Mittwoch, 28. Oktober 2015

AfD und Pegida: Die Eskalation wird weitergehen

Wer nichts mit ausländerfeindlichem, homophobem und islamfeindlichen Gedankengut anfangen kann, war trotz Freital, Heidenau und Co zwischenzeitlich möglicherweise versucht, aufzuatmen: Die AfD hing trotz noch nicht ausgestandener Eurokrise und steigender Flüchtlingszahlen im Umfragetief fest und auch Pegida lockte nur noch einen kleinen, deutlich als rechtsextrem erkennbaren Kern auf die Straße. Wer allerdings glaubte, die Gefahr von rechts wäre damit gebannt, wurde inzwischen für jeden sichtbar eines besseren belehrt. Für die Mobilisierung der Zivilgesellschaft gegen menschen- und demokratiefeindliches Gedankengut war der vordergründige Niedergang von AfD und Pegida sogar gefährlich – weil sich die dahinterstehende verfassungsfeindliche, rassistische, antidemokratische Bewegung ohne den scharfen Blick der Öffentlichkeit noch ungestörter neu sortieren konnte.

Das Schlachtfeld für die wichtigsten gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist nicht der politische Raum, in dem die fertigen Meinungen der einzelnen Parteiblöcke aufeinander treffen, sondern vielmehr der vorpolitische, in dem die Voraussetzungen für die Meinungsbildung geschaffen werden. Der Kampf für die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften etwa hätte alleine in den Parlamenten kaum gewonnen werden können; zunächst musste eine über die letzten zwei Jahrzehnte eine gesellschaftliche Stimmung geschaffen werden, die den Parteien einen Kurswechsel erlaubte. 

Das haben die rechten Vordenker natürlich auch beobachtet – und arbeiten nun schon seit einiger Zeit daran, weitgehend unbemerkt die Diskurshoheit zurückzuerobern. AfD und Pegida waren da Versuche, Dysfunktionalitäten des politischen Systems rund um Euro- und Flüchtlingskrise zu nutzen und eine Abkürzung zur Macht zu nehmen. Deren Scheitern ist allerdings für die rechte Szene an sich kein Debakel; die Saat schlummert weiter in der Gesellschaft, die beiden Tests haben wie schon zuvor Sarrazins Bücher und die brutalen Hassstürme im Internet die grundsätzliche Mobilisierbarkeit der Reaktionäre gezeigt. Der Anschlag von Köln kam für die rechten Strategen vermutlich etwas früh, zeigt aber auch das aggressive Potenzial, das man abrufen kann. Wenn die Zeit gekommen ist. Und daran arbeitet man mit Nachdruck. 

Schon Franz Schönhuber wusste, dass die Anfang der 1990er beschlossene Einschränkung des Asylrechts durch Union, FDP und Teile der SPD faktisch sein Werk war. Und er stellte auch fest, dass es gar nicht darum gehe, dass die Republikaner regieren – was sie nie taten -, solange die etablierten Parteien unter dem Druck der Republikaner tun, was auch die Rechten tun würden. 

Zu glauben, man könnte den derzeit wieder zunehmend selbstbewusst auftretenden Hass auf alles Fremde und Neue mit Zugeständnissen hier und da beschwichtigen – die Umschreibung dafür ist das bekannte „Man muss die Sorgen der Menschen ernstnehmen“ – ist ein gefährlicher Irrtum. Denn das Gegenteil ist richtig. Da verhält es sich auch nicht anders als mit kleinen Kindern: Reicht man den kleinen Finger, folgt ganz sicher der Griff nach der ganzen Hand. In diesem Fall, weil das Zugehen auf die rechten Stimmungsmacher nicht nur Schwäche zeigt, sondern weil es den Protagonisten auch das Gefühl gibt, sie seien im Recht, wenn selbst die Etablierten darauf reagierten. 

Die NPD auszugrenzen und sie damit unschädlich zu machen, weil jeder wusste, dass eine Stimme für diese Partei eine verlorene ist, hat Jahrzehnte gut funktioniert. Bei der AfD und Pegida wurde diese Regel aufgeweicht. Einen dezentralen, nicht in Parteien oder anderen klar abgegrenzten rechten Hass allerdings auszugrenzen, ist ein deutlich schwierigeres Unterfangen, weil die Grenzen gewollt fließend sind. Und sie weichen weiter auf. Auch nach dem Galgen auf der letzten Pegida-Demo durften die Primitivbürger diese Woche wieder marschieren. Und zündeten gleich die nächste Eskalationsstufe: Akif Pirinçci bedauerte, dass die KZs derzeit geschlossen seien. Der nötige Abbruch der Demo durch die Polizei, der bei der NPD nur Minuten gebraucht hätte, blieb aus. Pegida, das ist kein Ausdruck von Meinung, sondern die Vorbereitung eines Putsches. Die Demokratie darf sich von ihren Feinden nicht weiter auf der Nase herumtanzen lassen. Ein Verbot wäre der falsche Schritt, aber darum, klare Grenzen zu ziehen, werden Politik und Verwaltung jeden Montag aufs Neue immer schwerer herumkommen.

Montag, 12. Oktober 2015

Die Masken fallen

Woran erkennt man, dass die rechten Feinde der offenen Gesellschaft ihre Zeit für gekommen sehen? Sie lassen gerade simultan die Masken fallen und gehen in die Offensive. Ein Überblick.

Man kann seine Geisteshaltung intellektuell umkleiden, man kann sie in einer Buchrezension verpacken, man kann auch Artikel schreiben, in denen man gezielt Codewörter streut, die von immer mehr Menschen verstanden werden. All das erleben wir gerade von rechts, wie noch deutlich werden soll. Es geht aber auch plump und, nunja, seltsam. Ein Beispiel dafür ist ein offener Brief von der Bloggerin Bettina Röhl an den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, in dem sie diesen zu einem „positiven Staatsstreich nach den Regeln des Grundgesetzes“ (sic!) aufruft. Sie begründet die Forderung damit, dass der „Total-Kollaps“ bereits eingetreten sei. Davon dürften ihre Hamburger Nachbarn nichts mitbekommen haben, während sie gerade ihren Latte Macchiato schlürfen und den nächsten Urlaub planen. Und auch der Rest der besonnenen Republik dürfte selbst angesichts der aktuellen Herausforderungen nur müde gähnen vor so viel Hysterie. Darüber hinaus strotzt der Text vor weiteren Denkfehlern – etwa wenn übersehen wird, dass auch ohne die CSU die CDU und SPD immer noch eine riesige Mehrheit im Parlament haben. 

Man könnte ihn also eigentlich in Ablage P verschwinden lassen - bemerkenswert ist er allerdings trotzdem, und zwar wegen des einen Wörtchens „Staatsstreich“. Wer als Tochter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof über deren Lebensgeschichte ein Buch geschrieben hat, sollte sich der Wucht solcher Vokabeln bewusst sein. Einen demokratischen Staatsstreich gibt es nicht, da mag man noch so oft „Grundgesetz“ in diese Sätze drum herum packen. Es scheint also die Berufung auf das Widerstandsrecht in der Verfassung in Röhls Zeilen mitzuschwingen. Das zu lesen tut umso mehr weh, wenn man weiß, dass das auch in rechtsradikalen Kreisen sicher auf Zustimmung trifft, wo sowieso schon lange diskutiert wird, ob die Zeit zum Widerstand nicht längst gekommen ist. Tatjana Festerling etwa, selbst ernannte Jeanne d’Arc der Pegida-Bewegung ruft ganz zufällig seit einigen Tagen dann auch zum „zivilen Ungehorsam“ auf: „Krank melden, Arbeit niederlegen, System stoppen!“ Was kommt als nächstes? Die Besetzung von Fabriken? Von Flüchtlingsheimen? Des Kanzleramtes? Der Staatsstreich also?

Röhl hat ihren Staatsstreich-Artikel auf dem Blog von Roland Tichy publiziert. Dort findet sich auch eine positive Rezension von „Heerlager der Heiligen“, einem Untergangsroman von Jean Raspail, durch den dezidiert Antiliberalen Alexander Pschera. Wer nicht weiß, wer hinter der Neuauflage dieses Werks steckt, mag die Sprengkraft nicht verstehen. Verleger ist Götz Kubitschek, der auf seinem Regal einen Gartenzwerg mit Hitlergruß stehen hat, von der AfD nicht aufgenommen wurde, weil er dieser zu rechts war und schon früh bei Legida, den als rechtsextrem wahrgenommenen Nacheiferern von Pegida, aufgetreten ist. Etablierte Medien haben Kubitscheks Publikationen bisher genauso ignoriert, wie die NPD in den Parlamenten von allen anderen Parteien ignoriert wurde. Der Versuch diesen Konsens aufzubrechen ist derzeit nicht nur bei Tichy zu sehen.

Matthias Matussek von der Welt rezensierte „Heerlager der Heiligen“ für die Schweizer „Weltwoche“, nachdem sein eigentlicher Arbeitgeber den Text verschmäht hatte (was Matussek aber nicht hinderte, in seinem bei der Welt gedruckten Gespräch mit Rüdiger Safranski wieder dafür Werbung zu machen; Christoph Schröder hat für den Tagesspiegel die passenden Worte dazu gefunden. Die im Süden Frankreichs anlandenden Inder sieht er als Metapher für die derzeitigen Flüchtlingsströme. Und so muss man es dann wohl auch verstehen, wenn er die Inder einen „Riesenhaufen menschlichen Unrats“ nennt. 

Gegen Ende seiner Rezension bezeichnet er dann auch die Ermordung eines der menschenfreundlichen Protagonisten des Buches und die Massenvergewaltigung von dessen Freundin als „Höllenvergnügen“. Da ist er ganz an der Seite des Islamfeindes Nicolaus Fest, dem ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur der Bild am Sonntag, der „Momente der Erbauung“ spürt, wenn er im „Heerlager der Heiligen“ liest:
„Alle Jubelperser der Einwanderung werden von den neuen Herren bestialisch ermordet, ihre Freundinnen vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Als ethnische Minderheit sind nun eben die weißen Frauen für die Eroberer von exotischem Reiz. Auch hier merkt man den Katholiken im Autor: Mögen auch Christentum, Europa und alle seine Werte zugrunde gehen – die göttliche Gerechtigkeit wird sich erfüllen. So bleibt doch Hoffnung.“
Man hat das Gefühl, dass Matussek und Fest gleichermaßen Michael Klonovsky vom Focus nacheifern, der seit längerem Maßstäbe für intellektuell getarnten Kulturpessimismus von rechts setzt. Auch der lässt es sich natürlich nicht nehmen, dieser Tage zusätzlich zu seinem Standardrepertoire an Verhöhnung der Protagonisten der offenen Gesellschaft noch einen draufzusetzen. Eine wohl unsaubere Zuspitzung eines Artikels zu Pegida im manager magazin nimmt er, der seit vielen Jahren für ein deutsches Leitmedium schreibt, zum Anlass für einen Rundumschlag gegen die deutsche Presselandschaft:
„Lügenpresse? Märchenpresse, Tendenzpresse, Verschweigepresse, Gesinnungspresse, Aufhetz- und Denunzierpresse, kurzum: Schandpresse.“
Man möchte gar nicht versuchen, sich vorzustellen, was der Herr vom Focus dann für Qualitätsmedien hält. Ob Klonovsky wiederum so zum Dramatiker Botho Strauß aufschaut wie mancher neurechte Lehrling des Kulturpessimismus zu Klonovsky ist nicht bekannt. Auf jeden Fall sah aber auch Strauß nach langer Abstinenz die Zeit gekommen, wieder einmal ein politisches Essay zu schreiben. Warum der Spiegel dem mit Codewörtern der Neuen Rechten gespickten Text druckte? Aus Unwissenheit? In der Hoffnung um einen Auflage-Push? Man weiß es nicht. Aber wenn Strauß angesichts von einer Million Flüchtlinge orakelt, die Deutschen würden zu einer „kräftigen Minderheit“ und damit die Hoffnung verbindet, dass „eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zur Selbstbesinnung“ bringen könne, freuen sich die Kubitscheks dieser Welt. Und die Diskussionen über das Recht auf Widerstand schwellen gleich wieder ein wenig mehr an. Die Masken fallen. Und ich vermute, das ist erst der Anfang. Hoffen wir, dass ich Unrecht habe…