In den letzten Tagen konnte man am Beispiel des Themas „Transfergesellschaft für die Schlecker-Frauen“ einiges lernen. Ich will an dieser Stelle in den nächsten Tagen auf vier verschiedene Phänomene eingehen, die auch übergreifend gelten und derer man sich bewusst sein sollte, wenn man auch in Zukunft in der Lage sein will, Nachrichten und (vermeintliche) Stimmungen richtig zu deuten.
Am Fall Schlecker ließ sich ziemlich gut erkennen, wie die digitalen Medien die Meinungsfindung in der Öffentlichkeit verändert haben. Interessant ist dabei, dass sich das weder auf die Onlineauftritte der „Qualitätsmedien“ einerseits noch auf die Blogosphäre und die sozialen Netzwerke andererseits beschränkte. Vielmehr lässt sich erahnen, wie sich diese inzwischen untereinander verschränken und gegenseitig hochschaukeln.
Dort wo früher zunächst eine Beschreibung der Tatsache stand, etwa in der Tagesschau oder dem heute journal, ohne allzu viel Bewertung dahinter, braucht es heute keine halbe Stunde, bis die ersten schlecht recherchierten, dafür aber hoch emotionalen Kommentare in den sozialen Netzwerken aber auch auf den Webseiten der großen Zeitungen und Zeitschriften auftauchen. Der darauffolgende Prozess der Meinungsbildung, die Möglichkeit in sich zu gehen, bevor man sich auf dem Markt der Meinungen positioniert, hat sich dadurch deutlich verkürzt. Wo man früher als Journalist noch etwas Zeit zum Nachdenken und zur Recherche hatte, weil es einen festen Redaktionsschluss gab und weil die Zeitungen am nächsten Tag sowieso alle gleichzeitig im Briefkasten bzw. am Kiosk lagen, regiert inzwischen das „Windhundprinzip“: Es ist nicht nur wichtig, die Meldung als solche als erster zu haben, sondern auch den passenden Kommentar dazu, der dann meinungsbildend wirkt und optimalerweise über die sozialen Netzwerke breit gestreut und diskutiert wird und damit ganz nebenbei noch Klicks auf die eigene Seite bringt.
In vielen Fällen sind die Kommentare schon fertig, bevor das eigentliche Ereignis eintritt. Es wird vorproduziert, was absehbar ist. Wenn es um Nachrufe auf Prominente, Kommentare zu Wahlen oder Bewertungen von Tarifabschlüssen geht, ist das oftmals weniger schwierig, als man denken würde. Wer einigermaßen nah am Geschehen ist, wird selten überrascht. In solchen Fällen lässt sich meistens noch ein gewisses Fundament der vertretenen Positionen erahnen. Passiert allerdings etwas Unvorhergesehenes, wird es spannend. Und genau um so einen Fall handelte es sich bei Schlecker.
Die Erfahrung der durch nächtelange Hängepartien bei Tarifverhandlungen und internationalen Gipfeltreffen gestählten Journalisten ließ diese vermuten, dass es am Ende – wie eigentlich immer – einen Kompromiss geben würde, mit dem sich alle zu schmücken versuchen würden. Als die Transfergesellschaft dann endgültig nicht zustande kam, waren auch einige der Kommentatoren gerade auf dem falschen Fuß unterwegs. Die ersten Kommentare waren vor allem auch daher wenig inhaltlich fundiert, weil man sich kaum mit den Pros und Contras einer Transfergesellschaft auseinandergesetzt hatte, sondern nur mit der Machtkonstellation in der Verhandlung, also der Frage nach den möglichen Gewinnern und Verlierern. Vermutlich kam es dem einen oder anderen, der den Vorgang plötzlich bewerten musste, gar nicht in den Sinn, dass es tatsächlich fundierte Gründe GEGEN eine solche Gesellschaft gab, weil man ja die ganze Zeit davon ausgegangen war, dass sie auf jeden Fall kommen würde.
Die Empörung der Medien und die der Netzcommunity vermischte sich und schaukelte sich gegenseitig hoch. Stundenlang wurden Hass und Häme über der FDP ausgeschüttet; wer sich bei Facebook, Twitter und sämtlichen schnell reagierenden Onlinemedien umschaute, musste meinen, dass 98% der Deutschen für eine Transfergesellschaft gewesen wären. Dabei war die Wahrnehmung eigentlich nur dadurch gesteuert, dass eine pointiert geäußerte Emotion einfach schneller geäußert ist – und sich auch besser in 140 Zeichen bei Twitter verpacken lässt –, als der Versuch einer objektiven Argumentenbilanz. Die Mischung aus berechtigtem Mitleid mit den „Schlecker-Frauen“ und einer gleichzeitig tief verankerten allgemeinen Abneigung gegen die FDP führte zu einem veritablen "Shitstorm". Auch wer keine Ahnung von dem Thema hatte, konnte sich guten Gewissens äußern, denn man war ja (vermeintlich) auf der Seite der Schwachen – und um öffentlich grundsätzlich alles falsch zu finden, was die FDP macht, braucht es derzeit sicher keinen allzu großen Mut. So verstärkten sich die verschiedenen emotionalen Elemente immer weiter – bis auch diejenigen, die versuchten, sich rational mit der Entscheidung auseinanderzusetzen, ihre Standpunkte aufgeschrieben hatten. Je mehr Zeit verging, desto mehr kippte die Stimmung. Nach und nach kamen die FAZ und die FTD, die Süddeutsche und die Wiwo sowie mehr und mehr Blogger aus ihrem Schneckenhaus und machten, recht unemotional im Vergleich zu den ersten Wortmeldungen, deutlich, dass es auch eine zweite legitime Sichtweise gibt – die aber schlicht nicht gänzlich ohne Recherche in 20 Minuten zusammengeschrieben werden konnte.
Merke: Um einen Shitstorm zu entfachen, braucht es nicht viel mehr als eine heftige Emotion, gepaart mit einigen ebenso emotionalen Kommentaren in vermeintlichen Leitmedien. Eine inhaltliche Diskussion wird erst zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt möglich, weil dann diejenigen den Markt der Meinungen betreten (können), die sich auch noch die Mühe gemacht haben, ein wenig zu recherchieren. Wenn man die Argumente auf seiner Seite hat, sollte man den Sturm einfach aussitzen und dann auf die Macht des Faktischen vertrauen. Eine Beschimpfung der „Shitstormer“ empfiehlt sich wahrlich nicht, auch wenn es einen bei der einen oder anderen blödsinnigen Bemerkung vielleicht in den Fingern juckt. Richtig problematisch wird es allerdings dann, wenn als Antwort auf die Argumente vermeintlich stichhaltige oder entlarvende Gegenargumente kommen, die sich bei näherer Betrachtung allerdings als gezielte Falschinformation herausstellen. Auch das gab es im Fall Schlecker… und darum soll es morgen an dieser Stelle gehen.
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