Swasiland also. Dort saß ich nun, ohne alles. Nur ein wenig Geld war mir geblieben. Aber mein sämtlicher Besitz und vor allem mein Reisepass befanden sich genau in dem Rucksack, der gerade ohne mich auf dem Weg nachJohannesburg war. Ich hatte extra noch nachgefragt, wann denn der Bus abfahren würde. „When it’s full“, war die wenig aussagekräftige Antwort. Wann das denn der Fall sein würde? „Soon“, was in afrikanischer Zeitrechnung ungefähr so viel heißt wie „in den nächsten acht Stunden“. Bei „very soon“ sollte man vorsichtig sein, hatte man mir des Öfteren gesagt. Aber „soon“ – kein Problem. Ich hatte also meinen Rucksack dort gelassen um mich auf dem Weg zu machen und Reiseproviant zu besorgen. Und weniger als fünfzehn Minuten später war dann alles anders. Der Bus war abgefahren. Ohne mich, aber mit meinen Habseligkeiten. Und ich konnte sicher sein, dass ich meinen Rucksack nie mehr wieder sehen würde. Immerhin war ich in Afrika. Viele Verwandte und Bekannte hatten mich gewarnt: „Afrika ist gefährlich. Denk an all die Krankheiten. Und außerdem zählt dort ein Menschenleben nichts.“ Ich hatte die Bedenken weggewischt. Meine afrikanischen Freunde hatten mir immer wieder vor Augen geführt, wie sehr meine eigene Sicht auf die Welt durch die westliche Wohlstands- und Mediengesellschaft geprägt waren. Sie hatten mich immer wieder gefragt, wie ich mir anmaßen könnte, über die Probleme eines Kontinents zu sprechen und zu urteilen, den ich nie besucht hatte. Und sie hatten mich damit bei der Ehre gepackt, denn mir war dadurch erschreckend bewusst geworden, dass auch ich alles andere als frei von Vorurteilen durch die Welt lief. Und nun saß ich in Swasiland am Straßenrand und es wirkte, als ob alles ein großer Fehler gewesen sein sollte.
Ich begann über die letzten Wochen nachzudenken. Was war passiert, seit ich mitten in der Nacht in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, gelandet war? Sicher, es gab einige Scherereien, die man so in Europa sicher nicht erleben würde. Im Norden von Mosambik war einem mit mir reisenden Australier der Rucksack aus dem Auto entwendet worden, mitsamt seiner Pässe und sonstigen Reisedokumente. In Swasiland und Südafrika war unsere Gruppe, in der alle Hautfarben vertreten waren, immer wieder mit rassistischen Bemerkungen von Schwarzen und Weißen konfrontiert worden. In Namibia war mir von Straßenkindern eine Flasche Orangensaft geklaut worden und in Simbabwe gab es ein paar unerfreuliche Gespräche mit der Militärpolizei. Doch sollten diese Momente, in denen ich kurzzeitig das Gefühl hatte, dass das was ich tat vielleicht doch falsch gewesen sein könnte, ausschlaggebend für die Bewertung einer Reise, vielleicht sogar eines ganzen Kontinents mitsamt seiner Menschen sein?
Während ich weiterhin am Rande der staubigen Straße saß, ohne Blick für das bunte Markttreiben um mich herum, und über diese Frage nachdachte, gesellte sich ein älterer Herr zu mir. Er trug die bunte Tracht der Einheimischen mitsamt einem eingenähten Bild der Königsmutter auf der Brust. „What’s wrong with you, my friend? You are not supposed to sit here and be unhappy!“ Ich berichtete ihm von meinem Problem und dachte, das würde genügen, um ihn davon zu überzeugen, dass ich allen Grund hatte, unglücklich zu sein. Immerhin war mein Bus ohne mich abgefahren, mit meinem ganzen Reisegepäck! Doch der Alte lachte nur. „Wenn alle Menschen auf diesem Kontinent den ganzen Tag traurig wären, weil sie nichts besitzen, außer dem was sie am Leib tragen, würde das etwas ändern? Hier besitzt niemand einen Reisepass. Die meisten Menschen waren in ihrem ganzen Leben noch nicht ein einziges Mal in der Nähe der Landesgrenze. Viele sind krank oder haben kranke Familienmitglieder. Viele Kinder können sich nicht auf die Schule konzentrieren, weil sie zu Hause mithelfen müssen oder sogar Hunger haben. Das wird Dir nie passieren, denn Du kannst für die nächsten Tage mein Gast sein und es wird Dir an nichts mangeln. Und Deine Botschaft wird sich schnellstens darum bemühen, dass Du entsprechende Papiere bekommst. Es gibt also keinen Grund traurig zu sein!“ Ich fühlte mich ertappt, vielleicht sogar beschämt. Und gleichzeitig erleichtert. Wir begannen beide zu lachen. Es hatte nicht mehr als dieser kurzen Belehrung bedurft, um mir wieder deutlich vor Augen zu führen, warum es die beste Entscheidung meines Lebens gewesen ist, den Flug nach Afrika zu buchen. Die Pflanzen- und Tierwelt Afrikas ist unbestritten atemberaubend. Aber vor allem die unendliche Freundlichkeit der Menschen, ihre von uns Europäern gerne falsch interpretierte Offenheit, Hilfsbereitschaft und Lebensfreude, waren schon Grund genug, die unerfreulichen Anekdoten eher als Fußnote zu betrachten. Hätte mich in Deutschland ein Fremder in sein Haus eingeladen, wenn mir mein Rucksack abhanden gekommen wäre? Hätte in Deutschland ein Fremder einen Afrikaner in sein Haus eingeladen? Hätte ich einen Afrikaner in mein Haus eingeladen?
Noch während ich dort lachend saß, kam vor uns quietschend ein Bus zum Stehen. Innen saßen Gospels singend einige Einheimische dicht gedrängt. Und auf das Dach des Busses war ein Rucksack geschnallt, der meinem zum verwechseln ähnlich sah. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass es sich tatsächlich um meinen handelte. „Mister, don’t you wanna come? We are leaving!“ wandte sich der Fahrer des Wagens an mich. Wo er denn gewesen sei, fragte ich verdutzt. „My wife wanted me to bring home some vegetables. And it’s not a good idea not to do what wifey says“, erklärte er mir mit einem Augenzwinkern.
Ich begann über die letzten Wochen nachzudenken. Was war passiert, seit ich mitten in der Nacht in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, gelandet war? Sicher, es gab einige Scherereien, die man so in Europa sicher nicht erleben würde. Im Norden von Mosambik war einem mit mir reisenden Australier der Rucksack aus dem Auto entwendet worden, mitsamt seiner Pässe und sonstigen Reisedokumente. In Swasiland und Südafrika war unsere Gruppe, in der alle Hautfarben vertreten waren, immer wieder mit rassistischen Bemerkungen von Schwarzen und Weißen konfrontiert worden. In Namibia war mir von Straßenkindern eine Flasche Orangensaft geklaut worden und in Simbabwe gab es ein paar unerfreuliche Gespräche mit der Militärpolizei. Doch sollten diese Momente, in denen ich kurzzeitig das Gefühl hatte, dass das was ich tat vielleicht doch falsch gewesen sein könnte, ausschlaggebend für die Bewertung einer Reise, vielleicht sogar eines ganzen Kontinents mitsamt seiner Menschen sein?
Während ich weiterhin am Rande der staubigen Straße saß, ohne Blick für das bunte Markttreiben um mich herum, und über diese Frage nachdachte, gesellte sich ein älterer Herr zu mir. Er trug die bunte Tracht der Einheimischen mitsamt einem eingenähten Bild der Königsmutter auf der Brust. „What’s wrong with you, my friend? You are not supposed to sit here and be unhappy!“ Ich berichtete ihm von meinem Problem und dachte, das würde genügen, um ihn davon zu überzeugen, dass ich allen Grund hatte, unglücklich zu sein. Immerhin war mein Bus ohne mich abgefahren, mit meinem ganzen Reisegepäck! Doch der Alte lachte nur. „Wenn alle Menschen auf diesem Kontinent den ganzen Tag traurig wären, weil sie nichts besitzen, außer dem was sie am Leib tragen, würde das etwas ändern? Hier besitzt niemand einen Reisepass. Die meisten Menschen waren in ihrem ganzen Leben noch nicht ein einziges Mal in der Nähe der Landesgrenze. Viele sind krank oder haben kranke Familienmitglieder. Viele Kinder können sich nicht auf die Schule konzentrieren, weil sie zu Hause mithelfen müssen oder sogar Hunger haben. Das wird Dir nie passieren, denn Du kannst für die nächsten Tage mein Gast sein und es wird Dir an nichts mangeln. Und Deine Botschaft wird sich schnellstens darum bemühen, dass Du entsprechende Papiere bekommst. Es gibt also keinen Grund traurig zu sein!“ Ich fühlte mich ertappt, vielleicht sogar beschämt. Und gleichzeitig erleichtert. Wir begannen beide zu lachen. Es hatte nicht mehr als dieser kurzen Belehrung bedurft, um mir wieder deutlich vor Augen zu führen, warum es die beste Entscheidung meines Lebens gewesen ist, den Flug nach Afrika zu buchen. Die Pflanzen- und Tierwelt Afrikas ist unbestritten atemberaubend. Aber vor allem die unendliche Freundlichkeit der Menschen, ihre von uns Europäern gerne falsch interpretierte Offenheit, Hilfsbereitschaft und Lebensfreude, waren schon Grund genug, die unerfreulichen Anekdoten eher als Fußnote zu betrachten. Hätte mich in Deutschland ein Fremder in sein Haus eingeladen, wenn mir mein Rucksack abhanden gekommen wäre? Hätte in Deutschland ein Fremder einen Afrikaner in sein Haus eingeladen? Hätte ich einen Afrikaner in mein Haus eingeladen?
Noch während ich dort lachend saß, kam vor uns quietschend ein Bus zum Stehen. Innen saßen Gospels singend einige Einheimische dicht gedrängt. Und auf das Dach des Busses war ein Rucksack geschnallt, der meinem zum verwechseln ähnlich sah. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass es sich tatsächlich um meinen handelte. „Mister, don’t you wanna come? We are leaving!“ wandte sich der Fahrer des Wagens an mich. Wo er denn gewesen sei, fragte ich verdutzt. „My wife wanted me to bring home some vegetables. And it’s not a good idea not to do what wifey says“, erklärte er mir mit einem Augenzwinkern.
In Afrika habe ich begonnen zu begreifen, zwar genau hinzuschauen, aber nicht von Grund auf misstrauisch zu sein. Ich habe gelernt, was echte Gastfreundschaft bedeutet und ich versuche seitdem offener gegenüber Fremden zu sein. Ich versuche zu vermeiden, dass meine Meinung mit Vorurteilen belastet wird. Ich versuche, Menschen einen Vertrauensvorschuss zu geben. Und ich versuche, mehr zu lachen. Denn lachend erträgt sich vieles leichter. Auch eine Situation wie die, in der ich mich damals in Swasiland befand. Ohne Rucksack, ohne Reisepass im Niemandsland.
Afrika ist intensiv. Positiv wie negativ. Afrika ist anders, als Europa. Oder ist Europa anders als Afrika? Und Afrika ist abgefahren, keine Frage!
Afrika ist intensiv. Positiv wie negativ. Afrika ist anders, als Europa. Oder ist Europa anders als Afrika? Und Afrika ist abgefahren, keine Frage!
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