Mittwoch, 11. April 2012

#Schlecker – Lektion 4: Wie funktioniert Machtpolitik a la Merkel

In den letzten Tagen konnte man am Beispiel des Themas „Transfergesellschaft für die Schlecker-Frauen“ einiges lernen. Ich will an dieser Stelle in den nächsten Tagen auf vier verschiedene Phänomene eingehen, die auch übergreifend gelten und derer man sich bewusst sein sollte, wenn man auch in Zukunft in der Lage sein will, Nachrichten und (vermeintliche) Stimmungen richtig zu deuten. Lektion 1 beschäftigte sich mit dem Phänomen „Shitstorm“, Lektion 2 mit dem Phänomen gezielt eingesetzter Falschinformationen und Lektion 3 mit Koalitionsstrategie. 

Gestern habe ich mich an dieser Stelle maßgeblich damit beschäftigt, wie man in einer Koalition den Partner dafür nutzen kann, die Themen aus dem Weg zu räumen, die für die eigene Partei unappetitlich sind. Neben den gestern genannten Beispielen, gab es auch noch einen weiteren großen Koalitionstaktiker, der es damit immer hin auf 16 Jahre durchgehende Regierungszeit brachte: Helmut Kohl. Angela Merkel scheint allerdings nicht bereit, dasselbe Spiel zu spielen – sie ließ die FDP in der Frage nach Schlecker ziemlich lange alleine im Shitstorm stehen, bis sie – nach Begutachtung der Umfragen zum Thema – Philipp Rösler doch noch halbherzig zur Seite sprang. Hatte sie gehofft, dass der Fall Schlecker tatsächlich zu einem weiteren Sargnagel für die FDP würde? Und hatte sie sich damit einmal mehr verkalkuliert? Vermutlich war es tatsächlich so. 

Um Merkels Überlegung zu verstehen, muss man wohl einen Blick auf die grundsätzliche Gemengelage in der politischen Landschaft werfen. Eine zu starke FDP gewann in der Vergangenheit hauptsächlich von der Union Stimmen. Beim letzten Mal reichte es gemeinsam zu einer Mehrheit – aber was, wenn das eines Tages nicht mehr der Fall sein sollte? Grundsätzlich sieht es gut aus für Angela Merkel, zerlegt sich doch doch die politische Linke selbst in immer mehr Parteien. Nur eine zu starke FDP könnte dann noch dafür sorgen, dass die Union plötzlich nicht mehr die stärkste Kraft im deutschen Bundestag wäre – und Angela Merkel damit nicht mehr automatisch Kanzlerin. Das möchte sie natürlich vermeiden – und dazu ist sie sogar bereit, alle Regeln der Koalitionsräson, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben, über Bord zu werfen. 

Platt gesagt: Angela Merkel ist es egal, mit wem sie regiert. Hauptsache sie regiert. Dabei hat sie vermutlich die Schraube im Umgang mit der FDP überdreht. Lange Zeit ließen sich die Liberalen fast alles gefallen, weil sie wussten, dass bei einem Auseinanderbrechen der Koalition das nächste Wahlergebnis ziemlich sicher nicht mehr bei 14,6% liegen würde. Die andauernden Demütigungen durch die Union waren ein Teil der Ursache für den Umfrage-Niedergang der Liberalen. Hätte Merkel den Liberalen immer gerade so viel Luft gelassen, wie es etwa Helmut Kohl getan hat, um die Partei bei irgendwo zwischen 6% und 9% zu halten, vermutlich wäre der Aufstand von Rösler und Co. ausgeblieben. Bei 3% allerdings stellt sich die Existenzfrage – und es beginnt die Rückbesinnung auf die liberale Kernklientel, die sich nachvollziehbare Entscheidungen und klare ordnungspolitische Kante wünscht. Das kollidiert seit einigen Wochen mit dem Wischi-Waschi der Kanzlerin. Und ganz offensichtlich scheint der Umgang mit einem schwer zu steuernden Partner nicht unbedingt zu den Stärken von Angela Merkel zu gehören… es bleibt spannend.


Disclaimer: Weil das gerne falsch verstanden wird… nein, es geht mir hier nicht um die Rolle bestimmter Akteure. Die Situation hätte auch in einer anderen Konstellation auftreten können. Das Problem ist ein grundsätzliches!

Donnerstag, 5. April 2012

#Schlecker – Lektion 3: Wie funktioniert Koalitionsstrategie

In den letzten Tagen konnte man am Beispiel des Themas „Transfergesellschaft für die Schlecker-Frauen“ einiges lernen. Ich will an dieser Stelle in den nächsten Tagen auf vier verschiedene Phänomene eingehen, die auch übergreifend gelten und derer man sich bewusst sein sollte, wenn man auch in Zukunft in der Lage sein will, Nachrichten und (vermeintliche) Stimmungen richtig zu deuten. Lektion 1 beschäftigte sich mit dem Phänomen „Shitstorm“, Lektion 2 mit dem Phänomen gezielt eingesetzter Falschinformationen. 

And the Oscar goes to… Horst Seehofer. Und zwar für das beste Laienschauspiel. Wie wir der Presse entnehmen durften, war Horst Seehofer während eines Treffens der Ministerpräsidenten im halbstündigen Rhythmus immer wieder an der Journalistenmeute vorbeigestürmt, um sich telefonisch persönlich in das Ringen um die Transfergesellschaft für die „Schlecker-Frauen“ einzuschalten. Nachdem die Verhandlungen gescheitert waren, trat er vermeintlich bebend vor Wut vor die Presse und konnte sich scheinbar kaum zurückhalten, um nicht über seinen kleineren Koalitionspartner in Bund und Land, die FDP, verbal herzufallen. Selbst der Bruch der Koalition (ob nun auf Bundes- oder auf Landesebene, das blieb offen) stand für einen Moment im Raum, schien Horst Seehofer das doch davon abhängig zu machen, wie denn nun sein Schlaf in der darauffolgenden Nacht ausfallen würde. 

Am Ende blieb der große Knall doch wieder aus – und wer weiß, wie gerade Koalitionsregierungen hinter den Kulissen funktionieren, der erahnt auch, dass Seehofers Auftritt tatsächlich wenig mehr war, als ein gut geprobtes Schauspiel. Der Krach zwischen der CSU und der FDP dürfte sich in Wahrheit – zumindest auf oberster Ebene - in Grenzen gehalten haben. Um das zu verstehen eignet sich ein Beispiel aus der rot-gelben Regierungszeit in Rheinland-Pfalz. Der eine oder andere mag sich noch erinnern, diese endete nicht etwa durch einen Absturz von einer der beiden Regierungsparteien, sondern vielmehr dadurch, dass die Bürger die Regierung so sehr belohnten, dass die SPD auf einmal auch ohne die FDP regieren konnte. Kurt Beck hatte damals trotzdem bei der FDP angefragt, ob sie nicht weiter mit ihm regieren wollte. Und er wusste warum. Denn egal unter ihm oder unter Scharping, immer wieder hatten die SPD-Chefs Themen gemeinsam mit der FDP durchgewunken, die sie sonst weder gegen die eigene Basis noch gegen die eigenen Wähler hätten durchsetzen können. Der Verweis, dass man leider vom Koalitionspartner erpresst wurde, ist immer wieder gerne genommen – und schafft beiden Seiten die Chance, sich zu profilieren und Freiräume innerhalb des eigenen Lagers zu gewinnen. Und genau so dürfte es sich auch diesmal verhalten haben. 

Die CSU als „Volkspartei“ kann die Richtigkeit einer Verweigerungshaltung gegenüber einer Transfergesellschaft durchaus erkannt haben, aus politischen Gründen wird es ihr allerdings schwer fallen, dies öffentlich zu äußern, als die FDP. Mit dem gerade beschriebenen Schauspiel haben am Ende alle ihr Ziel erreicht: Beide haben die Transfergesellschaft verhindert, die FDP hat ihrer Klientel gegenüber etwas vorzuweisen und die CSU wäscht die Hände in Unschuld und verliert die Wähler am linken Rand nicht zwangsläufig in Richtung SPD. Was man daraus lernen sollte? Nicht alles so ernst nehmen, was Politiker in scheinbar emotionaler Aufgewalltheit von sich geben. Mindestens. 

Disclaimer: Weil das gerne falsch verstanden wird… nein, es geht mir hier nicht um die Rolle bestimmter Akteure. Die Situation hätte auch in einer anderen Konstellation auftreten können. Das Problem ist ein grundsätzliches!

Mittwoch, 4. April 2012

#Schlecker – Lektion 2: Wie funktioniert Falschinformation

In den letzten Tagen konnte man am Beispiel des Themas „Transfergesellschaft für die Schlecker-Frauen“ einiges lernen. Ich will an dieser Stelle in den nächsten Tagen auf vier verschiedene Phänomene eingehen, die auch übergreifend gelten und derer man sich bewusst sein sollte, wenn man auch in Zukunft in der Lage sein will, Nachrichten und (vermeintliche) Stimmungen richtig zu deuten. Lektion 1 beschäftigte sich mit dem Phänomen „Shitstorm“. 

Gestern habe ich mich ausgiebig damit auseinandergesetzt, was aus meiner Sicht maßgeblich dafür gesorgt hat, dass sich zu dem Thema Schlecker ein entsprechender Shitstorm, maßgeblich gegen die FDP gerichtet, entwickelt hat. Dieser hatte sich relativ schnell wieder gelegt, nachdem die ersten fundierten Kommentare und Artikel auftauchten, die vermutlich den einen oder anderen doch zum Nachdenken brachten. Aber natürlich war es damit nicht vorbei, gab es doch Leute, die mit einer ganz anderen Agenda ausgestattet ein Interesse daran hatten, das Thema am Laufen zu halten. Ich spreche hier von denen, die glaubten entweder ganz persönlich oder für ihren Arbeitgeber/ihre Partei etwas herausschlagen zu können, in diesem Fall maßgeblich Mitglieder und Funktionsträger aus der Ecke der SPD, der Grünen und der Piratenpartei. 

Früh am Tag nach der Entscheidung begannen Tweets und Posts zu kursieren, die versuchten, die Widersprüchlichkeit in der Entscheidung der schwarz-gelb geführten Bundesländer und im Handeln des Wirtschaftsministers im Besonderen darzustellen. Dazu wurden andere, mehr oder weniger prominente, Insolvenzfälle oder Werksschließungen herangezogen, bei denen die Bildung einer Transfergesellschaft von einer schwarz-gelben (Landes-)Regierung unterstützt wurde. Es sollte der Eindruck entstehen, man messe wohl mit zweierlei Maß, wenn es um Frauenarbeitsplätze geht, außerdem wäre die Entscheidung nur mit der prekären Situation der FDP und ihrem Versuch, sich zu profilieren zu erklären. 

Fängt man an, hier etwas tiefer zu bohren, kommt man schnell zur Erkenntnis, dass hier in Teilen Äpfel mit Birnen verglichen wurden, in Teilen sogar massive Falschinformationen (wissentlich?) gestreut wurden. Zunächst konnte die ablehnende Haltung der FDP zu staatlicher Unterstützung von Unternehmen in Schieflage nicht überraschen. Auch in der Oppositionszeit schon hatte die FDP massiv Position gegen die von Gerhard Schröder betriebene Rettung von Holzmann bezogen, die am Ende für die Angestellten trotzdem in der Arbeitslosigkeit landete, vorher aber noch reichlich Steuermillionen kostete. Auch bei der Diskussion um Opel hatte die FDP klar Position bezogen und sich durchgesetzt. In beiden Fällen lässt sich im Rückblick sagen, dass die Position der Liberalen richtig war. Holzmann konnte auch mit Steuergeld nicht gerettet werden, Opel überlebte auch ohne Steuergeld. 

Bleibt noch die Frage, ob an anderer Stelle ein Paradigmenwechsel stattgefunden hätte, etwa im Vergleich zum Umgang mit der Schließung des Nokia-Werkes in Bochum, wie in den sozialen Netzwerken kolportiert wurde. Unbestritten hatte sich die dortige schwarz-gelbe Landesregierung für eine Transfergesellschaft eingesetzt. Ein Vergleich mit dem Fall Schlecker verbietet sich aber aus verschiedenen Gründen. So wurde in Bochum ein Werk geschlossen, das zu einem sonst weiterhin gesunden Unternehmen gehörte. Die Transfergesellschaft war Teil einer Verhandlungslösung mit Nokia und wurde auch von Nokia – und nur Nokia – bezahlt. Der Deal in einer solchen Situation ist einfach: Die Firma hat ein Interesse daran, Kündigungsschutzklagen zu vermeiden (die mit einem Eintritt in die Transfergesellschaft ausgeschlossen sind), der Staat hat ein Interesse daran, weil so zumindest ein Teil der Menschen nicht direkt in die Arbeitslosigkeit fällt und Unterstützung aus der Staatskasse bezieht, sondern die Möglichkeit hat, die zusätzliche Zeit zu nutzen, sich zu bewerben und die Mitarbeiter haben ein Interesse daran, weil die Kündigungsschutzklagen bei einer Schließung eines Standortes, ohne dass ein anderer in der Nähe ist, normalerweise nicht allzu viel einbringen und so die Zeit, in der sie Unterstützung erhalten, verlängert wird. Am Ende dient eine Transfergesellschaft in solch einer Konstellation dazu, zusätzliche Staatsausgaben zu vermeiden. Im Fall Schlecker wären allerdings über das zu zahlende Arbeitslosengeld hinaus noch weitere Gelder geflossen. Wer also die beiden Fälle vergleicht, muss schon dazu sagen, dass die Zielsetzungen gegensätzlicher Natur waren. Wer das nicht tut, muss sich entweder fragen lassen, warum er oder sie sich offensiv zu Themen äußert, von denen er nichts versteht. Oder man muss davon ausgehen, dass es Vorsatz ist – umso mehr, wenn es aus dem Parteiumfeld kommt. 

Ähnliche Beispiele gibt es übrigens auch an anderer Stelle zuhauf. Auch im Schlecker-Kontext ist etwa die Behauptung von Kurt Beck zu nennen, bei den Bürgschaften für die Transfergesellschaft ginge es ja nicht um echtes Geld. Mit der Argumentation sollte man mal zu seiner Bank gehen und versuchen, eine Ausfallbürgschaft zu verhandeln. Wahrscheinlich ist da schon beim Pförtner Schluss. Und das weiß auch Kurz Beck. Insofern sind entsprechende Aussagen nichts anderes als vorsätzliche Volksverdummung. Auch in der Debatte um Joachim Gauck wurde von einzelnen Verwirrten mit dem Instrumentarium der Verfälschung von Tatsachen gearbeitet, nur ein Beispiel soll die Behauptung sein, Gauck wäre ein Privilegierter des Systems gewesen, weil er ein Rückkehrrecht für seine Söhne heraus verhandeln konnte. Wenn man sich überlegt, dass sowohl Gauck selbst als auch seine Söhne wegen ihre Nähe zur Kirche davon abgehalten wurden, ihrem Berufswunsch nachzugehen, eine eigentlich mühelos zu widerlegende Behauptung. Nur kommt man damit schnell auch zum Problem solcher Manöver: Sie verfangen, weil die wenigsten Menschen sich leider die Mühe machen, die Information, mit der sie zu tun haben, auch nur oberflächlich zu prüfen. Das sollte einem zu denken geben… nicht nur beim Thema Schlecker. 

Disclaimer: Weil das gerne falsch verstanden wird… nein, es geht mir hier nicht um die Rolle bestimmter Akteure. Die Situation hätte auch in einer anderen Konstellation auftreten können. Das Problem ist ein grundsätzliches!

Dienstag, 3. April 2012

#Schlecker – Lektion 1: Wie funktioniert ein Shitstorm

In den letzten Tagen konnte man am Beispiel des Themas „Transfergesellschaft für die Schlecker-Frauen“ einiges lernen. Ich will an dieser Stelle in den nächsten Tagen auf vier verschiedene Phänomene eingehen, die auch übergreifend gelten und derer man sich bewusst sein sollte, wenn man auch in Zukunft in der Lage sein will, Nachrichten und (vermeintliche) Stimmungen richtig zu deuten. 

Am Fall Schlecker ließ sich ziemlich gut erkennen, wie die digitalen Medien die Meinungsfindung in der Öffentlichkeit verändert haben. Interessant ist dabei, dass sich das weder auf die Onlineauftritte der „Qualitätsmedien“ einerseits noch auf die Blogosphäre und die sozialen Netzwerke andererseits beschränkte. Vielmehr lässt sich erahnen, wie sich diese inzwischen untereinander verschränken und gegenseitig hochschaukeln. 

Dort wo früher zunächst eine Beschreibung der Tatsache stand, etwa in der Tagesschau oder dem heute journal, ohne allzu viel Bewertung dahinter, braucht es heute keine halbe Stunde, bis die ersten schlecht recherchierten, dafür aber hoch emotionalen Kommentare in den sozialen Netzwerken aber auch auf den Webseiten der großen Zeitungen und Zeitschriften auftauchen. Der darauffolgende Prozess der Meinungsbildung, die Möglichkeit in sich zu gehen, bevor man sich auf dem Markt der Meinungen positioniert, hat sich dadurch deutlich verkürzt. Wo man früher als Journalist noch etwas Zeit zum Nachdenken und zur Recherche hatte, weil es einen festen Redaktionsschluss gab und weil die Zeitungen am nächsten Tag sowieso alle gleichzeitig im Briefkasten bzw. am Kiosk lagen, regiert inzwischen das „Windhundprinzip“: Es ist nicht nur wichtig, die Meldung als solche als erster zu haben, sondern auch den passenden Kommentar dazu, der dann meinungsbildend wirkt und optimalerweise über die sozialen Netzwerke breit gestreut und diskutiert wird und damit ganz nebenbei noch Klicks auf die eigene Seite bringt. 

In vielen Fällen sind die Kommentare schon fertig, bevor das eigentliche Ereignis eintritt. Es wird vorproduziert, was absehbar ist. Wenn es um Nachrufe auf Prominente, Kommentare zu Wahlen oder Bewertungen von Tarifabschlüssen geht, ist das oftmals weniger schwierig, als man denken würde. Wer einigermaßen nah am Geschehen ist, wird selten überrascht. In solchen Fällen lässt sich meistens noch ein gewisses Fundament der vertretenen Positionen erahnen. Passiert allerdings etwas Unvorhergesehenes, wird es spannend. Und genau um so einen Fall handelte es sich bei Schlecker. 

Die Erfahrung der durch nächtelange Hängepartien bei Tarifverhandlungen und internationalen Gipfeltreffen gestählten Journalisten ließ diese vermuten, dass es am Ende – wie eigentlich immer – einen Kompromiss geben würde, mit dem sich alle zu schmücken versuchen würden. Als die Transfergesellschaft dann endgültig nicht zustande kam, waren auch einige der Kommentatoren gerade auf dem falschen Fuß unterwegs. Die ersten Kommentare waren vor allem auch daher wenig inhaltlich fundiert, weil man sich kaum mit den Pros und Contras einer Transfergesellschaft auseinandergesetzt hatte, sondern nur mit der Machtkonstellation in der Verhandlung, also der Frage nach den möglichen Gewinnern und Verlierern. Vermutlich kam es dem einen oder anderen, der den Vorgang plötzlich bewerten musste, gar nicht in den Sinn, dass es tatsächlich fundierte Gründe GEGEN eine solche Gesellschaft gab, weil man ja die ganze Zeit davon ausgegangen war, dass sie auf jeden Fall kommen würde. 

Die Empörung der Medien und die der Netzcommunity vermischte sich und schaukelte sich gegenseitig hoch. Stundenlang wurden Hass und Häme über der FDP ausgeschüttet; wer sich bei Facebook, Twitter und sämtlichen schnell reagierenden Onlinemedien umschaute, musste meinen, dass 98% der Deutschen für eine Transfergesellschaft gewesen wären. Dabei war die Wahrnehmung eigentlich nur dadurch gesteuert, dass eine pointiert geäußerte Emotion einfach schneller geäußert ist – und sich auch besser in 140 Zeichen bei Twitter verpacken lässt –, als der Versuch einer objektiven Argumentenbilanz. Die Mischung aus berechtigtem Mitleid mit den „Schlecker-Frauen“ und einer gleichzeitig tief verankerten allgemeinen Abneigung gegen die FDP führte zu einem veritablen "Shitstorm". Auch wer keine Ahnung von dem Thema hatte, konnte sich guten Gewissens äußern, denn man war ja (vermeintlich) auf der Seite der Schwachen – und um öffentlich grundsätzlich alles falsch zu finden, was die FDP macht, braucht es derzeit sicher keinen allzu großen Mut. So verstärkten sich die verschiedenen emotionalen Elemente immer weiter – bis auch diejenigen, die versuchten, sich rational mit der Entscheidung auseinanderzusetzen, ihre Standpunkte aufgeschrieben hatten. Je mehr Zeit verging, desto mehr kippte die Stimmung. Nach und nach kamen die FAZ und die FTD, die Süddeutsche und die Wiwo sowie mehr und mehr Blogger aus ihrem Schneckenhaus und machten, recht unemotional im Vergleich zu den ersten Wortmeldungen, deutlich, dass es auch eine zweite legitime Sichtweise gibt – die aber schlicht nicht gänzlich ohne Recherche in 20 Minuten zusammengeschrieben werden konnte. 

Merke: Um einen Shitstorm zu entfachen, braucht es nicht viel mehr als eine heftige Emotion, gepaart mit einigen ebenso emotionalen Kommentaren in vermeintlichen Leitmedien. Eine inhaltliche Diskussion wird erst zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt möglich, weil dann diejenigen den Markt der Meinungen betreten (können), die sich auch noch die Mühe gemacht haben, ein wenig zu recherchieren. Wenn man die Argumente auf seiner Seite hat, sollte man den Sturm einfach aussitzen und dann auf die Macht des Faktischen vertrauen. Eine Beschimpfung der „Shitstormer“ empfiehlt sich wahrlich nicht, auch wenn es einen bei der einen oder anderen blödsinnigen Bemerkung vielleicht in den Fingern juckt. Richtig problematisch wird es allerdings dann, wenn als Antwort auf die Argumente vermeintlich stichhaltige oder entlarvende Gegenargumente kommen, die sich bei näherer Betrachtung allerdings als gezielte Falschinformation herausstellen. Auch das gab es im Fall Schlecker… und darum soll es morgen an dieser Stelle gehen. 

Disclaimer: Weil das gerne falsch verstanden wird… nein, es geht mir hier nicht um die Rolle bestimmter Akteure. Die Situation hätte auch in einer anderen Konstellation auftreten können. Das Problem ist ein grundsätzliches!

Montag, 2. April 2012

#Schlecker – Eine übergreifende Einordnung in vier Lektionen

Es ist wie so oft in letzter Zeit. Nach kurzer Empörung und heftiger Diskussion, in der plötzlich jeder zum Experten – diesmal für Transfergesellschaften, Kündigungsschutz und Sozialauswahl – geworden ist, wendet sich die Gesellschaft dem nächsten Thema zu. Das Thema Schlecker wird in den nächsten Tagen nur noch am Rande eine Rolle spielen und dann auch nur am Rande. Und relativ schnell wird die nächste Sau durchs Dorf traben. Dabei ist der Fall Schlecker bzw. in erster Linie das Drumherum ein Beispiel, an dem man unendlich viel lernen kann – und zwar darüber wie Politik grundsätzlich funktioniert und auch darüber, wie die Digitalisierung die Art und Weise, wie Meinungen gemacht werden verändert. 

Ich fände es schade, wenn das Thema ohne größere Einordnung wieder in der Versenkung verschwände, denn es hat wahrlich alles, was man auch von einem großen Theaterstück, in diesem Fall einer Tragödie, erwarten würde: (vermeintlich) Gute und überzeichnete Böse, Machtspiele und Intrigen, Manipulation und Empörung, Liebe und Hass, (enttäuschte) Hoffnungen und unvorhergesehen Wendungen. Ob es ein Happy End geben wird ist, entgegen der landläufigen Meinung, noch gar nicht abgemacht. Dazu müsste man nach einem halben Jahr einmal nachhören, wie es den „Schlecker-Frauen“ ergangen ist. Aber so weit sind wir noch nicht… und es soll auch gar nicht um eine weitere inhaltliche des Themas gehen. 

Ich will an dieser Stelle in den nächsten vier Tagen jeweils eine „Lektion“ vorstellen, von der ich glaube, dass man sie aus dem Schlecker-Fall gelernt haben sollte. Dabei soll es um die Rolle der Leitmedien und der sozialen Medien (Lektion 1), die Rolle gezielter Falschinformation (Lektion 2), das Verständnis für Koalitionsstrategien (Lektion 3) und einen Blick hinter die Kulissen der Merkelschen Machtpolitik (Lektion 4) gehen, jeweils im Kontext des genannten Falls. 

Natürlich ist die Betrachtung subjektiv. Und daher freue ich mich über ausgiebige Diskussionen… mehr dann ab morgen an dieser Stelle.