Lieber Johannes Ponader,
seit heute wissen wir also, was Du als angemessenen Preis für das Buch von Julia Schramm ansiehst, nämlich € 5. In unserer Diskussion auf Twitter hast Du versucht zu argumentieren, dass dies über eine steigende Absatzzahl für den Verlag ein besseres Geschäft wäre. Die Rechnung dazu bist Du leider schuldig geblieben, deswegen wage ich mich hier an einen Realitätscheck.
Zunächst ein Blick auf das Ist. Das Buch wird für € 16,99 angeboten. Als Autor kenne ich die Vergütungsstrukturen der Verlage aus eigener Anschauung. Typischerweise bleiben bei den Autoren zwischen 9 und 12 Prozent der angestrebten Umsätze hängen. Der Einfachheit halber will ich mit € 17 und 10 Prozent rechnen, womit man bei der kolportierten Summe von € 100.000 Vorschuss bei einer vom Verlag angepeilten Verkaufszahl von 50.000 bis 60.000 Stück landet. Rechnen wir hier auch der Einfachheit halber mit 50.000 weiter. Für jedes Buch, das etwa über Amazon verkauft wird, fallen 55 Prozent des Verkaufspreises an Provision an, d.h. es bleiben dem Verlag im Falle von Julia Schramms Buch bei € 17 Verkaufspreis minus € 17*0,55 Provision für Amazon ungefähr € 7,65. Zieht man davon die Druckkosten ab, die bei rund um € 1,80 liegen sollten (eigentlich € 2, aber durch 10 Prozent angenommenen E-Book-Anteil eben € 1,80), kommt man auf € 5,85. Dass ein Teil davon sprungfixe Kosten sind, weil man ja nicht in Auflage 1 druckt, vernachlässigen wir an dieser Stelle.
Aus diesem Anteil (€ 5,85) multipliziert mit der tatsächlich abgesetzten Menge müssen neben dem Vorschuss für die Autorin von € 100.000 auch noch Lektorat, Vertrieb, Marketing, Pressearbeit sowie sämtliche betrieblichen Fixkosten anteilig bezahlt und Gewinn erwirtschaftet werden, auf den dann wiederum Steuern anfallen. Ich weiß aus Erfahrung mit dem Campus Verlag selbst, was an Stunden ins Lektorat fließt, was an Veranstaltungen organisiert und betreut werden und was an Messeständen bezahlt werden muss. Grob geschätzt würde ich die Lektoratsarbeit auf 20 Arbeitstage schätzen, einen konservativen Tagessatz von € 400 angenommen, was einem Stundenlohn von ungefähr € 25 netto gleichkommt, wäre man alleine dafür bei € 8.000. Dazu kommt noch das Gehalt der Marketing-, Vertriebs-, PR- und Veranstaltungsspezialisten. Wenn man bei jedem von diesen realistische fünf Arbeitstage zum selben Preis ansetzt, ist an insgesamt bei € 16.000 alleine an Personalkosten der direkt Beteiligten. Das Marketingbudget dürfte bei diesem Buch nicht ganz gering sein, typischerweise wirbt der Verlag schon in seinen B2B-Broschüren mit den Zeitungen/Zeitschriften, in denen für das Buch geworben werden soll. Wenn man nur davon ausgeht, dass die fünf größten deutschen Tageszeitungen bespielt werden, dürften € 10.000 pro Zeitung nicht zu hoch gegriffen sein, was insgesamt € 50.000 ergibt. Zählt man alles zusammen kommt man auf fixe Kosten von € 166.000. Um diese überhaupt erst wieder einzuspielen, müsste der Verlag ca. 28.000 Bücher verkaufen – was eine ganze Menge ist. Bleibt das Buch allerdings bei 10.000 stehen (was ich derzeit für nicht unrealistisch halte), würde der Verlag ein Minus von über € 107.000 erwirtschaften, sollten die angestrebten 50.000 Stück erreicht werden, wäre der Verlag mit ca. € 125.000 im Plus.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass die 55 Prozent von Amazon nicht wegweisend für die gesamte Branche sind und E-Books eine bessere Marge bringen (aber noch deutlich unter 10% der Verkäufe ausmachen), käme man sicher auf einen Break-even, der nicht weit unter 20.000 Stück liegen dürfte. Rechnen wir also auch hier der Einfachheit halber mit 20.000 und einem Anteil des Verlages von € 7 (was ungefähr 40 Prozent entspricht) weiter. Alleine um den Vorschuss der Autorin bezahlen zu können, muss der Verlag ca. 14.000 Bücher verkaufen.
Nun versuchen wir das Ganze einmal mit dem Betrag, den Du in die Debatte geworfen hast (€ 5 pro Download). Würde man den ansetzen, müsste man das analoge Produkt, also das Buch, für etwa denselben Preis plus Druckkosten anbieten, also für € 7. Nehmen wir jetzt an, dass der Downloadanteil auch hier bei ungefähr 10 Prozent liegt (was wie gesagt immer noch sehr hoch ist), kommt man auf einen Durchschnittsverkaufspreis von € 6,80. Rechnen wir davon 40 Prozent für Amazon und Co. ab und packen die Druckkosten drauf, sind wir bei ungefähr € 2,30 für den Verlag. Um Julias Vorschuss zu zahlen, müsste der Verlag dann schon über 43.000 Bücher verkaufen, um Break-even zu erreichen, müsste er sogar über 72.000 Bücher verkaufen – alles konservativ gerechnet. Sollten allerdings nur 10.000 Stück abgesetzt werden, steht der Verlag mit € 143.000 im Risiko.
Nun kann man sich natürlich darüber streiten, wie viel mehr Bücher nur aufgrund des günstigeren Preises abgesetzt würden. Aber Fakt ist, dass auch die besonders günstig bei Amazon angebotenen Bücher (irgendwo zwischen € 1 und € 3) nicht auf den Top-Rängen zu finden sind. Kein Mensch kauft ein Buch, nur weil es billig ist. Das gilt übrigens bei Deinem gerne gebrachten Vergleich mit der Musikindustrie genauso. Es gibt inzwischen genügend Bands, die ihre Musik zumindest anfänglich verschenken, um sich bekannt zu machen. Erfolgreich sind aber später auch nicht die, die besonders viel Musik verschenkt haben, sondern die, die gute Musik machen, die die Leute mögen. Sollte das Buch von Julia Schramm ein Ladenhüter werden, dann hat das nicht in erster Linie etwas mit dem Preis zu tun, sondern mit dem Inhalt. Und wenn der Verlag in den Miesen landet, dann hat das nichts mit dem Geschäftsmodell der „Contentmafia“ zu tun, sondern mit einer wirtschaftlichen Fehleinschätzung, die im Falle eines Preises von € 5 pro Download genauso geschehen könnte.
Was aber sicher passieren würde, wäre dass der Verlag bei einem Preis in dem Bereich, wie Du ihn vorschlägst, das Risiko komplett auf die Autoren abwälzen würde. Für Julia hätte das vielleicht bedeutet, dass sie nur € 50.000 anstatt € 100.000 als Vorschuss bekommen hätte. Das wäre sicher auch verkraftbar gewesen. Aber das, was sie bekommen hat, ist alles andere als normal. Wenn man gerade als junger Autor Glück hat, dann landet man im Bereich von € 10.000 bis € 15.000 an Vorschuss, von den vielen, die mit gar nichts rechnen dürfen, ganz zu schweigen. Und es schreibt auch nicht jeder einen fröhlichen halbbiografischen Roman, so wie Julia, für den sich der Recherche-Aufwand in Grenzen gehalten haben dürfte. Hast Du Dir mal Gedanken gemacht, was es heißt, ein gut recherchiertes Sachbuch oder einen aufwändigen Bildband zu produzieren? Und hast Du Dir mal überlegt, was man dafür an Auslagen hat, etwa um herum zu reisen und Interviews zu führen oder für Ausrüstung? Und auch bei den Vermarktungsmöglichkeiten hinkt Dein Vergleich, denn während Bands mit Konzerten Geld verdienen können, sieht das bei Autoren nur selten so aus. Meinst Du ich könnte für meine Lesungen Eintritt nehmen? Oder Julia? Und was ist, wenn ich am Ende des Abends nur zwei Bücher verkaufe? Zahlst Du mir dann mein Abendessen?
Das, was Du heute bei N24 geäußert hast, ist im besten Falle nicht zu Ende gedacht gewesen, im schlimmsten Falle aber ein Aufruf dazu, die Prekarisierung von Autoren voranzutreiben. Wenn ich mein Geld wie Du mit Theaterstücken verdienen würde, hätte ich auch gut lachen. Die kann man nämlich nicht so schön digitalisieren wie Bücher, da bist Du also schön außen vor. Was wollt Ihr überhaupt? Mehr frei zugänglichen Content, dafür aber nur noch schlecht recherchierte, schlecht gelayoutete und schlecht lektorierte Bücher, weil kein Verlag mehr was riskieren kann? Wollt Ihr nur noch die alten Knacker, weil die sich verkaufen und junge Autoren immer ein Risiko darstellen, weil man nicht weiß, wie sie ankommen? Und komm mir jetzt bloß nicht mit Eurem Grundeinkommen. Ich sag Dir ganz ehrlich: Ich hab keinen Bock von € 1.000 Euro zu leben, nur weil ich „Künstler“ bin und die Leute da draußen so gerne umsonst meine Bücher lesen. Wer glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid???
Das, was gerade an Gewitter über Euch hereinbricht, habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben. Und ich kann nur hoffen, dass Ihr langsam mal beginnt, zu verstehen, dass man sich nicht mal gemütlich ins Fernsehstudio setzen und irgendwas erzählen kann, was man selbst nicht verstanden hat. Denn damit seid Ihr im Zweifel genauso wie die, die Ihr kritisiert – und damit verzichtbar. Kaum ein Medienbericht über Dich versäumt zu erwähnen, wie intelligent Du bist. Wie wäre es, wenn Du mal anfangen würdest, diese Intelligenz auch inhaltlich zu nutzen? Politik ist keine Bühne und Du spielst hier kein Theater, sondern Du bist politischer Geschäftsführer einer Partei, die vielleicht nächstes Jahr in den Bundestag einzieht. Ich kann nur hoffen, dass Dir langsam bewusst wird, dass das auch Verantwortung bedeutet.
Und versöhnlich zum Abschluss: Ich kann mir zwar derzeit nicht vorstellen, Euch zu wählen, finde es aber durchaus gut, dass es Euch gibt. Wie mir geht es vielen anderen auch. Das solltet Ihr als Aufgabe verstehen…
Viele Grüße,
Dein Christoph Giesa