Freitag, 15. Juli 2011

Die Mär vom Wechselgeld

Die Idee der Gemeinschaftswährung wird wieder infrage gestellt und schnell werden die zu Kronzeugen, die damals schon vor dem Euro gewarnt haben. Doch wer jetzt auf die Scharlatane hereinfällt, darf sich keiner Illusion hingeben: ein Schritt zurück wäre das Ende.

Vorige Woche habe ich mich an dieser Stelle für eine Neudefinition der europäischen Idee ausgesprochen und deutlich gemacht, dass zu dieser aus meiner Sicht unfraglich auch eine ehrliche Bestandsaufnahme gehört. Es muss Schluss sein mit dem Versuch, unübersehbare Struktur- und Demokratiedefizite mit wolkigen Sonntagsreden zu überdecken. Keine Frage: Wem Europa wichtig ist, der darf, nein: muss dem derzeitigen Zustand gegenüber kritisch sein.

Was allerdings derzeit zu beobachten ist, ist die schleichende Übernahme dieser Position durch Kräfte, die damit eine ganz andere Agenda zu legitimieren versuchen. Wer sich mit den Phänomenen der europaskeptischen Bewegungen in Europa auseinandersetzt, findet eine ganze Reihe bemerkenswerter Parallelen, die jedem aufgeklärten Bürger als Warnung dienen sollten. So stößt man in den entsprechenden Pressemitteilungen und Diskussionsforen immer wieder auf Hinweise darauf, dass es ja schon in den Neunzigern prominente Stimmen gegeben habe, die sich gegen die Währungsunion ausgesprochen hätten, unter anderem auch der große linksliberale Sozialphilosoph Lord Ralf Dahrendorf, und die nun als Kronzeugen für die Forderung nach einer Rückkehr zu nationalen Währungen oder zumindest für einen Ausschluss von Griechenland, Portugal und Co. aus der Eurozone herhalten müssen. Was dabei gerne – und in vielen Fällen auch vorsätzlich – übersehen wird: Die Situation damals war eine andere, als sie es heute ist. Vielleicht wäre es intelligenter gewesen, anders vorzugehen. Vielleicht hätte auch die europäische Idee keinen Schaden genommen, hätte man den Euro niemals eingeführt. Heute wäre ein Schritt zurück das Ende.

Die Kunst von Politik besteht zu mindestens 50 Prozent aus Psychologie – und aus dieser Perspektive betrachtet wird die europäische Idee für die ganz große Mehrzahl der europäischen Menschen eben durch offene Grenzen und die gemeinsame Währung greifbar. Die vermeintlich rationale Begründung, dass Euro und Europäische Union ja zwei verschiedene Paar Schuhe seien, weil Länder wie Großbritannien oder Schweden in der EU Mitglied seien, und trotzdem noch ihre eigene Währung hätten und man deshalb in Zukunft auch wieder das eine ohne das andere haben könne, ist irgendwo zwischen naiv und böswillig einzuordnen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit dieses „Experiments“ wäre ungefähr so groß, wie wenn man 1990 versucht hätte, mit rein zahlengetriebenen Argumenten die deutsche Einheit zu verzögern. Manchmal öffnet sich ein Window of Opportunity in der Geschichte nur ganz kurz – oder man glaubt das zumindest – und dann greift man eben zu. Nachher ist man immer klüger.

Diejenigen allerdings, die heute solcherlei Thesen in die Welt setzen, geben zwar mit Dackelblick vor, damit eigentlich Europa retten zu wollen; in weiten Teilen sind es aber diejenigen, die mit der großen Vision eines geeinten Europas, in dem das Nationale an Bedeutung verliert, nie etwas am Hut hatten, und nun die Chance für ihren ganz persönlichen Revisionismus kommen sehen. Dass es sich eben nicht maßgeblich um überzeugte, weltoffene Europäer, sondern um nationale und konservative Kräfte handelt, wird auch dadurch deutlich, dass die euroskeptischen Parteien in Europa oftmals gleichzeitig auch für eine Rückkehr von homophobem, chauvinistischem und antimuslimischem Gedankengut stehen. Die starke Dominanz gewisser Jahrgänge im mittleren Alter ist quer durch diese Bewegungen eklatant – und lässt vermuten, dass es sich in weiten Teilen um diejenigen handelt, die mit dem liberalen Mainstream der vergangenen Jahrzehnte sowieso nicht glücklich waren und ansonsten irgendwo zwischen der Kriegs- und der Erasmus-Generation, für die wiederum aus ganz unterschiedlichen Gründen das Nationale abstrakt und der europäische Gedanke charmant bis begeisternd sind, verloren gingen.

Der Wunsch nach einer Rückbesinnung auf die kleine Einheit, auf das Bekannte, ist vielleicht persönlich nachvollziehbar – in einer globalisierten Welt allerdings würde das ein Zurückfallen im internationalen Wettbewerb bedeuten. Ohne eine starke EU steht auch der langfristige Erfolg der einzelnen europäischen Länder und ihrer Bürger infrage. Vielen von denjenigen, die besonders laut gegen den Euro und Europa insgesamt hetzen, scheint dies durchaus bewusst zu sein. Das lässt sich auch daran ablesen, dass dieselben Stimmen (die gerne auch noch auf ihre Mitgliedschaft in populistischen Parteien wie der „Freiheit“ oder der „Partei der Vernunft“ hinweisen), die in politischen Diskussionsforen einen Zusammenbruch des Euro mit herbeireden, indem sie ihn dauernd voraussagen und die schlimmsten Szenarien für die Zeit danach skizzieren, an anderer Stelle in Anlageforen schon jubilieren, weil sie ihr gesamtes Vermögen in Gold angelegt haben und glauben, nach einem Währungskollaps die großen Gewinner zu sein.

Bei aller berechtigten Kritik an den politischen Eliten auf nationaler und europäischer Ebene sollte sich jeder vernünftige Mensch sehr gut überlegen, ob er diesen Scharlatanen mit ihren vermeintlich einfachen Lösungen und ihrer versteckten egoistischen bis nationalen Agenda hinterherlaufen will. Ich rate sehr deutlich davon ab.
 
Zuerst erschienen am 16.6.2011 bei "The European" - http://www.theeuropean.de/christoph-giesa/7053-die-idee-des-euro

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