Dieser Text ist vor der Wahl in Schleswig-Holstein entstanden, insofern erscheint manches inzwischen wieder in etwas anderem Licht. Meinen Standpunkt hatte ich schon vorher in etwas kürzerer Form an anderer Stelle klargemacht. Dort wird kritisiert, dass ich keine inhaltlichen Gründe für meine Empfehlung nenne. Der nachstehende Text macht vielleicht etwas deutlicher, wie es dazu kam: Es ging mir nie darum, Wahlwerbung für die liberale Sache an sich zu machen, sondern vom Selbstverständnis her Liberale anzusprechen, die nicht wissen, wen sie wählen sollen. Hier also der zweite Versuch, in aller Länge…
Die FDP hat es Liberalen in Deutschland in den letzten Jahren sicher nicht leicht gemacht, sie als ihre politische Heimat zu sehen. Die Umfragezahlen und die Mitgliederstatistiken sprechen eine eindeutige Sprache. Ich selbst bin nach zwölf Jahren in der FDP ausgetreten, der Entschluss stand endgültig fest an dem Tag, als Christian Lindner auf Bundesebene das Handtuch warf. Der Glaube, dass die Partei sich tatsächlich nachhaltig ändern und endlich wieder den eigenen Prinzipien folgen würde, war nicht nur mir abhanden gekommen. Nachdem die Piraten, von denen vielen von denjenigen, die sich dem liberalen Spektrum zurechnen, zwischenzeitlich erhofft haben mögen, dass sie ihnen eine neue politische Heimat eröffnen, sich zu einer klar links positionierten Partei entwickelt haben, sind viele, die sich politisch in der Mitte verorten, seit einiger Zeit politisch heimatlos.
Seit einigen Wochen allerdings gibt es eine neue Euphorie, vielleicht auch eine letzte Hoffnung, dass doch alles noch ein wenig anders kommt. Dabei sind dafür weniger die Entscheidungen der FDP-Führung verantwortlich – auch wenn diese an verschiedenen Stellen die Qualität und Richtung hatten, die man sich schon lange vorher gewünscht haben mag; die Nominierung von Joachim Gauck, klare Kante im Fall Schlecker und die Standfestigkeit beim Thema Vorratsdatenspeicherung sind nur einige Beispiele, der Widerstand gegen einen Schuldenhaushalt in Nordrhein-Westfalen ist ein weiteres. Nein, Auslöser war die überraschende und schnelle Rückkehr von Christian Lindner auf die politische Bühne, und zwar in einer Funktion, die ihm im Erfolgsfall unfraglich die Möglichkeit geben wird, die FDP in der Art zu verändern, wie es ihm in der Funktion als Generalsekretär, die in erster Linie eine dienende ist, nicht möglich war.
Gerade diejenigen, die sich nach der FDP sehnen, die früher einmal nicht abgehoben elitär, marktschreierisch, monothematisch oder klientelistisch daherkam, sondern anschlussfähig in weite Teile der Gesellschaft war, steht nun vor einer schwierigen Entscheidung. Nicht wenige haben sich geschworen, nie mehr in ihrem Leben der FDP ihre Stimme zu geben – vermutlich auch, weil sie davon überzeugt waren, dass die FDP nie mehr die sein würde, die sie sich wünschen -, und müssen sich jetzt überlegen, ob sie der eigenen Linie treu bleiben oder vielleicht lieber doch mit dafür sorgen, dass sich die Partei wieder in ihre Richtung bewegt. Es ist eine insgesamt seltsame Situation für Liberale: Die FDP hat sich zwar nicht über Nacht geändert und ist damit im Kern dieselbe geblieben, die bei vielen Menschen nur noch Kopfschütteln hervorruft. Gleichzeitig hat man in Nordrhein-Westfalen mit der Stimme bei der Landtagswahl die Chance, daran etwas zu ändern – indem man genau die Partei, die man als so unwählbar empfindet, eben doch wählt.
Christian Lindner hat vor einigen Monaten, anlässlich des 40. Geburtstages der Freiburger Thesen in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel die Frage gestellt, inwiefern das damals so progressive Grundsatzprogramm der FDP auch heute noch gilt. Er kam zu einer differenzierten Beurteilung, stellte aber fest, dass die Thesen den Liberalismus damals zu recht um eine qualitative Dimension erweitert hatten. Genau diese suchte man in den vergangen Jahren im Handeln der FDP allerdings oftmals vergeblich. Will man das ändern, dessen sollte man sich bewusst sein, wird das ohne einen starken Christian Lindner kaum möglich sein. Selten hatte man als einfacher Wähler mit einem einfachen Kreuz so viel Einfluss auf den zukünftigen Kurs einer Partei, wie am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen, bezogen auf die FDP.
Die Wahlentscheidung kann einem niemand abnehmen, insofern wird man erst am Wahlabend selbst sehen können, wie viele Liberale über ihren Schatten gesprungen sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Lage allerdings, wäre meine Entscheidung, würde ich noch in Nordrhein-Westfalen leben, klar: Zweitstimme FDP, um Christian Lindner und seinen Einfluss zu stärken. Dabei ist eigentlich egal, welche Art von „Mitte“-Wähler man genau ist und was man an konkreten politischen Zielen verfolgt, man liegt auf gar keinen Fall komplett falsch. Wie oft kann man das bei einer Wahl schon sagen?
Für bürgerliche Wähler ist eine Lindner-FDP die bessere Alternative gegenüber einer Röttgen-CDU, schon alleine weil Lindner schon bewiesen hat, dass er kein Problem damit hat, Landespolitik zu machen und sich in den zehn Jahren, in denen er das getan hat, über alle Parteigrenzen hinweg einen Namen gemacht hat. Für diejenigen, die keine große Koalition wollen, ist eine starke FDP vermutlich die einzige realistische Option, diese durch ein Drei-Parteien-Bündnis etwa in Form der Ampel oder einer Jamaika-Koalition zu umgehen. Und diejenigen, die unter Liberalismus weiterhin in erster Linie wirtschaftliche Freiheiten und einen restriktiven Umgang mit den finanziellen Ressourcen des Staates verstehen, mögen vielleicht nicht das komplette Portfolio einer FDP unter Christian Lindner unterstützen, wohl aber können auch sie mit seiner radikalen Ablehnung einer Fortsetzung der Schuldenpolitik mitgehen.
Christian Lindner formuliert in seinem oben genannten Beitrag seinen Blick auf die Freiburger Thesen von 1971 – und damit auf die Zeit, als der Liberalismus in seinem breiten Verständnis das letzte Mal echte Sympathien in einer breiten Masse der Bevölkerung genoss: „Die Freiburger Thesen sind vierzig Jahre nach ihrer Verabschiedung Legende – in Teilen aber auch Geschichte. Mein Exemplar steht ganz vorne im Bücherregal, denn ab und an lohnt sich ein Blick hinein. Als Erinnerung daran, dass die Idee der Freiheit ihre faszinierende Kraft nur behält, wenn man sie immer wieder auf die konkrete Gegenwart bezieht. Der Liberalismus ist keine feststehende Heilslehre, sondern eine für jede Generation neue Aufgabe.“ Wer will, dass sich dieser Aufgabe nicht nur selbsternannte Sozialliberale wie die Piraten und die Grünen stellen, sondern auch eine breiter aufgestellte FDP, der hat es am Wahltag selbst in der Hand, die Grundlage dafür zu legen.