Donnerstag, 3. September 2015

Warum Liberale niemals rechts blinken dürfen

Christian Lindner geißelt ihn schon seit einiger Zeit: den westlichen Selbsthass, der dafür sorgt, dass die Abneigung gegen alles, was die USA, Europa, aber auch Israel an Produkten oder Gedanken, Politik oder Werten entwickeln solch absurde Züge annimmt, dass am Ende der russische Autokrat Wladimir Putin als Heilsbringer dasteht. Nun könnte man meinen, dass Liberale nicht Gefahr laufen, diesem Virus zu erliegen. Doch so eindeutig fällt die Antwort leider nicht aus, wie gleich mehrere Indikatoren zeigen.

Es war zunächst Michael Miersch, einer der Gründer des einstmals liberal-konservativen Blogs „Achse des Guten“, der Alarm schlug: „Der kulturpessimistische, anti-westliche, national-konservative Gegenpol zur Achse wurde damals von Publizisten wie Konrad Adam und Alexander Gauland repräsentiert, die heute zur Führungsriege der AfD zählen“, berichtet er. Um dann ernüchtert festzustellen: „Beide Herren sind ihrer Weltanschauung treu geblieben und haben damit in jüngster Zeit viel Zulauf gewonnen. Ihr Erfolg geht leider so weit, dass sogar Achse-Autoren diese Partei und ähnlich gestrickte Protestbewegungen wie Pegida verteidigen.“ 

Miersch stellt mit Blick auf die steigenden Besucherzahlen des Portals resigniert fest: „Wutjournalismus hat eine weitaus größere Leserschaft als Nachdenklichkeit.“ Dass er dennoch nicht aufhören wird, für seine Weltsicht zu kämpfen, zeigt sich daran, dass er seinen Frust mit klaren politischen Statements verbindet. So schreibt er: „Menschen nach Herkunft zu beurteilen, finde ich boshaft. Sippenhaft ist absolut inakzeptabel“ und macht damit klar, dass er genau das bei der „Achse des Guten“ beobachtet. „Liberal“, das macht Miersch deutlich, könne sich das Blog erst wieder nennen, wenn es sich von einer großen Zahl seiner Autoren getrennt hat. 

Auch Äußerungen über „monokulturellen Dünkel“, absurde Behauptungen wie „die EU ähnele immer mehr der UdSSR und der Euro sei die schlimmste Destruktion seit dem Zweiten Weltkrieg“ oder Ansichten wie die, „dass das heutige Deutschland dekadent“ sei, keinen Platz mehr hätten, erteilt Miersch eine Absage. Derzeit finde man auf der „Achse“ jedoch von der wirren Theorie, dass „sexuelle oder andere Abweichungen von der Norm Verfallserscheinungen sind“, bis hin zur verlogenen „Idealisierung der christlichen Familie als Keimzelle der Nation“ vieles, was das neurechte Herz begehre. Miersch, der Klimaskeptiker und Jäger, der sich bis heute mit den typischen Großstadtgrünen anlegt, beendet seine Abrechnung mit dem für ihn schärfstmöglichen Fazit. Ihn störe besonders der apokalyptische Ton, den er an den „Öko-Predigern immer kritisiert“ habe: „Die aufgeregten Warnrufe vor der EU, dem Euro, der Migration, dem Untergang des Abendlandes klingen ganz genauso wie die Klimakassandras.“ Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen.

Nun könnte man meinen, Miersch wäre ein einsamer Rufer in der Wüste, der vielleicht ohne es zu merken nach links gerutscht ist. Doch wie passt dazu der Artikel von Karen Horn, als Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft ebenfalls gänzlich unverdächtig, einen linksliberalen oder gar linken Freiheitsbegriff zu pflegen? In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 17. Mai 2015 schlug sie mit deutlichen Worten Alarm: Man habe – gewöhnt, „dass die Angriffe auf die Freiheit seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem von der linken Seite des politischen Spektrums kamen“ – den Fehler gemacht, und „die rechte Gefahr nicht erkannt“, konstatiert sie. Und sie fragt zu Recht: „Wo nur kommt der Brass auf Ausländer in den eigenen Reihen her? Das Schönreden von Diskriminierung? Die Ausfälligkeiten gegenüber Gleichstellung, Inklusion und Integration? Die Sticheleien gegen Homosexuelle? Das Gerede von der „natürlichen Bestimmung der Frau“? Die schrillen Aufrufe zur „Re-Evangelisierung des Abendlandes“, von der das Überleben der Zivilisation abhänge?“ 

Als Liberalen schüttelt es bei dieser Aufzählung – und es ist klar, dass man bei der Suche nach politischen Figuren, die diese Werte teilen, weit außerhalb des freiheitlichen Spektrums landet. Zum Beispiel in Putins Russland. Dass dort Glühbirnen nicht verboten sind und für Freunde des Präsidenten die wirtschaftlichen Freiheiten quasi unendlich sind – für alle anderen allerdings gilt das Gegenteil – reicht einigen selbsternannten Liberalen schon, Russland zu einem Hort der Freiheit umzudeuten. Dass Putin autoritär herrscht, die Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen tritt, sich völkerrechtswidrig am Territorium seines Nachbarn bedient und dessen „Anti-Terror-Kampf“ inzwischen ein Fünftel (!) der gesamten tschetschenischen Bevölkerung das Leben gekostet hat, schiebt man da gerne zur Seite.

Das lässt sich im besten Falle absurd nennen. Im schlimmsten Fall steckt dahinter allerdings eine bewusste Strategie, nämlich die, sich beim Kampf gegen echte gesellschaftliche Liberalität an die Stelle alt- und neurechter Protagonisten zu stellen, in denen man Verbündete gefunden zu glauben scheint. Wer die Schärfe und Brutalität beobachtet, mit der die amerikanische Tea Party-Bewegung den demokratischen Diskurs zu dominieren versucht, weiß, in welche Richtung sich die Auseinandersetzung auch hierzulande entwickeln wird. Und dass dabei jeder Juli und jeder Freidemokrat immer automatisch auf der richtigen Seite der Debatte stehen werden, ist alles andere als sicher. 

Das zeigt sich schon mit Blick auf wie Hayek-Gesellschaft, wo auch FDP-Mitglieder – unter ihnen Frank Schäffler – neben Rechtsauslegern von der AfD und der Jungen Freiheit den Angriff auf die Vorsitzende Horn unterzeichnet haben, in dem dieser unter anderem „Verunglimpfung und Denunziation“ und ein „einseitiges und verengtes Liberalismusverständnis“ vorgeworfen wird. Auch das einstmals im liberalen Umfeld gegründete Magazin „eigentümlich frei“ und insbesondere dessen Gründer André Lichtschlag ist schon seit Jahren kontinuierlich auf dem Weg nach rechtsaußen – und ist sich dabei noch nicht einmal zu fein, mit der neurechten „Sezession“ um Götz Kubitschek ins Gespräch zu kommen, der selbst der AfD zu rechts war. 

„Was da am rechten Rand wächst, hat den Namen Liberalismus nicht verdient“, hat Karen Horn treffend formuliert. Die Erkenntnis alleine reicht aber nicht. Es sind alle Liberalen aufgerufen, sich dem von einem ungesunden antiwestlichen Impuls unterstützten massiven Rechtsruck entgegenzustellen. Autoritäres Denken und Diskriminierung sind mit Liberalismus niemals vereinbar.

Dieser Text ist zunächst in "jung+liberal", dem Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen (Ausgabe 02/2015) erschienen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen