Nachdem ich mich vorige Woche mit einigen Stilblüten mangelnder innerparteilicher Demokratie beschäftigt habe, möchte ich mich in nächster Zeit schwerpunktmäßig dem Thema „Direkte Demokratie“ widmen. Bisher muss man dazu leider konstatieren: Wir stehen immer noch ganz am Anfang. Obwohl doch eigentlich alle dauernd darüber reden … was ist also schiefgelaufen auf Bundesebene?
Beginnen wir mit einer kurzen Rückblende ins Jahr 2002: Damals brachten SPD und Grüne einen Antrag mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz“ in den Bundestag ein (Bundestagsdrucksache 14/8503). Die Problembeschreibung begann mit den Worten „Die im Grundgesetz festgelegte parlamentarisch-repräsentative Demokratie hat sich in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Doch auch der Wunsch nach stärkerer Beteiligung wächst in der Bevölkerung.“ Sehr richtig. Das schienen damals auch die Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP grundsätzlich erkannt zu haben. Sogar die Union stellte fest, „dass sie keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen mehr unmittelbare Mitbestimmungsmöglichkeiten habe“ (Bundestagsdrucksache 14/9260).
Trotz dieser an sich positiven Grundstimmung passierte dann allerdings einige Jahre wenig. Aber sei’s drum, im Jahr 2006 kam wieder Bewegung in den Prozess. Die FDP, die 2002 bei diesem Thema noch gespalten war, ergriff die Initiative und brachte einen Antrag mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid in das Grundgesetz“ im Bundestag ein (Bundestagsdrucksache 16/474). Schon mal irgendwo gehört? Es wird noch besser, denn auch die Problembeschreibung begann mit den bekannten Worten. Ein Plagiat? Nun, in politischen Prozessen gelten andere Regeln als in der Wissenschaft, und so unterschieden sich auch die Beschreibungen und die Forderungen nur im Detail, nicht allerdings in ihrer Stoßrichtung. Nur einen Monat später brachten die Grünen wiederum einen eigenen Antrag ein. Titel und Problembeschreibung sind inzwischen hinlänglich bekannt.
Nach langer Debatte kam der Innenausschuss des Deutschen Bundestages im Februar 2009 zu einer Beschlussempfehlung (Bundestagsdrucksache 16/12019) über die beiden letztgenannten Anträge sowie über einen Antrag der Fraktion Die Linke. Das Ergebnis der Entscheidung im Bundestag ist bis heute ernüchternd. Die FDP enthielt sich bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Grünen, die Grünen bei der Abstimmung über den der FDP. Begründung: Man könne sich nicht darauf einigen, ob denn nun fünf Prozent (Grüne) oder zehn Prozent (FDP) der Wahlberechtigten ein Volksbegehren unterstützen müssten. Jede Seite machte dabei die jeweils andere für das Scheitern verantwortlich. Und mir kommt bei dieser Geschichte spontan die Steinigungsszene im Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“ in den Sinn, bei der immer wieder mit den Worten „Sie war’s! Sie war’s!“ auf die anderen gezeigt wird und am Schluss vor lauter internen Streitereien das eigentliche gemeinsame Ziel aus den Augen verloren wird. Das macht mich traurig. Dass ich damit überraschenderweise einmal genau auf der Linie der Linkspartei liege, die damals neben dem eigenen auch die beiden Gesetzesentwürfe der Konkurrenten unterstützte, um „deutlich zu machen, dass es einen dringenden Handlungsbedarf in der Sache gebe“, bleibt an dieser Stelle eine Anekdote.
Oftmals mögen es gerade die Kompromisse sein, die für viele Menschen das politische Geschäft schwer verständlich machen. Mindestens genauso oft ist aber auch das Gegenteil der Grund, nämlich die Erstarrung, die Unfähigkeit, aufeinander zuzugehen und eine Lösung zu finden. An dieser Stelle, so viel ist sicher, wäre eine Kompromisslösung dringend gefragt gewesen. Letztlich war übrigens das Verhalten der kleinen Parteien für den Ausgang der Abstimmung gar nicht mehr entscheidend, setzten doch die beiden stärksten Kräfte der Farce noch die Krone auf. Aber dazu mehr in einer Woche an dieser Stelle…
Zuerst erschienen am 19.5.2011 bei "The European" - http://www.theeuropean.de/christoph-giesa/6737-direkte-demokratie
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