Mittwoch, 19. September 2012

Offener Brief an Johannes Ponader

Lieber Johannes Ponader, 

seit heute wissen wir also, was Du als angemessenen Preis für das Buch von Julia Schramm ansiehst, nämlich € 5. In unserer Diskussion auf Twitter hast Du versucht zu argumentieren, dass dies über eine steigende Absatzzahl für den Verlag ein besseres Geschäft wäre. Die Rechnung dazu bist Du leider schuldig geblieben, deswegen wage ich mich hier an einen Realitätscheck. 

Zunächst ein Blick auf das Ist. Das Buch wird für € 16,99 angeboten. Als Autor kenne ich die Vergütungsstrukturen der Verlage aus eigener Anschauung. Typischerweise bleiben bei den Autoren zwischen 9 und 12 Prozent der angestrebten Umsätze hängen. Der Einfachheit halber will ich mit € 17 und 10 Prozent rechnen, womit man bei der kolportierten Summe von € 100.000 Vorschuss bei einer vom Verlag angepeilten Verkaufszahl von 50.000 bis 60.000 Stück landet. Rechnen wir hier auch der Einfachheit halber mit 50.000 weiter. Für jedes Buch, das etwa über Amazon verkauft wird, fallen 55 Prozent des Verkaufspreises an Provision an, d.h. es bleiben dem Verlag im Falle von Julia Schramms Buch bei € 17 Verkaufspreis minus € 17*0,55 Provision für Amazon ungefähr € 7,65. Zieht man davon die Druckkosten ab, die bei rund um € 1,80 liegen sollten (eigentlich € 2, aber durch 10 Prozent angenommenen E-Book-Anteil eben € 1,80), kommt man auf € 5,85. Dass ein Teil davon sprungfixe Kosten sind, weil man ja nicht in Auflage 1 druckt, vernachlässigen wir an dieser Stelle. 

Aus diesem Anteil (€ 5,85) multipliziert mit der tatsächlich abgesetzten Menge müssen neben dem Vorschuss für die Autorin von € 100.000 auch noch Lektorat, Vertrieb, Marketing, Pressearbeit sowie sämtliche betrieblichen Fixkosten anteilig bezahlt und Gewinn erwirtschaftet werden, auf den dann wiederum Steuern anfallen. Ich weiß aus Erfahrung mit dem Campus Verlag selbst, was an Stunden ins Lektorat fließt, was an Veranstaltungen organisiert und betreut werden und was an Messeständen bezahlt werden muss. Grob geschätzt würde ich die Lektoratsarbeit auf 20 Arbeitstage schätzen, einen konservativen Tagessatz von € 400 angenommen, was einem Stundenlohn von ungefähr € 25 netto gleichkommt, wäre man alleine dafür bei € 8.000. Dazu kommt noch das Gehalt der Marketing-, Vertriebs-, PR- und Veranstaltungsspezialisten. Wenn man bei jedem von diesen realistische fünf Arbeitstage zum selben Preis ansetzt, ist an insgesamt bei € 16.000 alleine an Personalkosten der direkt Beteiligten. Das Marketingbudget dürfte bei diesem Buch nicht ganz gering sein, typischerweise wirbt der Verlag schon in seinen B2B-Broschüren mit den Zeitungen/Zeitschriften, in denen für das Buch geworben werden soll. Wenn man nur davon ausgeht, dass die fünf größten deutschen Tageszeitungen bespielt werden, dürften € 10.000 pro Zeitung nicht zu hoch gegriffen sein, was insgesamt € 50.000 ergibt. Zählt man alles zusammen kommt man auf fixe Kosten von € 166.000. Um diese überhaupt erst wieder einzuspielen, müsste der Verlag ca. 28.000 Bücher verkaufen – was eine ganze Menge ist. Bleibt das Buch allerdings bei 10.000 stehen (was ich derzeit für nicht unrealistisch halte), würde der Verlag ein Minus von über € 107.000 erwirtschaften, sollten die angestrebten 50.000 Stück erreicht werden, wäre der Verlag mit ca. € 125.000 im Plus. 

Selbst wenn man berücksichtigt, dass die 55 Prozent von Amazon nicht wegweisend für die gesamte Branche sind und E-Books eine bessere Marge bringen (aber noch deutlich unter 10% der Verkäufe ausmachen), käme man sicher auf einen Break-even, der nicht weit unter 20.000 Stück liegen dürfte. Rechnen wir also auch hier der Einfachheit halber mit 20.000 und einem Anteil des Verlages von € 7 (was ungefähr 40 Prozent entspricht) weiter. Alleine um den Vorschuss der Autorin bezahlen zu können, muss der Verlag ca. 14.000 Bücher verkaufen. 

Nun versuchen wir das Ganze einmal mit dem Betrag, den Du in die Debatte geworfen hast (€ 5 pro Download). Würde man den ansetzen, müsste man das analoge Produkt, also das Buch, für etwa denselben Preis plus Druckkosten anbieten, also für € 7. Nehmen wir jetzt an, dass der Downloadanteil auch hier bei ungefähr 10 Prozent liegt (was wie gesagt immer noch sehr hoch ist), kommt man auf einen Durchschnittsverkaufspreis von € 6,80. Rechnen wir davon 40 Prozent für Amazon und Co. ab und packen die Druckkosten drauf, sind wir bei ungefähr € 2,30 für den Verlag. Um Julias Vorschuss zu zahlen, müsste der Verlag dann schon über 43.000 Bücher verkaufen, um Break-even zu erreichen, müsste er sogar über 72.000 Bücher verkaufen – alles konservativ gerechnet. Sollten allerdings nur 10.000 Stück abgesetzt werden, steht der Verlag mit € 143.000 im Risiko. 

Nun kann man sich natürlich darüber streiten, wie viel mehr Bücher nur aufgrund des günstigeren Preises abgesetzt würden. Aber Fakt ist, dass auch die besonders günstig bei Amazon angebotenen Bücher (irgendwo zwischen € 1 und € 3) nicht auf den Top-Rängen zu finden sind. Kein Mensch kauft ein Buch, nur weil es billig ist. Das gilt übrigens bei Deinem gerne gebrachten Vergleich mit der Musikindustrie genauso. Es gibt inzwischen genügend Bands, die ihre Musik zumindest anfänglich verschenken, um sich bekannt zu machen. Erfolgreich sind aber später auch nicht die, die besonders viel Musik verschenkt haben, sondern die, die gute Musik machen, die die Leute mögen. Sollte das Buch von Julia Schramm ein Ladenhüter werden, dann hat das nicht in erster Linie etwas mit dem Preis zu tun, sondern mit dem Inhalt. Und wenn der Verlag in den Miesen landet, dann hat das nichts mit dem Geschäftsmodell der „Contentmafia“ zu tun, sondern mit einer wirtschaftlichen Fehleinschätzung, die im Falle eines Preises von € 5 pro Download genauso geschehen könnte. 

Was aber sicher passieren würde, wäre dass der Verlag bei einem Preis in dem Bereich, wie Du ihn vorschlägst, das Risiko komplett auf die Autoren abwälzen würde. Für Julia hätte das vielleicht bedeutet, dass sie nur € 50.000 anstatt € 100.000 als Vorschuss bekommen hätte. Das wäre sicher auch verkraftbar gewesen. Aber das, was sie bekommen hat, ist alles andere als normal. Wenn man gerade als junger Autor Glück hat, dann landet man im Bereich von € 10.000 bis € 15.000 an Vorschuss, von den vielen, die mit gar nichts rechnen dürfen, ganz zu schweigen. Und es schreibt auch nicht jeder einen fröhlichen halbbiografischen Roman, so wie Julia, für den sich der Recherche-Aufwand in Grenzen gehalten haben dürfte. Hast Du Dir mal Gedanken gemacht, was es heißt, ein gut recherchiertes Sachbuch oder einen aufwändigen Bildband zu produzieren? Und hast Du Dir mal überlegt, was man dafür an Auslagen hat, etwa um herum zu reisen und Interviews zu führen oder für Ausrüstung? Und auch bei den Vermarktungsmöglichkeiten hinkt Dein Vergleich, denn während Bands mit Konzerten Geld verdienen können, sieht das bei Autoren nur selten so aus. Meinst Du ich könnte für meine Lesungen Eintritt nehmen? Oder Julia? Und was ist, wenn ich am Ende des Abends nur zwei Bücher verkaufe? Zahlst Du mir dann mein Abendessen? 

Das, was Du heute bei N24 geäußert hast, ist im besten Falle nicht zu Ende gedacht gewesen, im schlimmsten Falle aber ein Aufruf dazu, die Prekarisierung von Autoren voranzutreiben. Wenn ich mein Geld wie Du mit Theaterstücken verdienen würde, hätte ich auch gut lachen. Die kann man nämlich nicht so schön digitalisieren wie Bücher, da bist Du also schön außen vor. Was wollt Ihr überhaupt? Mehr frei zugänglichen Content, dafür aber nur noch schlecht recherchierte, schlecht gelayoutete und schlecht lektorierte Bücher, weil kein Verlag mehr was riskieren kann? Wollt Ihr nur noch die alten Knacker, weil die sich verkaufen und junge Autoren immer ein Risiko darstellen, weil man nicht weiß, wie sie ankommen? Und komm mir jetzt bloß nicht mit Eurem Grundeinkommen. Ich sag Dir ganz ehrlich: Ich hab keinen Bock von € 1.000 Euro zu leben, nur weil ich „Künstler“ bin und die Leute da draußen so gerne umsonst meine Bücher lesen. Wer glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid??? 

Das, was gerade an Gewitter über Euch hereinbricht, habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben. Und ich kann nur hoffen, dass Ihr langsam mal beginnt, zu verstehen, dass man sich nicht mal gemütlich ins Fernsehstudio setzen und irgendwas erzählen kann, was man selbst nicht verstanden hat. Denn damit seid Ihr im Zweifel genauso wie die, die Ihr kritisiert – und damit verzichtbar. Kaum ein Medienbericht über Dich versäumt zu erwähnen, wie intelligent Du bist. Wie wäre es, wenn Du mal anfangen würdest, diese Intelligenz auch inhaltlich zu nutzen? Politik ist keine Bühne und Du spielst hier kein Theater, sondern Du bist politischer Geschäftsführer einer Partei, die vielleicht nächstes Jahr in den Bundestag einzieht. Ich kann nur hoffen, dass Dir langsam bewusst wird, dass das auch Verantwortung bedeutet. 

Und versöhnlich zum Abschluss: Ich kann mir zwar derzeit nicht vorstellen, Euch zu wählen, finde es aber durchaus gut, dass es Euch gibt. Wie mir geht es vielen anderen auch. Das solltet Ihr als Aufgabe verstehen… 

Viele Grüße, 

Dein Christoph Giesa

Dienstag, 11. September 2012

Das Urteil des BVerfG – Und wie man damit umgehen sollte

Morgen um diese Zeit werden wir schlauer sein, denn dann werden wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum ESM kennen. Ich vermute, dass Andreas Voßkuhle und seine Mitstreiter harte Worte finden werden und Auflagen für zukünftige Entscheidungen formulieren, den ESM an sich allerdings nicht in Frage stellen werden. Die Börse dürfte sich freuen – entgegen dem, was geschrieben wird, glaube ich nicht, dass die Entscheidung komplett eingepreist ist. Aber das ist nur eine Randnotiz. Die wichtige Frage ist, was das politisch heißt.

Zunächst lässt sich konstatieren: Mit der Kombination aus ESM und der Entscheidung der EZB, im Zweifel Anleihen in unbegrenztem Ausmaß aufzukaufen, hat die Eurozone zum größtmöglichen Schlag ausgeholt. Eine weitere Eskalation führt zwangsläufig in den Zusammenbruch der Eurozone in der bekannten Form, weil es keine weiteren Waffen mehr im Arsenal gibt. Dieses Szenario zu vermeiden hat Europa allerdings selbst in der Hand, und zwar in dem die unter Druck geratenen Länder die notwendigen Strukturreformen und die geplante Haushaltskonsolidierung weiter vorantreiben. ESM und EZB-Anleihenkäufe lösen kein Problem, sondern sie verschaffen nur Luft auf dem Weg zur Erneuerung. Es gibt also keinen Grund sich zurückzulehnen. 

Meine Wahrnehmung ist allerdings, dass diese Gefahr nicht besteht. So hat Portugal etwa zwei Tage nach der Ankündigung der EZB ein weiteres hartes Sparprogramm verkündet und auch Mario Monti, italienischer Ministerpräsident, stellte nach der Entscheidung fest, dass diese nur zum Erfolg führt, wenn die Krisenstaaten ihre Hausaufgaben machen. Die Gefahr eines „moral hazard“, in Deutschland diskutiert unter der Hypothese, die Südländer hätten nun den Freibrief uns auszuplündern, sehe ich derzeit nicht. Im Gegenteil: Derzeit sehe ich in den südlichen Ländern eher die Erkenntnis, dass Politik sich ändern muss, während in Deutschland gerne auf andere gezeigt wird, ohne dass man aber selbst etwas zu ändern bereit ist, wie man an den Debatten um das Betreuungsgeld oder die Zuschussrente sieht. 

Innenpolitisch geht es in erster Linie um die Frage des Vertrauens in die demokratischen Institutionen. Unfraglich haben die Bundesregierung und auch der Bundestag kein allzu gutes Bild abgegeben auf dem Weg zu den Rettungsschirmen EFSF und ESM. Das ist zu diskutieren – und zu ändern. Mehr Transparenz, mehr Zeit für die Diskussion, mehr Erklärung dessen, was man tut – all das tut Not. Und an dieser Stelle kann vor allem die Klage von Mehr Demokratie e.V. ein positiver Impuls ausgehen. 

Was mir allerdings Angst macht, ist die absehbare Reaktion von Seiten vieler ESM-Gegner. Schon jetzt ist in vielen Foren, auf Twitter und bei Facebook zu beobachten, dass man sich auf eine Enttäuschung vorbereitet. Immer wieder wird daher unter viel Applaus dem Verfassungsgericht wahlweise Käuflichkeit oder Feigheit unterstellt. Denn, das wird auch deutlich, an der eigenen Interpretation der Umstände gibt es keine Zweifel. Das allerdings ist demokratiegefährdend. Umso mehr, wenn solcherlei Einlassungen aus der Mitte der Gesellschaft kommen. So sehr man unterschiedlicher Meinung sein kann, ist es Teil des demokratischen Grundkonsenses, dass man spätestens die Entscheidungen des Verfassungsgerichtes dann auch akzeptiert. Denn über diesem gibt es keine Instanz mehr. Insofern ist es legitim, Kritik auch an der Entscheidung des Verfassungsgerichtes zu formulieren, wenn man anderer Meinung ist. Seine Legitimation darf allerdings kein überzeugter Demokrat in Frage stellen. Ich selbst werde mich an diese Maßgabe natürlich halten, sollte es anders kommen, als ich oben skizziert habe. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass dies auch für möglichst viele Protagonisten der anderen Seite gilt.