Sachsen ist anders. Das ist nicht neu, wird aber heute noch einmal besonders deutlich. Gerade einmal eine knappe Mehrheit hat die sehr wahrscheinliche „Große“ Koalition in Sachsen, im Bund sind es immerhin noch mehr als zwei Drittel. Es gibt faktisch nur noch eine Partei der Mitte, ein paar Peanuts für SPD und Grüne – und viel Peripherie. 20 Prozent wählen radikal links, trotz des seltsamen Kurses der Linkspartei mit Blick auf den Ukraine-Konflikt und insbesondere Russland. Und 15 Prozent – etwa so viel wie Rot und Grün zusammen - wählen radikal rechts, trotz einer NPD, die sich seit Jahren selbst zerlegt und einer AfD, die in Sachsen wie nirgends zuvor auf rechtsradikale Parolen, Ausländerfeindlichkeit, Putin-Unterstützung und Hass gegen das Establishment gesetzt hat und mit Frauke Petry eine Spitzenkandidatin hatte, gegen die gleich mehrere Ermittlungsverfahren laufen und die nicht nur ein Problem mit Ausländern, sondern auch mit der Wahrheit zu haben scheint. Aber vielleicht ist „trotz“ das falsche Wort, „wegen“ trifft es wohl besser.
Ich gebe zu, ich mache mir langsam wirklich Sorgen um dieses Land. Uns – auch den Sachsen - geht es so gut wie keiner anderen Nation in Europa – und zwar auch wegen Europa und dem Euro. Dass der blinde Hass, den NPD und AfD schüren trotzdem bei einer riesigen Zahl von Menschen verfangen kann, dass auch die Montagsmahnwachen und die Reichsbürger immer weiteren Zulauf erhalten, hat daher nichts mit der Realität, sondern nur mit einem Bauchgefühl zu tun. Auch wenn es das vermutlich immer gab, ist heute allerdings eines anders: Es wird mit professionellen Methoden adressiert, von Verlagen, Magazinen, auch von Parteien, die damit ihren Schnitt machen. Und zwar nicht zu schlecht. Aus einzelnen Spinnern mit Reichskriegsflaggen oder Aluhüten sind inzwischen manipulierbare Massenbewegungen geworden. Und wer es bis jetzt nicht kapiert hat, der wacht vielleicht heute Abend auf. Denn um es ein für allemal klar zu sagen: Es muss nicht wieder erst ein Asylbewerberheim brennen, bis wir uns in Bewegung setzen. Die offene Gesellschaft ist bedroht, und zwar in Deutschland und Europa. Und es wird Zeit, dass sich aufrechte Demokraten jedweder Couleur zusammenschließen, um diesen Leuten klar zu machen: Ihr mögt noch so viele sein, aber mit Euren Thesen und Eurem Hass steht ihr am Rande der Gesellschaft – und einer übermächtigen Zahl von Menschen gegenüber, die diese Demokratie zu verteidigen bereit sind. Mit Wahlbeteiligungszahlen wie heute wird das aber nichts.
Am Ende noch ein Wort zur FDP in Sachsen. Sachsen ist nicht Berlin – das wurde plakatiert. Und es stimmt: Auf Bundesebene wäre das Ergebnis wohl einen Tick besser ausgefallen. Nun verbietet es sich allerdings, sich zwischen Bund und Land die Schuld zuzuschieben. Sachsen war nie der Gradmesser für die Situation der FDP, sonst hätte man 1999 nach 1,1 Prozent bei der Landtagswahl die Partei in Gänze abwickeln müssen. Und es war schon kurz nach der Bundestagswahl klar, dass die FDP dieses Jahr kaum irgendwo einen Blumentopf gewinnen würde. Ein Wiedereinzug in den Landtag wäre eine riesige Überraschung gewesen, und die bleibt nun eben aus. Dem Team um Holger Zastrow kann man dabei wenig vorwerfen, man hat mit großem Einsatz bis zum Schluss gekämpft und eine durchaus ordentliche Regierungsbilanz vorzuweisen.
Die vermutlich sehr deutliche Wählerwanderung von der FDP zur AfD sollte allerdings genau betrachtet werden. Meine Hypothese ist die, dass man 2009 auf eine große Zahl von Protestwählern gesetzt hat, die man nun wieder verloren hat. Die Geschichte zeigt: Das ist die undankbarste Wählergruppe überhaupt, mit der ist auf Dauer kein Staat zu machen. Ein Teil wird aber wohl auch aus bürgerlichen Wählern bestehen, die der FDP den Rücken zudrehen wollten und – aus Unwissenheit – glauben, es bei der AfD mit einer seriösen, konservativ-liberalen Kraft zu tun zu haben. Diese gilt es zurück zu gewinnen – mit guter Arbeit, durchaus aber auch dadurch, dass man die Leute darüber aufklärt, was die AfD wirklich ist. Denjenigen allerdings hinterher zu rennen, die die AfD, wie oben beschrieben, wegen ihres klar rechten, demokratiefeindlichen Profils gewählt haben, verbietet sich. Wer das fordert, soll die Partei verlassen.
Der Erneuerungsprozess der FDP braucht Zeit, keine Frage. Aber nach den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg muss eindeutig klar werden, wo der Kurs hingeht. Viel eindeutiger, als bisher. Die Verunsicherung liberaler Wähler ist wahrscheinlich die größere Gefahr für den Fortbestand der FDP als ihre schlechten Umfragewerte, ihre katastrophales Image oder die organisatorische und finanzielle Schwäche.
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