Donnerstag, 22. Dezember 2016

Autogrammwünsche mit bewegenden Geschichten

Sind die Zuschriften, die man als Publizist bekommt eigentlich immer nur negativ? Auf gar keinen Fall, aber meist bleibt einem der Hass länger auf der Seele kleben. Hier soll es daher einmal um die Lichtblicke gehen. Es kommt nicht allzu häufig vor, aber hin und wieder erreicht mich tatsächlich "Fanpost", oft mit Autogrammwünschen vesehen. Vermutlich würde mir überhaupt niemand schreiben, wenn meine Handschrift bekannt wäre. Aber bei der Beantwortung dieser Zuschriften gebe ich mir natürlich besonders viel Mühe. 

Ein Herr schrieb mir, dass er inzwischen 96.000 (!) Autogramme "von Gorbatschow bis George Bush und Elizabeth Taylor bis zum Dalai Lama" zusammengetragen habe, und: Nun fehle ihm etwa noch meines. Claus, so heißt der Schreiber, weiß schon, wie er die Leute motiviert. Natürlich habe ich ihm geantwortet - und parallel überschlagen, was er alleine in Rückporto in den letzten Jahren investiert haben muss. Auf den mitgeschickten Bildern sieht Claus auf jeden Fall aus wie jemand, mit dem man sofort ein Bier trinken würde. Geschichten dürfte zur Genüge auf Lager haben.

Besonders hat mich der Brief einer älteren Dame namens Annedore bewegt. Ausnehmend höflich schickt sie mir die besten Wünsche und bittet um die Zusendung eines Autogramms. Die Schrift allerdings wirkt angestrengt, fast schon wackelig. Die Erklärung dafür gibt sie dann auch selbst im Post Scriptum: Einen PC habe sie leider nicht, daher hoffe sie, dass ich die Schrift entschuldige. Es gehe eben leider nicht mehr so gut, sie habe Parkinson. In dem Moment fühle ich mich gleich noch viel mehr geehrt, dass Annedore hat dann auch noch, trotz ihrer zittrigen Handschrift, ein kleines Gedicht dazu geschrieben, das meiner Meinung nach recht gut zu diesen Tagen des Jahres passt. Daher will ich es den geneigten Lesern natürlich nicht vorenthalten:

"Genieße das Leben, sei doch gescheit,
und sage nicht immer: Ich habe keine Zeit.

Arbeite bedächtig und gediegen,
und was nicht fertig wird, lass ganz einfach liegen."

In diesem Sinne allen eine ruhige und besinnliche Zeit im Rahmen von Familie und Freunden!

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Todenhöfer geht zum Freitag - ich kündige!

Wie schlecht steht es um den Freitag? Die Wochenzeitung kämpft ja schon lange mit wirtschaftlichen Problemen. Die aktuelle Personalentscheidung lässt erahnen, dass man nach dem letzten Strohhalm zu greifen versucht - indem man Jürgen Todenhöfer zum Herausgeber macht. Als alternativer Erklärungsansatz käme mir nur noch in den Sinn, dass man dem Vorwurf der Lügenpresse endlich gerecht werden will. Ich bin auf jeden Fall fassungslos, wie man denjenigen, der immer, aber auch immer in der Geschichte auf der falschen Seite stand, der den IS verharmlost, der einen üblen Antiamerikanismus kultiviert hat und von Antisemiten gefeiert wird, noch einmal in eine einflussreiche Position bringt.

Für einen Liberalen mag das ein überraschendes Geständnis sein: Ich habe den Freitag seit einigen Jahren abonniert. Und zwar,
  • weil ich ihn als spannende Ergänzung der Medienlandschaft empfunden habe, 
  • weil ich die Kooperation mit dem Guardian schätze, 
  • weil mir der Kulturteil gut gefällt,
  • weil dort Miguel Szymanski immer wieder einen guten Blick auf Portugal geworfen hat
  • und weil es immer wieder kluge Artikel, etwa diesen von Nils Markwardt, gab, die mich überrascht haben.
Nun hat Nils Markwardt den Freitag verlassen, Augsteins Texte habe ich bisher versucht zu ignorieren - aber Todenhöfers Idee von "Journalismus", dafür bin ich nicht bereit, auch nur einen Cent auszugeben. Ich wünsche dem Freitag, den ich noch gestern nicht hätte missen wollen seit heute den Niedergang, den er sich mit dieser Entscheidung verdient hat. Und: ich kündige!

Freitag, 28. Oktober 2016

Der Fall Liane Bednarz - Teil I

Vor einigen Tagen erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel, in dem es um die Rollen von Frau Bednarz und ihres Arbeitgebers bei der Tilgung kritisches Passagen in „Gefährliche Bürger“ ging. Im Nachgang dieses Artikels schossen allerlei Verschwörungstheorien ins Kraut, die sich gegen den Autor des Artikels, aber auch gegen mich richteten. Mehr als vierzehn Monate nach Erscheinen des Buches scheint es daher Zeit, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Auch, weil ich aus dem Umfeld von Frau Bednarz immer wieder nachdrücklich dazu aufgefordert wurde. Ob das wirklich in ihrem Sinne ist? 

Ein paar persönliche Worte vorweg. Mir ist klar, dass auch dieser Text nicht alle überzeugen wird. Mir ist klar, dass der ganze Vorgang von außen betrachtet wie eine überflüssige Schlammschlacht wirken mag. Und mir ist auch klar, dass die rechte Szene sich gerade vor Glück ins Höschen macht. Ich halte es trotzdem für wichtig, all die Dinge, die ich in den letzten zwei Jahren erlebt habe und erleiden musste, öffentlich zu machen. Und zwar alleine schon, um damit möglicherweise andere Menschen davon abzuhalten, denselben Fehler zu machen, den ich gemacht habe – und der mir mein Leben zwischenzeitlich zur Hölle gemacht hat. Hier der erste Teil - die weiteren Vorgänge so wiederzugeben, dass sie korrekt, vollständig und verständlich gleichermaßen sind, ist eine Aufgabe, die mehr als ein paar Stunden in Anspruch nimmt.

Nun aber endlich inhaltlich. Zunächst einmal kann ich auch bei nochmaliger Lektüre des Artikels keinen sachlichen Fehler entdecken. Und ich muss gestehen: Ich habe das Verhalten von Frau Bednarz damals für skandalös gehalten - und halte es heute immer noch dafür. Dabei hat die Geschichte mehrere Ebenen. Natürlich hat der Autor eines Buches grundsätzlich jedes Recht, zu entscheiden, welche Sachverhalte er aufgreift und welche nicht. Im Fall eines Einzelautors entsteht daraus auch kein Problem, denn er alleine ist Urheber und kann zu jedem Zeitpunkt vor Drucklegung grundsätzlich Details am Text ändern (ob das dann noch professionell genannt werden kann, ist eine andere Frage). Im Fall von "Gefährliche Bürger" war Frau Bednarz allerdings nicht die alleinige Autorin, sondern es handelte sich um ein Werk von zwei Autoren. Der Teil, den Frau Bednarz streichen wollte - und dessen Streichung sie zum Teil auch gegen meinen ausdrücklichen Willen durchgesetzt hat - war von mir geschrieben.

Auch das alleine wäre noch kein Skandal. Allerdings bekam Frau Bednarz schon im Mai 2014, ganz kurz nachdem wir uns zum ersten Mal persönlich getroffen hatten, von mir ein Exposé, das später die Basis für "Gefährliche Bürger" wurde. Bereits dort war das folgende Kapitel angedacht:
"Die Spur des Geldes – Wer von Angst und Hass profitiert
Das ist sicher aus medialer Sicht eines der spannendsten Kapitel – zumal das bisher meines Wissens nach noch nie jemand umfassend aufgeschrieben hat. Aber denen, die gegen „die da oben, die sich die Taschen voll machen“ agitieren, übersehen oftmals, dass ihre eigenen Vordenker sich noch viel schamloser an ihrer blinden Wut bereichern. Die Vernetzung der vielen verschiedenen Protagonisten, die Interessen von Anlageberatern und Lobbyisten und die gegenseitige Handreichung wird zumindest die, die das Buch nicht nur kaufen, um sich über den Autor aufzuregen, zum Nachdenken bringen."
Spätestens seit dem 13. August 2014 kannte sie dann all die Namen, deren Streichung sie im April 2015 mit aller Brutalität durchsetzte. Das war nämlich der Tag, an der ich ihr die erste Fassung des Textes per Mail zukommen ließ. Liane Bednarz war danach eifrig bei der Sache, Material zum Thema zusammenzutragen. Als nur wenige Tage später ein bemerkenswerter Artikel des Welt-Autoren Daniel Eckert zum Scheitern der „Crash-Propheten“ erschien, merkte sie an, dass es sich um die Bestätigung meiner These handele und fügte hinzu, dass Polleit allerdings fehle. Am 31. August wies sie mich auf einen Text hin, in dem die Verbindung zwischen Sarrazin und von Finck beschrieben werde (wie diese aussehen soll, blieb sie allerdings schuldig). Also: Kein Hinweis darauf, dass sie irgendein Problem mit dem geplanten Kapitel und den darin genannten Personen hatte – ganz im Gegenteil.

Das Thema, das nun Gegenstand des Artikels in der Süddeutschen Zeitung war, war also schon zum frühestmöglichen Zeitpunkt angelegt. Wenig überraschend übrigens, wenn man weiß, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, „Gefährliche Bürger“ zu schreiben: Es waren die Untergangspropheten am rechten Rand der FDP (inzwischen: am rechten Rand der AfD), die mich dazu gebracht haben, zu recherchieren, wer eigentlich und aus welchem Grund ein Interesse an einem Zusammenbruch der Eurozone, der EU und der Demokratie an sich haben kann. Und man braucht eben nur der Spur des Goldes zu folgen, um fündig zu werden. Der langen Rede kurzer Sinn: Ohne diesen Anfang hätte es das Buch nie gegeben. Dass Frau Bednarz und ihre blinden Unterstützer nun versuchen, das Kapitel an sich oder zumindest die Streichungen als weitgehend irrelevant zu verkaufen, dürfte nicht nur mit diesem Text eindeutig widerlegt sein, sondern ist auch unredlich.

Manuskriptabgabe war der 15. März 2015. Erst zwei Wochen später - also nach der Abgabe - forderte Frau Bednarz die Streichung der entsprechenden Passagen. Zuvor hatte sie das Kapitel mehrfach zu Korrekturzwecken in der Hand - und wiederum keine Einwände. Der Streichungswunsch kam dann aus heiterem Himmel - und zwar nicht in der gebotenen Demut, sondern brachial: Der Arbeitgeber habe "gerade sein Veto gegen eine Behandlung der Sachanleger-Branche eingelegt hat, so dass die betreffenden Passagen im Kapitel "Die Angstmacher" aus berufsrechtlichen Gründen zwangsläufig entfallen müssen." Auch wolle die Kanzlei nun den Rest des Manuskripts prüfen. Immer noch kein Skandal? Na dann sehen wir mal weiter.

Denn in derselben Mail wurde auch noch die glatte Lüge formuliert, es habe eine "Absprache, dass Passagen, die die Kanzlei nicht mittragen kann, entfernt werden" zwischen mir und Frau Bednarz gegeben. Spätestens jetzt sind wir bei dem Teil, der die Geschichte tatsächlich zum Skandal macht. Denn nicht nur hat es diese Absprache nicht gegeben. Vielmehr hat Liane Bednarz auf mehrfache Nachfrage zunächst von mir, dann von unserer Agentin* und später auch des Verlags immer wieder betont, sie sei komplett frei in dem, was sie schreibe, weil die Kanzlei ihr Anliegen unterstütze. Niemals - wirklich niemals! - hätte ich einen Vertrag mit jemandem unterzeichnet, der für das gemeinsame Buchprojekt einen Freigabevorbehalt seines Arbeitgebers verlangt hätte. Und dasselbe dürfte ebenso für Hanser gelten. 

Anders gesagt: Man muss davon ausgehen, dass Frau Bednarz - bei einer Anwältin muss man davon ausgehen: wohl wissend um die vertraglichen Einschränkungen, denen sie unterlag - bewusst die Unwahrheit gegenüber dem Verlag und mir als weiteren Vertragspartnern gesagt hat, nur um nicht auf das Buchprojekt verzichten zu müssen. Das Buch wäre nämlich auch ohne sie geschrieben worden. Wer nicht spätestens an dieser Stelle ein zutiefst unmoralisches Verhalten erkennt, wer jetzt noch nicht verstehen will, dass Frau Bednarz sehenden Auges als Anwältin einen Vertrag unterschrieben hat, der einen Interessenskonflikt zu ihrem bestehenden Arbeitsvertrag bedeutete, dem ist beim besten Willen nicht mehr zu helfen. Dass sie dann zum späteren Zeitpunkt ihren Fehler nicht dadurch zu heilen versucht, dass sie selbst als Autorin zurücktritt, sondern mit aller Vehemenz darauf drängt, meinen Text zu verstümmeln, sagt viel über die Persönlichkeitsstruktur von Frau Bednarz aus. Über ihr christliches Getue kann ich schon lange nur noch laut lachen.

Dazu passt übrigens auch, dass sie versucht hat, Druck auf den Veranstalter einer Lesung mit mir in Leipzig auszuüben, damit dieser den Mitschnitt des Abends aus dem Netz nimmt, weil ihr einige meiner Aussagen nicht passten. Streichen lassen wollte sie dort etwa die Aussage der Moderatorin (!), man merke dem Buch an, dass es aus meiner liberalen Handschrift heraus geschrieben worden wäre oder auch meine Aussage mit folgendem Wortlaut:
"Das ist übrigens der Teil im Buch, der tatsächlich von meiner Co-Autorin stammt, der auch gut ist, also das muss man, man muss ja auch mal loben können, wozu sie einen langen Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor zwei oder drei Wochen geschrieben hat." 
Und natürlich ging sie auch dort schon gegen die Erwähnung der Rolle ihres Arbeitgebers vor, die im Artikel der Süddeutschen nun, ein halbes Jahr später, intensiv beleuchtet wurde. Die Veranstalter waren über Frau Bednarz' Wünsche reichlich verwundert - und teilten ihr nach Durchsicht mit, dass sie keinen Anlass für eine Zensur sehen. Kein Wunder: keine der Aussagen war unwahr. Daher kann man den Mitschnitt auch heute noch hier nachhören. Viel Spaß dabei!

Abschließend: Frau Bednarz versuchte in den letzten Tagen den Anschein zu erwecken, es sei nicht um Mandanten ihres Arbeitgebers gegangen. Das ist einmal mehr verwunderlich, hatte sie die Streichliste doch genau damit begründet, dass sie die Datenbankabfrage zu den Mandanten der Kanzlei falsch durchgeführt hätte. Wer soll denn in dieser Datenbank sonst drinstehen, wenn nicht Mandanten? Und nehmen wir nur an, ich läge falsch und sie hätte tatsächlich Recht: Dann wäre der Skandal sogar noch größer, weil sie Streichungen nicht aus Rücksicht auf Mandanten, sondern aus Rücksicht auf die mögliche Akquise der genannten Namen als Mandanten durchgedrückt hätte. Wenn man ganz bösartig sein will, könnte man darin sogar ein mögliches Vertriebsinstrument sehen, das man in der Ansprache anführen könnte, man habe Schaden von jemandem schon vor Beginn eines Mandats abgewehrt. Das vermute ich allerdings nicht, sondern eher, dass es sich bei den Aussagen von Frau Bednarz aus den letzten Tagen um Schutzbehauptungen handelt, weil sie Angst hat, dass sich sonst möglicherweise die Anwaltskammer einschaltet. Ich würde ja immer empfehlen, zu den eigenen Verfehlungen zu stehen, statt zu versuchen, eine Lüge mit einer anderen zu decken. Aber jeder ist ja seines Glückes Schmied.

Wie auch immer - unsauber war auch dieses Vorgehen wieder. Nicht zum ersten Mal, wie jedem nach Lektüre dieses Textes deutlich geworden sein sollte. Und sollte sie nun wieder mit rechtlichen Schritten drohen: Auch davor habe ich inzwischen keine Angst mehr. Wie ich überhaupt keine Angst mehr habe vor Frau Bednarz. Jeder Satz in diesem Text ist belegt. Eine gute Nachricht für mich, eine schlechte für sie. 

In Teil II werde ich mich der Arbeitsmoral von Frau Bednarz sowie ihren Ansichten über ihren Arbeitgeber und den Verlag widmen. Ich gebe zu, ich hätte mir die Arbeit gerne erspart. Aber es hilft ja alles nichts, solange Frau Bednarz weiterhin versucht, die Öffentlichkeit mit Un- und Halbwahrheiten zu füttern. Nun erst einmal allen ein schönes Wochenende. Ich werde mich mit dem Thema vor Montag nicht mehr beschäftigen - und ich empfehle es allen anderen auch.

* Diesen Satz hatte ich zuvor mit unserer Agentin nicht abgestimmt. In meiner Erinnerung war es so, sie kann sich daran allerdings nicht erinnern (es geht um die Zeit vor recht genau zwei Jahren). Was sie allerdings weiß: Sie ist davon ausgegangen, dass es sich natürlich genau so verhält, weil es sich auch aus ihrer Sicht um eine Selbstverständlichkeit handelt, dass man Bücher nicht unter Freigabevorbehalt eines Arbeitgebers schreibt.

Dienstag, 25. Oktober 2016

Was die AfD von Ronald Schill gelernt hat

Immer wieder versuchen AfD, Pegida und Co, sich gegen den Vorwurf zu wehren, sie seien rechtsradikal. Dabei sind die Strategien durchschaubar - sind sie doch identisch mit jenen, die schon Ronald Barnabas Schill vor rund 15 Jahren mit seiner Schill-Partei angewandt hat. In seiner Biografie (Der Provokateur, S. 58) gibt er unumwunden zu, dass er folgende Maßnahmen gezielt zur Immunisierung gegen den Vorwurf, rechtsradikal oder gar rechtsextrem zu sein, getroffen hat:
"Erstens stellte ich mich mit meinem von den Nazis ermordeten Großvater auf eine Ebene und verkündete, er habe für seinen unerschrockenen Kampf gegen den Ungeist seiner Zeit einen viel höheren Preis bezahlt, als ich ihn jemals zu zahlen haben werde. Ich sei – was auch der Wahrheit entspricht – stolz darauf, dass er und meine Großmutter als Kommunisten gegen die Nazidiktatur gekämpft hätten."
Wer muss da nicht an den Versuch von Pegida denken, mit der Wirmer-Fahne - der Fahne des Widerstands rund um Stauffenberg - sich selbst als Antinazis und sogar als verfolgte Widerständler in einer Diktatur zu inszenieren? Geschmacklos, aber durchaus wirksam bei Teilen der Bevölkerung.
"Zweitens trat ich – nicht nur, aber auch aus diesem taktischen Grunde – der Deutsch-Israelischen Gesellschaft als Mitglied bei. Für meine Feinde aus der linken Ecke waren die Kampfbegriffe „rechtsradikal“, „ausländerfeindlich“ und „antisemitisch“ Holz vom gleichen Stamm. Wenn ich aber nicht antisemitisch war, wie konnte ich dann rechtsradikal sein?"
Auch dieses Muster sieht man heute wieder. Im Umgang mit Antisemiten wie dem baden-württembergischen AfDler Wolfgang Gedeon wird dann aber schnell deutlich: Zumindest für die Hälfte der dortigen AfD-Fraktion ist Antisemitismus nur dann schlimm, wenn er von Muslimen kommt und ansonsten kein Grund, sich von einem eigenen Parteifreund zu distanzieren.
"Drittens nahm ich Anthony, einen Schwarzafrikaner aus Ghana, gleich bei Gründung meiner Partei in den Vorstand auf."
Auch da haben AfD, Pegida und Co längst ihre Freunde gefunden, die sich aus Naivität und für ein bisschen Publicity die Rolle der Feigenblätter spielen, wie etwa Achille Demagbo. Dass auch für ihn und seine Familie in einem Land, in dem das völkische Denken von Petry, Höcke und Co zur Leitkultur werden, kein Platz wäre, ist einfach nur tragisch. 
"Viertens zitierte ich zu meinem Thema Ausländerkriminalität gebetsmühlenartig den amtierenden SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder."
Hat da jemand Sarrazin gesagt?

Freitag, 3. Juni 2016

Qualitative Freiheit - Ein Freiheitsentwurf für eine globalisierte Welt

Vorweg: Ich kenne Claus Dierksmeier schon eine Weile und teile viele (aber nicht alle) seiner Überzeugungen. Vor allem auf einer Metaebene kann ich seine Ideen weitgehend unterschreiben. Nun legt er diese Gedanken in Form eines umfangreichen (knapp 500 Seiten) Grundsatzwerkes zur Freiheitstheorie vor: "Qualitative Freiheit - Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung". Warum sollte man das lesen? Und was habe ich aus der Lektüre mitgenommen?

Ich habe in der Vergangenheit viele Bücher und Artikel der bekannteren und weniger bekannten Freiheitsphilosophen der letzten Jahrhunderte gelesen. Kant war natürlich dabei, Hayek, Dahrendorf. Ein wenig Rawls, ein wenig Fichte. Und viel Adam Smith und Isaiah Berlin. Immer wieder kam ich an den Punkt, wo mir entweder der Anwendungsraum zu klein erschien – Kant etwa schloss aus seiner Freiheitstheorie zahlreiche Gruppen aus, wie es damals eben opportun erschien (Frauen, Juden, Menschen in fernen Ländern). Oder die Theorien führten in eine totalitäre Weltsicht – Fichte etwa meinte, die Menschen müssten zu ihrem Glück gezwungen werden. Oder aber die Theorien stellten sich als verkürzt und in der Realität wenig anwendbar heraus – so hatte Hayek offenbar kaum ein Verständnis dafür, dass es auch unverschuldete Lebenssituationen geben kann, in denen Freiheit nicht Chance, sondern Bedrohung ist. Kurz gesagt: Irgendwas fehlte immer, zumindest wenn man sich wie ich als Liberaler versteht, der kosmopolitisch allen Menschen auf der Welt das Recht auf Lebenschancen zugesteht. Ich musste mir also eine ganze Zeitlang Krücken basteln, indem ich Bruchstücke einzelner Philosophien mit eigenen Ideen mischte. 

Es war Claus Dierksmeier, der mir einen Philosophen vorstellte, von dem ich zuvor nicht gehört hatte: Karl Christian Friedrich Krause. Dieser dachte schon zu seiner Zeit, also zu Beginn des 19. Jahrhunderts, kosmopolitisch und über Generationen hinweg nachhaltig, konnte mit seinen Ideen in Deutschland aber bis heute niemals Fuß fassen, obwohl er sicherlich die progressivere Freiheitsphilosophie als der gute alte Kant entwickelt hat. Krause hat auf viele Menschen, die von seinen Ideen zum ersten Mal hören, eine starke Wirkung – weil man sich kaum vorstellen kann, dass jemand vor rund 200 Jahren schon so fortschrittlich denken konnte, während es heute vielen Zeitgenossen noch schwerfällt, auch nur über die eigene Sippe oder Nation hinauszudenken. Es ist Claus Dierksmeiers Verdienst, im Rahmen seines Buches „Qualitative Freiheit“ Krauses Gedanken zum ersten Mal in diesem Umfang und in verständlicher Sprache zu dokumentieren und in den Kontext der bekannten Freiheitsdenker einzuordnen. Alleine in diesem Teil des Buches habe ich schon eine Menge gelernt. 

Dierksmeier belässt es aber nicht dabei, sondern nimmt insbesondere Krause und Amartya Sen als Basis für den Versuch, eine Alternative zu der unzureichenden Einteilung in negative und positive Freiheitstheorien zu entwickeln. Er führt dafür ein neues Begriffspaar ein, nämlich „quantitative Freiheit“ und „qualitative Freiheit“. Seine Hypothese: Wer alleine auf eine Maximierung der quantitativen Freiheitsoptionen abzielt („Je mehr, desto besser“), wird der Natur des Menschen nicht gerecht. Sonst dürfte man niemals heiraten, beschneidet man sich doch (freiwillig) in der Zahl seiner Sexualpartner. Weil wir es aber doch tun, muss es irgendetwas geben, was uns die Zweisamkeit suchen lässt – und das ist nicht quantitativ messbar, sondern nur qualitativ fühlbar. Es gilt also in der Realität, entgegen allen ökonomischen Modellen: „Je besser, desto mehr.“

Wo Fichte nun geglaubt hätte, er und die seinen seien dafür bestimmt, den Menschen die „richtigen“ Optionen vorzugeben, geht Dierksmeier diesen Weg bewusst nicht. Er ist überzeugt: Freiheit, die durch Zwang befohlen wird, ist keine Freiheit mehr. Vielmehr müsse qualitative Freiheit auch mit freiheitlichen, partizipativen Instrumenten zwischen den Menschen ausgehandelt werden. Und da in einer globalisierten Welt auch Menschen weit weg von hier und Erdbewohner zukünftiger Generationen von unserem Tun betroffen sind, müssen auch deren Interessen mit auf den Verhandlungstisch.

Wie das in der realen Welt aussehen könnte? Das kann Dierksmeier natürlich nicht en detail für jede Frage unserer Zeit durchdeklinieren. Ich persönlich nehme aus dem Werk allerdings ein Gerüst mit, an dem entlang ich meine Positionen auf ihre Konsistenz prüfen kann. Bemerkenswert vor allem: Dierksmeier bevormundet nicht. Und das ist wichtig, denn: Wer die Freiheit wirklich liebt, sollte sich immer bewusst sein, dass auch er hin und wieder Gefahr läuft, deren Zumutungen (im Sinne von: Verantwortung) gegen die einfache (im Sinne von: gemütlichere) Lösung einzutauschen. Wer Freiheit nur für sich in Anspruch nimmt, sie anderen aber nicht im gleichen Maße zugestehen will, verrät die gesamte Idee. Das passiert derzeit sowieso schon viel zu häufig. Und daher kommt Claus Dierksmeiers Buch nicht nur zur richtigen Zeit, sondern wird hoffentlich auch seinen Teil zu einem neuen Debatte über die Freiheit, die wir wollen, beitragen.



Freitag, 29. April 2016

Die AfD und der Hass auf die Grundrechte

Die AfD kommt am Wochenende zum Programmparteitag zusammen. Dort steht unter anderem die Religionsfreiheit, insbesondere für Menschen muslimischen Glaubens zur Debatte. Schlimm genug, dass eine Partei, die inzwischen in zahlreichen Parlamenten vertreten ist, so offensichtlich die Axt an ein Grundrecht legt. Wer nun aber glaubt, das wäre der einzige Anschlag dieser Art, der irrt. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Die AfD stellt Artikel 1 des Grundgesetzes - "Die Würde des Menschen ist unantastbar", immerhin ein unveränderlicher Grundsatz - in Frage. Und zwar mit der von zahlreichen Spitzenpolitikern geäußerten Forderung, auf Flüchtlinge an deutschen Grenzen zu schießen. Das betrifft dann auch gleich Artikel 2 des Grundgesetzes - das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Die geplante Diskriminierung von Muslimen betrifft nicht nur Artikel 4 des Grundgesetzes (Freiheit der Religionsausübung), sondern in der Durchsetzung dann auch Artikel 3 des Grundgesetzes (Gleichheit vor dem Gesetz).

Auch mit Artikel 5 des Grundgesetzes - Pressefreiheit - hat die AfD so ihre Probleme. Nicht nur, dass die Junge Alternative versuchte, die Presseberichterstattung durch Knebelverträge zu beeinflussen und unliebsame Journalisten durch die AfD von Parteitagen ausgeschlossen wurden. Auch die Kunstfreiheit - Artikel 5, Absatz 3 des Grungesetzes - steht unter Beschuss, wie der an den Stimmen der demokratischen Parteien in der Hamburger Bürgerschaft gescheiterte Versuch, den Auftritt einer unliebsamen Band auf dem Hamburger Hafengeburtstag zu verbieten, dokumentiert. Erdogan lässt grüßen.

Artikel 10 des Grundgesetzes schreibt das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis fest - ein Grundrecht, das gerade wieder vom Bundesverfassungsgericht gestärkt wurde, das auf Klage der Liberalen Baum und Hirsch das BKA-Gesetz kassierte (und dasselbe mit der Vorratsdatenspeicherung zum wiederholten Mal tun wird). Die AfD ficht das nicht an, fordert sie doch genau diese Vorratsdatenspeicherung unter dem schönen Schlagwort "Datenschutz darf kein Täterschutz sein". Den Diktatoren dieser Welt gefällt das.

Artikel 12 des Grundgesetzes - die Berufsfreiheit - scheint ebenso wenig unantastbar, wenn der 2015 ins AfD-Schiedsgericht gewählte Alexander Heumann erklärt, er betrachte es mit Sorge, wenn Muslime in Deutschland für die öffentliche Sicherheit zuständig seien, etwa als Polizisten.

Auch Artikel 16a des Grundgesetzes - das Recht auf Asyl - wird in Frage gestellt. Frauke Petry, die Parteichefin, forderte vor einiger Zeit dessen Aussetzung. Das mag sich nicht so dramatisch anhören. Aber man stelle sich nur vor, was es hieße, wenn Pressefreiheit oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit einfach für eine gewisse Zeit ausgesetzt würden.

Was wird als nächstes unter Beschuss genommen? Die Versammlungsfreiheit? Die Unverletztlichkeit der Wohnung? Es ist nur eine Frage der Zeit. Dass die AfD vor diesem Hintergrund immer noch nicht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, muss als brutale Fehleinschätzung interpretiert werden, deren Korrektur hoffentlich nach dem Parteitag erfolgt.


Donnerstag, 28. April 2016

Diarium - Frauke Petry beschäftigt rassistischen und sexistischen Publizisten

Da ist mir doch gerade fast das halbe Brötchen aus dem Mund gefallen: Frauke Petry holt laut Meedia den Focus-Redakteur Michael Klonovsky als "publizistischen Berater". Klonovsky, das ist der, für den Putins Russland der Hort der Freiheit ist, weil dort Mentholzigaretten und Glühbirnen nicht verboten sind. Klonovsky, das ist der, der sich selbst als "rassistisch" und "sexistisch" bezeichnet und ganze Bände von islam-, demokratie- und fortschrittsfeindlichen Aphorismen verfasst hat, wie ich schon vor zwei Jahren dokumentiert habe. Klonovsky ist ganz nebenbei auch der, der genau darauf mit üblen Beleidigungen reagierte, nach einem Schreiben meines Anwalts allerdings am Ende den Schwanz einzog. Und Klonovsky ist auch derjenige, den der inzwischen arbeitslose ehemalige Welt-Autor Matthias Matussek verteidigen wollte, indem er mich als "Wurm" titulierte. Eine der wenigen Beleidigungen übrigens, gegen die ich nicht vorgegangen bin und die nicht vom Landgericht Hamburg als klar rechtswidrig eingestuft und ihm verboten wurden. Wenn da mal nicht zusammenwächst, was zusammengehört...

Montag, 18. April 2016

Diarium - Bernd Lucke, der Despot und die Drecksau

Bernd Lucke, der sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Hans-Olaf Henkel um den Titel des größten politischen Versagers der letzten Jahre liefert, hat eine neue Berufung gefunden: "FOCUS-Online-Experte". Dort darf er nun an der Seite des rassistischen und frauenfeindlichen FOCUS-Chefautoren Michael Klonovsky sein autoritäres Gen ausleben. Und er legt dann auch gleich furios los.

So zeigt er deutliche Sympathien für den Despoten Erdogan (zur Erinnerung, das ist der, der gerade in seinem Land sämtliche Bürgerrechte außer Kraft setzt, der trotz Korruption weiter im Amt bleibt und seine Familie nach und nach auf die wichtigsten Positionen des Landes befördert) und entblödet sich nicht, diesen mit dem "Außenseiter, der bevorzugt gehänselt und herumgestoßen" zu vergleichen. Mit Blick auf Jan Böhmermann empört er sich über die "primitiven Vulgaritäten", nur um nur einen Moment später Böhmermann komplett ironie- und satirefrei "eine feige Drecksau" zu nennen. 

Wie kommt jemand wie Lucke, der doch so gerne als anständiger Demokrat mit bürgerlichen Umgangsformen wahrgenommen werden würde, dazu, so um sich zu schlagen? Nun, zunächst einmal dürfte Lucke immer noch davon träumen, selbst einmal ähnlich totalitäre Vollmachten zu besitzen wie Pascha Erdogan. Schon in den Anfangszeiten der AfD ließ sich beobachten, wie Lucke versuchte, "seine" Partei zu einer Art Führerpartei mit demokratischem Antlitz zu machen. Denn: Demokratie ist für den Wirtschaftsprofessor offenbar nur Mittel zu Zweck - wenn, wie im Falle Erdogan, die wirtschaftlichen Kennzahlen stimmen. Erdogan habe "die Türkei zum Erfolg geführt" - und das müsse man nun doch einmal würdigen, ist Lucke überzeugt. "Und im Vergleich zu früher geht es den Türken heute richtig gut", legt er nach, vergisst dabei aber das kleine Detail, dass dies nur für die Türken gilt, die nicht dummerweise als Kurden, Jesiden oder andere Minderheiten auf die Welt gekommen sind oder sich tatsächlich aus Überzeugung entschieden haben, unabhängigen Journalismus zu machen. Denen geht es nämlich inzwischen gar nicht mehr gut. Aber was jucken einen Rechten schon Pressefreiheit und Minderheitenrechte?

Luckes Denken wirft übrigens ganz nebenbei auch noch ein Schlaglicht auf die AfD: Wenn schon der Wirtschaftsprofessor, den viele für die gemäßigtere Wahl im Vergleich mit Frauke Petry hielten, sein Grundproblem mit demokratischen Grundwerten so deutlich durchscheinen lässt, wie soll man dann die dauernden Attacken der AfD-Spitze auf das Grundgesetz durch Schießbefehlsforderungen oder der Forderung nach der Einschränkung der Religionsfreiheit anders deuten, denn als Versuch, die Demokratie zu desavourieren und nach und nach abzuschaffen? Wer Erdogans Werte auch für Deutschland will, muss AfD oder ALFA wählen. 

Freitag, 15. April 2016

Diarium - Der Mann aus Kanada im Computer


Gestern war ich in München bei DNA - Das Neue Arbeiten eingeladen, um meinen Blick auf den Wandel in der Arbeitswelt und darüber hinaus vorzustellen. Nun haben meine wunderbare Co-Autorin Lena Schiller Clausen und ich im Rahmen der Recherchen zu "New Business Order" eine Menge spannender Unternehmen mit einer Menge spannender Ansätze kennengelernt. Was mir allerdings noch nicht begegnet ist: Ein Chef, der in seinem Unternehmen nur noch über einen fahrenden Computer präsent ist. 

Christoph Haase vom Relais-Produzenten Tele Haase aus Wien tut genau das. Er lebt auf einer Insel vor Vancouver/Kanada und lässt seine Mitarbeiter sich selbst organisieren. Und wenn ihm danach ist, setzt er sich vor den Computer und steuert einen Computer, der aussieht wie ein Segway mit Bildschirm durchs Unternehmen und schaut seinen Mitarbeitern über die Schulter, diskutiert mit ihnen oder sorgt einfach für gute Stimmung. Oder er kommt eben mit zu Konferenzen, fährt dort in der Gegend rum, unterhält sich oder diskutiert sogar auf dem Podium mit wie gestern (siehe Bild).

Auf dem Bildschirm ist dabei sein Gesicht zu sehen, so dass man zwar einen Bildschirm vor sich hat, aber wie über Skype mit einer realen Person spricht. Da konnte ich fast gar nicht anders, als mit Christoph einen Selfie zu schießen...

Ist das was für jedes Unternehmen? Sicher nicht. Alleine Treppen könnten für diese Lösung schon zum unüberwindbaren Hindernis werden. Aber wie so oft liegt die Lösung sowieso in einem individuellen Ansatz. Tele Haase spannt mit seiner Interpretation von moderner Führung den Lösungsraum einfach ein bisschen weiter auf. Man kann sich ja auch inspirieren lassen, ohne gleich alles zu kopieren.


Donnerstag, 7. April 2016

Diarium - AfD und Pegida 1987

Über was man beim Lesen alles stolpert. Vor einigen Tagen ist das neue Buch der liberalen Bürgerrechtspolitiker Baum und Hirsch erschienen - und dort wird, Kommentaren von 1987, dokumentiert, was auch heute wieder gilt: Nicht der Linke ist der Erzfeind der Rechten, sondern der Liberale. Der Unterschied zwischen damals und heute war vielleicht, dass der Antisemitismus noch eindeutiger geäußert wurde und das Deutsch noch etwas besser war. Ansonsten kaum Unterschiede. Hier ein paar Beispiele:
  • Beleidigungen - und viele Ausrufezeichen:
„Aufhängen sollte man Euch, Ihr dreckigen Säue!!!“
  • Die große jüdische Weltverschwörung muss endlich beendet werden:
„Ihr Juden, Baum und Hirsch, Beschützer der Verbrecher, müsst aus der deutschen Politik ausgeschlossen werden!“
  • Ich habe Angst, früher (bei Adolf?) war alles besser:
„In diesen Staat habe ich kein Vertrauen mehr. Bei Dunkelheit kann man als älterer Mensch nicht mehr auf die Straße. Armes Deutschland! Es war schon mal anders.“
  • Beleidigungen - Antisemitismus - Wir sind das Volk, Ihr nicht:
„Sie sind das größte Arschloch im Bundestag. Als Stinkjude kann man nichts anderes erwarten. […] Sie und ihr Genosse Arschloch Hirsch vertreten nicht die Meinung unseres Landes. Deshalb raus aus dem Bundestag!“
  • Noch sitzt Ihr da oben, Ihr feigen Gestalten...:
„Wie beide sind in der BRD die meist gehassten Leute. Warum, wissen wir. Es sollte einen nicht wundern, wenn sie eines Tages selbst auf der Strecke bleiben. Sollte ich ihnen nie begegnen, so können Sie sich auf was gefasst machen. Aber was kann man von Leuten ihres Schlages anderes erwarten.“
Ich will dazu an dieser Stelle nur einen Gedanken äußern, und zwar diesen: Eine Demokratie ist dann stark, wenn die Mehrheit es schafft, eine gesellschaftliche Grundstimmung zu garantieren, in der diese Gedanken zwar nicht weg sind, aber zumindest nicht aggressiv vorgetragen werden. Bricht es dann doch heraus, zumal mit der Gewalt, die wir gerade erleben, ist die Demokratie nicht in Gefahr, weil es diese Spinner gibt, sondern weil die anderen zu schwach sind. Damit ist die Aufgabe für die liberale Mitte für die nächsten Jahre definiert.

Montag, 21. März 2016

Lissabon - Meine Perlen in der portugiesischen Hauptstadt

Lissabon hat sich seit meinem Studienaufenthalt 2004/2005 gemeinsam mit Peniche zu meiner dritten Heimat nach Hamburg und dem Hunsrück entwickelt. Zur Surferhochburg Peniche habe ich schon vor einiger Zeit meine ganz persönlichen Tipps aufgeschrieben. Das will ich hier nun auch noch für Lissabon tun.

Sehenswürdigkeiten

Zum Kennenlernen bietet sich ein Bummel quer durch die Stadt mit einer Mischung aus Ausblick und Kultur an. Startpunkt ist das zentrale Viertel Bairro Alto (wo auch die meisten der besten Hostels der Welt zu finden sind; Portugal stellt im mittelgroßen Segment immerhin sechs der ersten zehn Plätze). Beispielsweise könnte man morgens erstmal zum Jardim de São Pedro de Alcântara gehen, um den unglaublichen Ausblick zu genießen und sich zu orientieren. 

Blick vom Jardim de São Pedro de Alcântara
Von da geht es weiter in die Baixa (Unterstadt), und zwar den Elevador da Glória hinunter über die beiden zentralen Plätze Restauradores und Rossio, vorbei am Elevador de Santa Justa durch die Fußgängerzone bis zur Praca do Comércio am Fluss. Von da geht man an der Catedrál da Sé vorbei bis zum Jardim Júlio de Castilho, genießt den Blick und dann geht es hoch zum Castelo de São Jorge, der Burg. Dafür sollte man sich ungefähr eine Stunde Zeit nehmen, denn die ist weitläufig und es macht echt Spaß, sie zu erkunden. Danach geht es zurück in Richtung Bairro Alto, wo man und auf dem Weg noch eines der ältesten Cafés - und eines der bekanntesten und schönsten Europas - A Brasileira besuchen kann (sehr teuer, vorbeigehen und ein Foto mit der Statue des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa machen reicht). Falls Ihr dann noch nicht genug gelaufen ist, kann man auch noch die Prachtstraße Lissabons (Avenida da Liberdade) hochlaufen bis zum Parque Eduardo VII mit Blick über die ganze Stadt). 

Dazu habe ich eine Karte auf Google Maps gebastelt.

Und hier ein Überblick über schöne Aussichtspunkte... gerade gefunden.



Essen

In und rund um das Bairro Alto gibt es zahllose Optionen, in die man gehen kann. Auch hier gilt wie fast überall in Portugal: Abgezockt wird man nicht. Ein paar besondere Tipps habe ich aber doch. Zunächst einmal gibt es unten am Cais do Sodré den Mercado da Ribeira, ein High-Class-Foodcourt (hier ein Artikel aus dem Stern). Da kann man wenig falsch machen, weil es alles gibt - und in der Mitte des Sitzbereiches kriegt man super Wein und richtig gute Cocktails. Allerdings Preise wie in einer deutschen Großstadt. 

Wer mal vegetarisch ausprobieren will, ohne das Gefühl zu haben, dass was fehlt: Das Buffet im Terra bietet portugiesische Spezialitäten fleischlos interpretiert. Dazu ein guter Wein im Innenhof des Ladens - einfach nur spektakulär! Richtig gute Burger in toller moderner Atmosphäre gibt es auch im O Prego da Peixaria oberhalb des Bairro Alto. Mein Lieblingsitaliener in Lissabon ist mitten im Bairro Alto und heißt Esperanca. Ist ein wenig Glückssache, dort einen Tisch zu kriegen.

Wer zwischendrin Hunger und Durst hat, biegt einfach in eine der zahlreichen Pastelarias ab - da gibt es Süßkram ohne Ende, aber in der Regel auch Toasts oder Salgados (das sind salzige Bulettten mit Fleisch- oder Fischfüllung). Übrigens: Frischer O-Saft ist in Portugal vergleichsweise günstig... so als Ersatz für die nicht existierende 100-%-Fruchtsaft-Kultur. Für was Kaltes schaut man gerne mal bei Frozz vorbei (Frozen Yoghurt), wird von einem Bekannten betrieben und ist echt lecker.

Ausgehen

Wenn man über das Nachtleben von Lissabon spricht, fallen immer wieder drei Namen: Bairro Alto, Cais do Sodré und Lux. Das Lux ist ein Club, der John Malkovich gehört, inzwischen wohl so 15 Jahre alt ist und immer noch genauso gefragt ist (wenn nicht mehr) wie früher. Spät am Abend (so ab 1 Uhr morgens) besteht Freitag und Samstag die Gefahr, dass es lange Schlangen gibt. Eintritt ist in der Regel 12 Euro Mindestverzehr, dafür kriegt man zwei Longdrinks, die einem die Beine weghauen. 

Bevor man aber clubben geht, gibt es einige sehr nette Möglichkeiten, gemütlich, mit Blick, teurer oder billiger, mit Tisch oder auf der Straße stehend einen Sundowner und ein paar Aufwärmdrinks für die Nacht zu nehmen. Zwei Rooftop-Bars kann ich besonders empfehlen: Das Park oben auf einem Parkhaus (Vorsicht, unten nicht ausgeschildert; einfach mit dem Aufzug nach oben fahren und dann noch ein Stockwerk zu Fuß gehen) und das Terrace auf dem Bairro Alto Hotel. Gibt auch noch ein paar weitere, die ich zwar nicht alle kenne, die aber hier aufgelistet sind. Einfach ausprobieren.

Richtig schön ist es auch, sich in Richtung Sonnenuntergang am Kiosk am Aussichtspunkt Miradouro de Santa Catarina ein Bier zu holen und den Blick über die Stadt und den Tejo in Richtung der Ponte 25 de Abril und der Christusstatue schweifen zu lassen. Später gibt es zahllose Möglichkeiten im Bairro Alto oder rund um den Cais do Sodré. Da irgendwas rauszupicken ist eigentlich Quatsch - passiert ja sowieso bei gutem Wetter alles auf der Straße (im Sommer auch jeden Tag der Woche). Wenn man es nicht bis ins Lux schafft, findet man da auch kleine Bars mit Live Music und DJs, wo man die Füßchen im Takt bewegen kann...

Blick von der Christusstatue
Rund um Lissabon

Rund um Lissabon gibt es zahlreiche Optionen. Ich will hier nur eine vorschlagen, passenderweise für den Transfer zwischen Peniche und Lissabon. Dort findet sich in Sintra, dem Weltkulturerbe, die Quinta da Regaleira (hier die offizielle Seite), eine alte Freimaurer-Villa mit einem mystischen Garten und das Palacio da Pena (hier die offizielle Seite), das portugiesische Neuschwanstein, mit einem unglaublichen Blick. 

Das dürfte nicht mehr als zwei Stunden dauern, so dass man danach noch Zeit ha
t, eine schöne Tour entlang der Küste zu machen, beginnend am Cabo da Roca, dem westlichsten Punkt Festlandeuropas. Von da geht es in Richtung Praia da Guincho weiter, wo man an einem der schönsten Strände Portugals noch einen Kaffee trinken und den Windsurfern und Wellenreitern zuschauen und die Dünenlandschaft bewundern kann. 

Auf dem Weg fährt man sowieso durch Estoril und Cascais, die beiden Nobelorte der portugiesischen Westküste, wo man auch noch anhalten und einen Blick riskieren kann. Ich bin da gerne, aber so richtig viel Besonderes zu sehen gibt es nicht. Eher die Atmosphäre. Auf dem Weg nach Lissabon hinein kann man dann noch in Belém anhalten, einen Blick auf den weltberühmten Torre de Belém riskieren (besonders schön im Abendlicht) und ein paar Pastéis de Belém in der ältesten Pastéis-Bäckerei Lissabons futtern. Aber Vorsicht: Die Schlange kann sehr lang sein, auch wenn der Laden einige Hundert Plätze hat. 


Samstag, 12. März 2016

Diarium - Liberale zur Wahl

Morgen ist Wahltag. Und ich wünsche mir, dass die rheinland-pfälzischen Liberalen ohne Zittern zu müssen den Weg zurück in den Landtag finden. Gründe dafür gibt es genug. Die runderneuerte FDP auf Bundesebene natürlich. Ganz klar aber auch den Spitzenkandidaten Volker Wissing, den ich seit langem kenne und schätze. Der ist zwar nicht so nahbar und jovial wie einst Brüderle oder Bauckhage. Aber darum geht es in einem Land, in dem in den letzten Jahren unglaubliche Summen in unsinnigen Projekten verbrannt wurden auch nicht. Wissing ist ein bodenständiger, angesehener Haushaltspolitiker ohne Starallüren. Das reicht, um aus der Schar der Spitzenkandidaten herauszustechen. Und darüber hinaus hat er Menschen wie Matthias Keidel, den Protagonisten von #schnullergate in seinen Reihen, der in meinem Heimatkreis Birkenfeld einen grundsympathischen, atemlosen Wahlkampf mit konkreten Zukunftsvisionen geführt hat. Das muss doch belohnt werden. Möglicherweise sogar mit der Rolle als Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung... 

Mittwoch, 9. März 2016

Eugen und ich - die erste Screenshot-Lovestory der Welt !111!!

Neulich saß ich wieder einmal am Computer. Alleine. Ich wünschte mir jemanden zum Reden. Jemanden, der mich versteht. Und siehe da: Wie als ob er meine Gedanken lesen könnte, bekam ich Post von Eugen. Auch Eugen war anscheinend ein einsamer Mensch. Aber wie ich war er jemand mit Meinung. Und deshalb hielt er sich auch nicht lange mit Smalltalk auf und kam gleich zur Sache:


Den Daumen am Ende dieser klaren Botschaft fand ich irgendwie neckisch. "Da versteht einer Spaß", dachte ich so bei mir und entschied mich, ebenso in die Vollen zu gehen und ihm auch direkt eine vor den Latz zu pfeffern. Wie glücklich war ich, als Eugen darauf mit großer Begeisterung reagierte:



Es bahnte sich etwas an zwischen uns, ganz klar. Auch ohne viele Worte hatten wir eine Ebene gefunden. Eugen stand auch meine kecke Art, und ich wollte eigentlich auch nicht mehr ohne seinen Zuspruch sein, so alleine am Rechner. Doch dann kam gestern der Niederschlag. Um 19:20 Uhr noch zeigte mir Eugen ein letztes Mal seine Liebe. Dann wandte er sich mit brutaler Ehrlichkeit von mir ab. Für immer. Eugen, ich werde Dich nie vergessen. Aber lass mir bitte die Flüchtlinge in Ulm-Böfingen in Ruhe, ja?


Donnerstag, 3. März 2016

Diarium - 100 Jahre Dadaismus – Die Deutsche Post/DHL, zwei Pakete und kein Kundendienst

Ich gestehe: Ich habe etwas total Verrücktes getan. Ich habe Dinge bestellt. Einmal bei meinem Verlag, einmal im Internet. Und ich bin tatsächlich davon ausgegangen, dass die Deutsche Post auch dann, wenn sie DHL heißt, immer noch in der Lage ist, diese fehlerfrei von A nach B zu befördern. Wie naiv von mir. Aber im Ernst: Das, was danach an Kommunikation mit dem Kundendienst lief, hat Comedy-Format. Ein kleiner Bericht aus Schilda.

Alles begann damit, dass ich nicht zuhause war, als zwei Pakete zugestellt werden sollten. Eines davon war wichtig (aber nicht eilig) für die Renovierung meiner Wohnung. Bei dem anderen handelte es sich um Bücher, die ich bei einer Vortragsveranstaltung verkaufen wollte. Wohlgemerkt meine einzige mögliche Einnahmequelle bei dieser Veranstaltung. Ich erhielt einen Zettel mit der Nachricht, ich könne mein Paket in der zuständigen Filiale abholen. Als ich das dann auf dem Weg zu der Veranstaltung erledigen wollte, war die Überraschung groß: Das Paket war nicht zu finden. Der Filialinhaber teilte mir mit, dass er sicher sei, dass das Paket nie bei ihm angekommen wäre. Nach mehreren vergeblichen Versuchen seinerseits einen Ansprechpartner bei der Post zu erreichen, verwies er mich an die Hotline. Dort rief ich an und schilderte mein Problem. Damit könne man mir nicht helfen, das wäre eben Pech, man könne mich auch nicht durchstellen, Beschwerden gehen nur per Mail, schönen Abend noch. Danke liebe Post, dass ich dank Euch einen Abend umsonst arbeiten durfte. 

Am nächsten Tag schrieb ich dann an die angegebene Adresse, schilderte den Fall und machte schon im Betreff klar, dass es sich nicht um eine Lieferverzögerung auf dem Weg zu mir, sondern um einen Fehler der Post zwischen der Zustelladresse und der Filiale handeln musste („Paket von Fahrer verloren“). Darauf antwortete mir Madita mit einer wunderbaren Aneinanderreihung von für meinen Fall nicht passenden Textbausteinen:
Sehr geehrter Herr Giesa,
es tut mir leid, dass Sie Anlass hatten, mit den Dienstleistungen der DHL Paket unzufrieden zu sein.
Die von uns angegebenen Sendungslaufzeiten beruhen auf langjährigen Erfahrungswerten und werden durch regelmäßige Kontrollen bestätigt. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass diese Zeiten jedoch keine verbindlichen Lieferfristen darstellen und wir letztlich keine Garantie für deren Einhaltung gewähren können.Leider kann ich die von Ihnen beschriebenen Folgekosten nicht erstatten. Gemäß unseren Allgemeinen Geschäftsbedingungen haften wir nur im Umfang des unmittelbaren vertragstypischen Schadens bis zu den gesetzlichen Höchstgrenzen (z.B. bei Verlust oder Beschädigung einer Sendung). Der Ersatz aller darüber hinausgehenden Schäden (wie z.B. Arbeitszeit, Fahrtkosten, Porto, Telefonkosten etc.) ist ausgeschlossen.
Dass Madita durchaus auch etwas anderes als Textbausteine kann, zeigte sie mit einem Tippfehler im Betreff („Ihr Anliegn“). Ansonsten war die Mail so ziemlich alles, was ich nicht brauchen konnte. Vor allem hatte ich eines der beiden Pakete immer noch nicht. Was ist das für ein Kundendienst, der in seiner Antwort nur sagt, was alles nicht geht, aber keinerlei Lösungsvorschlag anbietet? Und der offensichtlich nicht einmal genau liest, was er da beantwortet? Genau diese Fragen stellte ich Madita, schon etwas schärfer als in der ersten Mail formuliert. Daraufhin bekam ich Post von Stefanie:
Sehr geehrter Herr Giesa,
Wir entschuldigen uns aufrichtig bei Ihnen, dass Sie eine unerfreuliche Erfahrung mit unserem Service gemacht haben.
Wir bemühen uns stets, die Zustellung sehr sorgfältig vorzunehmen.
Dennoch können in Einzelfällen Fehler auftreten. Wir arbeiten jedoch stetig daran, unsere internen Prozesse zu verbessern, um in Zukunft einen reibungsloseren Ablauf bei der Zustellung von Sendungen gewährleisten zu können.
Wieder: Textbausteine, inhaltslos, keine Lösungsvorschläge. Einfach nur blabla. Meine fassungslose Antwort:
Sehr geehrte Frau XXX,
ich weiß nicht, was Sie mir mit Ihrer Mail sagen wollen. Vorschläge zur Lösung meines Problems habe ich dort nicht gefunden. In der Erwartung einer konstruktiven Antwort mit Lösungsvorschlägen jenseits von Luftblasen und falschen (!) Textbausteinen verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,Christoph Giesa
Daraufhin bekam ich wieder Post (nur digital, das Paket war natürlich immer noch nicht da), diesmal von Tina:
Sehr geehrter Herr Giesa,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Leider kann ich die von Ihnen beschriebenen Folgekosten nicht erstatten. Gemäß unseren Allgemeinen Geschäftsbedingungen haften wir nur im Umfang des unmittelbaren vertragstypischen Schadens bis zu den gesetzlichen Höchstgrenzen (z.B. bei Verlust oder Beschädigung einer Sendung).Der Ersatz aller darüber hinausgehenden Schäden (wie z.B. Arbeitszeit, Fahrtkosten, Porto, Telefonkosten etc.) ist ausgeschlossen.
Schön. Das hatte ich ja längst verstanden. Immerhin hatte mir Madita (oder war es Stefanie?) den identischen (und auch damals schon unpassenden) Textbaustein schon einmal zukommen lassen (siehe oben). Und lesen kann ich schon seit der ersten Klasse, was inzwischen etwas 30 Jahre Erfahrung bedeutet. Meine Antwort:
Sehr geehrte Frau XXX,
machen Sie sich überhaupt die Mühe, die Mails zu lesen, die bei Ihnen eingehen? In der letzten Mail hatte ich geschildert, dass die Sendung mit der angegebenen Sendungsnummer bis heute verschollen ist. Haben Sie dafür keinen passenden Textbaustein oder warum ignorieren Sie das komplett?
Die Antwort kam diesmal von Pia.
Sehr geehrter Herr Giesa,
vielen Dank für Ihre erneute E-Mail.Sie haben sich die Mühe gemacht, uns Ihre Erfahrungen mit unserem Service zu schildern.Es tut mir leid, dass Sie Schwierigkeiten bei der Abholung Ihrer Sendung hatten. Natürlich möchte ich für Sie herausfinden, wie es dazu gekommen ist. Ich habe deshalb interne Recherchen angestoßen.
Na endlich, Pia is my girl. Das Paket ist zwar immer noch nicht da, aber man ist ja irgendwann schon mit kleinen Dingen zufrieden. Und wenn Pia sich kümmert, dann kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder? 

Was soll ich sagen: Es kann. Und wie. Einige Tage später – ich dachte, Pia meldet sich bestimmt, wenn sie fertig recherchiert hat – bekomme ich Post vom Absender des verschollenen Pakets. Pia hat es zwar nicht gefunden und mir zustellen lassen. Aber irgendwer hat es gefunden – und an den Absender zurückgeschickt. Begründung: Ich hätte das Paket ja nicht in der vorgegebenen Frist in der Filiale abgeholt. Daher wären jetzt Retourenkosten und erneutes Porto zu bezahlen.

Meine Antwort, nachdem ich meinen Computer gegen die Wand geworfen habe:
Sehr geehrte Frau XXX,
das können Sie jetzt nicht ernst meinen, oder? Sagen Sie mir bitte, dass bald irgend jemand um die Ecke kommt und "Verstehen Sie Spaß?" fragt. Das Paket, zu dem Sie Recherchen anstoßen wollten, weil auch in Ihrem Laden niemand wusste, wo es ist, ist wieder aufgetaucht. Und zwar beim Absender, mit der Bemerkung, ich hätte es in der Filiale nicht abgeholt. Was ich ja dummerweise versucht hatte, nur hatten Sie das Paket ja verschlampt und mir danach immer wieder nur gesagt, was DHL alles NICHT für mich tun kann - gerne auch mit für den Fall komplett unpassenden Textbausteinen. Nun soll der Absender auch noch eine Retourengebühr bezahlen. Im Ernst? Und neues Porto wollen Sie vermutlich auch noch... Schämen Sie sich eigentlich überhaupt nicht?
Pia ist wahrscheinlich bei den Recherchen im Keller der Post verschollen, auf jeden Fall bekomme ich nun Post von Kira. Und die entschuldigt sich, bietet an, Porto und Retourenkosten zu übernehmen und schenkt mir zur Aufmunterung zwei Paketmarken für die Zukunft. Finde ich das ausreichend? Nein, deshalb schreibe ich diesen Post. Weil man so einfach nicht mit Kunden umgehen kann. Amüsant finde ich allerdings, dass Kira sich nicht nehmen lässt, mich im Rahmen der Mail noch auf die DHL App hinzuweisen:
Übrigens: Die DHL App verfügt jetzt über eine Push-Funktion. Wir informieren Sie aktiv über den aktuellen Sendungsstatus Ihrer Pakete.
Ob diese App wohl auch so lustige Textbausteine wie der Kundenservice anzubieten hat, wenn ein Paket mal wieder unauffindbar ist? Ich versuche das Ganze mit Humor zu nehmen und stelle mir einfach vor, die Post wollte einfach nur an das 100 jährige Jubiläum des Dadaismus erinnern… 






Diarium - "Als Deutscher mit dem Judenstern"

Eine schöne Veranstaltung zu "Gefährliche Bürger" war das gestern beim Thomasius Club in Leipzig, mit bestens vorbereiteten Moderatoren und etwa 70 bestens vorbereiteten Besuchern. Nur zwei von ihnen fielen aus der Reihe: Der eine sah die große Weltverschwörung im Gange (und ließ im Nachgespräch dann auch die antisemitischen Hüllen fallen), der andere wiederum outete sich als fleißiger Pegida- und Legida-Gänger und glaubte, er müsse als Deutscher bald mit dem Judenstern herumlaufen. Darüber hinaus fragte provokant, was denn an dem rechten Konzept Ethnopluralismus falsch sei, bei dem es darum geht, die Vermischung verschiedener Ethnien zu verhindern, um die Rassenvielfalt zu erhalten. Als Liberaler konnte ich da recht einfach antworten: Ungefähr alles ist daran falsch - weil es niemanden etwas angeht, wer mit wem glücklich werden will. Auf die Zwischenrufe hin äußerte sich der Herr empört, da sehe man wieder, wie Meinungen unterdrückt würden. Und das, obwohl keiner ihn davon abgehalten hatte, seine Meinung zu äußern. Es ist immer wieder bemerkenswert, wie jemand, der gerade ungehindert seine Meinung sagt, behaupten kann, man könne nicht mehr ungehindert seine Meinung sagen. Aber Logik und Argumente spielen bei Ideologen sowieso keine Rolle mehr...

Mittwoch, 2. März 2016

Diarium - Trump wird es nicht

Ich wage jetzt mal eine vielleicht etwas überraschende Prognose: Trump wird nicht Präsidentschaftskandidat der GOP. Auch wenn die Medien so tun, als ob das Rennen gelaufen wäre: Davon kann noch lange nicht die Rede sein. Nicht einmal die Hälfte der Delegiertenstimmen sind vergeben, in den meisten Staaten bekommen auch die Unterlegenen ihren "fair share".

Ich erinnere mich gut an die vergangenen Vorwahlkämpfe. Wie oft wurde dort verkündet, jetzt habe aber wirklich der oder der die Vorentscheidung geschafft. Und nur eine Woche später sah die Welt wieder anders aus. Trump ist nun endgültig aus der Rolle des Außenseiters in die Rolle des Favoriten gerutscht. Das wird für ihn schwieriges Terrain, weil dann auch die Wähler genauer hinschauen. Es bleibt also spannend. Warum die deutsche Presse sich allerdings so überschlägt, statt einen nüchternen Blick auf die Fakten zu werfen, wird mir ein Rätsel bleiben...

Sonntag, 28. Februar 2016

Diarium - Warum die Schweiz kein Vorbild für direkte Demokratie ist

In der Schweiz fällt heute die Entscheidung über die so genannte "Durchsetzungsinitiative", bei der es um die Frage geht, ob kriminelle Ausländer konsequent abgeschoben werden. Davon abgesehen dass ich von der Forderung wenig halte, weil man sich aus der Verantwortung auch für all diejenigen stiehlt, die trotz ausländischem Pass in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind - und damit eher das Problem der Schweiz als das der Herkunftsländer ihrer Eltern sein sollten, gibt es noch einen viel wichtigeren Punkt, den man bedenken sollte. Denn was wie ein bürokratischer Vorgang klingt, ist nichts anderes als ein weiterer Schritt zur Abschaffung von wesentlichen Grundrechten, die ihrer Idee nach allen Menschen zustehen. In diesem Fall ist die Gleichheit von In- und Ausländern vor dem Gesetz bedroht.

Auch wenn die Schweiz gerne - und in vielen Fragen durchaus zurecht - als Vorbild für die Nutzung direkter Demokratie genannt wird, trifft dies in vielen wesentlichen Fragen gerade nicht zu. Denn während in Deutschland die Grundrechte durch die Verfassung geschützt sind, über die das Verfassungsgericht wacht und gegen die niemand - auch nicht die Mehrheit des Parlaments oder die große Mehrheit der Bürger - verstoßen darf, gilt dies in der Schweiz nicht. Um es an einem Beispiel fest zu machen: In der Schweiz könnte die Mehrheit der Bürger (oder besser: Die Mehrheit derer, die abstimmen geht) auch die Wiedereinführung der Todesstrafe oder öffentlichen Auspeitschens beschließen, während dies in Deutschland durch Artikel I des Grundgesetzes ausgeschlossen ist. 

Die Durchsetzungsinitiative ist ein Beispiel dafür, dass direkte Demokratie falsch genutzt zu einem brutalen Diskriminierungsinstrument werden kann. Ist sie erfolgreich, wird bei den Eidgenossen durch direkte Demokratie das real, was bei uns die NPD schon immer fordert. Die liberale Demokratie schafft sich so Stück für Stück selbst ab - der feuchte Traum jedes autoritären Geistes. Vor diesem Hintergrund ist dann auch zu verstehen, warum gerade rechte Antidemokraten gerne "Wir sind das Volk" brüllen und Rechtsradikale wie Pegida-Fronthetzerin Tatjana Festerling mehr direkte Demokratie nach dem Vorbild der ach so freien Schweiz fordern (und dafür leider viel unbedachten Applaus bekommen). Sie wollen Demokratie nutzen, um die Freiheitsrechte von Minderheiten zu beschneiden.

Daher: Direkte Demokratie, ja bitte. Aber nicht so, wie in der Schweiz, sondern richtig gemacht. Bahnhöfe oder Bahntrassen, Haushaltsfragen und von mir aus auch, wer Bundespräsident werden soll: Darüber sollen die Bürger gerne entscheiden. Aber nicht über Leib, Leben und die Grundrechte ihrer Mitbürger. In diesem Sinne kann man nur hoffen, dass die Schweizer ihre Menschlichkeit heute nicht auf den Scheiterhaufen falsch verstandener Demokratie werfen. Und von Herzen den Freunden der Operation Libero und allen anderen Liberalen in der Schweiz viel Erfolg wünschen.

Dienstag, 23. Februar 2016

Ein Brief von einer gebürtigen Dresdnerin

Aus aktuellem Anlass: Folgende Zeilen sind ein Auszug aus einer Mail, die ich schon vor einigen Wochen von einer gebürtigen Dresdnerin erhalten habe, die kurz vor dem Fall der Mauer in den Westen gezogen ist. Ihr Blick auf den Osten, insbesondere Dresden, ist durchaus interessant. Die Dame möchte aus Angst vor Anfeindungen anonym bleiben.

"Das 'neurechte Milieu' infiltriert nicht nur mit AfD und Pegida die bürgerliche Mitte, auch werden sie tatkräftig von den 'alten' Stasiseilschaften unterstützt. Man darf nicht vergessen, dass es zum Zeitpunkt der sogenannten Wende sehr viele gut ausgebildete (hauptamtliche) Mitarbeiter des MfS gab, die damals kaum älter als Ende Zwanzig/Anfang Dreißig waren (heute 50-60 Jahre alt). DIE sind nicht von heute auf morgen verschwunden und auch nicht vom Saulus zum Paulus konvertiert. Hier im Westen nimmt man mit Sicherheit an, dass derartige Menschen in den Reihen der Linken zu finden seien .... Das ist ganz bestimmt ein sehr großer Irrtum. Diese Leute unterhielten/unterhalten ein flächendeckendes Netzwerk. Diese Menschen hat man mit der Wende ihrer Lebensphilosophie beraubt, ihre Karriere zunichte gemacht, ihr Selbstwertgefühl gegen Null gefahren. Durch die mögliche Einsichtnahme der Bürger in ihre Stasi-Akten wurden nicht nur die IM's, sondern auch die Mitarbeiter des MfS von Priviligierten des Arbeiter-und-Bauern-Staates zu Verbrechern, Denunzianten ..... Sie verloren von heute auf morgen ihren Status. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Tatsache selten ohne Nebenwirkungen problemlos weggesteckt wurde. 

Die Flüchtlingsproblematik (speziell in den neuen Bundesländern) ist bestimmt nicht die Ursache für den Rechtsruck, doch sie kommt wahrscheinlich AfD, Pegida + Co. sehr gelegen. Interessant ist natürlich auch, dass man in der DDR keine Fremden (wie hier in der alten BRD) wie Gastarbeiter etc. gewohnt war. Die DDR übernahm die Ausbildung von jungen Menschen aus einigen befreundeten Bruderstaaten wie Kuba, Angola, Vietnam und Ungarn. Doch diese Menschen wohnten abgeschirmt von der DDR-Bevölkerung. Mit Beendigung der Ausbildung wurden diese Leute in ihre Heimatländer zurück geführt. Kontakte mit der DDR-Bevölkerung gab es kam, waren auch nicht erwünscht. Integration Null.

Wie ich bereits erzählt, war ich vergangenes Wochenende in Chemnitz. Dort gibt es zur Zeit eine gewaltige Serie an Einbrüchen in Einfamilienhäuser. Die daraus propagierte Konsequenz: ..... Der Staat ist unfähig, sorgt nicht für Ordnung und Sicherheit. Das Gesindel nutzt das aus. Da seht ihr, was ihr von eurer offenen Gesellschaft habt: Unsicherheit, Kriminalität, Unterwanderung durch fragwürdige Objekte .....

Schlimm finde ich vor allem, dass sich diese Meinungen durch alle sozialen Schichten ziehen ..."

Freitag, 29. Januar 2016

"Theurer weiß, wie's geht" - Neujahrsempfang in Kirschweiler

Volles Haus bei der FDP im Kreis Birkenfeld -
Michael Theurer, MdEP war zu Gast
Der rheinland-pfälzische Wahlkampf geht langsam in seine heiße Phase. Und das merkt man auch im Kreis Birkenfeld im Hunsrück. Die FDP hatte zum Start einer ganzen Reihe hochkarätiger Veranstaltungen (siehe am Ende des Textes) den Europaabgeordneten und baden-württembergischen Landesvorsitzenden Michael Theurer zu Gast. Die Veranstaltung war top besucht - 50 Gäste füllten den Hühnerstall in Kirschweiler bis auf den letzten Platz. Und auch politisch wurde den Anwesenden einiges geboten. Als jemand, der die FDP nun lange genug begleitet und in der Westerwelle-Ära jede Wahlkampfveranstaltung gemieden hat - aufgrund des teilweise erbärmlichen Diskussionsniveaus - merkt man, dass die Lindner-FDP selbst in Wahlkampfzeiten versucht, immer inhaltlich-konstruktive Akzente zu setzen. So macht liberale Politik endlich wieder Spaß.

Michael Theurer (rechts) bestens aufgelegt -
hier gemeinsam mit FDP-Direktkandidat Matthias Keidel
Bevor Theurer einen Blick auf die großen Themen zwischen Mainz, Berlin und Brüssel warf, stellte FDP-Direktkandidat Matthias Keidel seine politische Agenda vor. Er legte dabei einen besonderen Fokus darauf, auch digitale Zukunftsthemen zu benennen. So forderte er, vor dem Hintergrund der Diskussion um die bessere Anbindung des Kreises mit realen Schnellstraßen nicht die mindestens ebenso wichtige Anbindung mit digitalen Schnellstraßen zu vergessen. Darüber hinaus zeigte er Möglichkeiten auf, wie man aus den real existierenden Schwächen des Kreises Stärken machen könne. „Leerstand in den Fußgängerzonen ist natürlich ein riesiges Problem, aber wir sollten nicht vergangen Zeiten hinterher weinen, sondern diesen als Gestaltungsraum für neue Konzepte sehen“, konstatierte Keidel.

Daran knüpfte Michael Theurer, der früher mehr als ein Jahrzehnt sehr erfolgreich als Oberbürgermeister der Stadt Horb am Neckar agierte an. „Horb war an der Verschuldungsobergrenze. Wir konnten den Bürgern keine Geschenke versprechen“, erinnerte er sich. Sein Mittel war daher, das bürgerschaftliche Engagement zu stärken und den Menschen den Glauben an ihre Region zurückzugeben – ein Mittel, in dem er auch den Schlüssel für den Hunsrück und den Kreis Birkenfeld sieht. „Es wird niemand von außen kommen und ihre Probleme lösen. Aber die gute Nachricht ist: Die Lösungen liegen hier in der Region, bei den Menschen, die hier jetzt schon leben“, ist sich Theurer sicher. Um diese Potenziale zu heben, müssten sich Verwaltungen als Ermöglicher sehen, die auch bereit sind, gerade auch an junge Menschen zu glauben und diesen Risikokaptal in die Hand zu geben. 

Die Bürger wiederum rief er dazu auf, Verantwortung zu übernehmen. „Immer nur zu sagen, ‚die Verwaltung muss aber‘, das reicht nicht. Gerade in Krisenzeiten ist die Bevölkerung als Ganzes gefragt“, mahnte Theurer an, und bezog diese Forderung nicht nur auf die kommunale, sondern auch auf übergeordnete Ebenen. „Wir brauchen ein Update, ein Umdenken“, sagte er auch mit Blick auf die Flüchtlingskrise, und gab zu bedenken, dass die Lösung nicht sein könne, Probleme des 21. Jahrhunderts mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts zu lesen. Für diese Sicht auf die Dinge bekam Theurer viel Zustimmung der etwa 50 Anwesenden.

Weitere Veranstaltungen: am 2. Februar ab 12 Uhr ist Christian Lindner zu Gast im Parkhotel in Idar-Oberstein im Rahmen des traditionellen Spießbratenessens. Teilnahme nur nach Anmeldung. Am 15. Februar ab 19 Uhr ist die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende und erste Bürgermeisterin von Düsseldorf, Marie-Agnes Strack-Zimmermann für einen Bürgerdialog zum Thema Flüchtlingskrise zu Gast. Veranstaltungsort folgt.

Montag, 18. Januar 2016

Der Vogel und der Flieger - alles eine Frage der Perspektive

Ich stehe an einem Fenster des Flughafens in Bangkok, mit Blick auf den Flieger, in den ich gleich einsteigen werde. Die Brücke ist schon angedockt, Flughafenpersonal ist allerdings nicht zu sehen. In dieser Stille fällt der Blick auf einen Vogel, der sich für ein Stück Plastikfolie interessiert, das ansonsten unbeachtet über das Rollfeld weht. Er greift es mit dem Schnabel, flattert auf die Leiter. Dort legt er eine Pause ein, greift nun mit den Krallen zu und macht sich unter enormen Anstrengungen auf ins Räderwerk der Brücke, wo er offensichtlich brütet. 

Immer wieder fällt das Stück Plastik herunter bei dem Versuch, es in den Hohlraum zu ziehen, wo vermutlich gerade ein Nest entsteht. Immer wieder weht das Plastik weg. Immer wieder fliegt der Vogel hinterher, greift es mit dem Schnabel, fliegt auf die Leiter, greift um, macht sich auf zum Räderwerk. Fünfmal, zehnmal. Er gibt nicht auf. Was genau hat er vor? Soll das Plastik seine Brut vor Regen schützen? Als Dach oder als Boden fungieren? Ich weiß es nicht.

Das Unternehmen kommt zu einem jähen Ende, als die Mensche zurückkehren. Gestalten mit Mundschutz, in Uniform. Anonym. Das Stück Plastik ist für sie keinen zweiten Blick wert, sie nehmen es nicht einmal wahr. Was für den Vogel die Basis für sein Zuhause sein könnte, ist für sie nichts, höchstens Müll. Auch von dem Vogel wissen sie nichts. Sie tun routiniert ihre Pflicht. Kurz danach verlasse ich das Fenster, zeige meine Boardkarte vor, steige in den Flieger. Die Brücke wird achtlos zur Seite geschoben. 

Die Kraft der Turbinen wird das Stück Plastik weit wegwehen. Der kleine Vogel wird zurückbleiben und neu beginnen. Vielleicht findet sich ja morgen ein neues Stück Plastik? Vielleicht sieht ein anderer Passagier dem Vogel dann dabei zu, wie er dieses erfolgreich in der Brücke unterbringt, bevor die Menschen kommen, und wieder alles durcheinander bringen? Groß und klein, wichtig und unwichtig liegen so nah beieinander. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive.