Mittwoch, 4. November 2009

Ab heute bin ich mal Hartz IV - Mittwoch


Mittwoch, 28. Januar.
Mein Büro ist ein Glasbau. Modern, gebaut von irgendeinem Stararchitekten. Blick auf die Alster. Die Arbeitsagentur ist ein Zweckbau aus Beton. Siebziger Jahre vermutlich. Da tut frühes Aufstehen noch weher als sonst. Ich tröste mich damit, dass es eine Ausnahme bleiben wird. Denn als Arbeitsloser schläft man aus. Normalerweise. Und vor allem im Winter. „Einen Grande-Hazelnut-Nonfat-Mocha to go, bitte“, werfe ich der Barista von Starbucks zu, während ich weiter meinen Träumen nachhänge. Bestens ausgestattet mit Kaffee und Cookies mache ich mich auf zur Arbeitsagentur. Pünktlich zur Öffnung will ich da sein, um als erster bedient zu werden. Doch ich werde jäh aus meinen Träumen gerissen. Vor dem Eingang stehen schon 45 Gestal-ten, dick verpackt in Daunenjacken und Wintermänteln. Ich reihe mich ein, gehe nach der Öffnung stumm, wie eigentlich der ganze „Trauerzug“, in Richtung Wartemarkenautomat und ziehe eine Nummer. Es wird die 4. Das ist OK. Ich wid-me mich meinem Mitgebrachten und beobachte die anderen Wartenden. Vermutlich haben die wenigsten von ihnen einen Lebenslauf wie ich. Markenkleidung ist vergleichsweise we-nig zu sehen. Keiner trägt eine teure Uhr. Ich lasse den Arm meines Mantels unauffällig über meinen Glashütte-Chronographen rutschen und schiebe meinen Kaffeebecher mit dem auffälligen Logo der Kaffeehauskette etwas aus dem Sichtfeld. Ich habe das erste Mal ein echtes Gefühl der Be-klemmung. Ich will arbeitslos sein. Es ist meine Entschei-dung. Ich könnte auch anders. Die meisten, wenn nicht alle um mich herum, sind arbeitslos, weil sie keine Arbeit finden. Keiner braucht sie.

Die 4 blinkt auf. Ich gehe zu meiner Sachbearbeiterin. Auf ihrem Namenschild steht „S. Neihus, Beraterin“. „Wir sind also gewissermaßen Kollegen“, lache ich in mich hinein. Ich grüße freundlich und erkläre ihr, dass ich noch nicht arbeitslos sei, dies aber vermutlich bald sein werde. Daher wolle ich mich schon einmal erkundigen, was denn dann zu tun wäre, damit ich nahtlos Arbeitslosengeld bekäme. Frau Neihus nimmt geduldig meine Angaben auf und lobt mich, für meine Initiative. „Gut, dass Sie sich so früh bei uns melden. Bei ih-rem Profil sollte es kein Problem sein, einen direkten Über-gang in einen neuen Job hinzubekommen. Ich glaube nicht, dass für Sie Arbeitslosengeld relevant wird.“ Ich will wider-sprechen, beiße mir aber auf die Zunge. Dass ich gar keinen neuen Job suche, würde sie vermutlich nicht verstehen. Und ganz sicher würde ich mir selbst Steine in den Weg legen. Ich frage weiter nach, wie sich die Sache denn gestalten würde, für den hypothetischen Fall, dass ich doch keinen Job finden würde. Frau Neihus hebt die Augenbraue und mustert mich verdutzt, will mir die Antwort dann aber doch nicht vor-enthalten. „Nun ja, Sie sollten Arbeitslosigkeit als einen Full-Time-Job verstehen. Sie, als jemand der zu 100 Prozent ar-beitsfähig ist, haben nur Anspruch auf Leistungen vom Staat, wenn Sie uns glaubhaft vermitteln können, dass Sie alles er-denklich Mögliche tun, um ein neues Arbeitsverhältnis zu finden. Wir geben Ihnen Hilfestellungen, bieten Ihnen Stellen an. Aber nichtsdestotrotz ist Eigeninitiative gefragt. Dass Sie dafür in Deutschland leben müssen, um uns zur Verfügung zu stehen, ist selbstverständlich.“ Wir schauen uns an. Ich zöge-re. Da schiebt sie noch eine Bemerkung hinterher. „Ansonsten werden die Leistungen empfindlich gekürzt und spätestens auf Hartz-IV-Niveau macht das Leben keinen Spaß mehr. Egal wer man ist oder wer man wahr!“

Ich fühle mich ertappt und verunsichert. Vielen Dank, auf Wiedersehen. Ab in mein Stammcafé. Dort kennt und respek-tiert man mich. Dort gehöre ich hin. Ich nehme mir für den nächsten Tag vor, mir die Bedingungen für staatliche Leis-tungen noch einmal genauer anzusehen.




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