Montag, 14. März 2011

Erdbeben in Japan – tektonische Verschiebungen in der deutschen Politik

In den Parteizentralen herrscht seit dem Beben am Freitag Alarmstimmung: SPD und Grüne spüren Aufwind, CDU und FDP müssen aufgrund des strittigen Atomkompromisses damit rechnen, die Landtagswahlen überraschend deutlich zu verlieren. Beide Seiten versuchen sich jetzt zu positionieren, um die Situation für sich zu nutzen bzw. den Schaden in Grenzen zu halten. Auch wenn alle das offiziell bestreiten: Die Katastrophe in Japan ist längst zum Wahlkampfthema geworden.

Dabei ist die einzige Frage, die wirklich strittig war in der ganzen Diskussion doch seit dem Wochenende beantwortet: Nein, Atomkraftwerke sind nicht sicher. Nein, selbst die hochtechnisiertesten Kulturen sind offensichtlich nicht in der Lage, die Risiken zu kontrollieren. Und ja, wir müssen so schnell wie möglich aus der Kernkraft aussteigen.

Über Jahre standen Aussage gegen Aussage, Gutachten gegen Gutachten. Sowohl Gegner als auch Befürworter hatten vermeintlich gute Argumente auf ihrer Seite, beide Seiten hatten aber auch die gleiche Schwachstelle in ihrer Argumentation: Die Unsicherheit. Egal ob pro oder contra, die Argumente basierten auf Annahmen. Seit dem Wochenende aber wissen wir, wer Recht hatte.

Auch wenn Rainer Brüderle von einer „neuen Lage“ spricht, die sich ergeben habe und Guido Westerwelle eine neue Risikoanalyse fordert, beides geht am Kern des Themas vorbei. Die Atomkraftbefürworter – und zu denen zähle ich mich selbst zumindest insofern, als ich nicht grundsätzlich dagegen war - sollten zugeben, dass sie falsch lagen. Auch wenn es einem Paradigmenwechsel in der Politik gleichkäme. Und wenn sie mit Häme und Spott der Gegenseite rechnen müssen. So weh es tut: In diesem Fall haben Jürgen Trittin und Renate Künast eben Recht gehabt und Angela Merkel, Guido Westerwelle und Rainer Brüderle Unrecht. Das muss so aber nicht für alle Zeiten und für alle Themen gelten. Nur in diesem einen Fall hilft leugnen eben nicht mehr.

Jetzt zu handeln, und zwar nicht nur im Sinne eines Placebo bis zu den Landtagswahlen, ist unerlässlich. Wir können nicht von heute auf morgen die deutschen AKWs abschalten, insofern werden mit einem Restrisiko leben müssen. Aber wir müssen den Zeitraum, über den auf deutschem Boden noch Kernkraft genutzt wird, soweit es geht begrenzen. Dazu taugt die Vorgehensweise des rot-grünen Atomkompromisses nicht, noch weniger aber die des schwarz-gelben. Laufzeiten zu verhandeln auf Basis rein ökonomischer Kennzahlen und in Verhandlungen mit den zu reglementierenden Unternehmen verbietet sich. Auch hier müssen Fehler eingestanden und korrigiert werden – und es müssen so schnell wie möglich Szenarien entworfen werden, wie der Ausstieg kurzfristig gelingen kann. Das wird Geld kosten, ganz sicher. Aber einen Tod muss man eben sterben – und spätestens seit dem Wochenende sollte große Einigkeit darüber bestehen, dass die finanzielle Belastung dem realen Tod vorgezogen werden sollte.

Es stünde übrigens allen politischen Protagonisten gut zu Gesicht, jetzt nicht an die Wahlen oder die eigene Partei zu denken, sondern tatsächlich einmal gesamtgesellschaftliche Verantwortungsbereitschaft zu zeigen. Wenn die eine Seite Fehler eingestehen würde und bereit wäre umzudenken und gleichzeitig die andere sich mit Polemik zurückhielte, dann wäre das ein Sieg für die politische Kultur und würde das Ansehen der beschädigten politischen Klasse deutlich steigern.

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