Vor genau einem Jahr wurde Christian Wulff neuer Bundespräsident. Viel hat sich, trotz des groß angekündigten Herbsts der Entscheidungen, nicht getan. Doch noch ein Jahr im Stillstand können wir uns nicht leisten.
Der Juni neigt sich dem Ende entgegen und diese Woche ist es genau ein Jahr her, dass mit Christian Wulff ein neuer Bundespräsident gewählt wurde. Den Gedanken, ein paar Beobachtungen über seine Amtsführung niederzuschreiben, habe ich verworfen – egal was ich schreiben würde, niemand würde mir eine rationale Betrachtungsweise abnehmen. Auch die sich als Nächstes aufdrängende Idee hatte keine allzu lange Halbwertszeit: eine Betrachtung der allgemeinen politischen Entwicklung in den letzten zwölf Monaten. Warum? Nun, so richtig viel ist irgendwie nicht passiert.
Vor genau einem Jahr musste Griechenland von der EU vor dem Staatsbankrott gerettet werden, es gab eine hart geführte Debatte über Atomkraft, Schwarz-Gelb stritt sich über Sicherheitsgesetze und Steuersenkungen, es gab Probleme in Afghanistan. Alles so wie heute auch. Nur dass Guido Westerwelle jetzt Philipp Rösler heißt, Guttenberg einen längeren Urlaub nimmt und die Diskussion beim Thema Atomkraft nicht mehr darum geht, wie spät man aus dieser aussteigen kann, sondern wie früh. Ich habe daher für diese Woche entschieden, mich lieber einer ganz persönlichen Erinnerung an den Tag der Bundespräsidentenwahl, bei der ich im Bundestag live dabei sein durfte, zu widmen.
Bilder habe ich genügend im Kopf: Die Ausfälle von Diether Dehm von der Linken etwa, der die Wahl zwischen Wulff und Gauck als Wahl zwischen „Pest und Cholera“ oder „Hitler und Stalin“ verglich. Oder das von Wolfgang Bosbach von der Union, der nach dem aus seiner Sicht reichlich misslungenen ersten Wahlgang mit hochrotem Kopf und pulsierender Halsschlagader die „Abweichler“ aus den eigenen Reihen in einer Art beschimpfte, dass einem das freie Mandat endgültig wie des Kaisers neue Kleider vorkam: Alle reden davon, keiner hat es je gesehen. Aber auch das gemeinsame Eisessen mit der Schriftstellerin Monika Maron vor dem Brandenburger Tor, garniert von spannenden Erfahrungsberichten aus der DDR. Ganz besonders in Erinnerung geblieben sind mir aber jene Minuten zwischen dem zweiten und dritten Wahlgang, die ich alleine mit Joachim Gauck im Turmzimmer des Reichstages verbringen durfte.
Wir saßen nebeneinander und blickten aus dem Fenster auf das Brandenburger Tor, das an diesem warmen Sommertag von der Abendsonne bestrahlt wurde. Wir warteten auf das Ergebnis des dritten und entscheidenden Wahlgangs und ich sprach aus, was mir gerade durch den Kopf geht. „Merken Sie, wie sich der Kreis gerade schließt, Herr Gauck? Vor nicht viel mehr als zwanzig Jahren haben Sie noch darum gekämpft, einmal die Quadriga von dieser Seite sehen zu können. Und heute ist das eine Selbstverständlichkeit für Sie.“ Joachim Gauck schaute mich an. „Haben Sie mein Buch etwa schon gelesen?“ Er meinte seine Biografie „Winter im Sommer – Frühling im Winter“. Nein, das hatte ich nicht. Er setzte sich mir gegenüber und begann, mir den Epilog vorzulesen. Ich war gefesselt, denn es stellte sich heraus, dass er ein Jahr zuvor an selber Stelle, anlässlich der Wiederwahl Horst Köhlers als Bundespräsident, einem ganz ähnlichen Gedanken nachgehangen hatte und sich daraufhin am Reichstag vor der deutschen Fahne fotografieren ließ. Wir gingen hinaus auf den Balkon und machten ein gemeinsames Foto, mit dem Brandenburger Tor im Hintergrund. Unten riefen die Passanten nach ihm und winkten fröhlich. Irgendwie kitschig, ich weiß. Aber irgendwie war in dem Moment auch ausnahmsweise einmal alles gut.
Ich habe an dem Tag der Wahl eine gute Flasche Champagner gewonnen bei einer Wette. Kaum jemand hatte wohl mit einem Showdown im dritten Wahlgang gerechnet. Die Flasche steht immer noch in meiner Küche und ich glaube, dieser Freitag ist ein guter Zeitpunkt, um sie zu köpfen, einfach so. Um die Geschichte abzuschließen. Und in der Hoffnung, dass sich spätestens ab Montag dann endlich wieder etwas bewegt. Denn ganz im Ernst: Noch ein weiteres Jahr des Stillstands können wir uns wirklich nicht leisten. Der Herbst der Entscheidungen im vorigen Jahr war de facto keiner. Vielleicht geht das ja auch andersrum? Ich wünsche mir daher einfach einmal ein Sommerloch der positiven Überraschungen … Wir werden sehen.
Zuerst erschienen am 30.6.2011 bei "The European" - http://www.theeuropean.de/christoph-giesa/7170-ein-jahr-bundespraesident-wulff
Theologische Debatten des Mittelalters
AntwortenLöschen"Ich glaube – und hoffe – auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten."
(Profile der Zukunft – Über die Grenzen des Möglichen)
Eine Zivilisation, die sich nicht mehr mit Kinderkram beschäftigen muss, weil allgemeiner Wohlstand, eine saubere Umwelt und der Weltfrieden selbstverständlich sind, ist keine Utopie für die ferne Zukunft und wäre sogar schon vor der Geburt von Sir Arthur Charles Clarke (1917 – 2008) ab der Erstveröffentlichung von "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" (Silvio Gesell, 1916) zu verwirklichen gewesen!
Dass eine halbwegs zivilisierte Menschheit, die bereits Raumfahrt betreibt, etwas im Grunde so Einfaches wie die Makroökonomie (Silvio Gesell: "banalste Selbstverständlichkeiten") noch immer nicht verstanden hat und darum heute vor der größten anzunehmenden Katastrophe der Weltkulturgeschichte (globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes, klassisch: Armageddon) steht, was von den "Verantwortlichen" noch gar nicht wahrgenommen wird, beruht auf einer künstlichen Programmierung des kollektiv Unbewussten, die vor Urzeiten erforderlich war, um den Kulturmenschen durch selektive geistige Blindheit an ein bis heute fehlerhaftes Zwischentauschmittel mit Wertaufbewahrungsfunktion (Zinsgeld) anzupassen, damit das, was wir gegenwärtig "moderne Zivilisation" nennen, überhaupt entstehen konnte, und von der insbesondere solche Patienten – unabhängig vom so genannten Glauben (Cargo-Kult) – betroffen sind, die in "dieser Welt" eine "gesellschaftliche Position" erlangt haben. Die Bewusstwerdung der Programmierung nennt sich "Auferstehung".
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