Montag, 28. Oktober 2013

Gastbeitrag: "FDP: Raus aus der Defensive – rein in die Reformoffensive! "

Ich erlaube mir an dieser Stelle mit freundlicher Einwilligung von Dr. Christopher Gohl seine klugen Gedanken zur Neuaufstellung der FDP als liberale Reformpartei zu teilen.


I. Programmatische Leere führt zu schwacher Regierung 

II. Personelle Probleme erschweren die glaubwürdige Positionierung

III. Organisatorische Probleme: Schlagkraft gegen Null

IV. Prioritäten des Neuanfangs


Zusammenfassung: Das Versagen der FDP als Reformpartei

Die FDP hat bei dieser Bundestagswahl 2013 versagt, sich als überzeugende liberale Kraft der Reformen zu positionieren. Dafür wirken tiefgreifende programmatische, personelle und organisatorische Probleme zusammen, die seit Jahren schwelen. Die Kampagne zur Wahl hat diese Probleme verschärft, statt sie zu überdecken. Die Stärke der FDP war es stets, Ideen und Persönlichkeiten zu verknüpfen, ihre Schwäche die schlagkräftige Organisation von Individualisten. Die Stärke ist verloren gegangen, die Schwäche geblieben. Schnelle Lösungen gibt es für die Probleme der FDP deshalb nicht – und ganz bestimmt liegen sie nicht in der Entscheidung über „klassischen vs Säuselliberalismus“, wie Frank Schäffler glauben machen will. Diese Frontstellung ist falsch.


I. Programmatische Leere führt zu schwacher Regierung 

Eine Reformagenda gibt es nicht mehr

Die programmatischen Probleme beginnen damit, dass die FDP keine erkennbare Reformagenda mehr hat. Noch Ende der 90er Jahre setzte der (inzwischen nachhaltig diffamierte) „neo-liberale Diskurs“ erfolgreich die Agenda für strukturelle Reformen: Ordnungspolitik für den föderalen Sozialstaat. Nach dem Erfolg der Agenda 2010 vermochte es die FDP aber nicht, neue und gesellschaftlich zwingende Reformprojekte offensiv zu vertreten, mit denen wir die Chancen jedes einzelnen Menschen gestärkt hätten, seinen eigenen Weg zu gehen – Beispiel Bildung oder Bürgergeld.

2009: Von der offensiven Agenda in die defensive Rückenlage

Stattdessen wandelte sie die FDP zur defensiven Schutzmacht der „vergessenen Mitte“ und nutzte zur Bundestagswahl 2009 – taktisch kurzfristig erfolgreich – Abstiegsängste einer durch die Finanzkrise verunsicherten Mittelschicht. 14,6 % der (keineswegs durchweg liberal eingestellten) Wähler honorierten den strategischen Wechsel von der programmatischen Offensive der Reformpartei in die Defensive einer Dagegen-Partei. Die verbliebenen Reformprojekte Steuerreform und Bürgergeld verloren in handwerklich katastrophalen Koalitionsverhandlungen jegliche Verbindlichkeit und wurden zum bloßen Lippenbekenntnis, der Reformeifer zur Pose. 

„Chancen für morgen“ der Grundsatzdebatte nur halb genutzt

Die folgende Grundsatzprogrammdebatte „Chancen für morgen“ zwischen 2010 bis 2012 vermochten zwar liberale Traditionen und Prinzipien zu klären. Glaubwürdige neue Reformprojekte konnten aber unter dem Druck der Mitgliederbefragung zum ESM nicht mehr diskutiert, beschrieben und personalisiert werden. Die Besinnung auf klassische Werte eines modern interpretierten humanistischen Liberalismus war wichtig. Die Idee, mündige Menschen zum Ausgangspunkt aller liberaler Chancenpolitik und den souveränen Bürgern zum Ziel aller liberaler Ordnungspolitik zu machen, wurde in sechs unterschiedlichen liberalen Traditionen aufgearbeitet. Das war in der Substanz richtig und muss jetzt Richtschnur der weiteren nachholenden Diskussion bleiben: Welche Reformprojekte folgen denn aus den Karlsruher Freiheitsthesen?

Schwacher Regierungsauftritt

Ein schlechter Koalitionsvertrag, traditionell schwache Ministerien – Wirtschaft statt Finanzen, Justiz statt Innen, Außen statt Verteidigung, ein im Regierungsalltag bereits eingespielter Koalitionspartner, machtpolitische Naivität gegenüber dem Koalitionspartner und die verschleppte Neuordnung der Parteizentrale als Sprachrohr liberaler Positionen führten zu einem Fehlstart der FDP in die Regierung, von dem wir uns nie wieder erholen konnten. Im Regierungsalltag ist es nicht gelungen, ein größeres liberales Reformprojekt durchzusetzen (mit Ausnahme der Wehrpflicht und Transformation der Entwicklungspolitik). Erst im Frühjahr 2012 gelang es der FDP ansatzweise, mit der Durchsetzung Joachim Gaucks als Bundespräsident und der Abschaffung der Praxisgebühr als Regierungspartei erkennbar zu werden – zu wenig und zu irrelevant für 14,6 Prozent Stimmenanteil und fünf Ministerien. 

Notmaßnahme Haltungswahlkampf

Der Wahlkampf 2013 wurde deshalb notgedrungen als Haltungswahlkampf geplant und geführt – in seiner Wertgebundenheit immerhin ein Fortschritt gegenüber dem opportunistischen Angstwahlkampf von 2009. Das Kalkül schien plausibel, die FDP könne als liberaler Teil der erfolgreichen Regierung Merkel und als liberale Traditionspartei ohne Denkmalschutz auch ohne Reformprogramm ein anständiges Ergebnis erzielen. Wir stehen vor den Scherben dieser Hoffnung, aber wir müssen erkennen, dass schon diese Hoffnung aus selbst verschuldeter Not geboren war.

Das falsche Fundament: ein konservativ-defensiver Freiheitsbegriff

Hinter der reformerischen Defensive der FDP steht die Idee einer Freiheit (der vergessenen Mitte), die vor (sozialdemokratischen und grünen) Interventionen verteidigt werden müsse. Aber in einer globalisierten Welt ist Abwehr nicht genug. Stets muss Politik auch Probleme lösen und neue Chancen schaffen. Aber als defensive und konservative Schutzmacht der Freiheit bietet die FDP weder Problemlösung noch neue Chancen an. Sie verzichtet sogar darauf, gesellschaftliche Probleme selbst zu formulieren, damit gesellschaftliche Konfliktlinien zu definieren und selbstbewusst liberale Wege zur Lösung aufzuzeigen. 

Freiheit muss wieder Gestaltungsauftrag werden

Reaktive Verhinderung des Schlimmsten in Rückenlage, nicht Gestaltung des Besseren in Vorlage wurde zur Maxime der FDP – bei der Euro-Rettung ebenso wie bei der Energiewende. Erst wenn die FDP Freiheit wieder als progressiven Gestaltungsauftrag versteht – erst wenn sie sich immer wieder neu um die Voraussetzungen dafür kümmert, dass jeder Mensch als mündiger Mensch und souveräner Bürger sein eigenes Leben leben kann – wird sie aus ihrer konservativen Defensive herauskommen. Dafür bedarf es eines gesellschaftspolitischen Angebots, das wirtschaftliche, soziale, ökologische und politische Anliegen aus einer bürgerschaftlichen Sicht und liberaler Haltung heraus vereint. Das heißt: Wirtschaft soll Werte schaffen, nicht Profite maximieren. Sozialpolitik soll Menschen ermächtigen, ihr eigenes Leben zu leben, und sie nicht gängeln oder abspeisen. Umweltschutz braucht verantwortliche Konsumenten und technologischen Fortschritt. Demokratische Politik braucht dezentral engagierte und ermächtigte Bürger.

Fortschrittskompetenz statt defizitäres Staats- und Gesellschaftsverständnis 

Entsprechend muss die FDP auch ihre Vorstellung von der Rolle des Staates und der Rolle von Wirtschaft, Wissenschaft, Bürgergesellschaft und Politik verändern. Bislang gelten der Staat und seine Regeln zu häufig als Problem, nicht als ein Instrument der Problemlösung. Aber Liberale sind nicht gegen den Staat. Sondern sie nutzen ihn nüchtern und in Kenntnis seiner Defizite. Wo der Staat zu kurz greift, müssen Liberale glaubwürdig und kenntnisreich die Aufgaben von Wirtschaft, Wissenschaft, Bürgergesellschaft und Politik beschreiben können. Denn sie wissen: Problemlösung und Fortschritt kommen aus vielen Quellen. Aber dafür müsste die FDP eben auch eine klare Vorstellung davon haben, was eine Gesellschaft der Bürger und eine liberale Gemeinschaft von Menschen zu leisten imstande ist. Sie müsste das republikanische und kulturelle „Wir“ einer liberalen Politik beschreiben können. Leider hat die FDP das gesellschaftspolitische Einmaleins, zusammen mit kultureller Deutungskompetenz, schon lange völlig verlernt. Das treibt die gesellschaftlichen und kulturelle Entwurzelung voran. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die FDP aus Sicht der Wähler: Eine verbrauchte, keine fortschrittliche Partei

Diese programmatischen Probleme – Verlust der Reformagenda, einseitiges Bild der Freiheit und des Staates, mangelnde gesellschaftspolitische Kompetenz – machen einen Teil der Malaise einer schwachen Positionierung aus. Das zeigt auch eine forsa-Umfrage der FDP-Führung von 2011. 

Demnach geht der Vertrauensverlust bei Wählern auf den (so wahrgenommenen) Verlust des umfassenden liberalen Gestaltungsanspruchs zurück. So sollte eine ‚ideale’ Partei nach Meinung von deutlich mehr als der Hälfte der nach 2009 abgewanderten FDP-Wähler „eher alle Themen im Blick haben“ als sich „auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren“ und eher „fortschrittlich“ als „traditionsbewusst“ sein. Der FDP werden von diesen ehemaligen Wählern aber gerade gegenteilige Werte zugeschrieben: Sie konzentriere sich eher auf ihre Kernkompetenzen, als alle Themen im Blick zu haben, und sei eher traditionsbewusst als fortschrittlich. Deutlich über die Hälfte der abgewanderten FDP-Wähler sind demnach der Ansicht, die FDP sei „der verlängerte Arm der Wirtschaft“, sie sei „eine Partei der 80er-Jahre“ und verkörpere „die Vergangenheit, sie wird deshalb mit den Herausforderungen in Deutschland nicht fertig“. 

Ein umfassender Gestaltungsanspruch über Wirtschaftsfragen hinaus wird nach diesen Beobachtungen also nicht mehr wahrgenommen – in der Öffentlichkeit wird das unter den Überschriften „Lobbyismus statt Liberalität“, „Freibetrag statt Freiheit“, „Klientel statt klare Kante“ wahrgenommen.



II. Personelle Probleme erschweren die glaubwürdige Positionierung

Die FDP stand einmal Hinter dem programmatischen Absturz der einstigen Reformpartei steckt aber auch ein dreifaches personelles Problem. 

Generationswechsel zur Unzeit

Erstens ist der Generationenwechsel zur Unzeit gekommen. Die bundespolitisch noch relativ unerfahrene Generation Lindner – Rösler – Bahr – Döring (inklusive ihrer jungen Referenten) geriet nach dem Abgang des Bundesvorsitzenden Westerwelle zu früh und in zu unruhigen Zeiten an die Schaltstellen der FDP. Rösler, durch die dramatischen Tiefstände der FDP in der öffentlichen Meinung verunsichert, warf ihm eigene und authentische gesellschaftspolitische Anliegen über Bord und reduzierte sich selbst zum Sprachrohr einer vermeintlichen wirtschaftlichen Kernkompetenz – tragisch. Erst nach der gewonnen Niedersachsen-Wahl gewann er seine Stimme zurück – leider zu spät.

Unglücklicher Spitzenkandidat Brüderle führt zurück in die Malaise der defensiven FDP

Die Einbindung von Rainer Brüderle als Spitzenkandidat führte zweitens zwar zur Stabilisierung der Führung, aber auch zum totalen Stillstand, wenn nicht gar zum Rückschritt der FDP in die programmatische und personelle Defensive. Brüderles Brot-und-Butter-Themen überlagerten den progressiven Charakter des ursprünglichen Wahlprogramm-Entwurfs. Dazu gehörte mit „sicherem Geld“ ein Thema, das nur Brüderle selbst wirklich für ein zentrales Anliegen der Wähler hielt. Der Unfall Brüderles und der folgende Kampf um seine Gesundheit waren tragisch für die Person Brüderle und dramatisch für die FDP, die jetzt noch nicht einmal Angriffslust simulieren konnte. Die wiederholte Behauptung Brüderles in der letzten Woche vor der Wahl, wer Merkel als Kanzlerin haben wolle, müsse FDP wählen, markierte den Tiefpunkt einer perspektiv- und mutlosen Überlebenskampagne.

Personalisierung von Projekten findet nicht mehr statt

Drittens ist es der FDP schon lange nicht mehr gelungen, ihre Projekte erfolgreich zu personalisieren – erstens, Projekte überhaupt zu definieren und zweitens, sie glaubwürdig zu besetzen. Mit einer und zwei halben Ausnahmen: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger stand deshalb erkennbar für liberale Justizpolitik ein, weil sie vor vielen Jahren einmal aus Überzeugung als Justizministerin zurück getreten war. Und Christian Lindner und Wolfgang Kubicki verkörperten von Stil und Anspruch alternative Versprechen einer anderen (sozial sensibleren) FDP. Alle anderen Minister schienen in den Augen der Öffentlichkeit – in der Sache zu Unrecht – eher von Karriereerwägungen getrieben: Westerwelle als Außenminister auf der Suche nach Liebe; Niebel in einem Ministerium, das er abschaffen wollte; Rösler im Wirtschaftsministerium auf der Suche nach Bedeutung als Parteivorsitzender; und Bahr als Aufsteiger innerhalb des Ministeriums.


III. Organisatorische Probleme: Schlagkraft gegen Null

Mangelnde Strategiefähigkeit (1): Kein strategisches Zentrum

Das personelle Problem der glaubwürdigen Positionierung geht in organisatorische Probleme über. Der FDP fehlte zwischen Partei, Parlament und Ministerien ein operativ arbeitsfähiges strategisches Zentrum. Die Führung der FDP war über weite Strecken in den letzten vier Jahren nicht strategiefähig. Die Planungsstäbe der Ministerien koordinierten sich schwach, einen Fahrplan für übergreifende Themen und Kampagnen gab es nicht, das Dehler-Haus wurde auf die Rolle des Verkäufers zwischen rivalisierender Parlamentsfraktion und Ministerien reduziert.

Mangelnde Strategiefähigkeit (2): Keine klare Empirie der eigenen Lage und Potenziale

Grundlegend fehlte eine klare Analyse der Lage, Dilemmata und Potenziale der FDP. Alle empirischen Umfragen, die Übersicht schaffen sollten, waren von vorneherein so angelegt, dass sie eine Fortsetzung des alten Kurses nahe legen sollten. Statt neue Milieus zur Besetzung zu prüfen, wurde lediglich abgefragt, was bisherige Wähler wollten – und die waren nicht immer liberal und schon gar nicht gestalterisch anspruchsvoll. FDP-Chef Rösler vermochte sich nicht mit seiner – freilich unreif vorgetragenen – Idee durchzusetzen, die „neuen bürgerlichen“ Schichten selbstbewusster, aufstiegsorientierter Menschen zu bestimmen und anzusprechen.

Kaputte Kommunikation zwischen Führung und Basis

Die FDP hat keine kosteneffizienten, schnellen und funktionstüchtigen Kommunikationskanäle bis zum einzelnen Mitglied – schon gar keine funktionierenden Feedback-Kanäle. Für die Führung ist die Basis am liebsten nur ausführendes Organ. Das einzelne Parteimitglied wird zu häufig als Störfaktor gefürchtet, nicht als Partner der liberalen Sache ermächtigt. Die Grundsatzdebatte brachte Experimente einer vorsichtigen Öffnung und führte, etwa in der Arbeitsgruppe Parteireform, zu zaghaften Reformvorschlägen. Aber eine systematische Überprüfung, geschweige denn ein Aufbau einer schlagkräftigen Infrastruktur blieb bislang aus.

Geschwächte Parteizentrale

Nach dem Wechsel des Generalsekretärs und des Bundesgeschäftsführers in das Entwicklungsministerium war das Dehler-Haus zu lange verwaist, dann Arena gegensätzlicher Politikansätze, personeller Rochaden und Stellvertreter-Kämpfe einer wechselnden Führung. Zusätzlich behindert wurde die Arbeit durch ungeklärte Verhältnisse der einzelnen Abteilungen zu den politischen Dienstleistern der liberalen Familie. Weil das strategische Zentrum der FDP-Führung fehlte, wurde das Dehler-Haus zum Sekretariat mit Schreibstube, statt als Zentrum weitsichtiger Planung und Umsetzung zu dienen. Auch in Bezug auf die Landesgeschäftsstellen bedarf es einer integrativen Organisationsentwicklung. Das kostet Geld – hierfür muss die FDP neue Formen des Fundraisings finden.


IV. Prioritäten des Neuanfangs

1. Liberale Politik als Gesamtprojekt jenseits des politischen Einzelhandels denken

Die Positionierung der FDP ist seit Jahren nicht mehr an inhaltlicher Überzeugung, sondern nur noch taktisch an Wählergruppen ausgerichtet worden – sehr erfolgreiche, aus der schieren Not geborene Ausnahmen bei Landtagswahlen bestätigen die Regel. Aber liberale Politik ist kein Einzelhandelsgeschäft mit unterschiedlichen Kunden und unterschiedlichen Kundenwünschen. Es reicht nicht, in Wahlkämpfen einzelne Wählergruppen über materielle Instinkte zu mobilisieren, sondern wir müssen jeden Tag Anhänger der liberalen Idee gewinnen. 

2. Gesellschaftliche Wurzeln schlagen

Die FDP ist zu einer Partei mit Luftwurzeln geworden, die zunehmend vertrocknen. Wirtschaftlich mittelständische, bürgerlich-konservative Milieus wechseln, wie geschehen, gerne zur CDU. Den Kontakt zu liberal affinen Milieus – kulturell und unternehmerisch Kreative, Digital Natives, bürgerschaftlich Engagierte, junge Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund und Aufstiegswillen, Technologie-Freunde und Geisteswissenschaftler etc. – haben wir verloren oder nie gehabt. Jetzt müssen wir wieder gesellschaftliche Wurzeln schlagen. Dafür bedarf es eines Plans für einen dauerhaften Brückenschlag der Werte und Haltungen in alte und neue Milieus der Gesellschaft hinein. Auf die kommunale Verwurzelung kommt es dabei an!

3. FDP als konsequente bürgerliche Reformpartei zwischen CDU, SPD und Grünen positionieren

Die FDP ergreift konsequent Partei für die Freiheit der einzelnen Menschen – konkret für ihre Lebenschancen. Eine konsequente liberale Haltung zieht sich durch alle Politikfeldern („Verantwortung und Fairness in Freiheit“). Sie schafft faire Chancen mit und für jeden mündigen Menschen. Sie sichert eine faire freiheitliche Grundordnung für souveräne Bürger in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Sie baut auf Menschen und Bürger, die Verantwortung für sich selbst sowie ihre Mitwelt, Umwelt und Nachwelt übernehmen. Sie strebt nach Fortschritt durch nachhaltige Entwicklung, die als dezentraler Verbesserungsprozess viele Quellen hat: den Wettbewerb der Wirtschaft, die Kooperation der Bürgergesellschaft, die Verständigung der Demokratie und die Wahrheitssuche der Wissenschaft. Zur CDU (Motive: Ordnung und Verantwortung), zur SPD (Motive: Chancen und Fairness) und zu den Grünen (Motiv nachhaltiger Fortschritt) wahrt sie so gut als möglich Äquidistanz. Ampeln müssen möglich werden – auch in Hessen.

4. FDP als selbstbewusste Europa-Partei aufstellen

Der Europa-Wahlkampf ist eine Chance, die Stärken der FDP zu demonstrieren: Ordnungspolitik für eine freiheitliche Grundordnung in Europa heißt Rechtsstaat, soziale Marktwirtschaft und Demokratie in einem föderalen, subsidiären Bundesstaat aufzubauen. Chancenpolitik heißt, dass Europa der Kontinent mit den besten Lebenschancen der Welt werden soll. 

5. Eine liberale Reformagenda für 2020 formulieren

Als Reformpartei formulieren wir eine Agenda „Fünf für 20“, zum Beispiel:

1. Föderalismusreform zur Stärkung von Bildung und Wissenschaft, Finanzierung von Infrastruktur im demographischer Wandel, Reform des Länderfinanzausgleichs und Stärkung der Kommunen,

2. Initiative "Verantwortungswirtschaft" zur Stärkung souveräner Bürger an den Daten-, Finanz- und Arbeitsmärkten,

3. Initiative "Chancen für Europa", weil es überall in Europa die besten Lebenschancen der Welt geben soll, wofür wir souveräne Bürger durch einen verlässlichen Rechtsstaat, Regeln und Standards der sozialen Marktwirtschaft und politische Mitsprache in einer europäischen Demokratie stärken müssen,

4. Nationaler Dialog zur Zukunft des Gesundheitssystems, um einen Konsens über Eigenverantwortung und die Finanzierung eines solidarischen, humanen Gesundheitssystems im demographischen Wandel zu erzielen, und

5. Stärkung der Bürgerschaft durch mehr direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung


Ich freue mich über Feedback und Verbesserungen dieses Papiers! info@christopher-gohl.de

Tübingen, 23. September 2013 

Dr. Christopher Gohl

Das Papier ist als PDF auch hier abrufbar.

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Arbeitnehmerpolitik als liberales Zukunftsthema

„Die Gewerkschaftsfunktionäre sind die wahre Plage in Deutschland.“ Spätestens seit diesem Frontalangriff von Guido Westerwelle im Jahr 2005 haben sich die Liberalen kaum noch mit Arbeitnehmerfragen jenseits der Deregulierung des Arbeitsmarktes beschäftigt. Das ist ein Fehler, den es zu beheben gilt.

Mit dem genannten Zitat trat Guido Westerwelle vor sieben Jahren das los, was man heute wohl einen veritablen Shitstorm nennen würde. Tragisch war dabei, dass der heutige Außenminister zwar durchaus ein zentrales Thema der Zukunftsfähigkeit Deutschlands und Europas streifte, eine konstruktive Debatte aber mit seiner katastrophalen Wortwahl unmöglich gemacht hatte. Gewerkschaften werden von vielen Liberalen als überflüssig angesehen. Dabei wird übersehen, dass ohne diese ein liberales Staatsgebilde nicht funktionieren kann. Darüber hinaus wird nur gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Gestaltung des derzeitigen Transformationsprozesses von Arbeit möglich sein, der auch der jüngeren Generation in Zukunft Entwicklungschancen bietet. Vor diesem Hintergrund ist es höchste Zeit, das Thema Arbeitnehmer- und Gewerkschaftspolitik zu einem, wenn nicht dem liberalen Zukunftsthema zu machen.

Unfraglich ist es so, dass viele Gewerkschaftsfunktionäre bis heute eher dafür kämpfen, das zu bewahren, was in der Vergangenheit erkämpft wurde – und dabei gerne übersehen, dass die Forderungen gar nicht mehr in die Lebensrealität ihrer potenziellen und tatsächlichen Mitglieder passen. Die Folge ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Mitgliederschwund, der, sollte er nicht doch noch gebremst werden, bei ver.di etwa rein rechnerisch dazu führen würde, dass das letzte Mitglied im Jahr 2050 die Gewerkschaftszentrale absperrt und den Schlüssel in der Spree versenken könnte. Genau diese Schwäche der Gewerkschaften legt aber nicht nur die Axt an das sozialpartnerschaftliche Modell des „Rheinischen Kapitalismus“, weil die Lohnfestsetzung dann zwangsläufig vom Staat ausgehen wird. Das ist fast so etwas wie ein ultimatives Albtraumszenario für jeden Liberalen. Vielmehr würden die Gewerkschaften auch dringend gebraucht, um in einer sich zergliedernden, individualisierten Arbeitswelt mit fragmentierten Erwerbsbiografien die Zukunftsfähigkeit der deutschen und europäischen Arbeitnehmer – und damit auch der Wirtschaft – sicherzustellen.

Das Normalarbeitsverhältnis, in dem man von der Ausbildung bis zur Rente bleibt, vielleicht ein- oder zweimal unterbrochen durch Firmenwechsel, ist für immer weniger Menschen Realität. Dass es dabei eine gewisse Schicht von besonders gut ausgebildeten und flexiblen Menschen gibt, die diese neue Freiheit immer angestrebt haben und erst in dieser in der Lage sind, ihre kreativen Potenziale auszuschöpfen und sich dabei selbst zu verwirklichen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass für viele Menschen diese Entwicklungen eher bedrohlich wirken – zumal dann, wenn sie auch noch von Niedriglöhnen in immer mehr Branchen begleitet werden. Das hat auch gesellschaftliche Auswirkungen, die ganz unterschiedlich sein können. Man denke etwa an ausbleibende Beiträge in der Arbeitslosen-, Kranken- oder Rentenversicherung, eine weiter zurückgehende Geburtenrate aufgrund einer mangelnden Planbarkeit des weiteren Lebens oder den weiteren Rückgang gesellschaftlichen Engagements aufgrund der zunehmenden psychischen und zeitlichen Belastungen in der Arbeitswelt.

Die Entwicklungen lassen sich langfristig nicht dadurch aufhalten, dass der Staat immer weiter reglementiert – und die Unternehmen immer wieder Mechanismen finden, diese zu umgehen. Der einzige erfolgversprechende Weg ist, möglichst viele Arbeitnehmer umfassend und kontinuierlich weiter zu qualifizieren, um möglichst breite Schichten zu wertvollen Ressourcen für die Wirtschaft zu machen. Das bringt nicht nur Produktivitätsfortschritte – und damit mehr Spielraum auch für die Bezahlung der eigenen Mitarbeiter –, sondern sorgt gleichzeitig für eine Knappheit von Ressourcen bei den einfachen und derzeit häufig sehr schlecht bezahlten Tätigkeiten und damit für steigende Löhne am unteren Ende der Lohnskala. Ganz ohne Staatseingriff wohlgemerkt. 

Diese Bildungsleistung, die in Zeiten großer Loyalität und lange anhaltender Arbeitsbeziehungen zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern maßgeblich auf der betrieblichen Ebene geleistet wurde – und inzwischen eben immer weniger geleistet wird – wäre das richtige Betätigungsfeld für moderne Gewerkschaften mit einem zukunftsfähigen Leitbild. Wer sonst soll in einigermaßen strukturierter Form die Idee des lebenslangen Lernens in Angebote umsetzen? Denkt man dieses Modell weiter, kommt man auch recht schnell zur Erkenntnis, dass hier der Grundstein für eine liberale Antwort auf die Idee des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ liegen kann. Denn dieses beschreibt zwar durchaus richtig die zunehmende Herausforderung von fragmentierten und mit Lücken versehenen Berufslaufbahnen, weiß als Antwort aber auch wieder nur staatliche Subventionierung anzubieten.

Derzeit befinden sich viele Gewerkschaften noch in einer Schockstarre, weil ihnen die Antworten ebenso fehlen, wie der Politik. Das sorgt dafür, dass sie eine Politik betreiben, die maßgeblich darauf ausgerichtet ist, den bestehenden Mitgliedern den Zwang zum Wandel möglichst bis zur Rente vom Leibe zu halten. Das ist in dieser Form nicht generationengerecht. Vor diesem Hintergrund ist Kritik an der Gewerkschaftspolitik durchaus angebracht. Allerdings muss sie, schon aus Eigennutz, konstruktiv sein. Wer eine liberale Gesellschaft will, in der der Staat nicht von Intervention zu Intervention springt, braucht die Gewerkschaften als starken Gegenpol zu den Arbeitgebern. Und wer will, dass die Menschen in Deutschland und Europa ohne jeden Tag in Zukunftsangst zu leben ihre Potenziale entfalten können und unseren gemeinsamen Wirtschaftsraum damit wetterfest zu machen, braucht moderne, flexible, kreative Gewerkschaften, die auf den Einzelnen vertrauen.

Zuerst erschienen 2012 im "jung + liberal", der Mitgliederzeitschrift der Jungen Liberalen Deutschland.