Seit dem Einzug der Piratenpartei in den Landtag im Saarland herrscht in den Medien (mal wieder) Alarmstimmung. „Wo bekommen wir einen Piraten für unsere Sendung her?“, scheint die Frage zu sein, die sich in sämtlichen Talkshow-Redaktion stellt. Und irgendeinen findet man dann auch irgendwie, egal ob der zum Thema der Sendung (oder zu dem, das sich in der Sendung entwickelt), dann auch etwas zu sagen hat. Das führt zu mitunter absurden Situationen und zu entsprechenden Diskussionen darüber, wie viel Ahnungslosigkeit in der Politik erlaubt ist bzw. wie deutlich man diese zur Schau stellen darf. Die BILD-Zeitung, wahlweise Zentralorgan gegen die da oben oder des Establishments, was nicht immer ein Gegensatz sein muss, hat schnell eine klare Meinung, ohne sich mit den Zwischentönen auseinanderzusetzen. Vor allem Christopher Lauer wird immer wieder zur Zielscheibe, sogar innerhalb der eigenen Partei. Das liegt daran, dass er zwar das ursprüngliche Ideal der Piraten wie kaum ein zweiter verkörpert – er verweist immer wieder darauf, dass nicht seine Meinung zählt, sondern die der Partei, er hält dem Politikbetrieb den Spiegel vor –, gleichzeitig aber als Abgeordneter inzwischen selbst Teil genau dieses Betriebs ist und Diskussionen mit Provokationen bis an die Grenze zur Arroganz auf die Spitze treibt, mit denen nicht jeder klar kommt. Vor allem das Kokettieren mit der eigenen Unwissenheit bzw. der der eigenen Partei schmeckt vielen nicht. Und genau da kommen wir wieder zurück zu der Frage, die auch die Piraten seit langer Zeit beschäftigt und die eben nicht endgültig beantwortet ist: Welche Rolle können die Piraten im Parteienspektrum einnehmen – und welche vielleicht nicht?
Nachdem zu Beginn in erster Linie netzpolitische Themen und die Erneuerung politischer Prozesse in Richtung von mehr Transparenz die Themen der Piraten waren, versucht man inzwischen zu immer mehr Themenkomplexen Positionen zu entwickeln – und biegt dabei deutlich nach links ab. Damit werden die Piraten schon automatisch immer mehr zu einer „normalen Partei“, was positive und negative Effekte hat. Der positive ist, dass die Bürger sich ein besseres Bild machen können von dem, was sie mit ihrer Stimme an Positionen unterstützen, was ja auch eine nicht zu unterschätzende Form von Transparenz ist. Außerdem hat eine Partei auf Dauer nur die Chance, wirklich große Veränderungen anzustoßen, wenn sie regiert – und mit ihrer „Normalisierung“ wird sie grundsätzlich koalitions- und regierungsfähig, weil berechenbarer.
Negativ ist allerdings, dass eine „normale“ Partei kaum mehr dazu taugt, dem System insgesamt den Spiegel vorzuhalten, weil sie ja selbst ein Teil davon ist. Sie kann sich nicht mehr hinter dem Protest verstecken und vermeintlich neutral Vorschläge zur Verbesserung der Prozesse einbringen, weil sie von den einen (maßgeblich der politischen Linken, aber auch den Liberalen) als politischer Konkurrent und den anderen (maßgeblich den Konservativen) als politischer Gegner wahrgenommen wird, von dem man fast schon automatisch keine Vorschläge annimmt. Genau dieses Dilemma verkörperte Christopher Lauer bei seinem Auftritt bei Maybritt Illner, bei dem er Kurt Beck fast zum explodieren brachte. Wäre er Moderator gewesen, gewissermaßen neutral und von allen anderen gleich weit entfernt, man müsste ihm einen fantastischen Job attestieren, denn selten in den letzten Jahren hatte es jemand geschafft, den Etablierten die wirklich unangenehmen Fragen (zum Beispiel nach den Millionen, die Kurt Beck höchstpersönlich im Milliardengrab am Nürburgring verbuddelt hat) zu stellen und daraufhin auch eine echte Reaktion zu erhalten. Als Vertreter einer Partei, die für sich in Anspruch nimmt, den Etablierten auch inhaltlich zu sagen, was sie an deren Politik nicht gut findet (z.B. Hartz IV, das Gebührenmodell des ÖPNV etc.) muss man aber erwarten dürfen, dass sie zu wichtigen Themen mehr zu sagen hat als „Dazu haben wir noch keine Meinung“. „Cherry Picking“ funktioniert auf Dauer nicht, entweder man lässt sich ganz ein, oder man lässt es ganz.
Kaum jemand erklärt Politik – und die Probleme von Politik – derzeit so schön schnoddrig wie Christopher Lauer oder so schön blumig wie Marina Weisband. Schon alleine damit sind die Piraten eine Bereicherung des politischen Betriebs. Und das gilt auch für ihre Bereitschaft, neue Wege in der Entscheidungsfindung auszuprobieren, Diskussionskultur als Thema wieder in den Mittelpunkt zu stellen, die Herausforderungen und Chancen der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft in den Mittelpunkt zu stellen. Auf diese Themenfelder beschränkt darf man von den Piraten Impulse erwarten – und sollte auch bereit sein, diese unvoreingenommen zu prüfen. Alles darüber hinaus sollte man als Anstoß betrachten, wie er von jeder beliebigen (linken) Partei kommen könnte. Und man sollte es dann auch entsprechend behandeln.
Schade wäre es, wenn die Vermischung der beiden Ebenen dazu führen würde, dass sich die Piraten immer weiter normalisieren ohne, dass sie prozessual wirkliche Veränderungen anstoßen können. Die Gefahr besteht derzeit – und darüber sollten sich nicht nur die Piraten Gedanken machen. Denn es wäre eine verschenkte Chance für die Demokratie.