Am 7. Dezember 2012 erschien die Financial Times Deutschland (FTD) zum letzten Mal. Auf einen, wie immer ungezeichneten und damit im Namen der gesamten Redaktion veröffentlichten Leitartikel wollte man auch diesmal nicht verzichten. Eines von vier Themen war dabei die Krise Europas und der Umgang damit. Dieser Teil deckt sich fast vollständig mit meiner Position, die ich bereits in der Vergangenheit an verschiedenen Stellen dargelegt habe (zum Beispiel hier, hier, hier hier, hier und hier). Vor dem Hintergrund, dass ich mir dazu regelmäßig Schmähkritik anhören darf und immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, ich hätte ja überhaupt keine Ahnung, wovon ich spreche, kann ich es mir nicht verkneifen, den Text hier zu dokumentieren und zu fragen: Haben dann diese knapp 300 Journalisten, die bei der FTD gearbeitet haben, kollektiv auch keine Ahnung? Die Antwort darf jeder für sich selbst finden...
Viele Politiker sahen die Krise als eine Geschichte von Sündern, in der es um Sühne und Strafen geht. Das war nachvollziehbar angesichts der griechischen Katastrophe, einer Athener Elite, die immer wieder gelogen und ein Land heruntergewirtschaftet hat.
Dieser Angang ist, um es simpel zu sagen, nur wenig hilfreich. Die FTD hat seit 2009 ein beherztes Eingreifen gefordert, und das wird auch in Zukunft nötig sein: Kein Land in der EU kann sich allein schützen oder das rettende Ufer erreichen. Zu lange hat die Politik diese Interdependez ignoriert, und deswegen hat sich die Krise seit 2010 durch Europa gefressen. Die Panik an den Märkten hat sich vom tatsächlichen Zustand des Kontinents entkoppelt. Europa hat eine schwere Erkältung, nicht Tuberkulose.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat lange gezögert, am Ende hat sie sich für den richtigen Weg entschieden: Mit ihren massiven Eingriffen in den Markt, etwa dem angekündigten Kauf von Staatsanleihen der Schuldnerländer hat sie die Panik erst einmal gestoppt. Wenn die EZB daran festhält, wird der Euro die kommenden Rückschläge überstehen.
In Deutschland sind die Interventionen der EZB unbeliebt, ja gefürchtet. Das ist verständlich. Die Notenbank hat Neuland betreten. Rechtlich bewegt sie sich in einer Grauzone. Doch am Ende zählt vor allem das Ergebnis. Erste Erfolge sind zu sehen: Die zerstörerischen Spreads, also die Zinsaufschläge, die Länder wie Spanien und Italien zahlen müssen, sinken. Die Peripherieländer gewinnen an Wettbewerbsfähigkeit. Es fließt wieder Kapital in den Süden. Am Ende könnte die Strategie, die viele Deutsche ablehnen, genau das bringen, was sie sich ersehnen: Stabilität.
Also alles gut? Natürlich nicht. Die Euro-Zone aber kann nun den akut lebenserhaltenden Maßnahmen Therapien folgen lassen. Das Regime, das Deutschland in der Krise aufgebaut hat – Kredite gegen Kontrolle -, ist im Grundsatz richtig; es war aber zu brutal, zu rigide im Tempo. Länder wie Portugal brauchen Zeit für die – oft überfälligen – Reformen.
Die Deutschen wiederum müssen sich fragen: Welches Europa wollen wir? Ob der Kanzler nach der Bundestagswahl 2013 Angela Merkel oder anders heißt: Er muss sich ein Mandat für eine mutige Europapolitik holen. Eine, die mehr ist, als sich „alternativlos“ von Notoperation zu Notoperation zu hangeln. Die den Bundestag nicht länger zum Statisten degradiert. Deutschland darf nicht auftrumpfen, aber genauso wenig kann es sich von seiner Führungsrolle wegducken.
Am Ende des europäischen Wegs muss die politische Union stehen. Zunächst geht es darum, die Fundamente für eine bessere Währungsunion zu schaffen. Die ersten Schritte für eine Bankenunion sind getan, eine Fiskalunion muss folgen. Deutschland muss zum Aufbau einer Architektur beitragen, die den gefährlichen wirtschaftlichen Ungleichgewichten in der EU vorbeugt. Einen Länderfinanzausgleich soll es nicht geben – doch die EU soll Transfers leisten können. Sie braucht Finanztöpfe, mit denen Schocks schnell und schlagkräftig abgefedert werden können.
Eine Lehre muss Europa unbedingt bewahren: Es bringt nichts, Staaten mit der Brechstange zu sanieren. Man muss ihnen Zeit geben, Haushalte in Ordnung zu bringen und ihre strukturelle Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Deutschland ist zu defizitfixiert.
Zuerst erschienen in der Financial Times Deutschland, 7. Dezember 2012, Seite "noch9" unter dem Titel "Was wichtig bleibt".
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