Sonntag, 23. Dezember 2012

Wie man sich mit Geld selbst beschert

Bescherung, das passt bestens zu Weihnachten. Allerdings bekommt der Begriff mit Blick auf die Fußball-Bundesliga dieses Jahr eine ganz andere Bedeutung. Dort nämlich sieht man derzeit, wie man sich selbst Geschenke macht (das war eigentlich mal anders gemeint) und anderen dabei ein frustrierendes und arbeitsames Weihnachtsfest beschert. Der schwarze Weihnachtsengel ist in diesem Fall der VWL Wolfsburg, jener Retortenclub aus der niedersächsischen Provinz, der sich aufgrund seines besonderen Status nicht an die Regeln des "Financial Fair-Play" halten muss, auf das der deutsche Fußball doch so stolz ist.

Wolfsburg feuert seit Jahren, unterstützt vom hochspendablen VW-Konzern, Geld ohne Ende in seinen Kader, fand sich aber seit der Meisterschaft 2009 regelmäßig im Abstiegskampf wieder. Nun scheint man erkannt zu haben, dass es die Spieler alleine nicht sind, die einen Verein erfolgreich und beliebt machen. Pünktlich zu Weihnachten schrieb man also einen Wunschzettel, auf dem ein kompetenter und sympathischer Manager und Trainer standen. Weil diejenigen Kandidaten, die zur Hälfte der Saison verfügbar sind, vielleicht sympathisch, meistens aber nicht erfolgreich sind, bescherte man sich eben selbst, indem man sich bei den direkten Mitkonkurrenten Werder Bremen und 1. FC Nürnberg bediente. Von Bremen kam Manager Klaus Allofs, von Nürnberg nun gestern Trainer Dierter Hecking. 

Beide bringen ordentliche Referenzen mit, haben sie doch bewiesen, dass sie aus relativ wenig relativ viel machen können, und zwar mit einer gewissen Kontinuität. Während Wolfsburg letztes Jahr mit einem geschätzten Lizenzspieler-Etat von 90 Millionen und dieses Jahr mit 60 Millionen arbeiten durfte, stagnierte der 1. FC Nürnberg im Bereich um 20 Millionen Euro. Die Unterschiede in der Tabelle machten allerdings letztes wie dieses Jahr gerade einmal zwei bzw. einen Punkt aus, was natürlich der Arbeit vom Nürnberger Sportdirektor Martin Bader, nicht zuletzt aber auch der von Dieter Hecking zu verdanken war.

Selbst wenn es emotional schwer fällt: Hecking und Allofs möchte ich an dieser Stelle noch nicht einmal einen Vorwurf machen, auch wenn Hecking noch am 28. August in der Sendung "Doppelpaß" formuliert hatte:

"Ein Angebot [vom VFL Wolfsburg] würde ich mir nicht anhören. Ich habe mit dem 1. FC Nürnberg einen tollen Arbeitgeber. Ich merke, der Verein steht hinter mir. Meine Aufgabe ist es, den Club ins sichere Mittelfeld zu führen. Und deswegen braucht die Anfrage an mich nicht gestellt werden."

Es ist auch ein Problem der Clubs, dass sich Trainer, Manager und auch Spieler inzwischen nicht mehr gezwungen sehen, eine allzu große Loyalität gegenüber dem eigenen Arbeitgeber an den Tag zu legen, weil sie allenthalben zu sehen und zu spüren bekommen, dass die Loyalitätsversprechen ihnen gegenüber in den meisten Fällen auch nur eine kurze Halbwertszeit haben. Wie oft durfte man (auch und gerade bei 1. FC Nürnberg) in der Vergangenheit erleben, dass der Trainer das erste Opfer einer sportlichen Durststrecke wurde, auch wenn man ihm kurz zuvor noch versprochen hatte, dass er die Zeit bekommt, langfristig etwas aufzubauen? Hecking ist nicht vertragsbrüchig geworden, denn er hatte eine Ausstiegsklausel im Vertrag. Er hat fünf Kinder in der Nähe von Wolfsburg, die er selten sieht. Und nicht zuletzt hat der VWL Wolfsburg eben eine Finanzkraft, die sich auch in seinem Gehalt  widerspiegeln wird; von einer Verdopplung gegenüber den 900.000 Euro von Nürnberg ist die Rede.

Jeder sollte sich selbst ehrlich fragen, ob er in einer solchen Situation ablehnen würde. Aber das ist doch eigentlich gar nicht das Problem. Vielmehr sollten sich DFB und DFL fragen, welche Außenwirkung sie mit ihrem Premiumprodukt Fußball-Bundesliga erreichen wollen. Ich behaupte, dass der derzeitige Erfolg der Bundesliga auch und gerade in einer Mischung aus seriösem Wirtschaften (gegenüber spanischen, italienischen und englischen Clubs) und dem Erhalt einer Möglichkeit der Identifikation mit den Vereinen und ihren Protagonisten zu tun hat. Gerade dort, wo man sich in den letzten Jahren verhoben hat (Dortmund, Kaiserlautern, auch Nürnberg) setzt man nun wieder erfolgreich auf junge, hungrige Spieler, in Teilen auch noch aus der jeweiligen Region oder sogar aus der eigenen Fan-Basis, versucht diese langfristig zu binden und damit ein erfolgreiches Team aufzubauen, dass über Identifikation auch Stadien füllt und den Merchandising-Absatz antreibt. Auch Charakterköpfe als Trainer, allen voran die Klopps, Tuchels oder Streichs dieses Landes sorgen für Sympathien und Identifikation. Wolfsburg und Hoffenheim taten über Jahre das genaue Gegenteil. Das sei ihnen unbenommen, jeder ist ja seines eigenen Glückes Schmied. Wenn dann allerdings Wolfsburg mit seiner überlegenen Finanzkraft nicht mehr nur Spieler, sondern auch Manager und Trainer zusammenkaufen kann, wie es ihm beliebt, greift es gerade unter der Saison maßgeblich in die erfolgreichen und langfristig angelegten Konzepte der Konkurrenz ein - und beschädigt nicht nur den eigenen Ruf, sondern auch den des Produkts Fußball-Bundesliga insgesamt.

Die Verantwortlichen sollten sich daher gut überlegen, inwieweit sie das Regelwerk ändern, um solcherlei "Transfers" in Zukunft zu unterbinden. Die Verantwortung auf den einzelnen Spieler, Trainer oder Manager und dessen Moral zu verschieben ist scheinheilig. Es braucht vielmehr Regeln, wie etwa Wechselfristen für Trainer, Wettbewerbsverbote für eine gewisse Zeit (natürlich nicht für den Fall, dass man gekündigt wird) oder auch das Verbot von Wechseln innerhalb der Saison. Wenn das Karussel sich immer weiter dreht und das letzte bisschen Historie, Identifikation, Begeisterung und Überzeugung auf dem Altar des Geldes geopfert wird, sieht es in deutschen Stadien bald so aus, wie in italienischen. Das kann ja wohl niemand wollen...

Einen letzten Weihnachtswunsch hätte ich dann übrigens doch noch: Ich hoffe auf eine katastrophale Rückserie des VFL Wolfsburg, der am Ende in der Relegation endet (Fürth und Hoffenheim dürfen gerne direkt absteigen ;-)), in der dann das Geld aus Wolfsburg gegen das Herzblut aus Braunschweig (die Städte trennen nur 34 Kilometer) verliert. Beim Zuschauerschnitt ist der Klassenunterschied sowieso nicht zu sehen... Das wäre doch mal eine Bescherung für die Bundesliga.


Donnerstag, 20. Dezember 2012

Das Europa-Vermächtnis der FTD

Am 7. Dezember 2012 erschien die Financial Times Deutschland (FTD) zum letzten Mal. Auf einen, wie immer ungezeichneten und damit im Namen der gesamten Redaktion veröffentlichten Leitartikel wollte man auch diesmal nicht verzichten. Eines von vier Themen war dabei die Krise Europas und der Umgang damit. Dieser Teil deckt sich fast vollständig mit meiner Position, die ich bereits in der Vergangenheit an verschiedenen Stellen dargelegt habe (zum Beispiel hierhier, hier hier, hier und hier). Vor dem Hintergrund, dass ich mir dazu regelmäßig Schmähkritik anhören darf und immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, ich hätte ja überhaupt keine Ahnung, wovon ich spreche, kann ich es mir nicht verkneifen, den Text hier zu dokumentieren und zu fragen: Haben dann diese knapp 300 Journalisten, die bei der FTD gearbeitet haben, kollektiv auch keine Ahnung? Die Antwort darf jeder für sich selbst finden...

Viele Politiker sahen die Krise als eine Geschichte von Sündern, in der es um Sühne und Strafen geht. Das war nachvollziehbar angesichts der griechischen Katastrophe, einer Athener Elite, die immer wieder gelogen und ein Land heruntergewirtschaftet hat. 

Dieser Angang ist, um es simpel zu sagen, nur wenig hilfreich. Die FTD hat seit 2009 ein beherztes Eingreifen gefordert, und das wird auch in Zukunft nötig sein: Kein Land in der EU kann sich allein schützen oder das rettende Ufer erreichen. Zu lange hat die Politik diese Interdependez ignoriert, und deswegen hat sich die Krise seit 2010 durch Europa gefressen. Die Panik an den Märkten hat sich vom tatsächlichen Zustand des Kontinents entkoppelt. Europa hat eine schwere Erkältung, nicht Tuberkulose. 

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat lange gezögert, am Ende hat sie sich für den richtigen Weg entschieden: Mit ihren massiven Eingriffen in den Markt, etwa dem angekündigten Kauf von Staatsanleihen der Schuldnerländer hat sie die Panik erst einmal gestoppt. Wenn die EZB daran festhält, wird der Euro die kommenden Rückschläge überstehen. 

In Deutschland sind die Interventionen der EZB unbeliebt, ja gefürchtet. Das ist verständlich. Die Notenbank hat Neuland betreten. Rechtlich bewegt sie sich in einer Grauzone. Doch am Ende zählt vor allem das Ergebnis. Erste Erfolge sind zu sehen: Die zerstörerischen Spreads, also die Zinsaufschläge, die Länder wie Spanien und Italien zahlen müssen, sinken. Die Peripherieländer gewinnen an Wettbewerbsfähigkeit. Es fließt wieder Kapital in den Süden. Am Ende könnte die Strategie, die viele Deutsche ablehnen, genau das bringen, was sie sich ersehnen: Stabilität. 

Also alles gut? Natürlich nicht. Die Euro-Zone aber kann nun den akut lebenserhaltenden Maßnahmen Therapien folgen lassen. Das Regime, das Deutschland in der Krise aufgebaut hat – Kredite gegen Kontrolle -, ist im Grundsatz richtig; es war aber zu brutal, zu rigide im Tempo. Länder wie Portugal brauchen Zeit für die – oft überfälligen – Reformen. 

Die Deutschen wiederum müssen sich fragen: Welches Europa wollen wir? Ob der Kanzler nach der Bundestagswahl 2013 Angela Merkel oder anders heißt: Er muss sich ein Mandat für eine mutige Europapolitik holen. Eine, die mehr ist, als sich „alternativlos“ von Notoperation zu Notoperation zu hangeln. Die den Bundestag nicht länger zum Statisten degradiert. Deutschland darf nicht auftrumpfen, aber genauso wenig kann es sich von seiner Führungsrolle wegducken. 

Am Ende des europäischen Wegs muss die politische Union stehen. Zunächst geht es darum, die Fundamente für eine bessere Währungsunion zu schaffen. Die ersten Schritte für eine Bankenunion sind getan, eine Fiskalunion muss folgen. Deutschland muss zum Aufbau einer Architektur beitragen, die den gefährlichen wirtschaftlichen Ungleichgewichten in der EU vorbeugt. Einen Länderfinanzausgleich soll es nicht geben – doch die EU soll Transfers leisten können. Sie braucht Finanztöpfe, mit denen Schocks schnell und schlagkräftig abgefedert werden können. 

Eine Lehre muss Europa unbedingt bewahren: Es bringt nichts, Staaten mit der Brechstange zu sanieren. Man muss ihnen Zeit geben, Haushalte in Ordnung zu bringen und ihre strukturelle Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Deutschland ist zu defizitfixiert.

Zuerst erschienen in der Financial Times Deutschland, 7. Dezember 2012, Seite "noch9" unter dem Titel "Was wichtig bleibt".

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Weil man damit so gut schießen kann

Wenn es nicht so traurig wäre, man könnte darüber lachen. Nach dem Massaker in Newtown kaufen die Amerikaner fröhlich Waffen, um sich selbst zu schützen. Oder aus Angst vor dem Staat. Oder aus Prinzip. Und welche Waffe ist besonders populär? Die sensationelle "Bushmaster", mit der der Amokläufer von Newtown über 20 kleine Kinder erschossen hat. Macht ja auch Sinn, denn spätestens jetzt ist bewiesen, dass die "Bushmaster" richtig gut funktioniert. Die Hersteller müssen sich eigentlich zweimal im Jahr einen Amoklauf mit ihren Waffen wünschen. Das würde dann die Werbekosten für den Schlussverkauf sparen. 

Um den Verkauf erst so richtig anzuheizen, nutzten verschiedene Händler die Gunst der Stunde, um die Waffe drastisch zu reduzieren: $ 799,99 bringen eine Ersparnis von $ 320. Yippiiiiieeeeh! Bei Dunham in Mishawaka war die "Bushmaster" dann auch am Montag bereits ausverkauft. Aber immerhin, der Verantwortliche bei Dunham ist sich sicher, dass "die meisten der Käufer die Waffe für Freizeitaktivitäten kaufen". Na dann sind wir ja alle beruhigt. 

Immerhin bevorzugte auch der Washington-Sniper, der 2002 über Wochen die ganze Region terrorisierte und 10 unschuldige Menschen erschoss, ein vergleichbares Modell. Und auch beim Kino-Shooting mit 12 Toten dieses Jahr war die "Bushmaster" das Mittel der Wahl. Weil man damit so gut schießen kann, vermutlich. Und weil die Munition, die beim Aufprall auf Ihr Ziel (also: den Körper) explodiert, auch sicherstellt, dass danach Ruhe im Karton (oder: im Klassenzimmer) ist. 

Aber, liebe Kinder in Amerika, macht Euch keine Sorgen... wenn Eure Eltern jetzt auch eine gekauft haben, seid Ihr sicher. Und außerdem habt Ihr eine Möglichkeit, Euren Lehrern mal zu zeigen, wo es lang geht, wenn sie Euch zu viel Hausaufgaben aufgeben wollen. Man muss sich ja wehren können. Ehrlich jetzt.

Montag, 17. Dezember 2012

Vom (gescheiterten) Versuch, ein Unternehmer zu sein

Vor einigen Monaten habe ich an dieser Stelle verkündet, zukünftig öfter über meine Erfahrungen als Gründer zu schreiben. Das ist bisher, aus verschiedenen Gründen, nicht geschehen und soll nun nachgeholt werden. Dabei ist mein erster Versuch, ein eigenes Unternehmen aufzubauen, inzwischen schon gescheitert. Aber keine Sorge, ich habe nicht vor aufzugeben. Und eine Menge gelernt habe ich auch… 

Es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein. Schon im Frühsommer 2011 war ich über ein Produkt gestolpert, das mich nicht nur selbst überzeugte, sondern in der Konstellation auch wie für mich gemacht schien. Es ging um Fruchtmark der Firma Brasfrut aus Feira de Santana in Bahia, Brasilien (wo ich mich sowieso sehr wohl fühle) mit einem für Europa zuständigen Vertriebsbüro in Lissabon (wo ich mich sowieso zu Hause fühle). Nachdem das Produkt, aus dem man leckere Getränke, Nachspeisen etc. herstellen kann, in einigen europäischen Ländern erfolgreich etabliert wurde, fehlte unter anderem noch Deutschland auf der Landkarte. Insofern freute man sich, als ich in Portugal nachhörte, ob denn Interesse an einer Partnerschaft bestünde. Und ich freute mich, weil ich glaubte, das perfekte Produkt gefunden zu haben, um auf dem zu erwarteten Hype um Brasilien (Fußball-WM 2014, Olympische Spiele 2016) mitschwimmen zu können. Aber so leicht war dann alles doch nicht… 

Meine Überzeugung war, dass es Sinn machte, das Produkt nicht in den B2C-Markt einzuführen (also über Supermärkte, etc.), sondern über B2B. Der Gedanke dahinter war der, dass es sich um die Einführung einer komplett neuen Produktkategorie handeln würde und dies mit einem erhöhten Erklärungsaufwand einherginge. Das wäre an der Tiefkühltruhe kaum zu leisten (es kann ja nicht in jedem Supermarkt jemand stehen), weshalb es sinnvoller wäre, die Endverbraucher mit dem verarbeiteten Produkt in der Gastronomie vertraut zu machen. Dabei sollten die Abnehmer nicht Gastronomen direkt sein, sondern Großhändler, die das Produkt dann an Bars, Restaurants und Co weiterverkaufen sollten. Der Grund dafür lag in der Bündelung von Logistikprozessen, um das Produkt günstig genug anbieten zu können, um eine für alle Beteiligten spannende Kalkulation zu erreichen. 

Nach einer intensiven Researchphase schien es tatsächlich so, dass es sich lohnen könnte. Offene Fragen gab es allerdings auch noch, etwa, warum ein Konkurrent (die Acai GmbH aus Berlin), der schon etwas länger am Markt war, es bis dato nicht geschafft hatte, den Sprung zu schaffen und ordentliche Umsätze zu schreiben. Vielmehr zeigte ein Blick in die GmbH-Bilanz erschreckende Verluste über die letzten Jahre. Die Hypothese war, dass dies weniger an dem Produkt, sondern vielmehr am gewählten Vertriebskanal (Versand, dabei Mindestbestellwert € 50, Lieferung irgendwann zwischen 9 und 18 Uhr per Tiefkühlbox) lag. 

Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und auf einen Test wollte ich es schon ankommen lassen, weshalb ich 150 Kilogramm (15 Sorten à 10 Kilogramm) brasilianisches Fruchtmark nach Hamburg kommen ließ. Davon abgesehen, dass ich lernen musste, dass 150 Kilo nicht unbedingt in eine 300-Liter-Tiefkühltruhe passen müssen (kann mir das mal jemand erklären, der sich damit auskennt?), klappte alles reibungslos. Und dann ging es auf Vorführ-Tour durch Hamburg und Berlin, wo ich die meisten potenziellen Käufer unter den Gastronomen vermutete. Um es kurz zu machen: Ich habe viel gelernt und musste mir am Ende trotzdem eingestehen, dass die Idee vor dem Hintergrund des Feedbacks und des dahinter stehenden Chancen-Risiko-Profils keine Zukunft zu haben schien. Was war geschehen? 

Nun, ich war vorher irgendwie davon ausgegangen, dass Gastronomen im Wettbewerb um Kunden versuchen müssen, diese so glücklich wie irgendwie möglich zu machen. Das trifft es allerdings nicht so ganz. Sie müssen sie glücklich machen, allerdings nur genau so viel, dass sie nicht aus Unzufriedenheit woanders hingehen, weniger konsumieren oder schlecht über das Lokal reden. Wenn diese Nebenbedingung erfüllt ist, kann sich der Gastronom darauf konzentrieren, seine Gewinnfunktion zu optimieren, wie wir BWLer gerne sagen :-) Insofern war die Reaktion auf mein Produkt fast immer ähnlich: „Schmeckt super, passt klasse in die Zeit, meine Kunden würden es lieben, aber ich werde es trotzdem nicht auf die Karte setzen.“ Der Hintergrund ist dann doch relativ banal: Das Produkt ist zwar gut, würde aber nicht so viel Sogwirkung entfalten, dass deshalb entweder deutlich mehr Leute kämen oder diejenigen, die sowieso kommen, deutlich mehr konsumieren würden. In diesem Kontext hat der Wirt in erster Linie ein Interesse, die Produkte zu verkaufen, die die beste Marge bringen. Und da liegt jede Cola, Saftschorle o.ä. etwa doppelt so gut, wie ein Smoothie aus echtem Fruchtmark. 

Dass fast alle, denen ich das Produkt vorgeführt habe, persönlich begeistert waren und angaben, es auch im Supermarkt zu kaufen, wenn es verfügbar wäre, hilft mir am Ende nicht. Denn die Anlaufkosten (vor allem Marketing), um das Produkt direkt im Supermarktregal zu platzieren, wären so hoch, dass man diese vermutlich auch mit zukünftigen Gewinnen nie wieder erwirtschaften könnte. Noch dazu birgt die (kostenintensive) Entwicklung eines Marktes auch die Gefahr, dass irgendwann Wettbewerber in den Markt eintreten, die diese Kosten nicht in ihren Büchern stehen haben und daher in der Lage sind, günstiger anzubieten. Kurz und gut, am Ende erschien die Idee in einem anderen Licht und mit letzter Woche ist die zu diesem Zwecke gegründete Firma wieder abgemeldet. Ich habe noch einige Dutzend Kilo tiefgekühltes Fruchtmark im Keller und werde somit noch lange an die Zeit erinnert werden. Bereuen tue ich nichts, denn bevor ich € 400.000 an Krediten aufnehme, um dann gegen die Wand zu fahren, suche ich mir lieber andere Betätigungsfelder… Mehr dazu bald an dieser Stelle! Und in der Zwischenzeit den Leuten der Acai GmbH viel Erfolg...

Montag, 10. Dezember 2012

Von Stacheltieren und Fetisch-Priestern


Fußball ist in Afrika allgegenwärtig, meist allerdings nur in Form von Trikots der großen europäischen Klubs wie Chelsea, Manchester United oder Real Madrid. An Spieltagen der ghanaischen Premier League ändert sich das Straßenbild in Kumasi, der Hauptstadt der stolzen Ashanti, allerdings drastisch. Überall sieht man Menschen in Rot, die den gelben Aufnäher mit dem Stacheltier mit Stolz tragen. Nach dem Meistertitel im letzten Jahr hoffte man bei Kotoko darauf, endlich den Fluch des ersten Spieltags zu besiegen, an dem schon in den vergangenen vier Spielzeiten kein Sieg gelingen wollte. Allerdings hatte der Gegner Amidaus Professionals aus der Hafenstadt Tema, der gerade erst den Wiederaufstieg geschafft hatte, etwas dagegen.

In einem an Höhepunkten armen, dafür aber an Verletzungsunterbrechungen reichen Spiel war Amidaus sogar näher dran am Sieg, musste sich am Ende aber genau wie Kotoko mit einem torlosen Unentschieden der schlechteren Sorte begnügen. Daran konnten auch der offizielle Fetisch-Priester des Klubs und die Brass-Band, die die gesamte VIP-Tribüne taub werden ließ, einen damit aber vor dem Getöse der Vuvuzelas bewahrte, nichts ändern.

Freitag, 2. November 2012

Grenzenlos menschlich

Am letzten Sonntag erschien ein einseitiger Artikel von mir in der Rheinpfalz am Sonntag zur Lage der jungen Generation in Portugal. Der Titel entspringt zwar nicht meiner Feder, trifft es aber ganz gut auf den Punkt: Adieu, Zukunft.

Danke an die Rheinpfalz am Sonntag!
In diesem Artikel wird die Situation von Rita beschrieben, die selbst als Angestellte der staatlichen Sozialversicherung kaum mehr über die Runden kommt und inzwischen davon träumt, Deutsch zu lernen und Portugal zu verlassen. Alleine: Es fehlt das Geld für den Sprachkurs. 

Die Geschichte ist wahr, Rita gibt es wirklich. Und offensichtlich hat ihr Zustand einige Menschen bewegt. Zwei Leser der Rheinpfalz meldeten sich über die Redaktion und boten an, Rita den Sprachkurs zu bezahlen. Rita hat nach kurzer Bedenkzeit akzeptiert, allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie das Geld zurückzahlen darf, sobald sich ihre Situation verbessert hat. 

Ich habe mich sehr über diese Entwicklung gefreut. Als Autor gibt es kein schöneres Gefühl, als wenn man merkt, dass man mit einem Text wirklich etwas anstoßen kann. Und außerdem kann man aus solchen kleinen Geschichten auch Ableitungen für die großen Themen ziehen, zum Beispiel, dass die Deutschen nicht die herzlosen, kalten Monster sind, als die sie in manchen ausländischen Medien dargestellt werden. Aber auch, dass es eine Menge Menschen in Südeuropa gibt, die in Not geraten sind, obwohl sie immer fleißig waren und nicht daran denken, sich auf Kosten Deutschlands die Taschen voll zu machen, wie es in deutschen Medien und an deutschen Stammtischen oft suggeriert wird. 

Mitmenschlichkeit, das sollte uns allen bewusst sein, hört nicht an einer Landesgrenze auf, sondern ist ein globaler Wert. Gerade in Zeiten giftiger politischer Diskussionen, die dazu taugen, Vorbehalte zu schüren, sollte man sich das immer wieder bewusst machen.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Dinge, die ich in Ghana gelernt habe

Hier eine kleine Kollektion der (nicht ganz ernst gemeinten) Erkenntnisse meiner Reise nach Ghana. Eine Bewertung der politischen Situation vor den anstehenden Wahlen sowie eine kleine historische Betrachtung folgen, dann ganz ohne Augenzwinkern. 

Nicht überall in Afrika gibt es Elefanten. Und nicht überall, wo es Elefanten gibt, ist Afrika. 

Liebe Piraten, jetzt verstehe ich Euch endlich. Es hat definitiv auch etwas Gutes, wenn Urheber- und Persönlichkeitsrechte keine Rolle spielen. Denn nur dann kann auch ein Handyshop in einer Holzbaracke sich mit dem Namen und dem Antlitz von Michael Ballack schmücken (siehe Bild). Vielleicht solltet Ihr es mal in Afrika probieren? 

Hat sich mal jemand gefragt, wohin die ganzen Autos verschwinden, die in Deutschland einen Totalschaden erleiden oder nicht mehr durch den TÜV kommen? Auch in Ghana wurde es wieder deutlich: Was bei uns nicht mehr zugelassen ist, taugt dort immer noch als Taxi oder Bus. Zu einem ganz besonderen Fall hatte ich schon 2005 einmal etwas geschrieben.

Es gibt Orte auf dieser Welt, an denen George W. Bush zumindest so beliebt ist, dass man eine Straße nach ihm benennt. Ghana ist einer dieser Orte. Der Grund ist einfach: Während der Amtszeit von Bush jr. wurde die Millennium Challenge Corporation gegründet, aus deren Mitteln über eine halbe Milliarde Dollar nach Ghana flossen, unter anderem in den Bau der genannten Schnellstraße. Und weil man Straßen ungern nach Organisationen benennt, traf es eben den amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten…

Die Namensgebung des George Walker Bush Highway relativiert sich wieder, wenn man etwa auf die Benennung der Räume im One Africa Guesthouse blickt. Die größte Suite wird dort nämlich nicht etwa nach Kwame Nkrumah oder Nelson Mandela benannt, sondern nach Robert Mugabe. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Auch in Ghana kommen die beklopptesten Politiker aus Amerika. Also zumindest haben sie lange dort gelebt… so zum Beispiel Kofi Wayo, Präsidentschaftskandidat der von ihm selbst gegründeten United Renaissance Party (URP). Programm: Soweit noch nicht bekannt. Markenzeichen: Cowboyhut. Prägende Beschreibung: „He had picked up a lot of interest in guns and so getting into the arms business was attractive to him.”

Während die deutschen Nachwuchskicker heute so verwöhnt sind, dass sie sich noch nicht einmal mehr die Schuhe selber putzen, lernen die afrikanischen Nachwuchskräfte noch Demut. Selbst wer es in die zweite ghanaische Liga geschafft hat, darf nicht mit weichem Rasen und Top-Bedingungen rechnen. So trägt etwa Zweitligist Mampong (immerhin die Heimatstadt von Gerald Asamoah, dessen Geburtshaus nur knapp 100 Meter vom „Stadion“ entfernt steht) seine Spiele auf einem Platz aus, der in Deutschland noch nicht einmal zum Schulsport freigegeben wäre. Sehenswert ist der Fußball trotzdem…

Afrikanische Fußballspieler sind nicht unbedingt so alt, wie auf ihrem Spielerpass steht. Das ist seit Anthony Yeboah grundsätzlich bekannt, hat sich aber auch im heutigen Ghana wieder bestätigt. „Ach, Dein Bruder spielt in der ghanaischen Jugendnationalmannschaft. Wie alt ist er denn?“ – „Willst Du sein wahres Alter wissen, oder sein Fußballspieler-Alter?“

Mittwoch, 19. September 2012

Offener Brief an Johannes Ponader

Lieber Johannes Ponader, 

seit heute wissen wir also, was Du als angemessenen Preis für das Buch von Julia Schramm ansiehst, nämlich € 5. In unserer Diskussion auf Twitter hast Du versucht zu argumentieren, dass dies über eine steigende Absatzzahl für den Verlag ein besseres Geschäft wäre. Die Rechnung dazu bist Du leider schuldig geblieben, deswegen wage ich mich hier an einen Realitätscheck. 

Zunächst ein Blick auf das Ist. Das Buch wird für € 16,99 angeboten. Als Autor kenne ich die Vergütungsstrukturen der Verlage aus eigener Anschauung. Typischerweise bleiben bei den Autoren zwischen 9 und 12 Prozent der angestrebten Umsätze hängen. Der Einfachheit halber will ich mit € 17 und 10 Prozent rechnen, womit man bei der kolportierten Summe von € 100.000 Vorschuss bei einer vom Verlag angepeilten Verkaufszahl von 50.000 bis 60.000 Stück landet. Rechnen wir hier auch der Einfachheit halber mit 50.000 weiter. Für jedes Buch, das etwa über Amazon verkauft wird, fallen 55 Prozent des Verkaufspreises an Provision an, d.h. es bleiben dem Verlag im Falle von Julia Schramms Buch bei € 17 Verkaufspreis minus € 17*0,55 Provision für Amazon ungefähr € 7,65. Zieht man davon die Druckkosten ab, die bei rund um € 1,80 liegen sollten (eigentlich € 2, aber durch 10 Prozent angenommenen E-Book-Anteil eben € 1,80), kommt man auf € 5,85. Dass ein Teil davon sprungfixe Kosten sind, weil man ja nicht in Auflage 1 druckt, vernachlässigen wir an dieser Stelle. 

Aus diesem Anteil (€ 5,85) multipliziert mit der tatsächlich abgesetzten Menge müssen neben dem Vorschuss für die Autorin von € 100.000 auch noch Lektorat, Vertrieb, Marketing, Pressearbeit sowie sämtliche betrieblichen Fixkosten anteilig bezahlt und Gewinn erwirtschaftet werden, auf den dann wiederum Steuern anfallen. Ich weiß aus Erfahrung mit dem Campus Verlag selbst, was an Stunden ins Lektorat fließt, was an Veranstaltungen organisiert und betreut werden und was an Messeständen bezahlt werden muss. Grob geschätzt würde ich die Lektoratsarbeit auf 20 Arbeitstage schätzen, einen konservativen Tagessatz von € 400 angenommen, was einem Stundenlohn von ungefähr € 25 netto gleichkommt, wäre man alleine dafür bei € 8.000. Dazu kommt noch das Gehalt der Marketing-, Vertriebs-, PR- und Veranstaltungsspezialisten. Wenn man bei jedem von diesen realistische fünf Arbeitstage zum selben Preis ansetzt, ist an insgesamt bei € 16.000 alleine an Personalkosten der direkt Beteiligten. Das Marketingbudget dürfte bei diesem Buch nicht ganz gering sein, typischerweise wirbt der Verlag schon in seinen B2B-Broschüren mit den Zeitungen/Zeitschriften, in denen für das Buch geworben werden soll. Wenn man nur davon ausgeht, dass die fünf größten deutschen Tageszeitungen bespielt werden, dürften € 10.000 pro Zeitung nicht zu hoch gegriffen sein, was insgesamt € 50.000 ergibt. Zählt man alles zusammen kommt man auf fixe Kosten von € 166.000. Um diese überhaupt erst wieder einzuspielen, müsste der Verlag ca. 28.000 Bücher verkaufen – was eine ganze Menge ist. Bleibt das Buch allerdings bei 10.000 stehen (was ich derzeit für nicht unrealistisch halte), würde der Verlag ein Minus von über € 107.000 erwirtschaften, sollten die angestrebten 50.000 Stück erreicht werden, wäre der Verlag mit ca. € 125.000 im Plus. 

Selbst wenn man berücksichtigt, dass die 55 Prozent von Amazon nicht wegweisend für die gesamte Branche sind und E-Books eine bessere Marge bringen (aber noch deutlich unter 10% der Verkäufe ausmachen), käme man sicher auf einen Break-even, der nicht weit unter 20.000 Stück liegen dürfte. Rechnen wir also auch hier der Einfachheit halber mit 20.000 und einem Anteil des Verlages von € 7 (was ungefähr 40 Prozent entspricht) weiter. Alleine um den Vorschuss der Autorin bezahlen zu können, muss der Verlag ca. 14.000 Bücher verkaufen. 

Nun versuchen wir das Ganze einmal mit dem Betrag, den Du in die Debatte geworfen hast (€ 5 pro Download). Würde man den ansetzen, müsste man das analoge Produkt, also das Buch, für etwa denselben Preis plus Druckkosten anbieten, also für € 7. Nehmen wir jetzt an, dass der Downloadanteil auch hier bei ungefähr 10 Prozent liegt (was wie gesagt immer noch sehr hoch ist), kommt man auf einen Durchschnittsverkaufspreis von € 6,80. Rechnen wir davon 40 Prozent für Amazon und Co. ab und packen die Druckkosten drauf, sind wir bei ungefähr € 2,30 für den Verlag. Um Julias Vorschuss zu zahlen, müsste der Verlag dann schon über 43.000 Bücher verkaufen, um Break-even zu erreichen, müsste er sogar über 72.000 Bücher verkaufen – alles konservativ gerechnet. Sollten allerdings nur 10.000 Stück abgesetzt werden, steht der Verlag mit € 143.000 im Risiko. 

Nun kann man sich natürlich darüber streiten, wie viel mehr Bücher nur aufgrund des günstigeren Preises abgesetzt würden. Aber Fakt ist, dass auch die besonders günstig bei Amazon angebotenen Bücher (irgendwo zwischen € 1 und € 3) nicht auf den Top-Rängen zu finden sind. Kein Mensch kauft ein Buch, nur weil es billig ist. Das gilt übrigens bei Deinem gerne gebrachten Vergleich mit der Musikindustrie genauso. Es gibt inzwischen genügend Bands, die ihre Musik zumindest anfänglich verschenken, um sich bekannt zu machen. Erfolgreich sind aber später auch nicht die, die besonders viel Musik verschenkt haben, sondern die, die gute Musik machen, die die Leute mögen. Sollte das Buch von Julia Schramm ein Ladenhüter werden, dann hat das nicht in erster Linie etwas mit dem Preis zu tun, sondern mit dem Inhalt. Und wenn der Verlag in den Miesen landet, dann hat das nichts mit dem Geschäftsmodell der „Contentmafia“ zu tun, sondern mit einer wirtschaftlichen Fehleinschätzung, die im Falle eines Preises von € 5 pro Download genauso geschehen könnte. 

Was aber sicher passieren würde, wäre dass der Verlag bei einem Preis in dem Bereich, wie Du ihn vorschlägst, das Risiko komplett auf die Autoren abwälzen würde. Für Julia hätte das vielleicht bedeutet, dass sie nur € 50.000 anstatt € 100.000 als Vorschuss bekommen hätte. Das wäre sicher auch verkraftbar gewesen. Aber das, was sie bekommen hat, ist alles andere als normal. Wenn man gerade als junger Autor Glück hat, dann landet man im Bereich von € 10.000 bis € 15.000 an Vorschuss, von den vielen, die mit gar nichts rechnen dürfen, ganz zu schweigen. Und es schreibt auch nicht jeder einen fröhlichen halbbiografischen Roman, so wie Julia, für den sich der Recherche-Aufwand in Grenzen gehalten haben dürfte. Hast Du Dir mal Gedanken gemacht, was es heißt, ein gut recherchiertes Sachbuch oder einen aufwändigen Bildband zu produzieren? Und hast Du Dir mal überlegt, was man dafür an Auslagen hat, etwa um herum zu reisen und Interviews zu führen oder für Ausrüstung? Und auch bei den Vermarktungsmöglichkeiten hinkt Dein Vergleich, denn während Bands mit Konzerten Geld verdienen können, sieht das bei Autoren nur selten so aus. Meinst Du ich könnte für meine Lesungen Eintritt nehmen? Oder Julia? Und was ist, wenn ich am Ende des Abends nur zwei Bücher verkaufe? Zahlst Du mir dann mein Abendessen? 

Das, was Du heute bei N24 geäußert hast, ist im besten Falle nicht zu Ende gedacht gewesen, im schlimmsten Falle aber ein Aufruf dazu, die Prekarisierung von Autoren voranzutreiben. Wenn ich mein Geld wie Du mit Theaterstücken verdienen würde, hätte ich auch gut lachen. Die kann man nämlich nicht so schön digitalisieren wie Bücher, da bist Du also schön außen vor. Was wollt Ihr überhaupt? Mehr frei zugänglichen Content, dafür aber nur noch schlecht recherchierte, schlecht gelayoutete und schlecht lektorierte Bücher, weil kein Verlag mehr was riskieren kann? Wollt Ihr nur noch die alten Knacker, weil die sich verkaufen und junge Autoren immer ein Risiko darstellen, weil man nicht weiß, wie sie ankommen? Und komm mir jetzt bloß nicht mit Eurem Grundeinkommen. Ich sag Dir ganz ehrlich: Ich hab keinen Bock von € 1.000 Euro zu leben, nur weil ich „Künstler“ bin und die Leute da draußen so gerne umsonst meine Bücher lesen. Wer glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid??? 

Das, was gerade an Gewitter über Euch hereinbricht, habt Ihr Euch selbst zuzuschreiben. Und ich kann nur hoffen, dass Ihr langsam mal beginnt, zu verstehen, dass man sich nicht mal gemütlich ins Fernsehstudio setzen und irgendwas erzählen kann, was man selbst nicht verstanden hat. Denn damit seid Ihr im Zweifel genauso wie die, die Ihr kritisiert – und damit verzichtbar. Kaum ein Medienbericht über Dich versäumt zu erwähnen, wie intelligent Du bist. Wie wäre es, wenn Du mal anfangen würdest, diese Intelligenz auch inhaltlich zu nutzen? Politik ist keine Bühne und Du spielst hier kein Theater, sondern Du bist politischer Geschäftsführer einer Partei, die vielleicht nächstes Jahr in den Bundestag einzieht. Ich kann nur hoffen, dass Dir langsam bewusst wird, dass das auch Verantwortung bedeutet. 

Und versöhnlich zum Abschluss: Ich kann mir zwar derzeit nicht vorstellen, Euch zu wählen, finde es aber durchaus gut, dass es Euch gibt. Wie mir geht es vielen anderen auch. Das solltet Ihr als Aufgabe verstehen… 

Viele Grüße, 

Dein Christoph Giesa

Dienstag, 11. September 2012

Das Urteil des BVerfG – Und wie man damit umgehen sollte

Morgen um diese Zeit werden wir schlauer sein, denn dann werden wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum ESM kennen. Ich vermute, dass Andreas Voßkuhle und seine Mitstreiter harte Worte finden werden und Auflagen für zukünftige Entscheidungen formulieren, den ESM an sich allerdings nicht in Frage stellen werden. Die Börse dürfte sich freuen – entgegen dem, was geschrieben wird, glaube ich nicht, dass die Entscheidung komplett eingepreist ist. Aber das ist nur eine Randnotiz. Die wichtige Frage ist, was das politisch heißt.

Zunächst lässt sich konstatieren: Mit der Kombination aus ESM und der Entscheidung der EZB, im Zweifel Anleihen in unbegrenztem Ausmaß aufzukaufen, hat die Eurozone zum größtmöglichen Schlag ausgeholt. Eine weitere Eskalation führt zwangsläufig in den Zusammenbruch der Eurozone in der bekannten Form, weil es keine weiteren Waffen mehr im Arsenal gibt. Dieses Szenario zu vermeiden hat Europa allerdings selbst in der Hand, und zwar in dem die unter Druck geratenen Länder die notwendigen Strukturreformen und die geplante Haushaltskonsolidierung weiter vorantreiben. ESM und EZB-Anleihenkäufe lösen kein Problem, sondern sie verschaffen nur Luft auf dem Weg zur Erneuerung. Es gibt also keinen Grund sich zurückzulehnen. 

Meine Wahrnehmung ist allerdings, dass diese Gefahr nicht besteht. So hat Portugal etwa zwei Tage nach der Ankündigung der EZB ein weiteres hartes Sparprogramm verkündet und auch Mario Monti, italienischer Ministerpräsident, stellte nach der Entscheidung fest, dass diese nur zum Erfolg führt, wenn die Krisenstaaten ihre Hausaufgaben machen. Die Gefahr eines „moral hazard“, in Deutschland diskutiert unter der Hypothese, die Südländer hätten nun den Freibrief uns auszuplündern, sehe ich derzeit nicht. Im Gegenteil: Derzeit sehe ich in den südlichen Ländern eher die Erkenntnis, dass Politik sich ändern muss, während in Deutschland gerne auf andere gezeigt wird, ohne dass man aber selbst etwas zu ändern bereit ist, wie man an den Debatten um das Betreuungsgeld oder die Zuschussrente sieht. 

Innenpolitisch geht es in erster Linie um die Frage des Vertrauens in die demokratischen Institutionen. Unfraglich haben die Bundesregierung und auch der Bundestag kein allzu gutes Bild abgegeben auf dem Weg zu den Rettungsschirmen EFSF und ESM. Das ist zu diskutieren – und zu ändern. Mehr Transparenz, mehr Zeit für die Diskussion, mehr Erklärung dessen, was man tut – all das tut Not. Und an dieser Stelle kann vor allem die Klage von Mehr Demokratie e.V. ein positiver Impuls ausgehen. 

Was mir allerdings Angst macht, ist die absehbare Reaktion von Seiten vieler ESM-Gegner. Schon jetzt ist in vielen Foren, auf Twitter und bei Facebook zu beobachten, dass man sich auf eine Enttäuschung vorbereitet. Immer wieder wird daher unter viel Applaus dem Verfassungsgericht wahlweise Käuflichkeit oder Feigheit unterstellt. Denn, das wird auch deutlich, an der eigenen Interpretation der Umstände gibt es keine Zweifel. Das allerdings ist demokratiegefährdend. Umso mehr, wenn solcherlei Einlassungen aus der Mitte der Gesellschaft kommen. So sehr man unterschiedlicher Meinung sein kann, ist es Teil des demokratischen Grundkonsenses, dass man spätestens die Entscheidungen des Verfassungsgerichtes dann auch akzeptiert. Denn über diesem gibt es keine Instanz mehr. Insofern ist es legitim, Kritik auch an der Entscheidung des Verfassungsgerichtes zu formulieren, wenn man anderer Meinung ist. Seine Legitimation darf allerdings kein überzeugter Demokrat in Frage stellen. Ich selbst werde mich an diese Maßgabe natürlich halten, sollte es anders kommen, als ich oben skizziert habe. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass dies auch für möglichst viele Protagonisten der anderen Seite gilt.

Donnerstag, 23. August 2012

Generalverdacht statt Unschuldsvermutung?


Mit den Ausschreitungen während der Relegationsspiele der letzten Saison ist das Thema Sicherheit rund um den Fußball wieder auf die Tagesordnung gekommen. Manchmal hat man das Gefühl, dass nur auf solche Situationen gewartet wurde, um den Ton zu verschärfen. Die anlaufende Saison droht eine neue Qualität von Bestrafungen und Geisterspiele en masse mit sich zu bringen. Damit werden die getroffen, die sich nichts zu Schulden kommen lassen.


Wer sonntags ins Fußballstadion geht, mag an vieles denken, aber Politik ist typischerweise nicht das erste Thema. Ab und an begibt es sich aber, dass das Spiel vor dem Hintergrund von politischen Entscheidungen in den Hintergrund rückt. Was letzte Saison beim Zweitligaspiel des FC St. Pauli gegen den Erzrivalen Hansa Rostock zu beobachten war, ist genau so ein Fall. Während es für die Mannschaften darum ging, ihre Chancen auf den Aufstieg bzw. Nichtabstieg zu waren, gab es im Stadion und darum herum nur ein Thema, nämlich das von der Polizei veranlasste Kartenverkaufsverbot an die Rostocker Gästefans. Kann man sich auch sonst noch so wenig riechen, bei diesem Thema war die Solidarität zwischen den Clubs und den Fangruppierungen groß. Wo führt das hin, wenn solche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr legitim werden?

Unfraglich kam es in den letzten Jahren zu scheußlichen Szenen rund um die Spiele zwischen den beiden Clubs, Straßenschlachten miteinander und mit der Polizei waren an der Tagesordnung. Es ist auch keine Frage, dass der deutsche Fußball inzwischen wieder ein nicht zu unterschätzendes Gewaltproblem hat, vor allem auch im Amateurbereich. Aber selbst wenn man kein Fußballfan ist und sich über die regelmäßig teuer zu Buche schlagenden Polizeieinsätze aufregt, während die Vereine Millionen verdienen, sollte man das Thema einmal im großen Kontext sehen.

Wenn 25.000 Menschen in einem Stadtteil leben und es in diesem immer durch dieselben 500 Halbstarken zu Straftaten kommt, bestraft man dann alle 25.000? Wenn in einer Fußballmannschaft ein Spieler ein grobes Foulspiel begeht, bekommt dann gleich die gesamte Mannschaft die rote Karte? Niemand käme darauf, auf diese Fragen mit ja zu antworten. Aber wieso erscheint es plötzlich vielen legitim, wenn für das Fehlverhalten weniger plötzlich alle Fußballfans büßen müssen? Der Versuch, durch die Begrenzung von Auswärtsfans im Stadion des Gewaltproblems Herr zu werden ist so, als wenn man weiß, dass es regelmäßig zu Ladendiebstählen kommt und man deshalb den Ladenbesitzer zwingt, niemanden mehr hereinzulassen. Das Diebstahlsproblem hat man dann vielleicht gelöst, aber gleichzeitig hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Auch Fußball ist Kultur. Das mag nicht jeder auf den ersten Blick unterschreiben, aber wer einmal ein paar Stadien besucht hat, vielleicht auch in anderen Ländern, und die Unterschiede kennengelernt hat, wer das Herzblut der Fans erlebt hat, die Choreografien vorbereiten und bei Wind und Wetter ins Stadion gehen, um ihren Verein anzufeuern, wird nichts anderes sagen können. In Deutschland ist, bei allen immer noch bestehenden Problemen, eine Fankultur herangewachsen, die ihresgleichen sucht auf der Welt. Nicht umsonst feiert die Bundesliga jedes Jahr aufs Neue Zuschauerrekorde. Diese Kultur gilt es zu schützen.


Dazu müssen die Fans ihren Teil beitragen, indem sie auch gegen die eigenen Leute aufbegehren, wenn diese sich daneben benehmen. Zivilcourage muss auch im Stadion ihren Platz haben! Die staatlichen Institutionen, insbesondere die Polizei und die Politik, sollten sich allerdings auch überlegen, welche Rolle sie bei diesem Thema spielen möchten. 

Es war wenig überraschend, dass es nach dem Spiel zwischen St. Pauli und Rostock am Ende doch zu Ausschreitungen kam. Die Rostocker hatten ihrem Frust zwar nur in Form einer offiziell angemeldeten Demo Luft gemacht – 1.700 von ihnen hatten die Anreise nach Hamburg auf sich genommen, obwohl sie wussten, dass sie keinen rollenden Ball sehen würden. Nach dem Spiel allerdings griffen dann einige Chaoten aus dem Lager der St. Pauli-Fans die Polizei an und zündeten Mülltonnen und Toilettenhäuschen an. Das ist bitter, aber auch fast logisch. Man stelle sich nur vor, es wäre ruhig geblieben. Dann hätte die Polizei sich für ihr Konzept gefeiert – und bald wäre das Konzept in ganz Deutschland nachgeahmt worden. Frankfurt gegen Kaiserslautern, Köln gegen Gladbach, Hamburg gegen Bremen und Dortmund gegen Schalke – ohne Gästefans? Bitte nicht. 

Straftaten bleiben Straftaten, egal ob sie im Stadion oder auf der Straße begangen werden. Und natürlich ist die beste Straftat immer noch die, die nicht begangen wird. Aber in einem freien Land wie dem unseren, muss jeder staatliche Eingriff immer auch daraufhin überprüft werden, ob er mit Augenmaß erfolgt. Tausende oder gar hunderttausende Menschen unter Generalverdacht zu stellen, nur weil sie Fußballfans sind und den Unternehmen, denn nichts anderes sind Profi-Fußballclubs, einen Teil ihrer Einnahmequellen zu nehmen, halte ich aus diesem Blickwinkel für nicht gerechtfertigt. Wenn dann auf der Innenministerkonferenz auch noch gleichberechtigt ein mögliches NPD-Verbot, das Problem gewaltbereiter Islamisten und die Probleme in den Stadien diskutiert – und auch in der Presse entsprechend behandelt – werden, ist etwas verrutscht.


Man sollte sich daher über kreative Konzepte Gedanken machen, die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgereizt. Und vielleicht sollte man sich auch überlegen, ob man nicht manchmal auch selbst die Eskalation geradezu herbeiführt. Wenn im Gästeblock ohne Anlass mehr Polizisten auf Fans aufmarschieren (siehe Bild), braucht man sich nicht wundern, dass die Begrüßung eher unterkühlt ausfällt. Vielleicht sollten einfach alle Seiten ein wenig abrüsten und (wieder) mehr miteinander reden. Denn die Eskalation ist nicht ganz zufällig genau seit dem Zeitpunkt zu beobachten, seit die DFB/DFL einseitig die Gespräche über den kontrollierten Einsatz von Pyrotechnik abgebrochen haben. Den Dialog wieder aufzunehmen, das muss doch zwischen aufgeklärten Menschen möglich sein, möchte man meinen.

Montag, 20. August 2012

Meine persönliche Bundesliga-Prognose, Teil III

Da wo keiner hin will, muss es am Ende aber auch Mannschaften geben: in der Abstiegszone. Die Aufsteiger werden es dieses Jahr schwer haben, mit großen Überraschungen ist nicht zu rechnen. Die Eintracht steigt ab. Aber nicht sportlich... der letzte Teil meiner Prognose.

Abstiegszone 

14. FC Augsburg 

Augsburg ist das neue Mainz. Irgendwie zumindest. Trotz des Abgangs des Trainers lässt sich das Umfeld nicht aus der Ruhe bringen und stellt damit die Weichen dafür, dass ein weiteres Mal mit solidem Fußball die Klasse gehalten wird. Respekt! 

15. Fortuna Düsseldorf 

Die Fortuna wird als bester Aufsteiger knapp an der Relegation vorbeirutschen. Das ist schlecht genug, um keine Euphorie auszulösen, wodurch sich ein Platzsturm vermeiden lässt. Und es ist gut genug, um nicht gegen Hertha in die Relegation zu müssen, wodurch sich ein Platzsturm vermeiden lässt. Die Saison ist damit auch für Düsseldorf tatsächlich mit dem letzten Spieltag und nicht erst nach einem Gerichtstermin beendet. Schönen Urlaub! 

16. Eintracht Frankfurt 

Die Eintracht-Fans werden sowohl in der laufenden Saison, als auch in der Relegation Randalemeister. Die Ergebnisse zählen am Ende nicht mehr, denn das zweite Relegationsspiel gegen die Hertha wird nach einem Platzsturm abgebrochen und die Eintracht steigt am grünen Tisch ab. 

17. SC Freiburg 

Wer spielt da noch gleich? Dieser Cissé…? Nein, der ist ja auch weg. Ein Kollektiv von Namenlosen und ein lustiger Trainer – das wird dieses Mal nicht zum Klassenerhalt reichen. Aber schön ist es in Freiburg. Und warm auch. Da geht man auch gerne zu Spielen in der zweiten Liga… 

18. Greuther Fürth 

Greuther Fürth verliert beide Derbys gegen den 1. FC Nürnberg krachend – und damit auch die Moral. Man sieht ein, dass man in der ersten Liga zu Recht seit den 30er Jahren nichts mehr zu suchen hat und fügt sich in sein Schicksal.

Meine persönliche Bundesliga-Prognose, Teil II

Im Mittelfeld finden sich dieses Jahr all die, die zwar ganz andere Ambitionen haben, diesen aber in Teilen seit Jahren hinterher laufen. In Gladbach konzentriert man sich auf das internationale Geschäft, in Hannover ist nach glorreichen zwei Jahren die Luft raus. Aber lest selbst...

Niemandsland

8. Werder Bremen 

Bremen wird 8. weil Bremen einfach keine drei Katastrophensaisons hintereinander spielen kann. Das ist ein Naturgesetz. Der Vertrag mit Thomas Schaaf wird bis 2057 verlängert. Mit einer Option auf weitere fünf Jahre. 

9. FSV Mainz 05 

Der FSV spielt wieder genauso, wie man es seit einiger Zeit gewohnt ist: Weit weg von den Abstiegsplätzen gibt es ein dauerndes Auf und Ab. Grauen Mittelfeldduellen gegen Stuttgart und Grottenkicks gegen Freiburg und Fürth folgen Sternstunden gegen Bayern, Dortmund und Wolfsburg. Aber was will man mehr, der FSV etabliert sich weiter im Fußball-Oberhaus. Helau! 

10. Hamburger SV 

Die Arbeit von Arnesen trägt langsam Früchte, der HSV stabilisiert sich insgesamt. Für einen Blick weiter nach oben ist es aber noch zu früh. Vielleicht ja im nächsten Jahr? 

11. VFB Stuttgart 

Mit Bruno Labbadia gewinnt man nichts. Geld für Transfers hat man auch nicht. Mittelfeld ist realistisch – und wird es dann auch. 

12. Borussia Mönchengladbach 

Als Gladbach sich das letzte Mal mit den Großen der Zunft messen durfte, hieß der Wettbewerb noch Pokal der Landesmeister. Die Mannschaft und das Umfeld wird vor lauter Begeisterung vergessen, dass es auch noch eine Bundesliga gibt. Nur die Übersicht des Trainers bewahrt die Borussia vor dem Abstiegskampf. 

13. Hannover 96 

Hannover spielt seit einiger Zeit über seinen Möglichkeiten. Und jetzt ist einfach die Luft raus. Mit dem Abstieg hat man nichts zu tun. Mehr ist aber auch nicht zu sagen über eine insgesamt verkorkste Saison.

Meine persönliche Bundesliga-Prognose, Teil I

Es gibt wenig, an dem man sich mehr die Finger verbrennen kann, als an einer Prognose für den Ausgang einer Bundesliga-Saison. Aber manchmal gilt einfach: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss… Hauptsache ist, dass die fußballfreie Zeit endlich vorbei ist. Auch wenn der Einstand in die Saison mir als Fan des 1. FC Nürnberg wahrlich nicht geschmeckt hat. Havelse als Trauma. Aber nunja… man ist ja Kummer gewohnt. Es wird Zeit, dass man wieder an die großen Zeiten anschließt... und ich glaube daran, dass dieses Jahr der erste Schritt getan wird.

Nürnberg wird 1968 Meister (Foto: DPA/picture alliance)

Hier nun aber der gesamte erste Teil meiner Prognose… viel Spaß beim Diskutieren! 

Spitzengruppe 

1. Borussia Dortmund 

Welchen Grund sollte es geben, dass sich an der Dominanz der Dortmunder etwas ändert? Die Spieler sind weiterhin jung und hungrig und werden versuchen, auf internationaler Ebene den Makel der letzten zwei Jahre zu tilgen. Klopp bleibt Klopp. Und außerdem gibt es jetzt ja auch noch Marco Reus… 

2. FC Bayern München 

Der FC Bayern hat zwar eingekauft. Aber hat er sich wirklich verstärkt? Egal wie wird auch weiter kein Weg an Dortmund vorbeiführen. Das wird damit kompensiert, dass dem Trauma von München eine Trotzreaktion in der Champions League folgt. Und das ist ja auch ein Titel, der zählt. 

3. VFL Wolfsburg 

Warum der VFL Wolfsburg dritter wird? Weil Felix Magath in der zweiten Saison einer Amtszeit eigentlich immer erfolgreich ist, sogar wenn er nicht mehr Trainer ist. Schalke 04 in der letzten Saison ist da so ein Beispiel. 

4. 1899 Hoffenheim 

Der Tipp ist vermutlich der mutigste von allen, vor allem nach dem Saisonstart im DFB-Pokal (ja, 0:4 beim Weltclub Berliner AK 07). Aber Geld bringt Erfolg. Irgendwann. Und jetzt ist irgendwann. Sagt das Bauchgefühl… und der Blick auf den Kader. 

5. 1. FC Nürnberg 

Der Höhenflug des Clubs in dieser Saison trägt drei Namen: Alexander Esswein, Sebastian Polter – und Dieter Hecking. Esswein sehen wir in drei Jahren auf der linken Außenposition der Nationalmannschaft (wer war noch gleich dieser Lukas Podolski?), vorher aber in Bestform auf dem Weg in die Euro League. Da gehört der ruhmreiche FCN auch hin. Mindestens. Das Pokal-Aus hilft da eher, weil der Fokus jetzt auf der Bundesliga liegt. 

6. FC Schalke 04 

Irgendwie fehlen der Mannschaft insgesamt die Typen. Dass Hans Sarpei Draxler zum neuen Raúl ausruft, ist eher als Verzweiflungstat zu verstehen. Da hilft auch der ewige Huub nicht. Immerhin reicht es wieder für die Euro League, was dem Club mit seinem riesigen Potenzial hilft, sich finanziell weiter zu stabilisieren. Insofern keine schlechte Saison, aber natürlich fühlt es sich anders an. Auch weil Dortmund eben schon wieder Meister wird… 

7. Bayer Leverkusen 

Das spannendste an Leverkusen war letztes Jahr das Theater um Michael Ballack. Der spielt jetzt aber irgendwo in Somalia oder so. Leverkusen spielt eine solide Saison und entwickelt einige Nachwuchsspieler so weiter, dass diese in die Stammformation hineinwachsen. Vielleicht macht es Sinn, für Bayer von einer Übergangssaison zu sprechen.

Donnerstag, 9. August 2012

Man wird doch wohl noch sagen dürfen...

In einer Gesellschaft, in der es kaum noch echte Tabus gibt, feiert der Tabubruch Hochkonjunktur. Ein Gastbeitrag von Martin Hagen.


„Ich will mich nicht dafür entschuldigen müssen, ein Deutscher zu sein“ - dieser und acht weitere „unbequeme Sätze“ prangten 2010, auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte, auf der Titelseite einer bekannten Boulevardzeitung, verbunden mit der Forderung, es dürfe „keine Sprechverbote geben.“ Nicht viel geistreicher, dafür immerhin in Versform, versuchte sich jüngst ein deutscher Dichter mit SS-Vergangenheit als Tabubrecher zu inszenieren, als er angeblich verschwiegene „Wahrheiten“ über Israel zu Papier brachte. Und jedem FDP-Mitglied klingt zehn Jahre nach dem Bundestagswahlkampf von 2002 noch der perfide Satz im Ohr: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen…“

In einer Gesellschaft, in der es kaum noch echte Tabus gibt, feiert der Tabubruch Hochkonjunktur. Der rhetorische Trick ist so einfach wie wirkungsvoll: Wer behauptet, mit seiner Position ein Tabu zu brechen, stempelt Widerspruch zum Angriff auf die Meinungsfreiheit ab, und schürt gleichzeitig im Subtext das Ressentiment: „Da will uns jemand den Mund verbieten...“

Dass in Wahrheit kein Mensch fordert, man müsse sich für sein Deutsch-Sein entschuldigen; dass über die Integration von Ausländern schon seit langem kontrovers diskutiert wird; dass Kritik an der Politik Israels hierzulande kein Tabu, sondern eher publizistischer Mainstream ist – all das spielt keine Rolle mehr, hat sich der Mob erst mal mit dem „mutigen Tabubrecher“ gegen die „Political Correctness“ solidarisiert.

Wer populistische Scheingefechte darüber führt, ob man Banalitäten aussprechen darf oder nicht, tut das häufig, um von Positionen abzulenken, die in aufgeklärten Schichten tatsächlich und aus gutem Grund tabuisiert sind – beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Homophobie. Solche „Tabus“, wenn man sie denn so nennen will, sind zivilisatorische Errungenschaften, oder mit den Worten von Jürgen Habermas: Ergebnisse eines kollektiven Lernprozesses. Sie zu brechen ist nicht emanzipatorisch, sondern reaktionär.

Es ist richtig und gut, dass auch der gröbste Unfug geäußert werden darf (und wie die Erfahrung zeigt, wird er nicht nur gerne geäußert, sondern mitunter auch publiziert). Wenn wir Empörendem mit Empörung entgegnen, greifen wir die Meinungsfreiheit  aber nicht an, sondern machen von ihr Gebrauch. Schließlich hat jeder das Recht auf seine eigene Meinung - aber nicht darauf, dass sie unwidersprochen bleibt.



Martin Hagen (30) war von 2004 bis 2006 Landesvorsitzender der Jungen Liberalen in Bayern. Der Beitrag ist zuerst erschienen im Mitgliedermagazin der Jungen Liberalen.

Dienstag, 31. Juli 2012

Sarrazins Dolchstoßlegende


Am 17.7. erschien in der FAZ ein langer Gastbeitrag des Ex-Bundesbank-Vorstands Thilo Sarrazin mit dem Titel „Geburtsfehler Maastricht“. Die Lesart des Artikels ist mit Blick auf die verschiedenen bisher erschienen Kommentare sehr unterschiedlich. Dass Sarrazin allerdings den europäischen Bundesstaat gefordert hätte, wie es die FAZ selbst deutete, darf nach Lektüre des Artikels guten Gewissens in Frage gestellt werden. Vielmehr enthält der Beitrag einige gut hinter intellektuellen Formulierungen und halb-ökonomischen Betrachtungen versteckte Anleihen an die nationalen Parolen der 20er Jahre des letzten Jahrtausends, die jeden aufmerksamen Leser aufschrecken sollten.

Thilo Sarrazin hat in den letzten Jahren wahrlich gelernt, wie man provoziert. Plakative Aussagen, knackige Buchtitel – seinen Job als Bundesbanker verlor er dadurch, auch seine eigene Partei will nicht mehr allzu viel von ihm wissen. Sein Artikel in der FAZ kommt da auf den ersten Blick recht zurückhaltend daher. Und vermutlich ist der erste, äußere Eindruck auch der Grund dafür, dass die wahrhaft gefährlichen Aussagen, die sich in dem Text finden, bisher kaum zu nennenswerten Diskussionen geführt haben. Dabei zeigt ein Blick in die Geschichte, dass die Thesen Sarrazins sehr ähnlich schon den politischen Diskurs vergifteten – und zwar in den Jahren der Weimarer Republik. 

Die virtuos verpackten und trotzdem radikalen Tabubrüche Sarrazins sind verschiedener Art. Der wohl heftigste ist die Unterstellung gegenüber Frankreich, das gemeinsam mit Deutschland immer der Integrationsmotor Europas war. So sei die Einführung des Euro „im Wesentlichen der Eitelkeit Frankreichs geschuldet“, dem die „starke D-Markt ein Dorn im Auge“ gewesen sei. Darüber hinaus habe „das unerklärliche Agieren Helmut Kohls 1990 bis 1992, der die Wirkungen einer gemeinsamen Währung überhaupt nicht überblickte“ den Weg für den Euro frei gemacht. Diese Darstellung erscheint nicht nur historisch wenig haltbar, wurden doch die Verträge damals sicher nicht zwischen gewitzten, wendigen und hinterlistigen Franzosen einerseits und einem tumben Pfälzer anderseits geschlossen. Das weiß, davon kann man vor dem Hintergrund seiner Biografie durchaus ausgehen, auch Thilo Sarrazin. Viel mehr ist die Darstellung, sollte sie denn unwidersprochen bleiben, der Einstieg in die Entwicklung eines neuen, nationalen Mythos, wie er zuletzt in der Diskussion um den Versailler Vertrag von 1919 entstand.

So vorsichtig man mit solcherlei Aussagen umgehen sollte, bleibt doch die Erkenntnis, dass die Analogien zu eklatant sind, um Zufall zu sein. Auf der einen Seite stehen da diejenigen, die sich durch die deutsche Kraft, sei es nun militärisch oder wirtschaftlich, bedroht fühlen und die daher einen „Schandvertrag“ entwerfen, mit dem die Deutschen klein gehalten werden können. Auf der anderen Seite sitzen die deutschen Demokraten, die die Bedingungen, sei es nun aus Naivität oder aus mangelnder Standhaftigkeit, weitgehend widerstandslos akzeptieren – und damit die Interessen des eigenen Volkes verraten. Genau wie die Gegner des Versailler Vertrages in ihrer Betrachtung auszublenden versuchten, dass das Deutsche Reich zuvor einen Krieg vom Zaun gebrochen – und verloren – hatte, der ganz Europa ins Verderben riss und man daher nicht in der Position war, die Regeln zu diktieren, versucht Sarrazin die Deutschen ebenfalls alleine als Opfer darzustellen, denen der Euro gewissermaßen untergeschoben wurde. Dass es gerade die Deutschen gemeinsam mit den Franzosen waren, die etwa den Stabilitätspakt nicht nur durchgesetzt, sondern auch wieder durch Bruch der Kriterien abgeschafft haben, verschweigt er in seinem Text, kaum überraschend, komplett. Auch ansonsten könnte man bei Sarrazin meinen, Deutschland hätte nicht mit am Tisch gesessen, als in den letzten Jahrzehnten die Weichen für Europa gestellt – und dabei unfraglich auch eklatante Fehler gemacht wurden. 

Solcherlei Details würden allerdings den Weg hin zu dem Ziel stören, das man hinter dem Text nach mehrmaligem Durchlesen vermuten muss: Sarrazin baut an einer neuen Dolchstoßlegende. Genau wie sich in den 20er Jahren des letzten Jahrtausends vor allem in nationalen Kreisen mehr und mehr die Mär durchsetzte, dass das deutsche Heer im Felde unbesiegt von den eigenen Politikern hinterrücks verraten wurde, suggeriert Sarrazin heute, dass die deutsche Wirtschaft, die ohne Euro weltweit wettbewerbsfähig war, durch die Einführung des Euro von der eigenen Regierung fahrlässig den südlichen Mitgliedsländern, die nichts als eine „Beschränkung der Wettbewerbsfähigkeit der nördlichen Mitgliedsländer“ zum Ziel hatten, zum Fraß vorgeworfen wurde.

Auch wenn Sarrazin an verschiedenen Stellen des Textes im Rückblick sicherlich nicht unrecht hat, die eine oder andere ökonomische Wahrheit ausspricht und selbst die weitere Integration Europas als einen Lösungsansatz nennt – wenngleich er ihn dann gleich wieder verwirft – muss man genau diese Teile als kalkulierten Teil eines insgesamt perfiden Spiels ansehen. Jeder Bemerkung, die man als halbwegs pro-europäisch werten kann, folgt eine weitere mit der Zielsetzung, den Euro als Ganzes oder einzelne Mitgliedsländer abzuqualifizieren und einer Rückabwicklung zumindest der Währungsunion das Wort zu reden. Dabei werden Vergleiche bemüht, bei denen man auch wieder davon ausgehen darf, dass einem Statistik-Freund wie Sarrazin deren Schrägheit durchaus bewusst ist. Dass er sie trotzdem nutzt, spricht dafür, dass hinter dem Text tatsächlich ein größeres Ziel steht.

 So stellt er etwa fest, dass diejenigen EU-Länder, die den Euro nicht eingeführt haben, seit Beginn der gemeinsamen Währung stärker gewachsen sind, als die Euroländer. Dass erstere dabei teilweise von einem deutlich niedrigen Durchschnittsniveau kommen – und in Teilen unter anderem deswegen den Euro nach den damals gültigen Kriterien gar nicht hätten einführen dürfen – verschweigt Sarrazin bewusst. Davon abgesehen würde der ehemalige Bundesbanker wohl auch nicht vorschlagen, den Kommunismus einzuführen, nur weil in China die Wachstumsraten in der letzten Dekade höher waren, als in Deutschland.

Auch die Betrachtung, dass eine gemeinsame Währung weder „eine notwendige oder gar hinreichende Bedingung für Frieden“ sei, ist nicht falsch. Allerdings widerlegt er ein selbst erfundenes Argument, denn in dieser Richtung hat sich in zumindest in letzter Zeit keiner der führenden Köpfe der deutschen Politik geäußert. Zwar sind solcherlei Schachzüge Teil des politischen Geschäfts und deshalb noch im Rahmen des üblichen. Was man allerdings fast schon als unanständig ansehen muss, ist der Vergleich der Eurozone mit den „Völkergefängnissen“ Jugoslawien und UdSSR, wo die gemeinsame Währung Kriege auch nicht zu verhindern wusste. Natürlich würde sich Sarrazin auf Nachfrage dagegen verwahren, es so gemeint zu haben, wie manche ihn nun verstehen. Die sich inzwischen allerdings wieder zunehmend formierenden Europagegner feiern Sarrazin im Internet allerdings für genau diesen Teil, fühlen Sie sich doch darin bestätigt, dass Europa auf dem Weg in eine „EUdSSR“ sei, was der Bundestag durch „Ermächtigungsgesetze“ ermögliche. Auch hier darf man getrost davon ausgehen, dass Sarrazin sich der Symbolik wohl bewusst war.

Einer der größten Fehler, die die Siegermächte nach 1918 machten, war der, einen zukünftigen Frieden auf dem Kontinent nicht als europäische Aufgabe, sondern als deutsche Bringschuld zu verstehen. Genau dieses Denken wurde im Versailler Vertrag manifestiert – was in Deutschland eine nationalistische Radikalisierung weiter Teile der Bevölkerung beförderte. Der Vertrag von Locarno, in dem die Auflagen 1925 gelockert wurden, kam zu spät, die Wirtschaftskrise bereitete den Weg ins deutsche und europäische Verderben. Thilo Sarrazin hat aus diesen Entwicklungen nichts gelernt, sondern setzt sich vielmehr bewusst an die Spitze einer wachsenden, revisionistischen Bewegung. Wer das Eintreten der Bundesregierung gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden mit historischen Völkerschlachten vergleicht und unterstellt, dass Frankreich und die anderen Südländer nur danach trachten würden, „die Nordländer“ dafür „zahlen zu lassen“, dass sie „den Kuchen essen und behalten“ können, der hat die Suche nach gemeinsamen Lösungen längst aufgegeben und steht für eine Renationalisierung des Denkens wie auch der Politik. Er stellt damit alle wichtigen Traditionslinien deutscher Politik nach dem letzten Weltkrieg in Frage, was durchaus einer breiteren Diskussion bedarf, als sie bisher geführt wurde. 

Dass Sarrazin dabei auch noch den Menschen in den südlichen Ländern in großen Teil unrecht tut, die derzeit mit Einschnitten und persönlichen Tragödien zu leben lernen müssen, wie wir sie uns kaum vorstellen können, bleibt da fast eine Randnotiz. An dieser Stelle zumindest kann man davon ausgehen, dass er es tatsächlich nicht besser weiß. Denn das wissen wir schon seit seinem ersten Buch: Sarrazin schreibt gerne über Menschen, zu denen ihm der persönliche Bezug fehlt und deren Lebenswirklichkeit er nicht kennt. Zumindest in dieser Hinsicht bleibt er sich treu.

Donnerstag, 10. Mai 2012

Die Qual der Wahl in NRW – Eine seltsame Situation für Liberale

Dieser Text ist vor der Wahl in Schleswig-Holstein entstanden, insofern erscheint manches inzwischen wieder in etwas anderem Licht. Meinen Standpunkt hatte ich schon vorher in etwas kürzerer Form an anderer Stelle klargemacht. Dort wird kritisiert, dass ich keine inhaltlichen Gründe für meine Empfehlung nenne. Der nachstehende Text macht vielleicht etwas deutlicher, wie es dazu kam: Es ging mir nie darum, Wahlwerbung für die liberale Sache an sich zu machen, sondern vom Selbstverständnis her Liberale anzusprechen, die nicht wissen, wen sie wählen sollen. Hier also der zweite Versuch, in aller Länge…

Die FDP hat es Liberalen in Deutschland in den letzten Jahren sicher nicht leicht gemacht, sie als ihre politische Heimat zu sehen. Die Umfragezahlen und die Mitgliederstatistiken sprechen eine eindeutige Sprache. Ich selbst bin nach zwölf Jahren in der FDP ausgetreten, der Entschluss stand endgültig fest an dem Tag, als Christian Lindner auf Bundesebene das Handtuch warf. Der Glaube, dass die Partei sich tatsächlich nachhaltig ändern und endlich wieder den eigenen Prinzipien folgen würde, war nicht nur mir abhanden gekommen. Nachdem die Piraten, von denen vielen von denjenigen, die sich dem liberalen Spektrum zurechnen, zwischenzeitlich erhofft haben mögen, dass sie ihnen eine neue politische Heimat eröffnen, sich zu einer klar links positionierten Partei entwickelt haben, sind viele, die sich politisch in der Mitte verorten, seit einiger Zeit politisch heimatlos. 

Seit einigen Wochen allerdings gibt es eine neue Euphorie, vielleicht auch eine letzte Hoffnung, dass doch alles noch ein wenig anders kommt. Dabei sind dafür weniger die Entscheidungen der FDP-Führung verantwortlich – auch wenn diese an verschiedenen Stellen die Qualität und Richtung hatten, die man sich schon lange vorher gewünscht haben mag; die Nominierung von Joachim Gauck, klare Kante im Fall Schlecker und die Standfestigkeit beim Thema Vorratsdatenspeicherung sind nur einige Beispiele, der Widerstand gegen einen Schuldenhaushalt in Nordrhein-Westfalen ist ein weiteres. Nein, Auslöser war die überraschende und schnelle Rückkehr von Christian Lindner auf die politische Bühne, und zwar in einer Funktion, die ihm im Erfolgsfall unfraglich die Möglichkeit geben wird, die FDP in der Art zu verändern, wie es ihm in der Funktion als Generalsekretär, die in erster Linie eine dienende ist, nicht möglich war. 

Gerade diejenigen, die sich nach der FDP sehnen, die früher einmal nicht abgehoben elitär, marktschreierisch, monothematisch oder klientelistisch daherkam, sondern anschlussfähig in weite Teile der Gesellschaft war, steht nun vor einer schwierigen Entscheidung. Nicht wenige haben sich geschworen, nie mehr in ihrem Leben der FDP ihre Stimme zu geben – vermutlich auch, weil sie davon überzeugt waren, dass die FDP nie mehr die sein würde, die sie sich wünschen -, und müssen sich jetzt überlegen, ob sie der eigenen Linie treu bleiben oder vielleicht lieber doch mit dafür sorgen, dass sich die Partei wieder in ihre Richtung bewegt. Es ist eine insgesamt seltsame Situation für Liberale: Die FDP hat sich zwar nicht über Nacht geändert und ist damit im Kern dieselbe geblieben, die bei vielen Menschen nur noch Kopfschütteln hervorruft. Gleichzeitig hat man in Nordrhein-Westfalen mit der Stimme bei der Landtagswahl die Chance, daran etwas zu ändern – indem man genau die Partei, die man als so unwählbar empfindet, eben doch wählt. 

Christian Lindner hat vor einigen Monaten, anlässlich des 40. Geburtstages der Freiburger Thesen in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel die Frage gestellt, inwiefern das damals so progressive Grundsatzprogramm der FDP auch heute noch gilt. Er kam zu einer differenzierten Beurteilung, stellte aber fest, dass die Thesen den Liberalismus damals zu recht um eine qualitative Dimension erweitert hatten. Genau diese suchte man in den vergangen Jahren im Handeln der FDP allerdings oftmals vergeblich. Will man das ändern, dessen sollte man sich bewusst sein, wird das ohne einen starken Christian Lindner kaum möglich sein. Selten hatte man als einfacher Wähler mit einem einfachen Kreuz so viel Einfluss auf den zukünftigen Kurs einer Partei, wie am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen, bezogen auf die FDP. 

Die Wahlentscheidung kann einem niemand abnehmen, insofern wird man erst am Wahlabend selbst sehen können, wie viele Liberale über ihren Schatten gesprungen sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage allerdings, wäre meine Entscheidung, würde ich noch in Nordrhein-Westfalen leben, klar: Zweitstimme FDP, um Christian Lindner und seinen Einfluss zu stärken. Dabei ist eigentlich egal, welche Art von „Mitte“-Wähler man genau ist und was man an konkreten politischen Zielen verfolgt, man liegt auf gar keinen Fall komplett falsch. Wie oft kann man das bei einer Wahl schon sagen? 

Für bürgerliche Wähler ist eine Lindner-FDP die bessere Alternative gegenüber einer Röttgen-CDU, schon alleine weil Lindner schon bewiesen hat, dass er kein Problem damit hat, Landespolitik zu machen und sich in den zehn Jahren, in denen er das getan hat, über alle Parteigrenzen hinweg einen Namen gemacht hat. Für diejenigen, die keine große Koalition wollen, ist eine starke FDP vermutlich die einzige realistische Option, diese durch ein Drei-Parteien-Bündnis etwa in Form der Ampel oder einer Jamaika-Koalition zu umgehen. Und diejenigen, die unter Liberalismus weiterhin in erster Linie wirtschaftliche Freiheiten und einen restriktiven Umgang mit den finanziellen Ressourcen des Staates verstehen, mögen vielleicht nicht das komplette Portfolio einer FDP unter Christian Lindner unterstützen, wohl aber können auch sie mit seiner radikalen Ablehnung einer Fortsetzung der Schuldenpolitik mitgehen. 

Christian Lindner formuliert in seinem oben genannten Beitrag seinen Blick auf die Freiburger Thesen von 1971 – und damit auf die Zeit, als der Liberalismus in seinem breiten Verständnis das letzte Mal echte Sympathien in einer breiten Masse der Bevölkerung genoss: „Die Freiburger Thesen sind vierzig Jahre nach ihrer Verabschiedung Legende – in Teilen aber auch Geschichte. Mein Exemplar steht ganz vorne im Bücherregal, denn ab und an lohnt sich ein Blick hinein. Als Erinnerung daran, dass die Idee der Freiheit ihre faszinierende Kraft nur behält, wenn man sie immer wieder auf die konkrete Gegenwart bezieht. Der Liberalismus ist keine feststehende Heilslehre, sondern eine für jede Generation neue Aufgabe.“ Wer will, dass sich dieser Aufgabe nicht nur selbsternannte Sozialliberale wie die Piraten und die Grünen stellen, sondern auch eine breiter aufgestellte FDP, der hat es am Wahltag selbst in der Hand, die Grundlage dafür zu legen.

Sonntag, 6. Mai 2012

Ableitungen aus der SH-Wahl

Wenn man sich die vorläufigen Daten zur Landtagswahl in NRW mal im Kontext anschaut, kommt man zu interessanten Erkenntnissen:

  1. Landtagswahlen sind Landtagswahlen und keine Bundestagswahlen. Anders lässt sich etwa der Unterschied von 1,x% der FDP im Saarland und 8,5% in SH nicht erklären. Das sollten Kommentatoren und Parteistrategen allerorten endlich verstehen.
  2. Große Trends lassen sich allerdings durchaus in fast allen Wahlen ablesen. So zum Beispiel der zunehmende Substanzverlust der beiden Volksparteien CDU und SPD. Gemeinsam kommen beide Parteien in SH nicht mehr auf eine verfassungsändernde Mehrheit. Das ist gut für die demokratische Kultur, aber es macht auch das Regieren deutlich schwieriger. Mit diesem Trend müssen sich alle Verantwortlichen auseinandersetzen.
  3. Der Kampf um die dritte Position im Parteienspektrum ist weiterhin komplett offen. Von Wahl zu Wahl wird es sich zwischen Linkspartei, Grünen, FDP und Piraten neu entscheiden. Die Wähler haben damit mehr Optionen, Einfluss zu nehmen, als in der Vergangenheit. Das bringt aber auch eine neue Verantwortung, der sich vermutlich noch nicht alle bewusst sind.
  4. Es gibt eine klare linke Mehrheit, auch bei dieser Wahl. Aber es gibt deshalb noch lange keine Mehrheit für eine linke Koalition. Auch das ist ein Trend, der sich manifestiert - und der vor allem Angela Merkel freuen dürfte und der FDP eine ganz neue, besondere Rolle zukommen lässt.
  5. Alle Verantwortlichen sind daher dazu aufgerufen, sich zwar inhaltlich auseinanderzusetzen, nicht aber alle Brücken durch persönliche Angriffe abzubrechen. Sonst gibt es perspektivisch nur noch große Koalitionen... bitte nicht!
  6. Das beste Mittel, um die Linkspartei langfristig (zumindest in Westdeutschland) verschwinden zu lassen, scheinen die orangenen Piraten zu sein. Wer sie auch sonst nicht mag, muss zumindest an dieser Stelle anerkennen, dass sie etwas schaffen können, was SPD und Grüne nicht geschafft haben. Allerdings erinnert mich das ein wenig an die jungen Trotzkisten in Portugal, die den Alt-Kommunisten dort die Wählerstimmen abnehmen... auch moderner Sozialismus bleibt Sozialismus.
Ich freue mich über die Diskussion zu diesen Thesen...

Freude in Demut

Dass die FDP es in Schleswig-Holstein wieder in den Landtag geschafft hat, ist so überraschend nicht. Die Höhe des Ergebnisses allerdings ist eine klare Ansage der Wähler, die man nicht überhören kann. Nun geht es allerdings darum, sie richtig zu deuten, innerhalb und außerhalb der FDP.

Die Liberalen sind durch ein tiefes Tal gegangen. Zu glauben, dieses wäre schon zu Ende und man könne ab sofort wieder so weitermachen, wie bisher, wäre das endgültige Ende der FDP. Das Ergebnis in Schleswig-Holstein - und vermutlich auch das, was in NRW eingefahren werden wird - ist ein weiterer, letzter Vertrauensvorschuss in Richtung einiger Köpfe, die sich von der FDP-Linie der letzten Jahre abgesetzt haben. Das sieht man auch an Umfragen, nach denen 63% der Wähler angeben, dass die FDP auf Bundesebene und die im Land wenig miteinander gemeinsam haben. Wenn aus dem "Wir haben verstanden" jetzt wieder ein "Wir machen, was wir wollen" wird, wird das zum endgültigen Liebesentzug führen. Freude in Demut statt erneuter Größenwahn im Überschwang ist angesagt.

Die Piraten müssen sich von dem Gedanken verabschieden, in dieser Form langfristig eine echte Alternative im liberalen Spektrum sein zu können. Wer es noch nicht gemerkt haben sollte: Die Piraten sind eine linke Partei. Und als solche kostet sie maßgeblich andere linke Parteien Stimmen. Ohne die Piraten gäbe es eine Mehrheit von Rot-Grün, so gibt es einen langen Abend. Mit dieser Erkenntnis soll ihr gar nicht das Existenzrecht abgesprochen werden - und ebenso wenig der Verdienst, Nichtwähler zur Urne zu bringen. Aber das Selbstbild muss angepasst werden, so viel steht fest. Das Ergebnis sollte davon abgesehen allen Parteien zu denken geben, wie sie ihre Prozesse anpassen müssen. Und SPD und Grüne müssen sich die Frage nach realistischen Machtoptionen stellen... womit man übrigens wieder bei der FDP wäre.

Und die Union... naja... für die geht die Idee, die FDP zu vernichten und damit eine Regierung ohne Angela Merkel als Kanzlerin unmöglich zu machen, vielleicht doch nicht auf. Das dürfte die fortlaufende Sozialdemokratisierung stoppen - und vielleicht auch an der einen oder anderen Stellen dafür sorgen, dass man dem Koalitionspartner entgegenkommt. Denn eine Ampel nach 2013 wäre für Angela Merkel der absolute Super-GAU... 

Spannende Zeiten allemal... der liberale Gedanke könnte ein grandioses Comeback erleben, befeuert durch die allgemeine machtpolitische Großwetterlage. Jetzt gilt es für die FDP die Potenziale durch gutes Handwerk, ehrliche Inhalte und Demut vor dem Wähler zu heben. Das wäre mal was Neues nach zehn Jahren, in denen die Großmannsucht überhand genommen hatte...


Mittwoch, 11. April 2012

#Schlecker – Lektion 4: Wie funktioniert Machtpolitik a la Merkel

In den letzten Tagen konnte man am Beispiel des Themas „Transfergesellschaft für die Schlecker-Frauen“ einiges lernen. Ich will an dieser Stelle in den nächsten Tagen auf vier verschiedene Phänomene eingehen, die auch übergreifend gelten und derer man sich bewusst sein sollte, wenn man auch in Zukunft in der Lage sein will, Nachrichten und (vermeintliche) Stimmungen richtig zu deuten. Lektion 1 beschäftigte sich mit dem Phänomen „Shitstorm“, Lektion 2 mit dem Phänomen gezielt eingesetzter Falschinformationen und Lektion 3 mit Koalitionsstrategie. 

Gestern habe ich mich an dieser Stelle maßgeblich damit beschäftigt, wie man in einer Koalition den Partner dafür nutzen kann, die Themen aus dem Weg zu räumen, die für die eigene Partei unappetitlich sind. Neben den gestern genannten Beispielen, gab es auch noch einen weiteren großen Koalitionstaktiker, der es damit immer hin auf 16 Jahre durchgehende Regierungszeit brachte: Helmut Kohl. Angela Merkel scheint allerdings nicht bereit, dasselbe Spiel zu spielen – sie ließ die FDP in der Frage nach Schlecker ziemlich lange alleine im Shitstorm stehen, bis sie – nach Begutachtung der Umfragen zum Thema – Philipp Rösler doch noch halbherzig zur Seite sprang. Hatte sie gehofft, dass der Fall Schlecker tatsächlich zu einem weiteren Sargnagel für die FDP würde? Und hatte sie sich damit einmal mehr verkalkuliert? Vermutlich war es tatsächlich so. 

Um Merkels Überlegung zu verstehen, muss man wohl einen Blick auf die grundsätzliche Gemengelage in der politischen Landschaft werfen. Eine zu starke FDP gewann in der Vergangenheit hauptsächlich von der Union Stimmen. Beim letzten Mal reichte es gemeinsam zu einer Mehrheit – aber was, wenn das eines Tages nicht mehr der Fall sein sollte? Grundsätzlich sieht es gut aus für Angela Merkel, zerlegt sich doch doch die politische Linke selbst in immer mehr Parteien. Nur eine zu starke FDP könnte dann noch dafür sorgen, dass die Union plötzlich nicht mehr die stärkste Kraft im deutschen Bundestag wäre – und Angela Merkel damit nicht mehr automatisch Kanzlerin. Das möchte sie natürlich vermeiden – und dazu ist sie sogar bereit, alle Regeln der Koalitionsräson, die sich über Jahrzehnte herausgebildet haben, über Bord zu werfen. 

Platt gesagt: Angela Merkel ist es egal, mit wem sie regiert. Hauptsache sie regiert. Dabei hat sie vermutlich die Schraube im Umgang mit der FDP überdreht. Lange Zeit ließen sich die Liberalen fast alles gefallen, weil sie wussten, dass bei einem Auseinanderbrechen der Koalition das nächste Wahlergebnis ziemlich sicher nicht mehr bei 14,6% liegen würde. Die andauernden Demütigungen durch die Union waren ein Teil der Ursache für den Umfrage-Niedergang der Liberalen. Hätte Merkel den Liberalen immer gerade so viel Luft gelassen, wie es etwa Helmut Kohl getan hat, um die Partei bei irgendwo zwischen 6% und 9% zu halten, vermutlich wäre der Aufstand von Rösler und Co. ausgeblieben. Bei 3% allerdings stellt sich die Existenzfrage – und es beginnt die Rückbesinnung auf die liberale Kernklientel, die sich nachvollziehbare Entscheidungen und klare ordnungspolitische Kante wünscht. Das kollidiert seit einigen Wochen mit dem Wischi-Waschi der Kanzlerin. Und ganz offensichtlich scheint der Umgang mit einem schwer zu steuernden Partner nicht unbedingt zu den Stärken von Angela Merkel zu gehören… es bleibt spannend.


Disclaimer: Weil das gerne falsch verstanden wird… nein, es geht mir hier nicht um die Rolle bestimmter Akteure. Die Situation hätte auch in einer anderen Konstellation auftreten können. Das Problem ist ein grundsätzliches!