Wer nichts mit ausländerfeindlichem, homophobem und islamfeindlichen Gedankengut anfangen kann, war trotz Freital, Heidenau und Co zwischenzeitlich möglicherweise versucht, aufzuatmen: Die AfD hing trotz noch nicht ausgestandener Eurokrise und steigender Flüchtlingszahlen im Umfragetief fest und auch Pegida lockte nur noch einen kleinen, deutlich als rechtsextrem erkennbaren Kern auf die Straße. Wer allerdings glaubte, die Gefahr von rechts wäre damit gebannt, wurde inzwischen für jeden sichtbar eines besseren belehrt. Für die Mobilisierung der Zivilgesellschaft gegen menschen- und demokratiefeindliches Gedankengut war der vordergründige Niedergang von AfD und Pegida sogar gefährlich – weil sich die dahinterstehende verfassungsfeindliche, rassistische, antidemokratische Bewegung ohne den scharfen Blick der Öffentlichkeit noch ungestörter neu sortieren konnte.
Das Schlachtfeld für die wichtigsten gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist nicht der politische Raum, in dem die fertigen Meinungen der einzelnen Parteiblöcke aufeinander treffen, sondern vielmehr der vorpolitische, in dem die Voraussetzungen für die Meinungsbildung geschaffen werden. Der Kampf für die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften etwa hätte alleine in den Parlamenten kaum gewonnen werden können; zunächst musste eine über die letzten zwei Jahrzehnte eine gesellschaftliche Stimmung geschaffen werden, die den Parteien einen Kurswechsel erlaubte.
Das haben die rechten Vordenker natürlich auch beobachtet – und arbeiten nun schon seit einiger Zeit daran, weitgehend unbemerkt die Diskurshoheit zurückzuerobern. AfD und Pegida waren da Versuche, Dysfunktionalitäten des politischen Systems rund um Euro- und Flüchtlingskrise zu nutzen und eine Abkürzung zur Macht zu nehmen. Deren Scheitern ist allerdings für die rechte Szene an sich kein Debakel; die Saat schlummert weiter in der Gesellschaft, die beiden Tests haben wie schon zuvor Sarrazins Bücher und die brutalen Hassstürme im Internet die grundsätzliche Mobilisierbarkeit der Reaktionäre gezeigt. Der Anschlag von Köln kam für die rechten Strategen vermutlich etwas früh, zeigt aber auch das aggressive Potenzial, das man abrufen kann. Wenn die Zeit gekommen ist. Und daran arbeitet man mit Nachdruck.
Schon Franz Schönhuber wusste, dass die Anfang der 1990er beschlossene Einschränkung des Asylrechts durch Union, FDP und Teile der SPD faktisch sein Werk war. Und er stellte auch fest, dass es gar nicht darum gehe, dass die Republikaner regieren – was sie nie taten -, solange die etablierten Parteien unter dem Druck der Republikaner tun, was auch die Rechten tun würden.
Zu glauben, man könnte den derzeit wieder zunehmend selbstbewusst auftretenden Hass auf alles Fremde und Neue mit Zugeständnissen hier und da beschwichtigen – die Umschreibung dafür ist das bekannte „Man muss die Sorgen der Menschen ernstnehmen“ – ist ein gefährlicher Irrtum. Denn das Gegenteil ist richtig. Da verhält es sich auch nicht anders als mit kleinen Kindern: Reicht man den kleinen Finger, folgt ganz sicher der Griff nach der ganzen Hand. In diesem Fall, weil das Zugehen auf die rechten Stimmungsmacher nicht nur Schwäche zeigt, sondern weil es den Protagonisten auch das Gefühl gibt, sie seien im Recht, wenn selbst die Etablierten darauf reagierten.
Die NPD auszugrenzen und sie damit unschädlich zu machen, weil jeder wusste, dass eine Stimme für diese Partei eine verlorene ist, hat Jahrzehnte gut funktioniert. Bei der AfD und Pegida wurde diese Regel aufgeweicht. Einen dezentralen, nicht in Parteien oder anderen klar abgegrenzten rechten Hass allerdings auszugrenzen, ist ein deutlich schwierigeres Unterfangen, weil die Grenzen gewollt fließend sind. Und sie weichen weiter auf. Auch nach dem Galgen auf der letzten Pegida-Demo durften die Primitivbürger diese Woche wieder marschieren. Und zündeten gleich die nächste Eskalationsstufe: Akif Pirinçci bedauerte, dass die KZs derzeit geschlossen seien. Der nötige Abbruch der Demo durch die Polizei, der bei der NPD nur Minuten gebraucht hätte, blieb aus. Pegida, das ist kein Ausdruck von Meinung, sondern die Vorbereitung eines Putsches. Die Demokratie darf sich von ihren Feinden nicht weiter auf der Nase herumtanzen lassen. Ein Verbot wäre der falsche Schritt, aber darum, klare Grenzen zu ziehen, werden Politik und Verwaltung jeden Montag aufs Neue immer schwerer herumkommen.