Noch zu oft werden Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit an hohen ethischen Standards ausrichten belächelt. Dabei hilft ein Blick auf die Öko-Bewegung, um zu verstehen, dass ein beginnender Wertewandel oft nur den Anfang für umfassende Veränderungen markiert. Wer nicht nachhaltig und ethisch handelt, wird in Zukunft nicht etwa besser dastehen, sondern zunehmend unter Druck kommen.
Es ist noch gar nicht lange her, da fand man ökologisch produzierte Kleidung nur in Eine-Welt-Läden – nicht besonders modisch, teuer und oftmals subventioniert noch dazu. Viele Manager großer, auf den Massenmarkt ausgerichteter Unternehmen waren davon überzeugt, dass man mit einem verantwortungsvollen, nachhaltigen Ansatz kein Geld verdienen könne. Inzwischen sind die vormaligen Nischenprodukte wie Bio-Baumwolle im Massenmarkt angekommen und erreichen etwa beim Textilriesen C&A hohe zweistellige Wachstumsraten jährlich. Und das, ohne dass die Endprodukte dabei besonders teuer oder gar unmodisch wären. Die grüne Realität hat die Bedenkenträger von früher längst widerlegt, in Teilen wohl auch überzeugt. Experten wie Prof. Dr. Claus Dierksmeier, Direktor des Weltethos-Instituts in Tübingen, überrascht diese Entwicklung nicht. Er formuliert auf den Punkt: „Wirklichkeit beweist Möglichkeit.“
Maßgeblich für diese Entwicklung sind zunächst die klassischen Marktkräfte. Dabei schafft sich das Angebot eine Nachfrage, gleichzeitig schafft sich die steigende Nachfrage aber auch ein wachsendes, sich weiter ausdifferenzierendes Angebot. Je größer die Stückzahlen werden, desto professioneller kann der Produktionsprozess gestaltet werden – und desto kleiner wird die Preisdifferenz zu bestehenden, herkömmlich produzierten Produkten. Im besten Fall verschwindet diese ganz, wodurch sich ein neuer, höherwertiger – oder in diesem Fall: ethischerer – Standard durchsetzt.
Diesen wirtschaftlichen Effekt sozialer Interaktion haben viele Unternehmen bis heute nicht richtig verstanden. Nicht anders ist es zu erklären, dass viele von ihnen immer noch lieber darauf setzen, Lobbyisten zu bezahlen, die sich dann dafür einsetzen, den antiquierten Geschäftsmodellen zumindest rechtlich noch eine Gnadenfrist zu gewähren. Diese Herangehensweise ist allerdings alles andere als nachhaltig, weil sie fast zwangsläufig dafür sorgt, dass man den Markt aus den Augen verliert, der längst neue, ökologischere oder eben auch moralischere Lösungen entwickelt und die Nischen füllt, die man aus Unbeweglichkeit unbesetzt lässt.
Genau an diesem Problem des Lobbyismus setzt auch der zweite Hebel an, der den gesamten Prozess beschleunigt – und die Herausforderung weiter verschärft. Würde man sich nämlich allein auf die altbekannten Marktkräfte verlassen, würde der Wandel eine kleine Ewigkeit dauern. Und unbestreitbar gilt in vielen Geschäftsfeldern derzeit noch, dass sowohl Moral, als auch Unmoral die Basis für lukrative Geschäftsmodelle sein können. Mit zunehmender Transparenz und einer sich daraus entwickelnden größeren Sensibilität immer weiterer Teile der Gesellschaft ändert sich das allerdings zunehmend – auch durch das Wirken der Politik.
Denn auch aus dieser Richtung wird in Zukunft der Druck auf alte, ethisch fragwürdige oder zumindest grenzwertige Geschäftsmodelle immer größer werden, negative externe Effekte – seien es nun Umweltschäden oder die Ausbeutung von Arbeitskräften – zu vermeiden und damit in den Preis mit einzurechnen. Der Versuch der Einflussnahme kann vor dem Hintergrund der immer zahlreicher werdenden NGOs, die jeden Winkel politischer und wirtschaftlicher Tätigkeit mit immer professionelleren Mitteln ausleuchten, daher sogar nach hinten losgehen. Und wer einmal einen veritablen Shitstorm über sich ergehen lassen musste, wird auch an den Unternehmenszahlen schnell merken, dass damit nicht zu spaßen ist.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die gesetzlichen und öffentlichen Anforderungen an Unternehmen, ihre Produkte und deren Produktion in Zukunft weiter steigen werden, ist groß. Das gilt umso mehr gerade weil die Entwicklung nicht vom Staat getrieben wird, sondern aus der Gesellschaft selbst heraus kommt. Staaten, die versuchten, Tugend vorzugeben, sind noch selten erfolgreich gewesen. Wenn sich aber die Moralvorstellungen in der Gesellschaft, die Normen in den Köpfen der Menschen langsam verändern, ist der Prozess kaum aufzuhalten. Die Staatsschuldenkrise in vielen Ländern, die es Verwaltungen immer weniger erlaubt, privatwirtschaftliche Verfehlungen öffentlich auszugleichen, tut ihr Übriges dazu.
Wer daher früh genug nach ethischen Lösungen sucht, wird vielleicht kurzfristig auf Marge verzichten müssen, ist aber langfristig in einer immer komplexer werdenden Welt besser aufgestellt – und kann im Zweifel sogar von den Skandalen und Problemen der Konkurrenten profitieren. Damit wird die Entwicklung ethischen Wirtschaftens absehbar sehr ähnlich der sein, die im Bereich Ökologie schon zu beobachten war. In den Worten von Professor Dierksmeier heißt das: „Ethik ist das neue Grün.“ Dass dabei unter dem Dach des Begriffes „Ethik“ im wirtschaftlichen Kontext verschiedene Dimensionen zu finden, bei denen die Entwicklung in Teilen schon weiter fortgeschritten ist, in Teilen aber auch noch in den Kinderschuhen steckt, stellt den gesamten Prozess nicht in Frage.
Weder die unternehmerische Hinwendung zu grünen Produkten noch zu ethischen Ansätzen muss dabei aus Altruismus kommen. Vielmehr ist es die marktwirtschaftlich kluge Antwort darauf, dass sie in immer mehr Feldern zum überlegenen Geschäftsmodell wird, weil die Zahl der Kunden, die aus dem Gedanken einer verantworteten Freiheit heraus darauf achtet, dass die Produkte, die sie kaufen gewisse gesundheitliche aber auch ökologische und ethische Standards erfüllen, immer weiter wächst. Um davon profitieren zu können, sollte man allerdings auch als Unternehmer nicht nur aus opportunistischen Gründen auf einen fahrenden Zug aufspringen wollen. Denn dann läuft man Gefahr, einmal mehr am Markt vorbei zu produzieren. Vielmehr muss man ethisches Denken zum eigenen und zum Unternehmensgrundsatz erheben, um den neuen Markt richtig zu verstehen.
Auswendig gelerntes Wissen reicht nicht mehr aus. Der Satz von Mahatma Gandhi, man solle der Wandel in der Welt sein, den man selber sucht, bekommt in diesem Zusammenhang einen neuen Klang. Wer gar nicht sucht oder zu lange wartet, wird den ethischen Wandel nicht gestalten können. Wer sich aber rechtzeitig auf die Suche nach Formen eines im finanziellen wie moralischen Sinne anständigen Wirtschaftens macht, wird feststellen: Er ist schon lange nicht mehr alleine. Diese Einbindung in eine stetig wachsende Gruppe von Menschen, die ähnlich denken, macht es einfacher, durchzuhalten und der Effekt wird gleichzeitig immer größer. Die Zukunft hat längst begonnen.
Dieser Text wurde für den Essaywettbewerb 2013 des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitutes (HWWI) eingereicht und dort prämiert. Auf der dazugehörigen Seite wurde er auch zunächst veröffentlicht.