Donnerstag, 27. Oktober 2011

40 Jahre Freiburger Thesen – Zurück in die Zukunft

Im Oktober 1971 verabschiedete die FDP die Freiburger Thesen und wurde mit zur Reformpartei des damaligen Jahrzehnts. Der Dahrendorfkreis knüpft daran an, denn auch heute können die Thesen weiter als FDP-Kompass dienen, der aus der aktuellen Krise herausführt und die verlorengegangene Anschlussfähigkeit an weite Teile der Gesellschaft wieder herstellt.

von Gesine Meissner, Nadja Hirsch, Alexander Alvaro, Christoph Giesa, Jorgo Chatzimarkakis für den Dahrendorfkreis
 
Wer sich mit dem Umfeld beschäftigt, in dem die Freiburger Thesen, die am 27. Oktober ihren 40. Geburtstag feiern, entworfen, diskutiert und beschlossen wurden, stößt auf Parallelen zur heutigen Situation. Nicht nur deshalb eignet sich ein Blick auf den Geist und die Inhalte des Freiburger Programms um Handlungsempfehlungen für die FDP zu entwickeln.

Die Freiburger Thesen sind nur im Kontext der Bundestagswahl 1969 zu verstehen. Die Wahl war ein ähnlicher Schock wie beispielsweise die aktuelle Berlin-Wahl. Nur knapp kam die FDP damals ins Parlament. Die mageren 5,8% waren Anlass, die Partei programmatisch zu erneuern.

1968 machte sich in weiten Teilen der Gesellschaft Unmut über die politische Klasse und die Verkrustung des bestehenden politischen Systems breit. Mit der Verabschiedung der Freiburger Thesen schaffte es die FDP als erste Partei, die veränderten Bedürfnisse und neuen Forderungen der Bürger aufzunehmen und in ein politisches Programm umzusetzen. Das neue Programm ermöglichte der FDP nicht nur eine Anschlussfähigkeit an die protestierenden Studenten, sondern schaffte auch ein bis heute fortbestehendes Leitbild. Freiburg ist in diesem Land Sinnbild für ein progressives, am Menschen orientiertes und ganzheitlich gedachtes Liberalismusverständnis.

Wenn die Liberalen heute schnell und richtig handeln, haben sie ebenfalls große Chancen, sich bis zur nächsten Bundestagswahl zu reformieren und Vertrauen zurückzugewinnen. Die FDP kann diesen Sprung schaffen – gerade mit Blick auf die sich derzeit formierende „Occupy“-Bewegung und die dahinterstehende Unzufriedenheit mit der aktuellen Funktionsweise der Finanzmärkte. Die Kritik eines immer größer werdenden Teils der Gesellschaft sollte nicht als plumpe Sozialismusnostalgie abgetan werden.

Die Forderung der meisten Protestierer gehen allerdings in Richtung einer nachhaltigen Demokratisierung unserer Gesellschaft. Damit knüpfen die Demonstranten nahtlos an den früheren Vordenker der Liberalen und maßgeblichen Vater der Freiburger Thesen, Karl-Hermann Flach, an, der der FDP ins Stammbuch schrieb: „Die Frage nach der Zukunft der Freiheit, nach den Chancen des Liberalismus, bleibt gestellt. Es ist die Frage nach der Zukunft einer menschenwürdigen Gesellschaft.“

Hieran anzuknüpfen liegt in der Natur jedes Liberalen. Machtkonzentrationen, wie sie derzeit im weltweiten Finanzsystem zu beobachten sind, bedeutet langfristig das Todesurteil für den freien Markt. Und wer, wenn nicht die Liberalen kann in der Lage sein, Ideen für eine neue Marktlogik vorzudenken, die dazu taugen, den „Kapitalismus zu zähmen“, wie es vor 15 Jahren die große liberale Publizistin Marion Gräfin Dönhoff formulierte? Und zwar ohne dabei den Fehler zu machen, das Pendel zu weit in die andere, die staatsgläubige Richtung pendeln zu lassen und damit die Leistungsfähigkeit des freien Wirtschaftssystems zu gefährden? Es gibt keinen Grund, nicht daran zu glauben, dass das, was 1971 gelang, auch heute möglich ist.

Die Freiburger Thesen forderten auch eine nachhaltige Demokratisierung unseres Landes. Sie gingen dabei davon aus, dass Freiheitsrechte nicht nur in formalen Ansprüchen und faktischen Abwehrrechten gegen den Staat, sondern auch in realen Teilhaberechten am Staat und der ihn tragenden Gesellschaft bestehen. Die FDP stand damals nicht nur als erste Partei überhaupt für das Thema Umweltschutz, sondern auch für soziale Verantwortung und Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit und Mitbestimmung.

Werner Maihofer formulierte schon 1971, dass eine fortschrittliche liberale Gesellschaft es schaffen müsse, ein Staatsbürgertum hervorzubringen, das aus „Arbeitern, die nicht zu Proletariern deklassiert sind, und Bürgern, die nicht zu Bourgeois denaturiert sind“ gleichermaßen besteht. Diese Themen haben nichts von ihrer Relevanz verloren. Der neue Sozialbericht hat erneut darauf aufmerksam gemacht, dass Bildungsteilhabe noch immer zu stark vom Elternhaus geprägt ist. Der soziale Aufstieg fällt in unserem Land besonders schwer.

Die FDP legte mit den Freiburger Thesen ein konkretes Programm vor, wie möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft besser teilhaben können. Als Mitglied der sozialliberalen Koalition ermöglichte die FDP vielen Arbeiterkindern den Bildungsaufstieg. Diesen Anspruch muss sie im Sinne eines ganzheitlich verstandenen Liberalismusansatzes wieder in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellen – nur eben bezogen auf diejenigen, die heute mit den gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten können und abgehängt werden. Solange das Lebensglück in unserem Lande immer noch in weiten Teilen von einer positiven Sozialprognose des Einzelnen abhängt, dürfen Liberale nicht zufrieden sein.

Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der gerade zu beobachtenden, durch die Digitalisierung getriebenen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche. Das Internet hat völlig neue Formen von Transparenz und Partizipation für die Menschen in einer Gesellschaft geschaffen, die es nun für alle gewinnbringend zu nutzen gilt. Gleichzeitig sind aber auch die freiheitlichen Bürgerrechte durch neue Formen der Überwachung (Stichwort "Bundestrojaner") bedroht – was ein absolutes Kernthema der FDP berührt.

Diese Netzthemen brennen vielen Menschen unter den Nägeln und werden von der liberalen Bundesjustizministerin und den netzpolitischen Experten der Fraktion nachdrücklich und kompetent behandelt. Die Erfolge auf diesem Gebiet reklamiert aber derzeit maßgeblich die Piratenpartei für sich und tritt schon selbstbewusst als die neue liberale Partei Deutschlands auf. So sieht deren Vorsitzender Sebastian Nerz in seiner Gruppierung eine „sozial-liberale Grundrechtspartei“, die für mehr politische Transparenz steht.

Diese Versuche anderer politischer Kräfte, sich dauerhaft im liberalen Spektrum festzusetzen, kennt die FDP inzwischen zur Genüge. Es gibt kaum eine der etablierten Parteien, die nicht schon einmal versucht hätte, in der Mitte zu wildern. Dabei haben die Liberalen es auch diesmal wieder selbst in der Hand, den Angriff abzuwehren. Dazu muss sich die Partei auf den Wettbewerbsgedanken besinnen, für den sie an vielen Stellen wie keine andere eintritt und sich so erneuern, dass sie die gesellschaftlichen Entwicklungen abzubilden und aufzufangen vermag.

Am Ende stimmen Wähler aber niemals für die Kopie, sondern immer für das Original. Zudem lassen die Piraten mit ihrer Fixierung auf die digitale Welt und in Teilen nicht zu Ende gedachten Programmpunkten den anderen Parteien und besonders der FDP Luft genug, ausgewogene und hinreichend ernsthafte Konzepte zu entwickeln! Politik muss beispielsweise die Frage mitbeantworten, wie in den Zeiten der Digitalisierung von Gesellschaft und Politik sichergestellt werden kann, dass auch die „analogen“ Bevölkerungsteile nicht von der Entwicklung abgekoppelt werden und damit deren Teilhabemöglichkeiten eingeschränkt werden. Die derzeit stattfindende Grundsatzdiskussion, an deren Ende die Verabschiedung eines neuen FDP-Grundsatzprogramms stehen soll, ist das perfekte Forum, um solche Gedanken zu entwickeln.

Vielen Menschen fehlt derzeit eine politische Kraft, die gleichermaßen für wirtschaftliche, soziale und ökologische Freiheitsrechte eintritt. Die Freiburger Thesen haben schon 1971 skizziert wie man jetzt, 40 Jahre später und aus der größten Krise heraus, genau diese Frage überzeugend beantworten kann – und zwar zugunsten der FDP. Keine Frage, diesen Schritt erfolgreich und vor allem glaubwürdig zu gehen wird viel Überzeugungsarbeit brauchen – innerhalb der Partei, mehr aber noch gegenüber den Wählern.

„Noch eine Chance für die Liberalen“, möchte man vor diesem Hintergrund mit den Worten von Karl-Hermann Flach erbitten! In diesem Sinne sind die Freiburger Thesen an ihrem 40. Geburtstag als Mahnung zu verstehen. Und der Dahrendorfkreis wird sich dafür mit Nachdruck einsetzen, dass diese verstanden und die Chance genutzt wird. Die FDP wird noch gebraucht in Deutschland.

1 Kommentar:

  1. Wird die FDP wirklich noch in Deutschland gebraucht?
    Aus lauter Enttäuschung über die FDP bin ich mittlerweile Mitglied der Piraten - "sozial-liberale Grundrechtspartei" ist genau das Prädikat, weshalb.
    Man kann nur hoffen, dass Sozialisten und andere Kollektivisten keine größere Macht gewinnen - Basisdemokratie ist da anfällig.
    In diesem Fall hoffe ich, dass die FDP zu ihren Werten zurückgefunden hat. Sie sind mit dem Dahrendorfkreis auf dem besten Wege dazu - ihm alleine würde ich beitreten, nicht aber der FDP, der nach jetzigem Stand keine Zukunft vergönnt ist. Machen Sie das Beste draus und gehen Sie den sozialliberalen Weg - gegen alle Widerstände aus ihrer Partei!

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