Donnerstag, 3. Dezember 2015

Meisterkurs an der Texterschmiede - Was Werber von Strategie verstehen

Die Selbständigkeit hat ja immer zwei Seiten: Zum einen ist man unendlich frei in allem, was man tut (so lange Geld auf dem Konto ist zumindest), zum anderen hat man niemanden, mit dem man die besonders harten Nüsse gemeinsam knacken kann. Die richtige Strategie für das eigene Business zu finden, die Definition der eigenen Positionierung, insbesondere aber die Skizzierung des Alleinstellungsmerkmals, mit dem man sich für Kunden unentbehrlich macht, ist eine dieser Nüsse. Und deshalb freute ich mich besonders, als mich der Chef der Texterschmiede in Hamburg, Matthias Berg, bei einem gemeinsamen Mittagsessen auf ein zweitägiges Seminar hinwies, bei dem es genau darum gehen sollte. Hier ein kleiner Erfahrungsbericht vom vielleicht besten Seminar, das ich in den 15 Jahren meiner Berufstätigkeit besucht habe.
Zunächst zum Setting. Das Strategie-Seminar aus dem Meisterkursprogramm fand an einem Donnerstag und Freitag jeweils ganztägig in den Räumen der Texterschmiede statt; in Hamburg-Hammerbrook, nicht weit von mir entfernt, aber auch nicht dafür bekannt, besonders cool zu sein. Die wichtigste deutschsprachige Ausbildungsstätte für Texter und Konzeptioner sitzt allerdings in einem alten Industriehof, der fast an die Lofts in den coolen Hinterhöfen Berlins erinnert und auch drum herum mit hippen Cafés und modernen Restaurants mehr zu bieten hat, als ich erwartet hätte. Die „Schmiede“ selbst wird von einem Verein getragen, der zum einen aus Beiträgen von über 60 Förderagenturen und zum anderen aus dem Schulgeld der Auszubildenden finanziert wird. Inzwischen fasst man den Fokus allerdings etwas weiter – vermutlich weil man erkannt hat, dass die Fähigkeiten, den Kern eines Produkts oder Unternehmens zu erkennen, seine Geschichte zu erzählen und greifbar zu machen auch für Menschen jenseits der Werbung zunehmend wichtiger werden. 

Das Seminar wurde geleitet von Matthias Berg, dem geschäftsführenden Vorstand der Texterschmiede und altgedienten Werber und Alleinstellungsberater, sowie Alexander Baron, hochdekorierter Texter und Konzeptioner. Was man sich also erwarten konnte, waren auf jeden Fall stylishe Charts mit flotten Sprüchen. Doch zumindest die Charts hielten sich in Grenzen. Dafür wurde es konkret. Und zwar so konkret, dass ich das Seminar verließ und das Gefühl hatte, gerade Beratungsleistungen mehrerer Wochen und im fünfstelligen Wert in zwei Tagen und für einen Bruchteil davon erhalten zu haben. Es hätte schlechter laufen können.

Die Theorie umfasste die folgenden Themen:
  • Einführung in die Markenbildung
  • Entwicklung einer Situationsanalyse einschließlich Wettbewerbs- und SWOT-Analyse
  • Entwicklung von Positionierungsoptionen und alleinstellenden Versprechen
  • Erstellung einer Kommunikationsstrategie
  • Einführung in Umsetzungsszenarien mit Übungen in Einzelmaßnahmen.
Wie man an der Formulierung schon erkennen kann: Es beschränkte sich nicht auf die bloße Vermittlung von Theorie – das hatte ich auch schon während meines BWL-Studiums. Vielmehr hatte jeder der sechs Teilnehmer ein eigenes Thema/Produkt mitgebracht – von der eigenen Neuaufstellung als Texter mit dem Ziel, größere Kunden zu akquirieren über Lachswürfel oder das Herausarbeiten der Alleinstellungsmerkmale eines Gesundheitsdienstleistungsunternehmen bis hin zum Selbstverständnis einer renommierten Tageszeitung in Zeiten von Lügenpresse-Vorwürfen war alles dabei. Und jedes Projekt wurde nicht nur zwischen Teilnehmern und Dozenten, sondern innerhalb der gesamten Gruppe diskutiert, was durchaus auch einmal hart werden konnte – aber immer konstruktiv und unendlich fruchtbar war. 

Natürlich geht man in ein solches Seminar immer mit einer Hypothese. Aber genauso natürlich bringt man auch Zweifel mit, sonst müsste man das Seminar ja nicht buchen. Und so war es dann auch nicht überraschend, dass die Ergebnisse für die sechs Teilnehmer sehr unterschiedlich waren und von einer Bestätigung der eigenen Hypothese bis hin zum kompletten Verwerfen derselben gingen. Ich habe aus den Diskussionen auf jeden Fall extrem viel mitgenommen – die Ergebnisse werden sich mittelfristig bspw. auf meiner Homepage umgesetzt finden. 

Für wen würde ich das Seminar empfehlen? Nicht nur, aber auch: Unternehmensgründer in der Findungsphase, etablierte Unternehmer in einer Weiterentwicklungs-/Neuaufstellungsphase, Produkt- und Projektmanager in Unternehmen, die sich strategisch weiterbilden wollen oder Teams, die in einer konkreten strategischen Sackgasse stecken. 

Nicht geeignet ist das Seminar für Leute, die noch Fortbildungsbudgets über haben und sich zwei gemütliche Tage außerhalb der eigenen Firma machen wollen. Dafür ist das Seminar deutlich zu intensiv und anspruchsvoll.

Logo und Bilder wurden mir dankenswerterweise von der Texterschmiede zur Verfügung gestellt.





Mittwoch, 28. Oktober 2015

AfD und Pegida: Die Eskalation wird weitergehen

Wer nichts mit ausländerfeindlichem, homophobem und islamfeindlichen Gedankengut anfangen kann, war trotz Freital, Heidenau und Co zwischenzeitlich möglicherweise versucht, aufzuatmen: Die AfD hing trotz noch nicht ausgestandener Eurokrise und steigender Flüchtlingszahlen im Umfragetief fest und auch Pegida lockte nur noch einen kleinen, deutlich als rechtsextrem erkennbaren Kern auf die Straße. Wer allerdings glaubte, die Gefahr von rechts wäre damit gebannt, wurde inzwischen für jeden sichtbar eines besseren belehrt. Für die Mobilisierung der Zivilgesellschaft gegen menschen- und demokratiefeindliches Gedankengut war der vordergründige Niedergang von AfD und Pegida sogar gefährlich – weil sich die dahinterstehende verfassungsfeindliche, rassistische, antidemokratische Bewegung ohne den scharfen Blick der Öffentlichkeit noch ungestörter neu sortieren konnte.

Das Schlachtfeld für die wichtigsten gesellschaftlichen Auseinandersetzung ist nicht der politische Raum, in dem die fertigen Meinungen der einzelnen Parteiblöcke aufeinander treffen, sondern vielmehr der vorpolitische, in dem die Voraussetzungen für die Meinungsbildung geschaffen werden. Der Kampf für die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften etwa hätte alleine in den Parlamenten kaum gewonnen werden können; zunächst musste eine über die letzten zwei Jahrzehnte eine gesellschaftliche Stimmung geschaffen werden, die den Parteien einen Kurswechsel erlaubte. 

Das haben die rechten Vordenker natürlich auch beobachtet – und arbeiten nun schon seit einiger Zeit daran, weitgehend unbemerkt die Diskurshoheit zurückzuerobern. AfD und Pegida waren da Versuche, Dysfunktionalitäten des politischen Systems rund um Euro- und Flüchtlingskrise zu nutzen und eine Abkürzung zur Macht zu nehmen. Deren Scheitern ist allerdings für die rechte Szene an sich kein Debakel; die Saat schlummert weiter in der Gesellschaft, die beiden Tests haben wie schon zuvor Sarrazins Bücher und die brutalen Hassstürme im Internet die grundsätzliche Mobilisierbarkeit der Reaktionäre gezeigt. Der Anschlag von Köln kam für die rechten Strategen vermutlich etwas früh, zeigt aber auch das aggressive Potenzial, das man abrufen kann. Wenn die Zeit gekommen ist. Und daran arbeitet man mit Nachdruck. 

Schon Franz Schönhuber wusste, dass die Anfang der 1990er beschlossene Einschränkung des Asylrechts durch Union, FDP und Teile der SPD faktisch sein Werk war. Und er stellte auch fest, dass es gar nicht darum gehe, dass die Republikaner regieren – was sie nie taten -, solange die etablierten Parteien unter dem Druck der Republikaner tun, was auch die Rechten tun würden. 

Zu glauben, man könnte den derzeit wieder zunehmend selbstbewusst auftretenden Hass auf alles Fremde und Neue mit Zugeständnissen hier und da beschwichtigen – die Umschreibung dafür ist das bekannte „Man muss die Sorgen der Menschen ernstnehmen“ – ist ein gefährlicher Irrtum. Denn das Gegenteil ist richtig. Da verhält es sich auch nicht anders als mit kleinen Kindern: Reicht man den kleinen Finger, folgt ganz sicher der Griff nach der ganzen Hand. In diesem Fall, weil das Zugehen auf die rechten Stimmungsmacher nicht nur Schwäche zeigt, sondern weil es den Protagonisten auch das Gefühl gibt, sie seien im Recht, wenn selbst die Etablierten darauf reagierten. 

Die NPD auszugrenzen und sie damit unschädlich zu machen, weil jeder wusste, dass eine Stimme für diese Partei eine verlorene ist, hat Jahrzehnte gut funktioniert. Bei der AfD und Pegida wurde diese Regel aufgeweicht. Einen dezentralen, nicht in Parteien oder anderen klar abgegrenzten rechten Hass allerdings auszugrenzen, ist ein deutlich schwierigeres Unterfangen, weil die Grenzen gewollt fließend sind. Und sie weichen weiter auf. Auch nach dem Galgen auf der letzten Pegida-Demo durften die Primitivbürger diese Woche wieder marschieren. Und zündeten gleich die nächste Eskalationsstufe: Akif Pirinçci bedauerte, dass die KZs derzeit geschlossen seien. Der nötige Abbruch der Demo durch die Polizei, der bei der NPD nur Minuten gebraucht hätte, blieb aus. Pegida, das ist kein Ausdruck von Meinung, sondern die Vorbereitung eines Putsches. Die Demokratie darf sich von ihren Feinden nicht weiter auf der Nase herumtanzen lassen. Ein Verbot wäre der falsche Schritt, aber darum, klare Grenzen zu ziehen, werden Politik und Verwaltung jeden Montag aufs Neue immer schwerer herumkommen.

Montag, 12. Oktober 2015

Die Masken fallen

Woran erkennt man, dass die rechten Feinde der offenen Gesellschaft ihre Zeit für gekommen sehen? Sie lassen gerade simultan die Masken fallen und gehen in die Offensive. Ein Überblick.

Man kann seine Geisteshaltung intellektuell umkleiden, man kann sie in einer Buchrezension verpacken, man kann auch Artikel schreiben, in denen man gezielt Codewörter streut, die von immer mehr Menschen verstanden werden. All das erleben wir gerade von rechts, wie noch deutlich werden soll. Es geht aber auch plump und, nunja, seltsam. Ein Beispiel dafür ist ein offener Brief von der Bloggerin Bettina Röhl an den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, in dem sie diesen zu einem „positiven Staatsstreich nach den Regeln des Grundgesetzes“ (sic!) aufruft. Sie begründet die Forderung damit, dass der „Total-Kollaps“ bereits eingetreten sei. Davon dürften ihre Hamburger Nachbarn nichts mitbekommen haben, während sie gerade ihren Latte Macchiato schlürfen und den nächsten Urlaub planen. Und auch der Rest der besonnenen Republik dürfte selbst angesichts der aktuellen Herausforderungen nur müde gähnen vor so viel Hysterie. Darüber hinaus strotzt der Text vor weiteren Denkfehlern – etwa wenn übersehen wird, dass auch ohne die CSU die CDU und SPD immer noch eine riesige Mehrheit im Parlament haben. 

Man könnte ihn also eigentlich in Ablage P verschwinden lassen - bemerkenswert ist er allerdings trotzdem, und zwar wegen des einen Wörtchens „Staatsstreich“. Wer als Tochter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof über deren Lebensgeschichte ein Buch geschrieben hat, sollte sich der Wucht solcher Vokabeln bewusst sein. Einen demokratischen Staatsstreich gibt es nicht, da mag man noch so oft „Grundgesetz“ in diese Sätze drum herum packen. Es scheint also die Berufung auf das Widerstandsrecht in der Verfassung in Röhls Zeilen mitzuschwingen. Das zu lesen tut umso mehr weh, wenn man weiß, dass das auch in rechtsradikalen Kreisen sicher auf Zustimmung trifft, wo sowieso schon lange diskutiert wird, ob die Zeit zum Widerstand nicht längst gekommen ist. Tatjana Festerling etwa, selbst ernannte Jeanne d’Arc der Pegida-Bewegung ruft ganz zufällig seit einigen Tagen dann auch zum „zivilen Ungehorsam“ auf: „Krank melden, Arbeit niederlegen, System stoppen!“ Was kommt als nächstes? Die Besetzung von Fabriken? Von Flüchtlingsheimen? Des Kanzleramtes? Der Staatsstreich also?

Röhl hat ihren Staatsstreich-Artikel auf dem Blog von Roland Tichy publiziert. Dort findet sich auch eine positive Rezension von „Heerlager der Heiligen“, einem Untergangsroman von Jean Raspail, durch den dezidiert Antiliberalen Alexander Pschera. Wer nicht weiß, wer hinter der Neuauflage dieses Werks steckt, mag die Sprengkraft nicht verstehen. Verleger ist Götz Kubitschek, der auf seinem Regal einen Gartenzwerg mit Hitlergruß stehen hat, von der AfD nicht aufgenommen wurde, weil er dieser zu rechts war und schon früh bei Legida, den als rechtsextrem wahrgenommenen Nacheiferern von Pegida, aufgetreten ist. Etablierte Medien haben Kubitscheks Publikationen bisher genauso ignoriert, wie die NPD in den Parlamenten von allen anderen Parteien ignoriert wurde. Der Versuch diesen Konsens aufzubrechen ist derzeit nicht nur bei Tichy zu sehen.

Matthias Matussek von der Welt rezensierte „Heerlager der Heiligen“ für die Schweizer „Weltwoche“, nachdem sein eigentlicher Arbeitgeber den Text verschmäht hatte (was Matussek aber nicht hinderte, in seinem bei der Welt gedruckten Gespräch mit Rüdiger Safranski wieder dafür Werbung zu machen; Christoph Schröder hat für den Tagesspiegel die passenden Worte dazu gefunden. Die im Süden Frankreichs anlandenden Inder sieht er als Metapher für die derzeitigen Flüchtlingsströme. Und so muss man es dann wohl auch verstehen, wenn er die Inder einen „Riesenhaufen menschlichen Unrats“ nennt. 

Gegen Ende seiner Rezension bezeichnet er dann auch die Ermordung eines der menschenfreundlichen Protagonisten des Buches und die Massenvergewaltigung von dessen Freundin als „Höllenvergnügen“. Da ist er ganz an der Seite des Islamfeindes Nicolaus Fest, dem ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur der Bild am Sonntag, der „Momente der Erbauung“ spürt, wenn er im „Heerlager der Heiligen“ liest:
„Alle Jubelperser der Einwanderung werden von den neuen Herren bestialisch ermordet, ihre Freundinnen vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Als ethnische Minderheit sind nun eben die weißen Frauen für die Eroberer von exotischem Reiz. Auch hier merkt man den Katholiken im Autor: Mögen auch Christentum, Europa und alle seine Werte zugrunde gehen – die göttliche Gerechtigkeit wird sich erfüllen. So bleibt doch Hoffnung.“
Man hat das Gefühl, dass Matussek und Fest gleichermaßen Michael Klonovsky vom Focus nacheifern, der seit längerem Maßstäbe für intellektuell getarnten Kulturpessimismus von rechts setzt. Auch der lässt es sich natürlich nicht nehmen, dieser Tage zusätzlich zu seinem Standardrepertoire an Verhöhnung der Protagonisten der offenen Gesellschaft noch einen draufzusetzen. Eine wohl unsaubere Zuspitzung eines Artikels zu Pegida im manager magazin nimmt er, der seit vielen Jahren für ein deutsches Leitmedium schreibt, zum Anlass für einen Rundumschlag gegen die deutsche Presselandschaft:
„Lügenpresse? Märchenpresse, Tendenzpresse, Verschweigepresse, Gesinnungspresse, Aufhetz- und Denunzierpresse, kurzum: Schandpresse.“
Man möchte gar nicht versuchen, sich vorzustellen, was der Herr vom Focus dann für Qualitätsmedien hält. Ob Klonovsky wiederum so zum Dramatiker Botho Strauß aufschaut wie mancher neurechte Lehrling des Kulturpessimismus zu Klonovsky ist nicht bekannt. Auf jeden Fall sah aber auch Strauß nach langer Abstinenz die Zeit gekommen, wieder einmal ein politisches Essay zu schreiben. Warum der Spiegel dem mit Codewörtern der Neuen Rechten gespickten Text druckte? Aus Unwissenheit? In der Hoffnung um einen Auflage-Push? Man weiß es nicht. Aber wenn Strauß angesichts von einer Million Flüchtlinge orakelt, die Deutschen würden zu einer „kräftigen Minderheit“ und damit die Hoffnung verbindet, dass „eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zur Selbstbesinnung“ bringen könne, freuen sich die Kubitscheks dieser Welt. Und die Diskussionen über das Recht auf Widerstand schwellen gleich wieder ein wenig mehr an. Die Masken fallen. Und ich vermute, das ist erst der Anfang. Hoffen wir, dass ich Unrecht habe…

Mittwoch, 16. September 2015

Peniche/Portugal - Wasser, Wellen, Wind und Wonne

Der eine oder andere wird es schon mitbekommen haben: Ich mag alles, was mit P anfängt: Politik, Pußball, Pommer... und eben Portugal, insbesondere Peniche, dessen Strände vom Lonely Planet als die zweitschönsten in Europa ausgezeichnet wurden. Ein Freund von mir hat dort vor Jahren ein wunderbares Hotel/Hostel eröffnet (das GeekCo, mehr Infos hier und hier, besondere Deals für Freunde auf Anfrage) und ich bin seitdem jedes Jahr mehrere Male dort. Lange schon wollte ich meine Tipps und Tricks für Peniche aufschreiben - und jetzt habe ich endlich die Zeit gefunden. Viel Spaß damit! Und bei Fragen/Ergänzungen freue ich mich auf eine Mail...

Früher Abend im Garten des GeekCo: Chillen, Bierchen
trinken, nette Menschen kennenlernen
What to do:

Peniche ist zunächst einmal ein Surfspot. Insofern dreht sich natürlich alles um Wassersport: Surfen, Schwimmen, Tauchen, Stand-up-Paddling. Mein Zugang zu diesen Themen erfolgt über das Hostel, aber die Partner, mit denen das GeekCo arbeitet sind tatsächlich gut (Pedro, der Surflehrer, hüpft jeden Tag im Garten rum; SupXscape waren die ersten Stand-up-Paddling-Anbieter in Portugal). Darüber hinaus bietet sich natürlich Fahrradfahren (Ebikes für die Faulen ;-)) an - und joggen am Strand (darauf achten, wann Ebbe ist). 

Kulturell gibt es in Peniche selbst relativ wenig zu tun. Aber das ist gar nicht negativ gemeint, weil das Städtchen an sich schon wunderschön ist. Das Fort ist einen Besuch wert. Besonders empfehlenswert ist ein Tagestrip nach Berlengas. Das ist ein Naturreservat eine Stunde mit dem Boot von Peniche. Am besten ist es, wenn man Schnorchelequipment mitnimmt. Im Umland gibt es noch Nazaré (im Winter die größten Wellen der Welt, ansonsten ein netter Küstenort mit einer riesigen Klippe in der Mitte) und Obidós (eine schöne Alststadt mit Burg und Kloster) in der Nähe. Vor allem letzteres ist interessant und nicht weit weg.

Auf jeden Fall Zeit nehmen sollte man sich für einen ausgedehnten Spaziergang auf den Klippen (wenn man in die Stadt hinein fährt rechts). Auch sollte man die verschiedenen Strände ausprobieren - zum Beispiel den "Insidertipp" Ferrel. Ich persönlich mag auch Supertubos/Molhe Leste gerne, da ist es in der Regel im Sommer sehr ruhig, auch was die Wellen angeht. Wenn es windig ist, ist das die bessere Wahl als der große Strand. Wer nachts mal im Baleal (Partymeile am anderen Ende der Bucht, siehe unten) unterwegs ist und Ebbe hat, wenn er heim will: zu Fuß am Strand entlang ist ei  Traum. Dauert etwa eine Stunde bis ins Bett.

P.S.: Heidi von meerdavon hat zu Peniche (und Lissabon) übrigens auch einen schönen Blogpost geschrieben.

Essen:

Es gibt natürlich wie immer für jeden Geldbeutel was. Direkt wenn man aus dem Hostel raus und nach links geht findet man an der Ecke das "Spazio". Das ist nix Besonderes, sondern eine klassisch portugiesische Bar, wo man Kleinigkeiten, Süßigkeiten und nen Kaffee bekommt. An Wochentagen kriegt man da mittags aber einen sehr ordentlichen Salat für rund 3,50 Euro und verschiedene Suppen für rund 1,50 Euro. Dazu solche Sachen wie "Tosta Mista" (Toast mit Käse und Schinken) oder Torrada (Toast mit Salzbutter).

Wenn man aus dem Hostel kommt um die Ecke gibt es den wahrscheinlich besten Döner (Duna Kebab) Portugals. Spezialität dort ist Lahmacun und die Knoblauchsoße macht süchtig.

Auch noch rund ums Hostel gibt es zwei Pizzerias (O Outro und Sr. Pizza). Die Pizzen sind ok, Nudeln eher nicht zu empfehlen. Außerdem findet man einen Sushi-Laden mit guter Qualität und einem günstigen All-you-can-eat-Angebot (sogar außer Haus). Mal ne Flasche Wasser oder ein Eis kann man auch in den vielen kleinen Bars kaufen - die Preise sind immer ok.


Der Blick vom Nau dos Corvos. Kann man lassen...
Ein bisschen netter essen kann man (für etwas mehr Geld) einmal in Peniche und dreimal im Baleal. In Peniche sollte man auf jeden Fall den Weg zum Nau dos Corvos auf sich nehmen. Dabei handelt es sich um ein Top-Restaurant (ohne dass es steif wirkt) oben auf der Klippe, dass vom Guide Michelin empfohlen wird und angibt, das westlichste Restaurant Europas zu sein. Auf jeden Fall aber sitzt es genau so, dass man den Sonnenuntergang durch die Panoramafenster bewundern kann, während man tolles Essen und gute Weine genießt. Das GeekCo hat eine Partnerschaft mit dem Laden, was einem gute Preise garantiert.

Eine meiner absoluten Lieblingsoptionen ist auch die Cantina de Ferrel; dort gibt es vermutlich mit das beste italienische Essen in Portugal, auf jeden Fall aber in einer der nettesten Atmosphären, was vor allem mit dem Personal zu tun hat. Auf jeden Fall reservieren, ist nämlich klein, aber sehr fein. Eher groß, dafür aber auch sehr lecker (und etwas teurer) ist das Restaurant in der Surfer's Lodge. Unbedingt den Couscous probieren - spektakulär! Reservierung nicht nötig in der Regel. Die dritte Option ist vom Essen her nicht so speziell, dafür aber von der Lage her toll und ein guter Start in eine Partynacht oder auch eine gute Idee für ein Mittagessen nach einem Strandspaziergang nach Baleal: 3House. Auch in den Läden nebendran findet man ordentliche Salate und Co, ist aber alles etwas teurer als in Peniche.

Ausgehen:

Im Ortsmittelpunkt von Peniche gibt es zwei, drei Läden nebeneinander, wo man einen Kaffee trinken oder ein Eis (leider sehr teuer) essen kann. Einfach am Dönerladen vorbei noch 200 Meter geradeaus. Geht man da noch 500 Meter weiter, man sieht den Hafen dann links, kommen ein paar Restaurants und zwei Bars (Java House und Tres As), wo man abends gemütlich was trinken kann. Auf jeden Fall lohnt sich danach ein Spaziergang zum Fort hoch - wenn man daran rechts vorbei geht, kommt man auf eine Aussichtsplattform, die nachts einen unglaublichen Blick liefert. Da ist es sehr ruhig - aber Vorsicht, unten sitzen Fischer ;-)

Wer richtig feiern will, muss nach Baleal. Dafür schließt man sich am besten einer Gruppe im Hostel an. Da werden vor allem am Mittwoch und am Wochenende schon einige losziehen. Geht allerdings erst gegen Mitternacht los, aber die Zeit vergisst man sowieso, wenn man mit den Füßen im Sand tanzt...

Dienstag, 15. September 2015

Gastbeitrag: Stefan George, der George-Kreis und die Parallelen zu heute

Robert E. Norton ist Associate Vice President for Academic Affairs and Research an der University of Notre Dame, Chicago. Er ist Germanist und Philosoph, hat in Deutschland an der FU Berlin und der Georg-August-Universität Göttingen studiert und später an der Karl-Ruprechts-Universität Heidelberg gelehrt und beschäftigt sich schon seit längerem wissenschaftlich mit Stefan George und und dem Geheimen Deutschland. Er ist außerdem Herausgeber von "The German Quarterly".

Ich habe Herrn Norton gefragt, ob ich diese Auszüge hier veröffentlichen darf, weil Stefan George und der Begriff des Geheimen Deutschland heute von der neuen Rechten genutzt werden, um ihren menschenfeindlichen Anliegen einen bürgerlichen Anstrich zu geben – worauf sogar etablierte Medien hereinfallen können. Nortons Warnungen decken sich mit den Beobachtungen, die in „Gefährliche Bürger“ dokumentiert sind.

[…] Rufen wir uns ins Gedächtnis zurück: Wir reden von einem Mann, der mit leidenschaftlicher Inbrunst die moderne Massengesellschaft und ihre Werte hasste – nein, seien wir konkreter: der die Menschen hasste, die diese Gesellschaft bildeten, die »Bürger«, die das Wilhelminische Reich zu einem Wohlstand brachten, der in Deutschland bis vor kurzem nicht wieder erreicht werden sollte; von dem Dichter in Zeiten der Wirren (George 1928: 35–41), der die »Mär von blut und von lust / mär von glut und von glanz: / Unserer kaiser gepräng / unserer kämpfer gedröhn« glühend besang; von dem charismatischen »Meister«, der junge, idealistische, oft brillante »Jünger« um sich scharte, die ihre Geistesgaben und proselytischen Energien bedingungslos in den Dienst des Dichters stellten; und schließlich von dem machtbewussten Führer des Geheimen Deutschland, dessen offizielles Zeichen die rundarmige Swastika war: Dieser Mann steht wieder mitten unter uns.

[…] Die Bundesrepublik Deutschland hatte keinen Platz für einen Dichter, der in seiner Person und seinem Denken nachgerade das Gegenteil all ihrer politischen Grundsätze darstellte. George hielt die Demokratie bestenfalls für einen Selbstbetrug und eine Illusion, eigentlich aber für eine verwerfliche Verleugnung der von der Natur vorgegebenen Rangordnung aller Lebewesen. Die Emanzipation der Frauen fand er ebenso lächerlich wie die der Männer; Gleichheit war ein mathematischer Begriff, nichts weiter; und Freiheit: Nun, man kann sich denken, was ein Mann von der »Freiheit« hielt, der meinte, dass das Beste, was die allermeisten Menschen tun könnten, wäre, sich einem ihnen wesensgemäß überlegenen »Herrn« zu unterwerfen und ihm ergeben zu gehorchen. »Herrschaft und Dienst«, »Gefolgschaft und Jüngertum« – das waren die politischen Losungen Georges und seines »Kreises« […].

[…] Ein halbes Jahrhundert lang war es fast so, als hätte es George nie gegeben. Und jetzt? Wie sollen wir seine »plötzliche Wiederkehr« verstehen? Fand während der Metamorphose von der Bonner zur Berliner Republik auch eine innere, gleichsam tektonische Verschiebung in der Selbstauffassung der Deutschen statt? Wurden durch die Wiedervereinigung kulturpolitische Freiräume für eine Rückbesinnung auf Aspekte der deutschen Vergangenheit geschaffen, die sich vorher einem unbefangenen Zugriff verweigerten? Oder gibt es andere, bedenklichere Gründe, warum George auf einmal wieder in aller Munde ist? Bröckelt der alte linksliberale Konsens unter den Intellektuellen des Landes, für die es ausgemacht war, wie George einzuordnen ist? Gibt es vielleicht neue Kräfte, die es müde sind, sich immer und immer wieder für die deutsche Vergangenheit schämen zu müssen und die deutsche Kultur und Geschichte auf die zwölf Jahre der Schreckensherrschaft eingeschränkt zu sehen? Ist inzwischen eine jüngere, selbstbewusste, unapologetische Generation herangewachsen, die sich unerschrocken, ja trotzig nach geeigneten Vorfahren und Legitimationsfiguren umschaut und in George einen würdigen, weil auch angemessen provokanten Ahnherrn erblickt? Ist Georges Comeback also nur geschichtlicher Zufall oder ist es in unterschwelliger Weise aktuell?

[…] Es war vor allem der im Mai 2009 verstorbene Philosoph Manfred Riedel, der in den letzten Jahren seines Lebens mehrere Arbeiten vorgelegt hatte, in denen er seinen Mitbürgern unverhohlen und allen Ernstes empfahl, sich George und seine Ideale aufs Banner zu schreiben. Riedel plädierte ausdrücklich dafür, die von George vertretenen Konzepte »als Maß und Korrektiv für die Moderne« zu aktualisieren, wie er es in den bereits 1998 veröffentlichten Freilichtgedanken. Nietzsches dichterische Welterfahrung formulierte. Noch expliziter wurde Riedel in zwei späteren Büchern – Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg sowie in dem posthum erschienenen Zwiegespräch mit Nietzsche und Goethe. Weimarische Klassik und klassische Moderne. In Letzterem gibt Riedel folgende Diagnose unserer Lage: »Die wachsende Verhässlichung der Umwelt durch die Technik, die Unterwerfung aller Dinge unter die Gesetze der Warenproduktion für einen Weltmarkt (was heute ›Globalisierung‹ heißt) und die damit verbundene Enteignung menschlichen Selbstseins lassen sich inzwischen in ihrer ganzen Tragweite erkennen an der Verflachung des Lebens, sichtbar an jedem Gerät, das der Mensch zu seiner Bequemlichkeit schuf, den Kleidern, die er anzog, den Häusern, die er bewohnte.« Das Heilmittel? Schon Hugo von Hofmannsthal, der von George heftigst Umworbene und auch nach gescheiterter Eroberung noch immer arg von ihm Bedrängte, hat es Riedel zufolge trotz seiner Liebesverweigerung unverrückbar gewusst: »Hofmannsthal hat nie aufgehört, George zu verehren […]. Er anerkannte, dass sich George fast allein der angebrochenen Kulturbarbarei mit Macht entgegenwarf und gegenüber dem vorherrschenden Individualismus die Würde geistigen Daseins wieder zu Ansehen und Geltung brachte.«

[…] Es war wiederum Adorno, der diesen anhaltenden Zug in Georges Schaffen und Persönlichkeit hellsichtig erkannte und dessen spätere Auswirkungen im realpolitischen Bereich unterstrich: »Wohl hat George, auf wechselnde Weise, den Gestus des Esoterischen praktiziert: erst den eines ästhetischen Anspruchs, der ausschloß, wer nicht, nach Georges Worten, fähig oder willens war, ein Dichtwerk als Gebilde zu begreifen; später den eines lose um seine Figur gruppierten, angeblich ein geheimes Deutschland verkörpernden, kulturell-politischen Erneuerungsbundes. Trotzdem hat er quantitativ erheblichen Gruppen des reaktionären deutschen Bürgertums vor Hitler aus der Seele gesprochen. Gerade der esoterische Ton, jenes narzißtisch sich abdichtende Wesen, das nach Freuds Theorie den politischen Führerfiguren ihre massenpsychologische Wirkung verleiht, trug dazu bei.«

[…] Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Die Behauptung, George habe mit der Politik nichts am Hut gehabt, entspricht einfach nicht den bekannten Tatsachen. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg spielten explizit politische Erwägungen eine maßgebliche Rolle im George-Kreis und bei George selber. […]George schwebte ein Staatsmodell vor, das dem, das 1933 verwirklicht wurde, mehr entsprach als irgendeine andere politische Form in Deutschland davor. Michael Landmann, der den Dichter persönlich kannte und in dem Schicksalsjahr zwanzig wurde, berichtete: George »verurteilte die Ausschreitungen, war abgestossen vom plebejisch Massenhaften der Bewegung, aber begrüsste doch die Veränderung als solche«. Im September 1933 äußerte er gegenüber Edith Landmann, der Mutter Michaels und der treuen Chronistin des Dichters, »es sei doch immerhin das erste Mal, dass Auffassungen, die er vertreten habe, ihm von aussen wiederklängen«.

[…] Einer, der Georges Zugehörigkeit zu bestimmten gegenwärtigen Strömungen bereits zu dessen Lebzei­ten sehr wohl wahrnahm, war der österreichische Germanist und Literaturhistoriker Oskar Benda. In seiner erstmals 1931 erschienenen Schrift Die Bildung des dritten Rei­ches, die als eine der ersten anti-nationalsozialistischen Kampfschriften überhaupt gilt, verortete Benda die ursprünglichen geistigen und ideologischen Vorprägungen des »Dritten Reiches« in dem so genannten »Dritten Humanismus«, der aus der angebli­chen »Wiedergeburt der humanistischen Bildungsidee« her­vorgegangen sei und deren maßgeblichste und einflussreichste Vertreter er in George und seinem Kreis sah. […] „Der Kreis um George hat zum ersten Mal in Europa den Gedanken der modernen Diktatur ›vergottet‹ und ›verleibt‹. Die ganze Ideologie des italienischen Faschismus klingt wie ein Echo der Stimmen aus dem heiligen Hain Georges; alle ihre Leitgedanken: die heldische ›Elite‹, die ›Hierarchie‹ und der ›korporative Rechtsstaat‹, sind hier vorgestaltet, und vorgestaltet ist hier zuvörderst auch die heldische Vision des Diktators, dessen geschichtliche Erscheinungsformen George unermüdlich besingt […].“

[…] Aber die politische Sprengkraft Georges, auch wenn sie von vielen seiner heutigen Interessenten nicht bemerkt oder herabgemindert wird, verjährt nicht und darf daher nicht ignoriert werden. Zu einer Zeit, in der ein Thilo Sarrazin (2010) totgeglaubte Borniertheiten über Rasse und die genetische Vererbung von kulturellen Werten millionenfach verkaufen kann – auch das hätte man vor einem Jahr nicht für möglich gehalten –, sollte man nicht glauben, dass man gegen die Skurrilitäten der finstersten Vergangenheit ohne weiteres gefeit sei. Ebenso sollte man keine Nachsicht zeigen gegenüber der kalkulierten oder auch nur gleichgültigen Verharmlosung einer der politisch geschicktesten und ambitioniertesten Figuren in Deutschland vor 1933. Nicht die Gefahr, dass eine ungewappnete Leserschaft von Georges Geist unwissentlich verführt werden könnte, ist zu befürchten, sondern vielmehr eine schleichende Akzeptanz seiner kleingeredeten oder gar verschwiegenen Radikalismen, die sich allmählich – wirksam beglaubigt durch hohe Auflagenzahlen und Literaturpreise – in deren institutionelle Verklärung verwandeln könnte, die der politischen Plausibilität seiner Anschauungen nur zugute kommen würde.

[…] Die neuen Bewunderer Georges spielen entweder arglos oder zynisch mit einer Flamme, um deren zerstörerische Wucht George selbst wohl wusste. Eins ist jeden­falls sicher: Nach langer Verbannung in der Wüstenei ist Stefan George in unseren Tagen zurückgekehrt. Ob er verweilt oder bald wieder geht, ist noch ungewiss, aber seine Gestalt steht vor der Tür. Doch gehört es zur praktischen Vorsicht, dass man vor Einlass in Erfahrung bringt, wen man zu sich ins Haus holt. Es könnte nämlich ein Brandstifter sein.



Der Text ist eine gekürzte Version eines Textes, der zunächst in „WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung“ unter dem Titel „Wozu George?“ erschienen ist. Detaillierte Quellenangaben wurden an dieser Stelle entfernt, sind aber im Original zu finden.

Dienstag, 8. September 2015

Zuschriften von Rechten - dekonstruiert

Ich bekomme in den letzten Wochen wieder vermehrt "Fanpost", der Grund dafür ist die Veröffentlichung von "Gefährliche Bürger" und die damit einhergehende Berichterstattung. Bisher sind die typischen (Mord-)Drohungen ausgeblieben, die ich aus der Vergangenheit kenne. Vermutlich sind die normalen Absender gerade damit beschäftigt, Flüchtlinge zu bedrohen. Zahlreich sind allerdings die Zuschriften "bürgerlicher" Absender, in der Form auf den ersten Blick gerne anständig, bei näherer Betrachtung aber irgendwo zwischen primitiv und dümmlich, verlogen und absurd. Ich habe mir nachfolgend einen typischen Fall herausgegriffen, anonymisiert und kommentiert. In Zukunft mehr davon...
verehrter herr giesa!
Die Erfahrung sagt: Je höflicher die Anrede, desto schlimmer danach die Beleidigungen... wir dürfen also gespannt sein.
wie die meisten ja-sager und vertreter des gutmenschentums, vertreten sie eine meinung,die mit nichts,aber auch mit gar nichts in den sanften strahl wahrhaftiger zusammenhänge zu rücken ist.
der sich aufschwingende widerstand,sie nennen ihn rechtsradikalismus,ist kein produkt einer sich aufschwingenden rechten bewegung,sondern einer von oben angeordneten volksverdummung und ignoranz,deren grundlagen und ziele eines,sich als intellektueller wähnenden mannes,der sie ja sein wollen,einleuchten müsste und der dann nicht solche halbwahrheiten verbreiten müsste.
Gleich im ersten Satz zwei Vokabeln des klassischen rechten Deppentums. Dicht gefolgt von der klaren Ansage, der Leserbriefschreiber sei im Besitz der absoluten Wahrheit. Die Kombination macht es dem Empfänger einfach, den Brief auch ohne weitere Lektüre in die Ablage P zu packen. Die Wahrscheinlichkeit nämlich, dass danach noch irgendetwas kommt, was auch nur im Ansatz intelligent zu nennen ist, liegt bei aufgerundeten null Prozent.

Der Kampf des Leserbriefschreibers gegen die deutsche Rechtschreibung und Zeichensetzung wird in diesem Falle von besonders schwülstiger Wortwahl zu verdecken versucht. Oder verstehe ich etwas falsch und der Absender ist auch in dieser Frage im Besitz der absoluten Wahrheit und ich habe es nur wieder nicht verstanden? Das Thema soll am Ende des Textes noch einmal aufgegriffen werden. Aus Gründen.
was haben sie wo gelernt,lieber herr giesa,dass ihnen das bewusstsein für die wahren zusammenhänge fehlt,nämlich dem gewollten chaos,dass die regierenden nicht nur tolerieren,sondern forcieren,um vom eigenen lobbyismus abzulenken?
wissen sie es nicht oder gehören sie zu den nutznießern?noch nichts gehört vom großkapital und dem kampf der reichen gegen die armen,den die reichen zu gewinnen gedenken?
In der Regel ist spätestens an dieser Stelle ein beliebiges antisemitisches Stereotyp einzusetzen. Der Verweis auf das "Ostküstenkapital" zum Beispiel. War der Autor nachlässig? Oder sollte es sich ausnahmsweise tatsächlich nicht um einen Antisemiten handeln? Wir werden es wohl nie erfahren... 
immer ist mir ein gast willkommen und jedes ressantiment gegen jedwelche völkische zugehörigkeit liegt mir fern,wenn ich weiß,dass der zu bewirtende mein haus wieder verlässt und ich mich auf den nächsten besuch freuen kann.
Ausländer sind gut, wenn sie Touristen sind. Wird gerne in Zusammenhang mit "Ich bin kein Nazi, aber..." und "Ich habe nichts gegen Ausländer, aber..." genutzt. Übrigens unter dem Begriff "Ethnopluralismus" ein klassisches Motiv der neuen Rechten. Und dass mir der Herr anlässlich eines Beitrags bei ttt - titel thesen temperamente schreibt, in dem ich genau vor diesem Konzept auch namentlich warne, ist schon bemerkenswert. Was denkt dieser Mensch eigentlich, was er bei mir erreichen kann? 
nur wer einfach kommt,rechtsstaatliche gesetzlichkeiten übergeht,um hier zu landen,in der sahnekammer-das gebe ich zu-rücksichtslos in anspruch nimmt,was man ihm gar nicht vorwerfen kann,wird er doch von ganz oben,wegen der genannten gründe hergejubelt-den kann ich nicht willkommen heißen.
Viel Text für ein Wort: Asylbetrüger. Welche rechtsstaalichen Gesetzlichkeiten Menschen übergehen, die sich hier um Asyl bemühen, selbst wenn sie danach abgelehnt werden? Keine Ahnung. Aber da versteht eben nur, wer aus dem Brunnen der Wahrheit getrunken hat. Und der steht gerade vermutlich irgendwo in Heidenau und ist nur Pack zugänglich.
80% des geldes liegt in den händen von weniger als zehn prozent der bevölkerung!!!und die werden nichts von sich abgeben,sondern das wenige verwässern,um den schlamassel aufrecht zu halten.
und wenn ich immer von angst der leute höre,die nur deshalb die asylanten ablehnen,weil sie,die armen und blöden zu wenig wissen,kommt mir das kotzen!
Typische Argumentation, wo sich neurechtes und altrechtes Ressentiment trifft. Ein bisschen Kapitalismuskritik, ein bisschen Verschwörungstheorie, ein bisschen Untergangsszenarien, ein bisschen gegen die da oben. Lässt man das laufen, steht am Ende die Dekonstruktion des westlichen Gesellschaftsmodells - und genau das ist das Ziel der rechten Hetzer
ich habe keine angst.
Da ist wenigstens mal jemand ungewollt ehrlich, denn sonst inszeniert man sich ja als "besorgter Bürger", fordert, dass die eigenen Ängste und Sorgen ernst genommen werden sollen und richtet sich so ganz wunderbar in einer Opferrolle ein, aus der heraus man vermeintlich legitim um sich schlagen darf.
ich will nur keine leute meine nachbarn nennen,die im geiste im mittelalter leben und die die mächtigen nur deshalb hier etablieren,damit sich das volk nie mehr zu einer homogenen masse vereinigt,die etwas ändern könnte.
Ethnopluralismus, siehe oben. Dazu "das Volk", gerne auch im ganzen Satz als "Wir sind das Volk" oder "Nur wir sind das Volk" gemeinsam gebrüllt. Hört sich harmlos an, ist aber brutaler Rassismus. Und der Absender des Briefes damit auch offiziell ein widerlicher Wicht. 
hören sie auf sich selbst und irgendjemanden etwas vorzumachen,denn so blöd wie sie glauben sind wir nicht!!!
Wichtig: mindestens drei Fragezeichen. Es fehlt: Wahlloses Groß- und Kleinschreiben von Wörtern. Und doch, so blöd seid Ihr. Und noch viel, viel mehr. Das ist tatsächlich die Wahrheit.
ein sprichwort der beduinen:komm zu besuch!du bist am ersten tag willkommen.du bist am zweiten tag willkommen, aber am dritten musst du gehen.
Hat die Islamisierung des Abendlands nun sogar die Gehirne der rechten Primitivbürger erreicht? Hätte es da nicht auch ein Zitat von Goethe, Schiller oder Heino gegeben? Oder liest der betont bürgerlich auftretende Briefeschreiber nur Kalendersprüche aus dem Sortiment des Kopp-Verlags?
das gutmenschentum wir deshalb zelebriert,damit man vorn als samariter dastehen kann,währenddessen man hinten die länder und völker ausbeutet.das,lieber herr giesa ist die ursache des schlamassels und es ist enttäuschend,dass sie das nicht erkennen(wollen?)
Schwacher Schluss. Habe ich schon besser gesehen.
mit freundlichen grüßen
XXX
dichter
Bitte was... Dichter??? Jetzt verstehe ich zumindest endlich, wen Pegida, AfD und Co meinen, wenn sie vorgeben, das Land der Dichter und Denker zu verteidigen. Es ist in einer offenen Gesellschaft wie der unseren durchaus erlaubt, sich auch eine komplett absurde Berufsbezeichnung zuzulegen. Der Herr lässt auf seiner Webseite übrigens wissen, dass er noch zwei weiteren Berufungen nachgeht... er ist nämlich nach eigenen Angaben Bestatter und Philosoph. 

Freitag, 4. September 2015

Gastbeitrag: Einheit unter der Lupe – Einblicke von außen

Markas Adeikis promoviert im Bereich Politikwissenschaft an der Universität Regensburg. Seit 2014 engagiert er sich für die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung. Ich konnte seinem Text spannende neue Aspekte entnehmen, weswegen ich diesen hier sehr gerne als Gastbeitrag veröffentliche.

Etwas geht schief in Ostdeutschland. Damit meine ich nicht die Tatsache, dass die Ostdeutschen weniger Autos besitzen oder dass sie weniger verdienen. Nicht mal der Fakt erschreckt mich, dass der Fußball – der deutsche Volkssport – hauptsächlich von westdeutschen Spitzenclubs präsentiert wird. Vielmehr beunruhigen mich die besonders niedrigen Werte der Demokratiezufriedenheit. Gerade auf die Demokratiestärke konnte die Bundesrepublik so lange stolz sein.

Vielleicht zeigt sich jetzt der typische mittelosteuropäische Kulturpessimismus, der für mich als gebürtigen Litauer auch in Ostdeutschland, das ja jahrzehntelang unter einem ähnlichen System litt, nicht unerwartet käme. Vielleicht kann man bei der Ost-West-Angleichung im vereinten Deutschland kein schnelleres Tempo erwarten. Manchmal wird den Ausländern der Deutungsanspruch über die deutsche Einheit abgesprochen, manchmal sind ihre Einblicke unentbehrlich, um der Eigenblindheit der Einheimischen vorzubeugen. Für einen Außenstehenden wie mich, der beide Landesteile nach der 25-jährigen Einheitsphase beobachtet, sind die Differenzen aber immer noch zu groß.

Meistens denken die Deutschen beider Landesteile gar nicht so unterschiedlich: Die Stimmungsschwankungen zu demokratischen Werten laufen im Osten oft parallel zu denen im Westen. In Werner Patzelts Studie zur Demokratiewahrnehmung in der Bundesrepublik erweist sich, dass die Demokratiezufriedenheit seit der Jahrtausendwende in ganz Deutschland sinkt, nur sind die Werte im Osten eben beträchtlich niedriger als im Westen. Und der Abstand scheint betrüblicherweise nicht zu schrumpfen. Im Jahr 2005 hielten sogar 41 Prozent ostdeutscher Bürger laut der besagten Studie die von der Demokratie abweichenden Herrschaftsformen für akzeptabel und sogar besser. Warum ist es so?

Erstens sollte die Herstellung der Einheit Deutschlands nicht als reine Selbstverständlichkeit angesehen werden. Ein paar diplomatische Ungereimtheiten bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen und andere Umstände in Europas Geopolitik hätten ausgereicht und beide deutschen Staaten hätten weiter als separate Subjekte bestanden. So müssen manche Völker wie die Zyprioten oder die Koreaner immer noch vergebens auf einen gemeinsamen Staat hoffen. Andere Ethnien wie die Kurden können nicht mal von einem selbstständigen Staat träumen. Deswegen sollte die Deutsche Einheit als ein gelungener Glücksfall betrachtet werden, der geholfen hat, das ganze Volk zusammenzubringen.

Die deutsche Wiedervereinigung erfolgte keineswegs als Akt zwischen Partnern auf Augenhöhe. Die DDR wurde aufgelöst und in die bereits bestehende Bundesrepublik in Form neuer Bundesländer eingegliedert. Für Ostdeutschland war die Wiedervereinigung so wichtig wie für andere mittelosteuropäische Staaten die Westöffnung. Die ehemalige DDR bekam sogar einen einzigartigen Entwicklungsvorsprung, denn kein anderes mittelosteuropäisches Land hatte die Möglichkeit, sich mit einem westeuropäischen Staat zu vereinen.

Leider konnten die neuen Bundesländer diesen Vorsprung bis jetzt kaum nutzen. Sie haben mehrere Reformen zwar umgesetzt, die Ost-West-Angleichung aber nicht vollbracht. In vielen Wirtschaftsbranchen, insbesondere in der Industrie ist und bleibt Ostdeutschland eine Dependenzökonomie. Nach der Wirtschaftskrise 2008 kam es sogar zu paradoxen Fällen, dass die ostdeutschen Arbeitskräfte oft im benachbarten Polen Jobs angenommen haben, weil das Land bessere Arbeitsbedingungen bot als die neuen Bundesländer selbst.

Die lange Zeitspanne der postsozialistischen Entwicklung – 25 Jahre – wird von der vorherigen, noch längeren, Kommunismusphase neutralisiert. Man kann kaum erwarten, dass man innerhalb von 25 Jahren das aufbaut, was mehr als 40 Jahre lang systematisch zerstört wurde. Als Zerstörung gilt auch die Errichtung eines ineffizienten, wettbewerbsunfähigen DDR-Systems, das die Nachwendereformen erschwerte und die so genannte Transformationskrise einleitete. Auf freiwilliger Basis existierte keine nennenswerte Verbändekultur und die Toleranz gegenüber Fremden wurde nie verankert.

Westdeutschland bleibt in diesem Fall auch nicht ohne Schuld: Die BRD-Politiker hätten im Osten rational durchgreifen müssen: Die Entkommunisierung der DDR hätte genauso besonnen umgesetzt werden müssen wie die Entnazifizierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Statt die DDR-Eliten ins Abseits zu drängen, hätte man mit den reformbereiten Funktionären kooperieren und sie mit mehr politischer und administrativer Verantwortung beauftragen müssen – unter der Voraussetzung, dass sie bedingungslos den neuen demokratischen und marktwirtschaftlichen Kurs des vereinten Deutschlands verfolgen. Die kurzsichtige Entmachtung der DDR-Eliten führte letztendlich dazu, dass wir heute außer Bundeskanzlerin Merkel keine nennenswerten ostdeutschen Spitzenpolitiker auf der Bundesebene haben.

Alle diese Probleme rütteln auch an den demokratischen Werten in Ostdeutschland. Man muss bitter feststellen, dass die Kernelemente der deutschen Demokratie – soziale Inklusion, starke Partizipationskultur, Toleranz gegenüber den Fremden, ein starker Rechtsstaat – hauptsächlich in Westdeutschland gelebt werden. Diese Ost-West-Divergenz existiert sowohl politisch als auch kulturell.

Auf politischer Ebene genießen links- und rechtsradikale Parteien (die Linke, die NPD, die AfD) in den neuen Bundesländern eine immense Popularität und selbst die moderaten Parteien schmettern dort häufiger populistische Parolen als im Westen. Laut dem Wahlforscher Anthony Downs häufen sich in polarisierten Gesellschaften die Wählerpräferenzen für extreme Parteien. Würde man Downs glauben, sollten die meisten Landtagswahlergebnisse im Osten von einer höchst zerstrittenen und gespaltenen Gesellschaft zeugen. Ostdeutschland bleibt ein experimentelles Laboratorium, in dem das links- und rechtsradikale Gedankengut mit politischer Apathie kombiniert wird. Die niedrige Wahlbeteiligung und die unterentwickelte Verbändekultur verstärken den Eindruck, dass sich Ostdeutschland mit dem neuen Staatssystem nicht abgefunden hat. 

Der Angleichungsprozess konnte auch kulturell nicht erzielt werden. Als die größten Globalisierungsverlierer haben die Ostdeutschen jede Multikulti-Erscheinung sowie die Einwanderung von Arbeitsmigranten oder Flüchtlingen mit Skepsis und Ablehnung empfangen. Die Angst vor Fremden und Unbekannten hat sich etabliert. Trotz des geringen Ausländeranteils in den neuen Bundesländern fühlt man sich dort am meisten von Ausländern bedroht. Die Fakten zeigen jedoch, dass eher Ausländer von Einheimischen bedroht werden: Gerade der Anteil der Angriffe auf Ausländer ist in Ostdeutschland beträchtlich. Im Jahr 2014 ist knapp die Hälfte von insgesamt 130 rassistischen Gewalttaten im bevölkerungsärmeren Osten registriert worden. Laut einer Aufstellung des Innenministeriums ist das ein Anstieg von 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nicht nur andere Nationen, sondern auch andere Religionen werden abgelehnt: Ausgerechnet im eher konfessionslosen Osten kämpft man gegen die Islamisierung der Kultur, was man eher in radikal christlichen Gemeinschaften erwarten könnte. 

Ich hatte die Möglichkeit, in sozialen Online-Netzwerken mit einigen PEGIDA-Anhängern persönlich zu diskutieren und bekam den ernüchternden Eindruck, dass diese Bewegung in erster Linie nicht durch wirtschaftliche Ängste oder Armut getrieben wird. Die meisten Angesprochenen, die eher zum wohlhabenden, aber reaktionären, Mittelstand gehörten, punkteten mit dem Totschlagargument, sie wollen mit fremden Kulturen nichts zu tun haben, denn diese gehören von vornherein nicht zu Deutschland. Diese Denkweise dämpft jede Kompromissbereitschaft und jedes Verständnis für PEGIDA.

Neben der düsteren Wirklichkeit wirkt auch die polarisiende Darstellung dieser Realität eher destruktiv auf den Ost-West-Dialog. Die hauptsächlich negative Berichterstattung über die sozialen Konflikte in Ostdeutschland kreiert das gängige Klischee eines „rückständigen Ossi“ und schüren somit unnötig die Selbstverzweiflung sowie eine Trotzreaktion gegen die „Besserwisser aus dem Westen“.

Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, muss der Bund mehr Verantwortung übernehmen. Staatsinterventionistische Lösungsvorschläge mögen denjenigen verschrecken, der an die Macht der Selbstheilung glaubt. So ganz ohne Hilfe des Staates kann das System aber nicht modernisiert und demokratisiert werden, das mithilfe eines übermächtigen Staates verzerrt und missbraucht wurde. Gemeint wird nicht nur die Reformierung der Wirtschaft. Auch im Kulturellen und Sozialen bedarf der Osten dringender Anreize: Der Bund sollte in den neuen Bundesländern eine Bildungsoffensive starten, die in erster Linie konsensdemokratische Werte verankert. Gerade das gemeinsame Demokratieverständnis sollte die wichtigste Bindung beider Deutschland werden. Lange galt nur die deutsche Sprache als der gemeinsame Nenner des Volkes, vielleicht noch die gemeinsame Geschichte vor dem Zweiten Weltkrieg. Diese Werte sind aber nicht hinreichend, um den Meinungspluralismus, den Rechtsstaat und die Freiheit des Individuums zu schützen. Und gerade diese Werte sind die Schlüsselbegriffe von heute. Vor allem darf man nicht zulassen, dass die autoritäre, isolationistische, antiglobale und gelegentlich auch nationalistische Denkweise in Ostdeutschland verankert wird und so zum Inbegriff der neuen Bundesländern wird.

Außerdem ist eine Ansteckung durch das Ost-Syndrom auch in Westdeutschland keineswegs ausgeschlossen. Xenophobe Kundgebungen und rassistische Anschläge in den neuen Bundesländern werden oft auch von westdeutschen Politikern für falsche Schlussfolgerungen aufgegriffen. Weltweit macht das keinen guten Eindruck. In den ausländischen Medien wurden die ausufernden PEGIDA-Aktionen meistens als ein Problem von Gesamtdeutschland betrachtet und nicht nur von einzelnen Bundesländern.

2010 wurde der Begriff „alternativlos“ als Unwort des Jahres gekürt. Und trotzdem sollte man auf dieses Wort zurückgreifen, wenn es um ein positives Demokratieverständnis in ganz Deutschland geht. Die Alternativlosigkeit der Demokratie muss sowohl des Ossis als auch den Wessis eingebläut werden, nur so ist die Angleichung beider deutscher Teile möglich. 

Ein tief verankertes Demokratieverständnis umfasst auch gleiche Chancen und gleiche Verantwortung für jeden. Deswegen sollten die genehmigten Flüchtlinge in alten und in neuen Bundesländern gleich verteilt werden. Im Rahmen einer effizienten Arbeitspolitik sollten die Zuwanderer im Westen wie im Osten eine arbeitsmarktorientierte Verwendung finden. Es ist nicht normal, dass die Zuwanderer im Osten oft bessere Bildungsabschlüsse als Einheimische haben und sich auf dem Arbeitsmarkt trotzdem nicht behaupten können. Wenn Ostdeutsche häufiger Ausländer hautnah erleben, sollten so auch langsam die negativen Vorurteile gegenüber den Einwanderern abgebaut werden. Positive Erfahrungen in migrantenreichen Gegenden haben die Tauglichkeit dieser Strategie schon oft bewiesen.

Die demokratischen Parteien sollten Strategien entwickeln, wie unterschiedliche Gesellschaftsschichten in den neuen Bundesländern ausgesöhnt werden sollten. Die Wähler, die die Nachfolgeparteien der sozialistischen SED präferieren, und diejenigen, die sich für die Parteien am rechten Rand entscheiden, haben meistens erstaunlich ähnliche soziale Probleme. Die Vertreter der politischen Mitte werden das Vertrauen der Ostdeutschen erst dann wieder zurückgewinnen, wenn tatsächlich auch wieder deren Basis angesprochen wird. Nicht mit den populistischen Parteien bei den Koalitionsverhandlungen sollte man sich zusammensetzen, sondern mit den apolitisch gewordenen Bürgern. Gerade diese Bürger bergen das Potenzial, Verbändestrukturen in Form von Gewerkschaften, Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen im Osten aufzubauen. Erst wenn sich die Ostdeutschen mehr mit dem bundesweiten und globalen Politikgeschehen beschäftigen, kann das Vertrauen in demokratische Institutionen neu gewonnen werden.

Manchmal braucht eine erfolgreiche Angleichung nicht nur konkrete inhaltliche Handlungen, sondern auch eine optimistische Propaganda. Eine konstruktive Kritik ist zwar immer unentbehrlich und rüttelt einen wach, aber der allgemeine Negativismus in den Medien erschwert jeden Dialogsversuch. Die Ostdeutschen müssen ihre Würde zurückgewinnen. In der Vergangenheit haben sie versucht, sich nicht die Standards der realsozialistischen Nachbarstaaten anzumaßen, sondern das Lebensniveau der Bürger Westdeutschlands. Den Menschen in den neuen Bundesländern muss vermittelt werden, dass sie im Vergleich zu anderen postkommunistischen Ländern beachtliche Erfolge erzielt haben. Im Gegenzug müssen Deutsche beider Landesteile auch verstehen, dass für die Angleichung die wertorientierten Kompromisse nötig sind. Während sich die Wessis mit den gleichheitsorientierten sozialstaatlichen Reformen anfreunden sollten, müssten sich die Ossis schrittweise, aber eindeutig, zu mehr Freiheit und Eigenverantwortung bekennen. Ohne eine entsprechende Bildungsinitiative seitens des Bundes wird diese Aufgabe aber schwer zu lösen.

25 Jahre nach der Wiedervereinigung sollte jeder Deutsche einsehen, dass die Einheit kein Projekt der Eliten, kein Sieg der Kapitalisten, sondern die erfreuliche Errungenschaft von jedem Deutschen ist. Diese Einheit ist mit der Weltoffenheit, der Toleranz und den Menschenrechten vereinbar und in jedem Bundesland als Hilfsmittel zum besseren Leben wahrnehmbar. Dass Ostdeutschland noch eine längere Zeit anders als der westliche Landesteil bleibt, ist ersichtlich. Darüber sollte man sich aber nicht aufregen – selbst ein Außenstehender wird das verstehen. Im Mittelpunkt sollte vielmehr die beiderseitige Dialogbereitschaft stehen.

Für Nachfragen und Anregungen ist Markas per Mail erreichbar.

Donnerstag, 3. September 2015

Warum Liberale niemals rechts blinken dürfen

Christian Lindner geißelt ihn schon seit einiger Zeit: den westlichen Selbsthass, der dafür sorgt, dass die Abneigung gegen alles, was die USA, Europa, aber auch Israel an Produkten oder Gedanken, Politik oder Werten entwickeln solch absurde Züge annimmt, dass am Ende der russische Autokrat Wladimir Putin als Heilsbringer dasteht. Nun könnte man meinen, dass Liberale nicht Gefahr laufen, diesem Virus zu erliegen. Doch so eindeutig fällt die Antwort leider nicht aus, wie gleich mehrere Indikatoren zeigen.

Es war zunächst Michael Miersch, einer der Gründer des einstmals liberal-konservativen Blogs „Achse des Guten“, der Alarm schlug: „Der kulturpessimistische, anti-westliche, national-konservative Gegenpol zur Achse wurde damals von Publizisten wie Konrad Adam und Alexander Gauland repräsentiert, die heute zur Führungsriege der AfD zählen“, berichtet er. Um dann ernüchtert festzustellen: „Beide Herren sind ihrer Weltanschauung treu geblieben und haben damit in jüngster Zeit viel Zulauf gewonnen. Ihr Erfolg geht leider so weit, dass sogar Achse-Autoren diese Partei und ähnlich gestrickte Protestbewegungen wie Pegida verteidigen.“ 

Miersch stellt mit Blick auf die steigenden Besucherzahlen des Portals resigniert fest: „Wutjournalismus hat eine weitaus größere Leserschaft als Nachdenklichkeit.“ Dass er dennoch nicht aufhören wird, für seine Weltsicht zu kämpfen, zeigt sich daran, dass er seinen Frust mit klaren politischen Statements verbindet. So schreibt er: „Menschen nach Herkunft zu beurteilen, finde ich boshaft. Sippenhaft ist absolut inakzeptabel“ und macht damit klar, dass er genau das bei der „Achse des Guten“ beobachtet. „Liberal“, das macht Miersch deutlich, könne sich das Blog erst wieder nennen, wenn es sich von einer großen Zahl seiner Autoren getrennt hat. 

Auch Äußerungen über „monokulturellen Dünkel“, absurde Behauptungen wie „die EU ähnele immer mehr der UdSSR und der Euro sei die schlimmste Destruktion seit dem Zweiten Weltkrieg“ oder Ansichten wie die, „dass das heutige Deutschland dekadent“ sei, keinen Platz mehr hätten, erteilt Miersch eine Absage. Derzeit finde man auf der „Achse“ jedoch von der wirren Theorie, dass „sexuelle oder andere Abweichungen von der Norm Verfallserscheinungen sind“, bis hin zur verlogenen „Idealisierung der christlichen Familie als Keimzelle der Nation“ vieles, was das neurechte Herz begehre. Miersch, der Klimaskeptiker und Jäger, der sich bis heute mit den typischen Großstadtgrünen anlegt, beendet seine Abrechnung mit dem für ihn schärfstmöglichen Fazit. Ihn störe besonders der apokalyptische Ton, den er an den „Öko-Predigern immer kritisiert“ habe: „Die aufgeregten Warnrufe vor der EU, dem Euro, der Migration, dem Untergang des Abendlandes klingen ganz genauso wie die Klimakassandras.“ Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufügen.

Nun könnte man meinen, Miersch wäre ein einsamer Rufer in der Wüste, der vielleicht ohne es zu merken nach links gerutscht ist. Doch wie passt dazu der Artikel von Karen Horn, als Vorsitzende der Hayek-Gesellschaft ebenfalls gänzlich unverdächtig, einen linksliberalen oder gar linken Freiheitsbegriff zu pflegen? In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 17. Mai 2015 schlug sie mit deutlichen Worten Alarm: Man habe – gewöhnt, „dass die Angriffe auf die Freiheit seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem von der linken Seite des politischen Spektrums kamen“ – den Fehler gemacht, und „die rechte Gefahr nicht erkannt“, konstatiert sie. Und sie fragt zu Recht: „Wo nur kommt der Brass auf Ausländer in den eigenen Reihen her? Das Schönreden von Diskriminierung? Die Ausfälligkeiten gegenüber Gleichstellung, Inklusion und Integration? Die Sticheleien gegen Homosexuelle? Das Gerede von der „natürlichen Bestimmung der Frau“? Die schrillen Aufrufe zur „Re-Evangelisierung des Abendlandes“, von der das Überleben der Zivilisation abhänge?“ 

Als Liberalen schüttelt es bei dieser Aufzählung – und es ist klar, dass man bei der Suche nach politischen Figuren, die diese Werte teilen, weit außerhalb des freiheitlichen Spektrums landet. Zum Beispiel in Putins Russland. Dass dort Glühbirnen nicht verboten sind und für Freunde des Präsidenten die wirtschaftlichen Freiheiten quasi unendlich sind – für alle anderen allerdings gilt das Gegenteil – reicht einigen selbsternannten Liberalen schon, Russland zu einem Hort der Freiheit umzudeuten. Dass Putin autoritär herrscht, die Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen tritt, sich völkerrechtswidrig am Territorium seines Nachbarn bedient und dessen „Anti-Terror-Kampf“ inzwischen ein Fünftel (!) der gesamten tschetschenischen Bevölkerung das Leben gekostet hat, schiebt man da gerne zur Seite.

Das lässt sich im besten Falle absurd nennen. Im schlimmsten Fall steckt dahinter allerdings eine bewusste Strategie, nämlich die, sich beim Kampf gegen echte gesellschaftliche Liberalität an die Stelle alt- und neurechter Protagonisten zu stellen, in denen man Verbündete gefunden zu glauben scheint. Wer die Schärfe und Brutalität beobachtet, mit der die amerikanische Tea Party-Bewegung den demokratischen Diskurs zu dominieren versucht, weiß, in welche Richtung sich die Auseinandersetzung auch hierzulande entwickeln wird. Und dass dabei jeder Juli und jeder Freidemokrat immer automatisch auf der richtigen Seite der Debatte stehen werden, ist alles andere als sicher. 

Das zeigt sich schon mit Blick auf wie Hayek-Gesellschaft, wo auch FDP-Mitglieder – unter ihnen Frank Schäffler – neben Rechtsauslegern von der AfD und der Jungen Freiheit den Angriff auf die Vorsitzende Horn unterzeichnet haben, in dem dieser unter anderem „Verunglimpfung und Denunziation“ und ein „einseitiges und verengtes Liberalismusverständnis“ vorgeworfen wird. Auch das einstmals im liberalen Umfeld gegründete Magazin „eigentümlich frei“ und insbesondere dessen Gründer André Lichtschlag ist schon seit Jahren kontinuierlich auf dem Weg nach rechtsaußen – und ist sich dabei noch nicht einmal zu fein, mit der neurechten „Sezession“ um Götz Kubitschek ins Gespräch zu kommen, der selbst der AfD zu rechts war. 

„Was da am rechten Rand wächst, hat den Namen Liberalismus nicht verdient“, hat Karen Horn treffend formuliert. Die Erkenntnis alleine reicht aber nicht. Es sind alle Liberalen aufgerufen, sich dem von einem ungesunden antiwestlichen Impuls unterstützten massiven Rechtsruck entgegenzustellen. Autoritäres Denken und Diskriminierung sind mit Liberalismus niemals vereinbar.

Dieser Text ist zunächst in "jung+liberal", dem Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen (Ausgabe 02/2015) erschienen.

Freitag, 28. August 2015

"Gefährliche Büger" - Die erste Woche voller Hass

Nun ist die erste Arbeitswoche nach der Veröffentlichung von "Gefährliche Bürger - Die neue Rechte greift nach der Mitte", meinem dritten Buch nach "New Business Order" und "Deutschland dreht durch" im Hanser-Verlag fast vorbei. Und es ist eine Menge passiert. Dazu ein paar Worte.

Ich gebe zu, ich musste in den letzten Tagen mehr als einmal kräftig schlucken. Denn auch wenn es die These des Buches im Kern bestätigt, ist es doch brutal, mit anzusehen, wie die gefährlichen Bürger am Wochenende in Heidenau ebenso wie in der Debatte seitdem ihr wahres, brandgefährliches Gesicht gezeigt haben. Das Fußvolk versucht Asylbewerber zu lynchen (zumindest die, die nicht vorher irgendwelchen Schleppern im Mittelmeer oder auf der Autobahn zum Opfer gefallen sind). Und die in Nadelstreifen, wie der im Buch ausführlich thematisierte AfD-Mann Alexander Gauland, bereiten mit unerträglicher Hetze den Teppich dafür. "Die Täter können sich künftig bei ihren Verbrechen auf den feinen Herrn im feinen Zwirn berufen. Gauland hat geistig endgültig die Springerstiefel angezogen", formuliert Michael Spreng treffend. Und ich staune im Rückblick immer noch, dass es Leute gab, die mir noch vor drei Monaten erzählen wollten, die AfD sei keine rechtsradikale Partei.

Nicht nur Gauland hat sich in der Zwischenzeit zu Wort gemeldet; auch einige der anderen Protagonisten des Buches haben sich seit Redaktionsschluss öffentlich geäußert. Michael Klonovsky etwa, Chefautor des Focus, der neben seinem Job noch Zeit findet, menschenfeindliche Aphorismen-Bändchen zu schreiben (Auszüge habe ich hier und hier öffentlich gemacht) und einen Blog zu füllen, hat sich in Letzterem nun auch den Begriff der "Lügenpresse" zu eigen gemacht. Noch einmal: Der Chefautor. Des Focus. Kommst Du nicht drauf, selbst wenn Du zugekokster Drehbuchschreiber bist. Aber es scheint für Klonovsky kein Problem zu sein, zwei Leben in einem zu führen - auch wenn die beiden Leben sich fundamental widersprechen. Da stört man sich dann auch nicht mehr an Straflagern, dauernden Menschenrechtsverletzungen mit hunderttausenden Toten in Tschetschenien und der brutalen Diskriminierung von Minderheiten in Russland, das Klonovsky als Hort der Freiheit sieht, weil man dort noch Glühbirnen und Mentholzigaretten bekommt und keine Windräder gebaut werden. Wie ich darauf komme: Weil mir das jemand in einer Diskussion zum Buch auf die Pinnwand gepackt hat. Weil wie schon gesagt: Sonst kommst Du da nicht drauf...

Natürlich hat sich Klonovsky in der Zwischenzeit auch zum Islam geäußert. Wie sollte es auch anders sein für einen Islamhasser. Dabei zitiert er (natürlich in eigentümlich frei, dem Magazin, das eine maßgebliche Plattform für die Vernetzung des libertären und des neurechten Milieus ist) das Gatestone-Institut, das gerne einmal den niederländischen Rechtsextremen Geert Wilders hofiert und dessen Chefin vom jüdischen Journalisten Max Blumenthal als "Sugar Mama of Anti-Muslim Hate" bezeichnet wird. Aber damit bleibt Klonovsky weit hinter seinem Buddy Alexander Kissler, Feuilletonchef des Cicero, zurück, der gleichzeitig mit "Gefährliche Bürger" am Montag ein ganzes Buch vorgelegt hat, das das Vorgehen der Islamhasser, derjenigen, die gemeinsam mit den Islamisten unsere pluralistische Gesellschaftsordnung angreifen, bestens illustriert. Kisslers Buch ist gespickt mit neurechtem Vokabular und trägt den irreführenden Titel "Keine Toleranz den Intoleranten: Warum der Westen seine Werte verteidigen muss". Dass der Angriff auf die westlichen Werte allerdings nicht nur von islamistischer Seite erfolgt, sondern gerade auch von rechts, spielt bei Kissler keine Rolle. Nicht, weil Kissler es nicht sieht, sondern weil er es nicht sehen will, würde er doch damit das Umfeld, in dem er sich selbst bewegt, angreifen.

Dass Kissler sich noch dazu bemüßigt fühlte, dem Hanser-Verlag (der Verlag, bei dem der aktuelle Nobelpreisträger unter Vertrag ist) zu unterstellen, er habe bei "Gefährliche Bürger" auf das Lektorat verzichtet, ist natürlich böswillig, vor allem aber erbärmlich. Und es lässt zweifeln, ob jemand, der offensichtlich nicht einmal Hanser richtig einwerten kann, als Feuilletonchef von wem auch immer geeignet ist. In seinem Windschatten segelten dann gleich noch andere windige Gestalten, die unter anderem zur Verbrennung von "Gefährliche Bürger" aufriefen - kennt man ja von Faschisten jeglicher Couleur. Auf dem Islamhasser-Blog PI-News (wird hier nicht verlinkt, dürfte aber bekannt sein) wurde dazu aufgerufen, die Amazon-Seite des Buches mit Negativbewertungen zu fluten. Dabei sind die rechtsextremen Idioten noch nicht einmal in der Lage, dort ihr menschenfeindliches Weltbild zu verstecken und werfen mit den bekannten Szenevokabeln um sich. Besonders lustig ist allerdings, dass gleich mehrere "Rezensenten" ihren Text mit "Mein Nachbar gab mir das Buch..." bzw. "Habe das Buch von einem Bekannten geliehen..." beginnen. Sehr realistisch am ersten Tag nach dem Erscheinen. Kann man wirklich so dumm sein?

Das Gute bisher: Morddrohungen sind - im Gegensatz zur Vergangenheit - ausgeblieben. Da hilft vermutlich auch, dass schon einige rechte Hetzer in den letzten Tagen und Wochen ihre Jobs verloren haben auf strafrechtliche relevante Äußerungen hin. Die Entwicklungen und Reaktionen zeigen allerdings eines ganz deutlich: Das Thema ist so relevant wie nie. Die jede Nacht brennenden Flüchtlingsunterkünfte sind keine Zufälle oder spontane Reaktionen, sondern das Ergebnis von kontinuierlichen und gut orchestrierten Angriffen von rechts. Um die Hintergründe, um die Hintermänner, um Ziele und Strategien geht es in "Gefährliche Bürger". Und ich werde auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht aufhören, die Zusammenhänge zu erklären und Namen zu nennen. Im Namen der Aufklärung. Weil die westlichen Werte nicht nur an einer Front verteidigt werden.

+++

Wer sich selbst ein Bild machen will: hier und hier gibt es eine Leseprobe. Außerdem hat NDR Info das Buch rezensiert und ich habe mit dem Deutschlandradio und radioeins gesprochen.

Auch einige Blogger haben sich mit "Gefährliche Bürger" auseinandergesetzt, etwa hier, hier, hier und hier

Mittwoch, 19. August 2015

Jürgen Todenhöfer - Neuer Rechter oder Friedensaktivist?

Auf besonderen Wunsch des liberalen Menschenrechtsaktivisten Tobias Huch und mit freundlicher Genehmigung des Hanser-Verlags hier ein kurzer Auszug aus meinem neuen Buch "Gefährliche Bürger - Die neue Rechte greift nach der Mitte" mit Focus auf das Facebook-Phänomen Jürgen Todenhöfer. Besonders seine Verharmlosung rechtsextremen Gedankenguts von 1989 klingt so wie das, was man heute von all jenen hört, die sich insgeheim über jeden Anschlag auf ein Flüchtlingsheim freuen.

Auszug von den Seiten 111 bis 113:

Die sozialen Medien haben ein weiteres Phänomen hervorgebracht, das man hinsichtlich seiner Bedeutung für die neurechte Szene nicht unterschätzen sollte: Einzelpersonen mit einem gewissen Bekanntheitsgrad, die über Facebook und Co. eine riesige Reichweite entwickeln. Ein solches Beispiel ist Jürgen Todenhöfer, den man nach einem Blick auf seinen Facebook-Account, dem inzwischen rund 400 000 Menschen folgen, für einen linken Friedensaktivisten halten könnte. Tatsächlich war er von 1972 bis 1990 CDU-Bundestagsabgeordneter. Ein Blick auf seine damaligen Aussagen, namentlich auf diejenigen aus seinem 1989 erschienenen Buch Ich denkedeutsch – Eine Abrechnung mit dem Zeitgeist, rückt seine heutige Tätigkeit in ein anderes Bild. Damals noch Posterboy des rechten Rands der CDU, schrieb er im Vorwort großspurig: »Der Bürger will wissen, wo es lang geht. Ich sage, wo es lang geht.« Und das tat er dann auch. 

»Wenn Rotgrün nach Bonn kommt, geht die Demokratie«, orakelte er, wohingegen sich das Programm der Republikaner »keineswegs als ›Fahrplan des Faschismus‹ (taz)« erweise, sondern »demonstrativ auf dem demokratischen Parlamentarismus« fuße. Darüber hinaus war Todenhöfer davon überzeugt, es gebe »keine Ausländerfeindlichkeit als Grundströmung in der Bundesrepublik«, daher seien die Republikaner auch keine besondere Gefahr, zumindest keine, die größer sei als Rot-Grün. Vielmehr bestehe das Problem darin, dass die »drei großen A’s – Asylanten, Ausländer, Aussiedler« – so lange durcheinandergemischt würden, »bis niemand mehr weiß, was mit Ausländerhass eigentlich gemeint ist«, was nicht akzeptabel sei in einem Land, »das bis unter den Dachfirst überfüllt ist«. 

Vor diesem Hintergrund klingt Todenhöfers nächste Erkenntnis fast zwangsläufig: »Nicht Neonazis, sondern linke Terroristen« seien es, die die Axt an die bundesdeutsche Realität legten, denn: »Der rote Mob marschiert – nirgendwo  eine braune Front. […] Es sind nicht die erfundenen Neonazis, die diese Republik gefährden.« Keine zwei Jahre später wurde die geeinte Bundesrepublik von einer Serie tödlicher, menschenverachtender rechtsextremistischer Anschläge heimgesucht. 

Seit einiger Zeit nun schreibt Todenhöfer Bücher mit Titeln wie Mein Traum vom Frieden und wirbt für einen Dialog mit dem früheren KGB-Agenten Putin, der heute russischer Präsident ist. Ist der »Friedensträumer« also nach links gerückt? Keineswegs: Der CDU-Rechtsaußen Todenhöfer hat sich über die Zeit gewissermaßen im Gleichschritt mit jener Szene entwickelt, die sich eine neue Form von rechtem Denken wünscht, geprägt von Abneigung gegen das westliche Lebensgefühl, von Sympathie für autoritäre Lösungen, und die für eine möglichst neutrale Stellung Deutschlands wirbt, sozusagen als Insel der Seligen in einer unaufgeräumten Welt. Nein, man ist weder Nazi noch Antisemit, weder Amerikahasser noch Putin-Fan – aber: »Man wird ja wohl noch sagen dürfen …« Mit seiner Mischung aus Welterklärung, Amerika-, Nato- und Israelkritik und Russlandsympathie gelingt es Todenhöfer, die breite Mitte zu erreichen. Selbst für Terroristen bringt er Verständnis auf. In Gerickes Sendung auf RT etwa konnte er unwidersprochen sein Mitleid mit IS-Kämpfern ausdrücken, die erst durch die amerikanische Politik zu Terroristen geworden seien. Bei Jürgen Todenhöfer wirken Erklärungen wie Lösungen immer einfach. Und schuld ist immer der Westen.

Mehr zu den Hintergründen der neuen Rechten, zu ihren Strategien und Protagonisten im Buch - ab Montag, 24. August 2015 überall im Buchhandel erhältlich. Wer Tobias Huchs Initiative für Kurdistan unterstützen will, findet alle Infos hier. Mit einer 5 Euro teuren SMS mit dem Inhalt KURDISTAN an die 81190 gehen 50 Flaschen Trinkwasser an Flüchtlinge in der Region.

Samstag, 13. Juni 2015

Lyrik auf Hunsrückerisch - Bouchfink em Dietze

Bouchfink em Dietze, dou sengst jo so scheen,
herrlich, wenn ma die zouhört.
Saa' mol, wer hot dejch die schmetternde Teen,
Bouchfink em Dietze gelehrt.

Bouchfink em Dietze, ejch höre dejch so gär'
bont on prächtig, dou schillerscht.
Dej Wejbche, dat hipst voll Stolz on voll Frejd,
em Baam erom, wenn dou trillerscht.

Bouchfink em Dietze, ejch höre dejch so gär'
dou Sänger en Gottes Natur.
Ejch könnt' ma net denke, daß Frejling wär,
ohne dejch, em Wald drouss, on Flur.

Bochfink em Dietze, hosts besser wie mir,
kennst nejcht von Lääd on von Sorje.
Sengst us dej uralt Liedche vor,
on denkst net hejt schon an morje.

Bouchfink em Dietze, seng wejra nor zou.
Tjeasche, so lieb on so klään.
Seng nor, vorbej es da Frejling em Nou,
seng' Bouchfink, so scheen on so rään.

Vom Idar-Obersteiner Heimatdichter Emil Erwin Schmiedel, gefunden in dessen Buch "Götter, Edelsteine und Dämonen" von 1967.

Freitag, 13. März 2015

Schnelles Geld - Mein Pseudonym und ich

Es gibt Fragen, die einem als Autor immer wieder gestellt werden: Kann man davon leben? Kommt drauf an. Was machst Du an einem Tag ohne Inspiration? Was anderes. Wie kommt man an einen Verlagsvertrag? In der Regel nur über eine gute Agentur. Bei mir kommt seit einiger Zeit eine weitere Frage hinzu: Warum schreibst Du einen Teil Deiner Bücher unter Pseudonym? Nachdem gestern mein zweites Buch unter Pseudonym erschienen ist, will ich meine Gedanken dazu einmal verschriftlichen.

Vor dem Hintergrund, dass nun schon der oder die eine oder andere versucht hat, mir daraus irgendeinen Strick zu drehen, will ich ein wenig ausholen, ist die Geschichte des Pseudonyms offensichtlich eine Geschichte voller Missverständnisse. Es gibt ungefähr eine Million Gründe, sich ein Pseudonym zuzulegen. Manchmal braucht man einfach einen klingenden Künstlernamen. Max Mustermann hat noch selten eine goldene Schalplatte gewonnen. Manchmal geht es auch darum, Nachteile zu vermeiden. Erich Kästner etwa nutzte dafür gleich mehrere Pseudonyme, etwa Berthold Bürger. Und in der Vergangenheit schrieben immer wieder Frauen unter Männernamen, weil sie sich davon mehr Erfolg versprachen. Manchmal haben die Autoren auch einfach Spaß am Verwirrspiel. Immerhin tauchen Pseudonyme zumeist im Kunstumfeld auf, da gehört das dann zur Inszenierung. 

Peter Bieri hat mit seinem Pseudonym "Pascal Mercier", unter dem er unter anderem den Bestseller "Nachtzug nach Lissabon" geschrieben hat, etwa dafür gesorgt, dass sich Feuilletonisten damit auseinandersetzten, wie der Name wohl entstanden ist. Für den Philosophen Bieri dürfte es ein großer Spaß sein, die Mutmaßungen zu verfolgen - und dazu zu schweigen. Irgendwann hat er dann zugegeben, mit dem Schreiben unter Pseudonym begonnen zu haben, weil er sich seiner selbst als Schriftsteller noch nicht so recht sicher war. Drehen wir diese Begründung einmal um und lesen sie vor dem Hintergrund, dass Bieri als Hochschullehrer schon zuvor eine halböffentliche Person war und seinen Studenten gegenüber auf eine gewisse Autorität achten musste: Hätte er wohl begonnen, Romane zu schreiben, wenn hätte damit rechnen müssen, mit seinem eigenen Namen für nicht gelungene Experimente auch gegenüber seinem professionellen Umfeld gerade stehen zu müssen?

Dass ich ein Pseudonym nutze, hat allerdings andere Gründe. Mein echter Name ist verbunden mit gewissen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Überzeugungen. Das wollte ich auch nicht anders. Gerade in politischen Fragen muss man in der Demokratie aus meiner Sicht mit seinem vollen Namen einstehen. Ich würde daher auch nie ein Pseudonym in Onlinedebatten nutzen.Und ich stehe zu meinen Überzeugungen, zu meiner Meinung, auch zu meinen Prognosen, wissend, dass ich mich diesen auch stellen muss, wenn ich damit falsch liege. Denn wer liegt schon immer richtig? 

Darüber hinaus habe ich aber auch noch ein Leben jenseits politischer Gedanken und Debatten. Ein Leben, in dem Platz für alles ist, was mich interessiert; und das ist eine ganze Menge. Für mich steht weder meine Begeisterung für Tennis, Fußball, Basketball oder auch Thaiboxen in Verbindung mit meinem politischen und gesellschaftlichem Engagement, noch mein Interesse am lusofonen Sprachraum oder die Aufarbeitung der Geschichte meiner Heimatstadt Idar-Oberstein. Und auch wenn ich abends eine Runde Poker spiele oder auf einen Sieg meines 1. FC Nürnberg wette, hat das mit meiner politischen Persönlichkeit nichts zu tun. Daher habe ich mich schon früh entschieden, meine schriftstellerische Tätigkeit jenseits von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unter Pseudonym zu betreiben. 

Das war übrigens nie ein großes Geheimnis, das manche jetzt meinten, mit investigativen Fähigkeiten gelüftet zu haben. Einmal fragen hätte genügt, zumal ich ja auch "Bad Boy", die Autobiografie von Zidov Akuma, auch schon unter diesem Pseudonym mitverantwortet und dieses auch beworben habe. Und dass es sich bei meinem Pseudonym gar gezielt um einen jüdischen Namen handeln würde, mit dem ich irgendetwas Antisemitisches bezwecken wolle, ist natürlich auch totaler Quatsch. Zunächst, weil Weilerberg überhaupt kein jüdischer Name ist. Einmal googlen hilft. Und außerdem, weil er sich aus drei ganz banalen Dingen herleitet: David, weil David Hasselhoff mein Jugendidol war (ja, ich stehe dazu); Weiler, weil ich im schönen Dorf KischWEILER aufgewachsen bin; und Berg, weil ich in NürnBERG geboren bin.

Nun, da das geklärt ist, wünsche ich allen Interessierten viel Spaß bei der Lektüre von "Schnelles Geld".


Zuvor erschienen:

Elite im Hamsterrad - Bürger. Macht. Politik (mit einem Vorwort von Joachim Gauck) - Bad Boy (mit Zidov Akuma und Florian Pauly) - New Business Order (mit Lena Schiller Clausen) - Deutschland dreht durch (mit Liane Bednarz)


Samstag, 7. März 2015

Schnelles Geld - Auf nach Brasilien

Im Rahmen der Recherchen für "Schnelles Geld" sprach ich nicht nur mit einer Menge spannender Menschen, sondern probierte auch selbst das eine oder andere aus. Ziemlich intensiv waren beispielsweise die Monate, in denen ich versuchte, das Leben eines professionellen Pokerspielers zu leben. So viel sei an dieser Stelle verraten: Das ist wirklich nichts für jedermann. Aber ich habe eine ganze Menge über mich selbst gelernt und auch eine ganze Menge erlebt.

Letzteres gilt ganz besonders auch für die Recherchen in Brasilien, und zwar weit ab vom Schuss in den Edelsteinminen von Minas Gerais und Bahia. Dort herrschen noch ganz andere Regeln als in den Großstädten, die man auch als Tourist kennenlernt. Und es gab durchaus immer wieder Momente, in denen ich schlucken musste, weil es doch ganz schön gefährlich werden kann, sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Mine. 50 Meter ohne Sicherung senkrecht in die Tiefe, an einem morschen Seil, das von einem zahnlosen Typen auf einer selbstgebastelten Seilwinde bedient wird? Check. Hantieren mit selbstgebasteltem Sprengstoff? Check. Mit dem Auto in einer Steigung hängenbleiben, wo in der Woche zuvor Autos mit Maschinengewehren überfallen wurden? Check. Hoffentlich liest meine Mama das gerade nicht...

Gemeinsam mit meinem Partner Florian habe ich am Ende tatsächlich zwei Smaragde gekauft. Einen davon haben wir vor Ort schleifen lassen, einen haben wir mitgenommen und in Idar-Oberstein begutachten lassen. Die Wertsteigerung war zumindest im ersten Fall enorm. Mehr dazu dann im Buch. Wer aber schon ein wenig zum Trip allgemein lesen will: Ich habe hier, hier und hier schon einmal darüber geschrieben. Viel Spaß.


Morgen gibt es an dieser Stelle Teil III zur Schatzsuche in deutschen Wäldern.







Zuvor erschienen:

Elite im Hamsterrad - Bürger. Macht. Politik (mit einem Vorwort von Joachim Gauck) - Bad Boy (mit Zidov Akuma und Florian Pauly) - New Business Order (mit Lena Schiller Clausen) - Deutschland dreht durch (mit Liane Bednarz)