Donnerstag, 23. August 2012

Generalverdacht statt Unschuldsvermutung?


Mit den Ausschreitungen während der Relegationsspiele der letzten Saison ist das Thema Sicherheit rund um den Fußball wieder auf die Tagesordnung gekommen. Manchmal hat man das Gefühl, dass nur auf solche Situationen gewartet wurde, um den Ton zu verschärfen. Die anlaufende Saison droht eine neue Qualität von Bestrafungen und Geisterspiele en masse mit sich zu bringen. Damit werden die getroffen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen.


Wer sonntags ins Fußballstadion geht, mag an vieles denken, aber Politik ist typischerweise nicht das erste Thema. Ab und an begibt es sich aber, dass das Spiel vor dem Hintergrund von politischen Entscheidungen in den Hintergrund rückt. Was letzte Saison beim Zweitligaspiel des FC St. Pauli gegen den Erzrivalen Hansa Rostock zu beobachten war, ist genau so ein Fall. Während es für die Mannschaften darum ging, ihre Chancen auf den Aufstieg bzw. Nichtabstieg zu waren, gab es im Stadion und darum herum nur ein Thema, nämlich das von der Polizei veranlasste Kartenverkaufsverbot an die Rostocker Gästefans. Kann man sich auch sonst noch so wenig riechen, bei diesem Thema war die Solidarität zwischen den Clubs und den Fangruppierungen groß. Wo führt das hin, wenn solche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr legitim werden?

Unfraglich kam es in den letzten Jahren zu scheußlichen Szenen rund um die Spiele zwischen den beiden Clubs, Straßenschlachten miteinander und mit der Polizei waren an der Tagesordnung. Es ist auch keine Frage, dass der deutsche Fußball inzwischen wieder ein nicht zu unterschätzendes Gewaltproblem hat, vor allem auch im Amateurbereich. Aber selbst wenn man kein Fußballfan ist und sich über die regelmäßig teuer zu Buche schlagenden Polizeieinsätze aufregt, während die Vereine Millionen verdienen, sollte man das Thema einmal im großen Kontext sehen.

Wenn 25.000 Menschen in einem Stadtteil leben und es in diesem immer durch dieselben 500 Halbstarken zu Straftaten kommt, bestraft man dann alle 25.000? Wenn in einer Fußballmannschaft ein Spieler ein grobes Foulspiel begeht, bekommt dann gleich die gesamte Mannschaft die rote Karte? Niemand käme darauf, auf diese Fragen mit ja zu antworten. Aber wieso erscheint es plötzlich vielen legitim, wenn für das Fehlverhalten weniger plötzlich alle Fußballfans büßen müssen? Der Versuch, durch die Begrenzung von Auswärtsfans im Stadion des Gewaltproblems Herr zu werden ist so, als wenn man weiß, dass es regelmäßig zu Ladendiebstählen kommt und man deshalb den Ladenbesitzer zwingt, niemanden mehr hereinzulassen. Das Diebstahlsproblem hat man dann vielleicht gelöst, aber gleichzeitig hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Auch Fußball ist Kultur. Das mag nicht jeder auf den ersten Blick unterschreiben, aber wer einmal ein paar Stadien besucht hat, vielleicht auch in anderen Ländern, und die Unterschiede kennengelernt hat, wer das Herzblut der Fans erlebt hat, die Choreografien vorbereiten und bei Wind und Wetter ins Stadion gehen, um ihren Verein anzufeuern, wird nichts anderes sagen können. In Deutschland ist, bei allen immer noch bestehenden Problemen, eine Fankultur herangewachsen, die ihresgleichen sucht auf der Welt. Nicht umsonst feiert die Bundesliga jedes Jahr aufs Neue Zuschauerrekorde. Diese Kultur gilt es zu schützen.


Dazu müssen die Fans ihren Teil beitragen, indem sie auch gegen die eigenen Leute aufbegehren, wenn diese sich daneben benehmen. Zivilcourage muss auch im Stadion ihren Platz haben! Die staatlichen Institutionen, insbesondere die Polizei und die Politik, sollten sich allerdings auch überlegen, welche Rolle sie bei diesem Thema spielen möchten. 

Es war wenig überraschend, dass es nach dem Spiel zwischen St. Pauli und Rostock am Ende doch zu Ausschreitungen kam. Die Rostocker hatten ihrem Frust zwar nur in Form einer offiziell angemeldeten Demo Luft gemacht – 1.700 von ihnen hatten die Anreise nach Hamburg auf sich genommen, obwohl sie wussten, dass sie keinen rollenden Ball sehen würden. Nach dem Spiel allerdings griffen dann einige Chaoten aus dem Lager der St. Pauli-Fans die Polizei an und zündeten Mülltonnen und Toilettenhäuschen an. Das ist bitter, aber auch fast logisch. Man stelle sich nur vor, es wäre ruhig geblieben. Dann hätte die Polizei sich für ihr Konzept gefeiert – und bald wäre das Konzept in ganz Deutschland nachgeahmt worden. Frankfurt gegen Kaiserslautern, Köln gegen Gladbach, Hamburg gegen Bremen und Dortmund gegen Schalke – ohne Gästefans? Bitte nicht. 

Straftaten bleiben Straftaten, egal ob sie im Stadion oder auf der Straße begangen werden. Und natürlich ist die beste Straftat immer noch die, die nicht begangen wird. Aber in einem freien Land wie dem unseren, muss jeder staatliche Eingriff immer auch daraufhin überprüft werden, ob er mit Augenmaß erfolgt. Tausende oder gar hunderttausende Menschen unter Generalverdacht zu stellen, nur weil sie Fußballfans sind und den Unternehmen, denn nichts anderes sind Profi-Fußballclubs, einen Teil ihrer Einnahmequellen zu nehmen, halte ich aus diesem Blickwinkel für nicht gerechtfertigt. Wenn dann auf der Innenministerkonferenz auch noch gleichberechtigt ein mögliches NPD-Verbot, das Problem gewaltbereiter Islamisten und die Probleme in den Stadien diskutiert – und auch in der Presse entsprechend behandelt – werden, ist etwas verrutscht.


Man sollte sich daher über kreative Konzepte Gedanken machen, die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgereizt. Und vielleicht sollte man sich auch überlegen, ob man nicht manchmal auch selbst die Eskalation geradezu herbeiführt. Wenn im Gästeblock ohne Anlass mehr Polizisten auf Fans aufmarschieren (siehe Bild), braucht man sich nicht wundern, dass die Begrüßung eher unterkühlt ausfällt. Vielleicht sollten einfach alle Seiten ein wenig abrüsten und (wieder) mehr miteinander reden. Denn die Eskalation ist nicht ganz zufällig genau seit dem Zeitpunkt zu beobachten, seit die DFB/DFL einseitig die Gespräche über den kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik abgebrochen haben. Den Dialog wieder aufzunehmen, das muss doch zwischen aufgeklärten Menschen möglich sein, möchte man meinen.

Montag, 20. August 2012

Meine persönliche Bundesliga-Prognose, Teil III

Da wo keiner hin will, muss es am Ende aber auch Mannschaften geben: in der Abstiegszone. Die Aufsteiger werden es dieses Jahr schwer haben, mit großen Überraschungen ist nicht zu rechnen. Die Eintracht steigt ab. Aber nicht sportlich... der letzte Teil meiner Prognose.

Abstiegszone 

14. FC Augsburg 

Augsburg ist das neue Mainz. Irgendwie zumindest. Trotz des Abgangs des Trainers lässt sich das Umfeld nicht aus der Ruhe bringen und stellt damit die Weichen dafür, dass ein weiteres Mal mit solidem Fußball die Klasse gehalten wird. Respekt! 

15. Fortuna Düsseldorf 

Die Fortuna wird als bester Aufsteiger knapp an der Relegation vorbeirutschen. Das ist schlecht genug, um keine Euphorie auszulösen, wodurch sich ein Platzsturm vermeiden lässt. Und es ist gut genug, um nicht gegen Hertha in die Relegation zu müssen, wodurch sich ein Platzsturm vermeiden lässt. Die Saison ist damit auch für Düsseldorf tatsächlich mit dem letzten Spieltag und nicht erst nach einem Gerichtstermin beendet. Schönen Urlaub! 

16. Eintracht Frankfurt 

Die Eintracht-Fans werden sowohl in der laufenden Saison, als auch in der Relegation Randalemeister. Die Ergebnisse zählen am Ende nicht mehr, denn das zweite Relegationsspiel gegen die Hertha wird nach einem Platzsturm abgebrochen und die Eintracht steigt am grünen Tisch ab. 

17. SC Freiburg 

Wer spielt da noch gleich? Dieser Cissé…? Nein, der ist ja auch weg. Ein Kollektiv von Namenlosen und ein lustiger Trainer – das wird dieses Mal nicht zum Klassenerhalt reichen. Aber schön ist es in Freiburg. Und warm auch. Da geht man auch gerne zu Spielen in der zweiten Liga… 

18. Greuther Fürth 

Greuther Fürth verliert beide Derbys gegen den 1. FC Nürnberg krachend – und damit auch die Moral. Man sieht ein, dass man in der ersten Liga zu Recht seit den 30er Jahren nichts mehr zu suchen hat und fügt sich in sein Schicksal.

Meine persönliche Bundesliga-Prognose, Teil II

Im Mittelfeld finden sich dieses Jahr all die, die zwar ganz andere Ambitionen haben, diesen aber in Teilen seit Jahren hinterher laufen. In Gladbach konzentriert man sich auf das internationale Geschäft, in Hannover ist nach glorreichen zwei Jahren die Luft raus. Aber lest selbst...

Niemandsland

8. Werder Bremen 

Bremen wird 8. weil Bremen einfach keine drei Katastrophensaisons hintereinander spielen kann. Das ist ein Naturgesetz. Der Vertrag mit Thomas Schaaf wird bis 2057 verlängert. Mit einer Option auf weitere fünf Jahre. 

9. FSV Mainz 05 

Der FSV spielt wieder genauso, wie man es seit einiger Zeit gewohnt ist: Weit weg von den Abstiegsplätzen gibt es ein dauerndes Auf und Ab. Grauen Mittelfeldduellen gegen Stuttgart und Grottenkicks gegen Freiburg und Fürth folgen Sternstunden gegen Bayern, Dortmund und Wolfsburg. Aber was will man mehr, der FSV etabliert sich weiter im Fußball-Oberhaus. Helau! 

10. Hamburger SV 

Die Arbeit von Arnesen trägt langsam Früchte, der HSV stabilisiert sich insgesamt. Für einen Blick weiter nach oben ist es aber noch zu früh. Vielleicht ja im nächsten Jahr? 

11. VFB Stuttgart 

Mit Bruno Labbadia gewinnt man nichts. Geld für Transfers hat man auch nicht. Mittelfeld ist realistisch – und wird es dann auch. 

12. Borussia Mönchengladbach 

Als Gladbach sich das letzte Mal mit den Großen der Zunft messen durfte, hieß der Wettbewerb noch Pokal der Landesmeister. Die Mannschaft und das Umfeld wird vor lauter Begeisterung vergessen, dass es auch noch eine Bundesliga gibt. Nur die Übersicht des Trainers bewahrt die Borussia vor dem Abstiegskampf. 

13. Hannover 96 

Hannover spielt seit einiger Zeit über seinen Möglichkeiten. Und jetzt ist einfach die Luft raus. Mit dem Abstieg hat man nichts zu tun. Mehr ist aber auch nicht zu sagen über eine insgesamt verkorkste Saison.

Meine persönliche Bundesliga-Prognose, Teil I

Es gibt wenig, an dem man sich mehr die Finger verbrennen kann, als an einer Prognose für den Ausgang einer Bundesliga-Saison. Aber manchmal gilt einfach: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss… Hauptsache ist, dass die fußballfreie Zeit endlich vorbei ist. Auch wenn der Einstand in die Saison mir als Fan des 1. FC Nürnberg wahrlich nicht geschmeckt hat. Havelse als Trauma. Aber nunja… man ist ja Kummer gewohnt. Es wird Zeit, dass man wieder an die großen Zeiten anschließt... und ich glaube daran, dass dieses Jahr der erste Schritt getan wird.

Nürnberg wird 1968 Meister (Foto: DPA/picture alliance)

Hier nun aber der gesamte erste Teil meiner Prognose… viel Spaß beim Diskutieren! 

Spitzengruppe 

1. Borussia Dortmund 

Welchen Grund sollte es geben, dass sich an der Dominanz der Dortmunder etwas ändert? Die Spieler sind weiterhin jung und hungrig und werden versuchen, auf internationaler Ebene den Makel der letzten zwei Jahre zu tilgen. Klopp bleibt Klopp. Und außerdem gibt es jetzt ja auch noch Marco Reus… 

2. FC Bayern München 

Der FC Bayern hat zwar eingekauft. Aber hat er sich wirklich verstärkt? Egal wie wird auch weiter kein Weg an Dortmund vorbeiführen. Das wird damit kompensiert, dass dem Trauma von München eine Trotzreaktion in der Champions League folgt. Und das ist ja auch ein Titel, der zählt. 

3. VFL Wolfsburg 

Warum der VFL Wolfsburg dritter wird? Weil Felix Magath in der zweiten Saison einer Amtszeit eigentlich immer erfolgreich ist, sogar wenn er nicht mehr Trainer ist. Schalke 04 in der letzten Saison ist da so ein Beispiel. 

4. 1899 Hoffenheim 

Der Tipp ist vermutlich der mutigste von allen, vor allem nach dem Saisonstart im DFB-Pokal (ja, 0:4 beim Weltclub Berliner AK 07). Aber Geld bringt Erfolg. Irgendwann. Und jetzt ist irgendwann. Sagt das Bauchgefühl… und der Blick auf den Kader. 

5. 1. FC Nürnberg 

Der Höhenflug des Clubs in dieser Saison trägt drei Namen: Alexander Esswein, Sebastian Polter – und Dieter Hecking. Esswein sehen wir in drei Jahren auf der linken Außenposition der Nationalmannschaft (wer war noch gleich dieser Lukas Podolski?), vorher aber in Bestform auf dem Weg in die Euro League. Da gehört der ruhmreiche FCN auch hin. Mindestens. Das Pokal-Aus hilft da eher, weil der Fokus jetzt auf der Bundesliga liegt. 

6. FC Schalke 04 

Irgendwie fehlen der Mannschaft insgesamt die Typen. Dass Hans Sarpei Draxler zum neuen Raúl ausruft, ist eher als Verzweiflungstat zu verstehen. Da hilft auch der ewige Huub nicht. Immerhin reicht es wieder für die Euro League, was dem Club mit seinem riesigen Potenzial hilft, sich finanziell weiter zu stabilisieren. Insofern keine schlechte Saison, aber natürlich fühlt es sich anders an. Auch weil Dortmund eben schon wieder Meister wird… 

7. Bayer Leverkusen 

Das spannendste an Leverkusen war letztes Jahr das Theater um Michael Ballack. Der spielt jetzt aber irgendwo in Somalia oder so. Leverkusen spielt eine solide Saison und entwickelt einige Nachwuchsspieler so weiter, dass diese in die Stammformation hineinwachsen. Vielleicht macht es Sinn, für Bayer von einer Übergangssaison zu sprechen.

Donnerstag, 9. August 2012

Man wird doch wohl noch sagen dürfen...

In einer Gesellschaft, in der es kaum noch echte Tabus gibt, feiert der Tabubruch Hochkonjunktur. Ein Gastbeitrag von Martin Hagen.


„Ich will mich nicht dafür entschuldigen müssen, ein Deutscher zu sein“ - dieser und acht weitere „unbequeme Sätze“ prangten 2010, auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte, auf der Titelseite einer bekannten Boulevardzeitung, verbunden mit der Forderung, es dürfe „keine Sprechverbote geben.“ Nicht viel geistreicher, dafür immerhin in Versform, versuchte sich jüngst ein deutscher Dichter mit SS-Vergangenheit als Tabubrecher zu inszenieren, als er angeblich verschwiegene „Wahrheiten“ über Israel zu Papier brachte. Und jedem FDP-Mitglied klingt zehn Jahre nach dem Bundestagswahlkampf von 2002 noch der perfide Satz im Ohr: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen…“

In einer Gesellschaft, in der es kaum noch echte Tabus gibt, feiert der Tabubruch Hochkonjunktur. Der rhetorische Trick ist so einfach wie wirkungsvoll: Wer behauptet, mit seiner Position ein Tabu zu brechen, stempelt Widerspruch zum Angriff auf die Meinungsfreiheit ab, und schürt gleichzeitig im Subtext das Ressentiment: „Da will uns jemand den Mund verbieten...“

Dass in Wahrheit kein Mensch fordert, man müsse sich für sein Deutsch-Sein entschuldigen; dass über die Integration von Ausländern schon seit langem kontrovers diskutiert wird; dass Kritik an der Politik Israels hierzulande kein Tabu, sondern eher publizistischer Mainstream ist – all das spielt keine Rolle mehr, hat sich der Mob erst mal mit dem „mutigen Tabubrecher“ gegen die „Political Correctness“ solidarisiert.

Wer populistische Scheingefechte darüber führt, ob man Banalitäten aussprechen darf oder nicht, tut das häufig, um von Positionen abzulenken, die in aufgeklärten Schichten tatsächlich und aus gutem Grund tabuisiert sind – beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Homophobie. Solche „Tabus“, wenn man sie denn so nennen will, sind zivilisatorische Errungenschaften, oder mit den Worten von Jürgen Habermas: Ergebnisse eines kollektiven Lernprozesses. Sie zu brechen ist nicht emanzipatorisch, sondern reaktionär.

Es ist richtig und gut, dass auch der gröbste Unfug geäußert werden darf (und wie die Erfahrung zeigt, wird er nicht nur gerne geäußert, sondern mitunter auch publiziert). Wenn wir Empörendem mit Empörung entgegnen, greifen wir die Meinungsfreiheit  aber nicht an, sondern machen von ihr Gebrauch. Schließlich hat jeder das Recht auf seine eigene Meinung - aber nicht darauf, dass sie unwidersprochen bleibt.



Martin Hagen (30) war von 2004 bis 2006 Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Bayern. Der Beitrag ist zuerst erschienen im Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen.