

Dieser Beitrag ist Teil #3 der Serie #11Dinge zur Bundestagswahl. Was dahinter steckt kann hier nachgelesen werden. #2 ist hier zu finden. Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".

Freitag, 8. September 2017

#2 - Talkshows zurück in die Senderverantwortung

Ich weiß nicht, wie es anderen Menschen geht. Aber für mich sind die politischen Talkshows auf ARD und ZDF inzwischen nur noch schwer zu ertragen. Selten wird es dort so lustig, wie vor zwei Tagen, als die AfD-Spitzenkandidatin Weidel dort ihren offensichtlich als geplante Provokation gedachten Abgang so vermasselte, dass sich das Internet vor Kreativität fast überschlug. Ansonsten sieht man die immer gleichen Nasen zu den immer gleichen Themen mit den immer gleichen Floskeln. Ganz ehrlich: Das braucht doch kein Mensch!

Was kaum jemand weiß: Das Problem hat mit der Organisation hinter den Kulissen zu tun. Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF produzieren politische Talkshows in der Regel nämlich nicht selbst, sondern lagern die Produktion aus. Während die Sender selbst einen Bildungsauftrag haben - und an diesem gemessen werden sollten - werden die Produktionsfirmen allerdings nicht an der Qualität der Sendungen, sondern an deren Einschaltquoten gemessen. Das wiederum hat den Effekt, dass produziert wird, was funktioniert, und nicht, was diskutierenswert wäre. Ausländer- und Flüchtlingspolitik geht dann immer, am besten mit einem Vertreter der AfD, denn dann schalten viele Menschen ein, alleine schon, um sich aufzuregen. Themen wie Digitalisierung oder Europa scheitern alleine schon an ihrer Komplexität. 

Dazu kommt: kalkulierbar muss es sein. Deswegen hat man auch das Gefühl, sich in einer Endlosschleife zu befinden, in der immer Bosbach, Stoiber und Oppermann die immer gleichen Themen miteinander diskutieren. Man kann den Produktionsfirmen nicht übel nehmen, dass sie die Shows so bestücken und produzieren, dass es für sie aus wirtschaftlicher Sicht Sinn macht. Aber man darf schon die Frage stellen, ob das der richtige Weg für ARD und ZDF ist, zu besten Sendezeiten ihrem Bildungsauftrag nachzukommen. Ich meine nein.

Mein Vorschlag daher: Sämtliche politische Formate werden in Zukunft nur noch hausintern produziert und werden aus der klassischen Quotenbetrachtung herausgenommen. Die Redaktion wird angehalten, auf einen Themenmix ebenso wie auf einen Personenmix zu achten, der auch Nischen beleuchtet und Diskussionen jenseits der Qualität von Bild-Schlagzeilen zulässt. 

Politik ist komplex. Talkshows, wie wir sie derzeit kennen, sind wegen falscher Incentivierung, wegen falscher Kennzahlen, in ihrer Konzeption schon unterkomplex angelegt. Das schadet dem politischen Diskurs mehr, als es den politischen Bildungsauftrag befriedigt. Und es ist ein Teil des Nährbodens für Populismus. Ich bin überzeugt, es geht auch anders.

Dieser Beitrag ist Teil #2 der Serie #11Dinge zur Bundestagswahl. Was dahinter steckt kann hier nachgelesen werden. #1 ist hier zu finden. Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".

Dienstag, 5. September 2017

#1 - Trial and Error statt Debatten im luftleeren Raum

Wie oft führen wir eigentlich politische Diskussionen über Dinge, von denen keiner eine Ahnung hat, wie sie sich in der Realität wirklich auswirken würden? Ich meine: viel zu oft. Das sorgt dann entweder dafür, dass gar nichts passiert, weil man ja nicht weiß, ob das funktioniert. Oder man führt etwas flächendeckend ein und muss im schlimmsten Fall nach einiger Zeit feststellen, dass es nicht nur nicht funktioniert, sondern sogar geschadet hat, wie etwa gerade die sicher gut gemeinte Mietpreisbremse.

Mein Vorschlag daher: Orientieren wir uns an dem, was in der Sofwareentwicklung "Trial and Error" genannt wird. Das heißt, man testet Ideen am lebendigen Objekt, allerdings immer mit der Option im Hinterkopf, alles wieder schnell rückgängig zu machen, wenn es nicht funktioniert. Auf die Politik übersetzt wäre ich dafür, Ideen zunächst regional zu testen, von Anfang an zu kommunizieren, dass es sich um einen Test handelt und diesen auch intensiv wissenschaftlich begleiten zu lassen. Funktioniert die Idee, kann man sie bundesweit ausrollen. Funktioniert sie teilweise, kann man in der Testphase nachjustieren. Funktioniert sie nicht, wickelt man das Projekt wieder ab.

Mit der klaren Kommunikation vor Projektbeginn könnte man außerdem vermeiden, dass ein negatives Ergebnis auch als Scheitern der politischen Impulsgeber gesehen wird. Denn die Angst vor diesem Scheitern ist einer der Gründe, warum manche Dinge entweder gar nicht erst probiert werden, oder man dann viel zu lange an ihnen festhält (wieder Stichwort Mietpreisbremse), weil man nicht als Verlierer dastehen will.

Wie so etwas aussehen könnte? Ich finde, das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wäre ein gutes Projekt, an dem man diesen Ansatz ausprobieren könnte. Die Befürworter und Gegner des BGEs stehen sich unversöhnlich gegenüber. Und beide Seiten haben gute Argumente auf ihrer Seite. Nur: Ich kenne kein Beispiel weltweit, wo eine Umsetzung des BGE wirklich einmal probiert wurde. Das heißt auch, dass niemand wirklich wissen kann, wie es ausgeht. Es handelt sich um einen Glaubenskrieg ohne Gewinner. Die einen glauben an das Gute im Menschen, die anderen an das Schlechte. Aber wer hat Recht?

Um das herauszufinden plädiere ich für eine Umsetzung nach dem oben skizzierten Prinzip: regional, revidierbar, wissenschaftlich unterstützt. Und: freiwillig. Die Menschen, die davon betroffen wären, sollten vorher darüber abstimmen können, ob sie mehrheitlich dafür sind, Teil dieses Tests zu sein. Wenn es dann losgeht, werden wir alle schlauer werden. Wie entwickelt sich die Erwerbsquote? Wie die Produktivität? Wie geht es den Menschen? Wie entwickelt sich die Zahl der Unternehmensgründungen? Was passiert mit dem Vereinswesen? Kurz: wie entwickeln sich Wirtschaft und Gesellschaft, wenn die Menschen, die zuvor im Sanktionssystem Hartz IV gefangen waren, plötzlich ohne Gängelung und Kontrolle eine Grundsicherung haben - und diejenigen, die schon zuvor in Lohn und Brot waren, zumindest nicht mehr Angst haben müssen, in genau dieses System hineinzurutschen?

Dabei möchte ich das Thema BGE nur als Beispiel verstanden wissen. Ich bin davon überzeugt, dass auch in anderen Themenfeldern einerseits teure Fehlentscheidungen vermieden und andererseits Entscheidungsblockaden gelöst werden können, wenn man nicht mehr dem Zwang unterliegt, ins Blaue hinein über riesige Umwälzungen entscheiden zu müssen. Das könnte auch im Bereich neuer Technologien manche Frage beantworten. Warum lassen wir nicht in einem abgegrenzten Bereich die Paketzustellung durch Drohnen testen? Warum heben wir nicht in einem abgegrenzten Bereich einmal Regulierungen auf, die Unternehmensgründungen blockieren? Jedem Leser werden sicher zahlreiche Themen einfallen, die er gerne einmal testen würde. Ich freue mich auf die Ideen im Rahmen der Diskussion.

Zum Abschluss noch ein Zitat des inzwischen leider verstorbenen Ralf Dahrendorf, das das Anliegen in einen größeren, grundsätzlicheren Kontext stellt:
„Wir leben in einer Welt der Ungewissheit. Niemand weiß genau, was wahr und gut ist. Darum müssen wir immer neue und bessere Antworten suchen. Das geht aber nur, wenn Versuch und Irrtum erlaubt sind, ja, ermutigt werden, also in einer offenen Gesellschaft. Sie wenn nötig zu verteidigen und sie jederzeit zu entwickeln, ist daher die erste Aufgabe.“
Dieser Beitrag ist Teil #1 der Serie #11Dinge zur Bundestagswahl. Was dahinter steckt kann hier nachgelesen werden. Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".


Montag, 4. September 2017

Ab morgen: 11 Dinge, die anders besser wären

In 20 Tagen wird gewählt. Doch der Bundestagswahlkampf dreht sich wie so häufig nur um altbekannte Themen. In der gestrigen Debatte der Kanzlerkandidaten (der einzigen!) war nicht einmal Platz für Themen wie Bildung oder Digitalisierung. Da wundert es nicht, dass Ideen, die die Gesellschaft wirklich von Grund auf verändern (und im besten Fall: verbessern) könnten, weder in den Wahlprogrammen noch in den Talkshows, Radiointerviews oder in der Zeitungsberichterstattung vorkommen.

Ich finde das schade. Nein: ich finde das eigentlich sogar fahrlässig und gefährlich. Denn auch wenn Themen wie die Höhe des Mindestlohns, die Frage nach dem Umgang mit Kriegsflüchtlingen und Asylbewerbern oder der Streit um Dieselfahrverbote durchaus wichtig sind, steckt in den Debatten doch leider wenig Visionäres. Die Zukunft lässt sicher aber nicht nur mit einem Blick in den Rückspiegel gestalten.

Um meinen Debattenbeitrag zu leisten, habe ich mich daher entschieden, ab morgen bis zum Tag vor der Bundestagswahl elf Ideen zu skizzieren, von denen ich glaube, dass sie unsere Gesellschaft ein Stück besser machen würden. 

Noch stehen nicht alle Thesen. Und vielleicht sehen andere Menschen auch andere Themen als wichtig an. Ich freue mich also über Anregungen. Und vor allem würde ich mich über eine lebhafte, kontroverse Debatte freuen. Im besten Fall sogar so lebhaft und intensiv, dass die Serie nach dem Wahltag weitergeht. Politik geht uns ja alle an.

Die Serie erscheint in Kooperation auch bei "Stadt - Land -News".

Sonntag, 3. September 2017

Wie Facebook Rechtsradikalen hilft

Facebook steht im Focus rechtsradikaler Proteste, unter anderem, weil es immer wieder Accounts wegen Hatespeech sperrt oder gleich tausende Konten löscht, die im Verdacht stehen, nur für Falschmeldungen genutzt zu werden. Nur sollten wir uns nicht täuschen (und schon gar nicht zu falschen Solidaritätsbekundungen hinreißen lassen). Denn wie ich jetzt selbst erleben durfte, gibt es auch Fälle, in denen Facebook in seiner grenzenlosen Unfähigkeit genau diesen Rechtsradikalen hilft.

Was ist passiert? In einer Debatte rund um die geleakten Chatprotokolle des (inzwischen zurückgetretenen) stellv. AfD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ging es unter anderem um dessen anale Vergewaltigungsfantasien an Zehnjährigen, die übrigens für zwei weitere AfD-Abgeordnete kein Grund waren, dagegen aufzubegehren. Trotz eindeutiger Sätze wie "So´n schönes zehnjähriges Poloch ist sicher schön eng…“ fühlte sich ein AfD-Fanboy berufen, diese Aussage nicht nur zu relativieren, sondern vielmehr zu behaupten, die AfD sei die einzige Partei, die noch Menschen wie ihn vertrete. Auch meine Nachfrage hin, ob er das auch auf Aussagen zu Vergewaltigungen Zehnjähriger beziehe, wurde ich zunächst von mehreren rechten Hetzern gemeldet und dann von Facebook für 24 Stunden gesperrt.

Das ist gleich auf mehreren Ebenen interessant. Erstens war es Mark Zuckerberg, der lange dafür warb, Hass auf Facebook mit Counterspeech entgegenzutreten. Nur wie soll das gehen, wenn man dafür dann gesperrt wird? Zweitens scheinen diejenigen, die bei Facebook Kommentare bewerten, entweder kein ordentliches Deutsch zu können, oder strunzdumm zu sein. Zumindest sind sie nicht in der Lage, Kommentare im Kontext zu verstehen. Das hilft natürlich den Radikalen, die mit massenhaften Meldungen genügend Argumente für eine Sperrung liefern können und dann wieder ungestört auf Facebook Vergewaltigungsfantasien an Zehnjährigen relativieren können.

Hier übrigens ein Ausschnitt der Dinge, die immer noch dort stehen - und die ich demnach auch nicht mehr kommentieren konnte:






Ich für meinen Teil ziehe daraus eine ganz persönliche Konsequenz: Ich schalte keine Werbung mehr auf Facebook. Das mag Mark Zuckerberg nicht jucken. Aber ich schlafe dann deutlich besser.


Donnerstag, 24. August 2017

Lasst uns bis zum 24.9. nicht über die AfD reden

Heute, genau einen Monat vor der Bundestagswahl, möchte ich Euch um etwas bitten. Ich wünsche mir, dass Ihr etwas tut. Oder besser: etwas nicht tut.

Lasst uns gemeinsam bis zum 24.9., 18 Uhr, nicht über die AfD reden. 
Zumindest nicht auf Social Media.

Was steckt hinter dieser Bitte? Keine Frage, es ist wichtig, dass die Menschen über die AfD Bescheid wissen. Dass sie wissen, dass es sich um eine rechtsradikale Partei handelt, die ein Problem mit unserem Grundgesetz hat, die ein Problem mit der Allgemeingültigkeit der Menschenrechte hat, die Verbindungen in die rechtsextreme Szene hat, deren Spitzenfunktionäre teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet werden, teilweise im Verdacht stehen, schwere Straftaten begangen zu haben, die Antisemiten ebenso in die Parlamente spült wie Holocaustverharmloser, und die noch dazu die faulsten Abgeordneten überhaupt hat. Aber: All das ist inzwischen weithin bekannt.

Nun ist die Zeit der Aufklärung vorbei. 
Wer nicht mitbekommen hat, dass die AfD eine rechtsradikale Partei ist, will es nicht wissen. 

Indem wir trotzdem weiterhin die dauernden Grenzüberschreitungen der AfD teilen, wenngleich mit ablehnender Kommentierung, überzeugen wir also keinen Menschen zusätzlich. Wir müssen akzeptieren, dass es zumindest rund zwei Millionen Wähler geben wird, die der AfD sehr bewusst ihre Stimme geben werden. Die sind für den Moment für die Demokratie verloren. Wichtig ist nun der Kampf um diejenigen, die man gemeinhin Protestwähler nennt, und die sich am Wahltag für die Partei entscheiden, mit der sie glauben, dem "Establishment" möglichst wehtun zu können.

Diese Wähler sind vielleicht keine überzeugten Rechtsradikalen. Aber sie lieben die Grenzüberschreitung, sie ergötzen sich an der Empörung der Mitte über die Entgleisungen aus der AfD. Dreht man die Logik um, geht der Anreiz, die AfD zu wählen, in dem Augenblick verloren, in dem sie öffentlich nicht mehr stattfindet.

Zu erreichen, dass nicht mehr über die kruden Thesen der AfD diskutiert wird, kann eine wunderbare Aufgabe für uns, die gute Seite des Internets, sein. 

Üben wir uns also in Impulskontrolle - und unterstützen wir lieber diejenigen Politiker, die versuchen, gegen die Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie mit seriösen Inhalten anzukommen. Themen gäbe es wahrlich genug. Das soll übrigens nicht heißen, dass wir uns in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis oder auf der Straße nicht durchaus um mögliche AfD-Wähler bemühen sollen. Ganz im Gegenteil. Nur sollten wir uns eben nicht in den Sozialen Medien zu den nützlichen Idioten der Rechtsradikalen machen lassen.

P.S.: Es gibt ja inzwischen zahlreiche Bücher zur AfD und der Neuen Rechten, etwa "Die autoritäre Revolte" von Volker Weiß, das jetzt auch günstiger (€ 4,50) bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu bekommen ist (Leseempfehlung!). Wer es kürzer oder konkreter mag, der kann sich aber auch das Schmalbart-Ebook zu den Wurzeln der Neuen Rechten oder den Kommunikationsratgeber der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit für den Umgang mit rechtsradikalen Parolen herunterladen.

Sonntag, 13. August 2017

"Gegen Demokratie" - Totalitäres Denken für Anfänger

Lange habe ich gezögert, bevor ich mir "Gegen Demokratie", das neueste Buch des amerikanischen Philosophen und Politikwissenschaftlers Jason Brennan, besorgt habe. Denn was wäre, wenn er tatsächlich gute Argumente gegen die Demokratie vorzubringen hätte? Menschen sind ja nicht besonders heiß darauf, dass man ihre Weltbilder erschüttert. Und warum sollte ich eine Ausnahme machen?

Meine Sorge war gäntlich unbegründet, so viel vorab. Brennan schafft es nicht, mich davon zu überzeugen, dass eine "Epistokratie", also eine wie auch immer geartete Philosophenherrschaft, auch nur ein interessanter Test sein könnte. Und dass er es nicht geschafft hat, mich zum Grübeln zu bringen, liegt nicht an mir, sondern an ihm. Doch der Reihe nach.

Brennans Argumentation geht ungefähr so: Die Demokratiepraxis hat nicht allzu viel mit der Demokratietheorie zu tun, und das hat vor allem damit zu tun, dass viele Menschen weder Willens noch in der Lage sind, am demokratischen Prozess sinnvoll teilzuhaben. Vielmehr bringt die Demokratie Menschen gegeneinander auf, die ein sorgenloses Leben führen könnten, wenn an ihrer Statt wohlmeinende und gut informierte Philosophen oder Experten die Entscheidungen treffen würden, um beste Ergebnisse zu erreichen.

Auch wenn sich Brennan sicher dagegen wehren würde: Das ist nichts anderes als das Grundgerüst für ein totalitäres autoritäres System. Und dass Brennan in seiner Kritik an der Demokratie eine ganz ähnliche Argumentation führt, wie die Vordenker der Neuen Rechten, die auch davon überzeugt sind, dass der Parlamentarismus ein an sich homogenes Staatsvolk auseinander dividiert, mag ihm selbst vielleicht nicht bewusst sein. Aber damit ist auch schon das Grundproblem in Brennans ganzem Denken beschrieben: Er ist nicht in der Lage, Theorie und Praxis zu trennen. Genau dieses Problem sollte allerdings spätestens seit diversen Sozialismusexperimenten (gerade wieder live zu beobachten in Venezuela) bekannt sein. Nett gedacht ist eben oft falsch gedacht, wenn die Erdung fehlt.

Man könnte nun lang und breit ausführen, was alles falsch ist an Brennans Gedanken. Aber das spare ich mir, weil es einen Denkfehler gibt, der so fundamental ist, dass man danach alles als "Folgefehler" verbuchen kann. Denn wie um alles in der Welt sollen denn die "Philosophen" ausgewählt werden, die dann absolut herrschen können? Wer wäre überhaupt ein geeigneter Philosoph? Und wer legt die Kriterien fest? Was sind denn gute Ergebnisse? Und vor allem: Was passiert in einem solchen System mit Systemkritikern? Vielleicht hätte Brennan mal Stalin fragen sollen. Oder zumindest beim Philosophen Fichte nachlesen, der die heutigen Denkfehler des Amerikaners schon vor 200 Jahren gemacht hat (diese Verwirrungen hat Prof. Claus Dierksmeier in seinem Buch "Qualitative Freiheit" gut aufgelöst).

Ist "Gegen Demokratie" also einfach nur ein dummes Buch? So einfach ist es dann doch nicht. Viele Problembeschreibungen rund um die Demokratie treffen durchaus ins Schwarze und sind wissenschaftlich untermauert. Alleine dafür lohnt sich die Lektüre und es ist das Verdienst des Ullstein-Verlags, dass er dieses Werk auch nach Deutschland gebracht hat. Doch was würde das in der Praxis wohl heißen, wenn Brennan feststellt, dass ethnische Minderheiten in den USA eine schlechtere politische Bildung besitzen als die weiße Mehrheit - und nur besonders befähigte Menschen entscheiden sollen? Anstatt sich für mehr politische Bildung auszusprechen, würde Brennan wohl ohne viel Federlesens Jahrzehnte politischer Emanzipation rückabwickeln. Donald Trump gefällt das.

Am Ende ist es eben ein wenig so, wie wenn man Gregor Gysi oder Sahra Wagenknecht zuhört: Deren Analyse ist regelmäßig brauchbar, nur die Ableitungen sind absurd. Demokratie aufgrund ihrer Schwächen gleich ganz durch ein totalitäres autoritäres System zu ersetzen dürfte noch dümmer sein, als wenn man Selbstmord aus Angst vor dem Tod begeht. Arbeiten wir lieber gemeinsam an einem Demokratie-Update. 

Jason Brennan: "Gegen Demokratie, Ullstein 2017

Anmerkung: Ich habe im Text "totalitär" durch "autoritär" ersetzt. Zwar glaube ich, dass autoritäre Systeme immer eine Tendenz zum Totalitären haben (müssen), weil sie nur so die Abweichung von ihren Regeln entsprechend sanktionieren können. Allerdings wird das in der Wissenschaft wohl in Teilen anders gesehen. An meiner Grundhypothese ändert das freilich nichts. Und ich weiß an dieser Stelle auch einen Denker an meiner Seite, mit dem ich ansonsten öfter über Kreuz liege, nämlich Friedrich August von Hayek. Der hatte in "Weg in die Knechtschaft" bereits festgestellt, dass jede Form gesellschaftlicher Planung letztlich im Totalitarismus enden muss. Autoritarismus kann eben nur ein Zwischenstopp sein, entweder zurück in die Demokratie. Oder eben in den Totalitarismus. Zumindest das, so unterstelle ich, hat Brennan nicht verstanden.



Sonntag, 8. Januar 2017

Peter Tauber - Seit heute auf Abschiedstournee

Wir schreiben den 8. Januar - und Peter Tauber, der Noch-Generalsekretär der CDU, hat es geschafft, im Gespräch mit der Bild am Sonntag einen Vergleich zu ziehen, der schon jetzt als einer der dümmsten des Jahres einen festen Platz in den Geschichtsbüchern hat. Aber der Reihe nach.

Peter Tauber steht in der CDU schon seit einiger Zeit gehörig unter Druck - und ist dafür in erster Linie selbst verantwortlich. Nun ließ er sich zu der absurden Aussage hinreißen, dass der einzige Unterschied zwischen dem FDP-Parteivorsitzenden Christian Lindner und dem Vize der rechtsradikalen AfD der Kleidungsstil sei. Damit macht er nicht nur sich selbst lächerlich, sondern schadet auch seiner Partei und dem demokratischen Diskurs. Angela Merkel wird Tauber nicht mehr vor der Bundestagswahl fallen lassen - weil sie weiß, dass ihre falsche Personalentscheidung damit für jeden offensichtlich würde. Nach der Bundestagswahl allerdings wird sich Tauber als Hinterbänkler einreihen müssen. 

Lächerlich macht sich Tauber mit der Aussage vor allem, weil Alexander Gaulands brutal rechte Positionen schon lange vor seinem Austritt aus der CDU und seinem Eintritt in die AfD bekannt waren. Gaulands Hass auf den Liberalismus, seine Unterstützung für die putinsche Expansionspolitik, seine Empfehlungen an die CDU, sich auf die Spuren von Rechtspopulisten zu begeben und auch die Aussage, das Setzen auf Markt und Menschenrechte sei eine "intellektuelle Rebarbarisierung" stammen aus Gaulands Buch mit dem irreführenden Titel "Anleitung zum Konservativsein" aus dem Jahr 2002 (meine Texte mit den Zitaten dazu hier, hier und hier). Das war elf Jahre bevor Gauland die CDU verließ. Dass diese Positionen allerdings irgendwen in der Union wirklich gestört hätten, ist nicht bekannt. Auch, dass Peter Tauber, der immerhin aus demselben Landesverband wie Gauland stammt, irgendwann einmal gegen die Mitgliedschaft Gaulands in der Union rebelliert hätte, ist nicht überliefert. Noch 2010 war Gauland gern gesehener Diskutant auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Wenn also jemand ein Gauland-Problem hat, das es zu klären gibt, dann sind das Tauber und die CDU, sicher aber nicht Lindner, der nachweislich keine der oben zitierten Positionen Gaulands teilt.

Ich habe Peter Tauber im persönlichen Umgang als netten und interessierten Menschen kennengelernt. Politisch allerdings fehlen ihm - das lässt sich inzwischen sagen - intellektuelle Schärfe und christlicher Anstand. Christian Lindner schwingt inzwischen zwar sicher häufiger den Säbel statt des Floretts in der politischen Debatte. Persönliche Angriffe wie die von Tauber in seine Richtung wird man von ihm allerdings niemals erleben. Das ist eine Frage der Kinderstube. Der eine hat mehr, der andere weniger davon mitbekommen.

Taubers Attacke auf Lindner lässt sich politisch durchaus erklären, soll Tauber doch für die Union um dieselbe Klientel wie der FDP-Parteichef kämpfen und musste bei den letzten Landtagswahlen erleben, dass die Liberalen ihm bei diesem Vorhaben immer wieder einen Strich durch die Rechnung machten. Die Erneuerung der Liberalen in der APO geht voran, die CDU tritt auf der Stelle - auch weil Angela Merkel in ihrem Umfeld seit langem in erster Linie auf Mittelmäßigkeit setzt. Mit Ausrastern allerdings wird Tauber diesen Trend nicht umkehren können - zumal jeder nicht ganz wirre Wähler das Ablenkungsmanöver und die Absurdität dieser Unterstellung erkennen wird. 

Das Problem ist nicht, dass Christian Lindner die Politik der Kanzlerin scharf kritisiert. Das Problem ist die Politik der Kanzlerin, die seit Jahren eine europäische Lösung zum absurden Dublin-Abkommen blockiert, die Länder und Kommunen mit den Herausforderungen durch die Flüchtlingskrise alleine gelassen hat, die nichts dafür tut, dass wir wissen, wer in unserem Land unterwegs ist, die nicht garantiert, dass in den Ausländerbehörden die rechtsstaatliche Ordnung umgesetzt wird und die auch nicht garantiert, dass die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden funktioniert (Stichwort Anis Amri). Anstatt ein Zuwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen, beschneidet Angela Merkels Regierung das Asylrecht immer weiter - eine Entwicklung, vor der die Liberalen in den letzten anderthalb Jahren gewarnt haben und über die sich andererseits die AfD freut und nach Zugabe ruft. Es sind Merkels Leute, die nach mehr Überwachung rufen - weil sie nicht in der Lage sind, die bestehende Gesetzeslage in die Realität umzusetzen - und auch da haben sie die AfD an ihrer Seite, während die Liberalen genau davor warnen. 

Die Missstände anzuprangern ist Christian Lindners Pflicht als liberaler Oppositionspolitiker, der weiß, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine freiheitliche Gesellschaft das Funktionieren ihrer Institutionen ist. Rechtsradikal oder rechtspopulistisch ist daran nichts. Man hätte vermuten können, dass das auch ein Konservativer versteht. Tauber schafft das allerdings nicht, vermutlich auch, weil er weiß, dass seine eigene Karriere an dem Tag zu Ende ist, an dem Angela Merkel gehen muss - und er deshalb ihre Politik blind verteidigt. Genau an dieser Stelle zeigt sich einmal mehr der Klassenunterschied zwischen Christian Lindner und dem CDU-General: Der eine denkt selbst, der andere ist Wasserträger. Es ist ein ungleiches Duell, das Tauber nicht gewinnen kann. Und wie ein angeschlagener Boxer greift er deshalb zu unfairen Mitteln.

Dass Tauber dabei nicht erkennt, dass er den Liberalen hilft und der eigenen Partei schadet, verwundert da kaum noch. Wer würde der FDP nach diesen Ausfällen noch vorwerfen wollen, wenn sie sich für die Zukunft nach anderen Partnern umschaut? Auch der letzte Liberale, der an die Lebenslüge der natürlichen Partnerschaft zwischen Union und FDP geglaubt hat, wird jetzt verstehen, dass er neu denken muss. Tauber hat die FDP endgültig aus einer ungesunden babylonischen Gefangenschaft entlassen - man muss ihm als Liberaler dafür fast dankbar sein. Nun kämpfen wir endlich wieder alleine für uns und man wird es uns auch glauben.

Für die Union allerdings wird damit die Aussicht auf eine Regierungsbildung jenseits der GroKo kleiner. Wer würde derzeit noch einen Pfifferling auf "Jamaika" geben? Und sollte es tatsächlich im September 2017 zu Gesprächen darüber kommen (müssen) wird Peter Tauber sicher nicht mit am Tisch sitzen. Vielleicht hat das ja für ihn auch etwas Erlösendes. Er wäre nicht der Erste, der auf seiner Abschiedstournee, die mit dem heutigen Tag begonnen hat, noch einmal großes auf die Bühne zaubert, bevor er in den Niederungen des Vergessens versinkt. Oder anders gesagt: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich recht ungeniert. Angela Merkels Raute zittert bei dem Gedanken an dieses Szenario merklich.