Es ist schon einige Jahre her, als ich als externer Berater plötzlich anzügliche Mails von einem Auftraggeber bekam. Es stand gerade die Entscheidung über eine lukrative Verlängerung des Projektes an, die ich natürlich nicht gefährden wollte, gerade auch, weil es mein erster Job war. Andererseits wusste ich nicht, wie ich weiterhin professionell mit dem Manager zusammenarbeiten sollte, der mir in unwürdiger Art und Weise nachstellte. Meine Chefin, die ich ins Vertrauen zog, lachte mich aus. Ich solle mich nicht so anstellen, als Frau sei das ganz normal und man könne das in Teilen auch für sich nutzen. Kurz danach kündigte ich. Das Erlebnis hat mich aber sensibilisiert. Diskriminierung, Sexismus, Belästigung – all das sind Dinge, die jeden von uns treffen können.
Deutschland ist ein aufgeklärtes Land, in dem Diskriminierung inzwischen zu rechtlichen Konsequenzen führen kann. Es gibt allerdings Graubereiche, gewissermaßen Schutzräume für Intoleranz und Diskriminierung, die juristisch nicht gestaltbar sind. Das sind die Gespräche zwischen Chefs und ihren Angestellten, Auftraggebern und Auftragnehmern, aber auch zwischen Politikern und Journalisten, in denen Dinge gesagt werden können, die die Idee einer Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtig tatsächlich gleichberechtigt sind, unterlaufen.
Ein ehemaliger Ministerpräsident vertraute mir in einer weinseligen Runde einmal an, er vermute, er und seine Amtskollegen hätten alle Probleme mit der Justiz bekommen, wenn damals schon die Transparenz geherrscht hätte, die heute herrsche. In eine ähnliche Richtung geht die Beschwerde eines Einkäufers, der früher große Deals gerne auf Einladung von Lieferanten in Bordellen abschloss, was nicht mehr möglich sei, seitdem auch Frauen auf den Einkaufsreisen mit dabei seien. Auch wenn beide das vermutlich nicht unbedingt so meinten, beschreiben die Aussagen doch eine positive Entwicklung. Die Graubereiche sind offensichtlich kleiner geworden.
Die Emanzipation, das kann man sagen, hat in den vergangenen Jahrzehnten dieses Land verändert. Und damit ist nicht nur die Emanzipation von Frauen gemeint, sondern genauso die anderer gerne diskriminierter Gruppen wie Ausländer, Deutsche anderer Hautfarbe oder Homosexuelle. Nichtsdestotrotz muss man Emanzipation als Prozess verstehen, der niemals beendet ist. Es ist wichtig, dass der Gedanke nicht nur in den professionellen Köpfen von Personalchefs und Pressestellen verankert ist, sondern dass er auch im politischen und wirtschaftlichen Alltagsgeschäft seine Wirkung entfaltet. Dazu gehört, dass es eine Öffentlichkeit gibt, die sehr genau hinschaut. Dazu gehört ebenso, dass der Herrenwitz, wenn überhaupt, ins Private verbannt wird und in einem öffentlichen Kontext Widerspruch statt Lachern erntet. Es braucht einen neuen, starken Bekennermut derjenigen, die unter alten Denkmustern leiden. Und es braucht die Erkenntnis, dass es durchaus nicht nur junge Frauen oder Ausländer, sondern jeden von uns treffen kann.
Emanzipation kann und darf nicht auf formale Rechte beschränkt sein, sondern muss alle Teile der Gesellschaft durchdringen. Die Verantwortung liegt nicht bei Behörden, sondern bei jedem einzelnen von uns. Und diese Position müsste eigentlich auch Rainer Brüderle unterschreiben können, denn sie ist urliberal. Mit einer Entschuldigung und einem klaren Bekenntnis zur Emanzipation könnte er der Diskussion sogar noch einen positiven Spin geben. Dass er sich dazu nicht äußert, dass er sich einem klaren Bekenntnis verweigert, spricht nicht für ihn. Was er damit nicht erreichen darf, ist, dass die Debatte im Sande verläuft. Denn sie hat gerade erst begonnen. Sie am Laufen zu halten, ist Aufgabe all derjenigen, die das Thema für richtig und wichtig halten. Die #aufschrei-Diskussion auf Twitter darf nur der Anfang sein…
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