Vor lauter Sicherheitspolitik hat die Bundesregierung den Blick für die Bürgerrechte verloren. Wer immer nur überwacht und verbietet, nimmt dem Menschen den Raum für freie Entscheidungen.
Auch wenn Deutschland von einer spröden Protestantin regiert wird, die nicht im Verdacht steht, ein Genussmensch zu sein, sollte Angela Merkel doch auf ihren vielen Reisen in die politische Provinz eines verstanden haben: Die Deutschen sind ein Volk, das zwar durchaus hart zu arbeiten weiß, in einem gewissen Maße und mit einer gewissen Regelmäßigkeit aber auch den schönen Dingen des Lebens zugetan ist. Zumindest, und das sollte die Politik, egal ob in Brüssel oder Berlin, verstanden haben, wollen die Deutschen genauso wenig wie andere emanzipierte Völker auch bevormundet werden.
Gerade in den vergangenen Wochen geisterten wieder reichlich Ideen durch die politische Landschaft, die an die Zeit der Prohibition im Amerika der 20er-Jahre erinnern, die maßgeblich von einem umfassenden Argwohn gegenüber der Vernunft des Bürgers und dessen Fähigkeit, für sich selbst verantwortliche Entscheidungen zu treffen, geprägt waren. Teile des konservativen Lagers scheinen es für legitim zu halten, Bürger auch über die Grenzen des vom Verfassungsrecht Erlaubten zu bespitzeln – gewissermaßen zum Schutz vor sich selbst. Die Bemerkung des schon öfter negativ aufgefallenen CSU-Sheriffs Hans-Peter Uhl, Deutschland werde von Sicherheitsbehörden regiert, was ihn nicht weiter zu stören schien, setzte dem Ganzen die Krone auf. In Hamburg gilt derweil ein Alkoholverbot in öffentlichen Verkehrsmitteln und man fragt sich, wann es dem Alkohol genauso gehen wird wie den Zigaretten, die inzwischen auch in Bars und Clubs, Restaurants und Cafés nicht mehr erlaubt sind. Eine Wette darauf, dass wir in spätestens zehn Jahren auch in Deutschland unser Bier auf dem Weg ins Fußballstadion nur noch in braunen Papptüten transportieren dürfen, wie es in den Vereinigten Staaten schon gang und gäbe ist, scheint derzeit eine sicherere Sache, als auf die langfristige Rettung Griechenlands oder den Gewinn der Meisterschaft durch den FC Bayern zu setzen. Gemeinsam mit der diskutierten Helmpflicht für Fahrradfahrer und anderen, regelmäßig in anderem Gewand wiederkehrenden Vorstößen ergibt sich eine Zukunftsvision, die mir zu denken gibt.
Werden wir in ein paar Jahren in Nachtclubs nur noch Kamillentee serviert bekommen, ohne Zucker wohlgemerkt, denn der könnte ja böse Fettzellen provozieren, und zum langweiligen Blinken von vorgeschriebenen 20-Watt-Energiesparlampen zu Musik mit maximal 30 Dezibel feiern? Müssen wir uns darauf einstellen, dass wir am Strand eine Selbstverpflichtung zum regelmäßigen Eincremen unterschreiben, bei der die Zuwiderhandlung mit vier Wochen Führerscheinentzug geahndet wird? Und müssen wir in Zukunft jede Zusammenkunft mit mehr als einem Freund bei der noch zu gründenden „Allgemeinen Bundeszentrale für präemptive Terrorismusabwehr“ anmelden und genehmigen lassen, weil ja jedes Mal, wenn Menschen aufeinandertreffen, die theoretische Gefahr eines Komplotts besteht?
Ich gebe zu, ich bin Nichtraucher – und als solcher ganz persönlich nicht unbedingt unglücklich darüber, nicht immer und überall zugequalmt zu werden. Aber inzwischen gehen mir die Gedanken mancher staatlicher Zwangsbeglücker wirklich zu weit. Privat muss auch in Zeiten, in denen viele Menschen ihre Privatsphäre bei Casting Shows oder im Internet aufgeben (freiwillig, wohlgemerkt!), privat bleiben, wenn man es denn will. Und der mündige Mensch muss auch in Zukunft diejenigen Entscheidungen, mit denen er nicht in unzulässiger Art und Weise in die Persönlichkeitsrechte anderer eingreift, selbst treffen dürfen. Anstatt Menschen zu bevormunden, sollte man sie vielmehr in die Lage versetzen, die Vor- und Nachteile einer Entscheidung abzuwägen, um dann selbstbewusst und gut informiert entscheiden zu können. Eine Prohibition 2.0, schleichend und durch die Hintertür, indem nach und nach immer weitere Rechte eingeschränkt werden, bis eines Tages nichts mehr bleibt von dem, was vielleicht nicht immer gesund ist, aber das Leben auch lebenswert macht, die möchte ich nicht. Wie so oft allerdings liegt die Verantwortung auch bei uns Bürgern, dafür zu sorgen, dass es für die entsprechenden Politiker wenig Anlass gibt und wenig attraktiv erscheint, sich mit entsprechenden Forderungen hervorzutun. Verantwortungsvolles Verhalten hilft dabei ebenso, wie eine emanzipatorische Grundhaltung, die dafür sorgt, dass man sich nicht alles gefallen lässt. „Freiheit statt Sozialismus“ ist sicher ein Satz, der heute so für viele Bereiche zu platt ist, um die Komplexität der Themen abzubilden. Bei den hier angesprochenen gilt er für mich allerdings uneingeschränkt fort.
Zuerst erschienen bei "The European" am 27. Oktober 2011: http://www.theeuropean.de/christoph-giesa/8610-verbotskultur-in-deutschland
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