Donnerstag, 28. Juli 2011

Gedanken zum Primitivbürger

In meinem gestrigen Blogpost habe ich den Begriff „Primitivbürger“ genutzt, ohne allerdings groß darüber nachzudenken, wie ich diesen definieren würde. In meinem Kopf habe ich natürlich ein sehr genaues Bild. Nachdem aber Detlef Gürtler diesen in seinem Wortistik-Blog bei der taz aufgegriffen hat und dem Begriff damit ein etwas größeres Forum geschaffen hat, habe ich mich entschlossen, noch einmal zu versuchen, den Begriff etwas konkreter zu fassen.

Wie Gürtler richtig feststellt, gibt es neben dem eigentlichen und ursprünglichen Bürgerbegriff eine ganze Reihe von „Bindestrichbürgern“: „Kleinbürger, Spiessbürger und Bildungsbürger gibt es schon lange, Mutbürger und Wutbürger sind in den vergangenen Monaten dazu gekommen.“ Nach meinem Empfinden macht es auch durchaus Sinn, den „Primitivbürger“ in Abgrenzung zu diesen Gruppen zu sehen.

Dies fällt im Fall des Mutbürgers besonders leicht, denn zwischen beiden Spezies steht ein komplett unterschiedliches Weltbild. Während der Mutbürger zwar nicht unkritisch, immer aber optimistisch und grundsätzlich kompromissbereit ist, verharrt der Primitivbürger in einem negativen Weltbild, dass nicht unbedingt auf eigener Anschauung, sondern eher auf dem Austausch am „Stammtisch“ oder in einschlägigen „politisch inkorrekten“ Foren basiert. Überschneidungen mit Klein- und Spießbürger sind bei dieser Charakterisierung wenig überraschend. Man sollte allerdings nicht den Fehler machen, die Mitglieder des „Primitivbürgertums“ nur in diesen Kreisen zu suchen. Denn die besondere Problematik in diesem Fall liegt darin, dass zunehmend auch Menschen, die man eigentlich schon alleine der Ausbildung oder des Titels wegen dem Bildungsbürgertum zurechnen würde, sich in ein derart holzschnittartiges, schwarz-weißes Weltbild flüchten.

Diese Beobachtung gilt, laut Dirk Kurbjuweit, der den Begriff in seinem Essay für den Spiegel einem breiteren Publikum gegenüber eingeführt hat, so auch für den Wutbürger. „Der Wutbürger wehrt sich gegen den Wandel, und er mag nicht Weltbürger sein. […] Der Wutbürger denkt an sich, nicht an die Zukunft seiner Stadt. […] Er vergisst zudem, dass er die Demokratie trägt. […] Der Wutbürger hat das Gefühl, Mehrheit zu sein und die Lage besser beurteilen zu können als die Politik. Er macht sich zur letzten Instanz und hebelt dabei das gesamte System aus.“
 
So weit, so gut. Er wirft allerdings die Gegner eines Projektes wie Stuttgart21 damit in einen Topf mit denen, die sich im Internet nicht zu schade sind, Hasspamphlete zu schreiben, immer nach dem Motto: „Man wird ja wohl noch sagen dürfen.“ Nicht Engagement folgt bei diesen aus der Unzufriedenheit, sondern blanker, ungesteuerter Hass, der sie gerade dieser Tage wieder jeglichen Anstand, jegliche Form von „bügerlicher Tugend“ vergessen lässt.
 
Kurbjuweit schreibt: „Contenance im Angesicht von Schwierigkeiten, das zeichnet ein wohlverstandenes Bürgertum aus. Eifer gegen andere Menschen, Rassen, Volksgruppen, Religionen ist unziemliches Verhalten, ist unanständig. Das gebieten der Satz von der Gleichheit des Menschen und das Gefühl für Menschlichkeit.“ Er spricht von diesen als einer Gruppe der von ihm skizzierten Wutbürger. Damit beschreibt er aber vielmehr den Primitivbürger, wie ich ihn verstehe.

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