Montag, 28. März 2011

Wir haben NICHTS verstanden

Die krachende Wahlpleite der FDP ist nun ziemlich genau 24 Stunden her. Guido Westerwelle läuft im Fernsehen in der Dauerschleife mit dem Satz "Wir haben verstanden." Aber im Ernst: Nichts deutet daraufhin, dass das auch nur ansatzweise der Wahrheit entspricht. Weder für ihn noch für weite Teile der liberalen Führungsspitze. Der Indikator dafür ist die Kritik an Rainer Brüderle. Keine Frage, es ist Zeit für ihn, in Rente zu gehen. Nichtsdestotrotz kann man doch nicht ernsthaft ihn zum Sündenbock machen. Er hat etwas gesagt, was der Wahrheit entspricht. Nicht die Aussage ist verwerflich, sondern der Fakt, dass in Deutschland nicht mehr auf Basis von Überzeugungen Politik gemacht wird, sondern aus reiner Wahltaktik heraus. Nicht der Überbringer der schlechten Nachricht muss bestraft werden, sondern diejenigen, die die entsprechende Entscheidung getroffen haben, bei der es um nichts anderes ging, als den Wähler zu belügen. Brüderle war einer dieser Entscheider, ganz sicher gehören aber auch Pieper, Homburger und Westerwelle dazu. Sie alle haben inzwischen bewiesen, dass ihnen jeglicher Kompass abgeht. Liberaler Überzeugungen werden über Nacht eigenen Karriereabwägungen geopfert. Ganz ehrlich: Ich finde das unerträglich. Und ich scheine damit nicht alleine zu sein. In einer Demokratie gilt: Der Wähler hat immer Recht. Wenn Guido Westerwelle und seine Mitstreiter wirklich verstanden hätten, was dieser Wähler ihnen gestern zu sagen hatte, wären sie schon jetzt nicht mehr im Amt. Diese Ansammlung einer unerträglichen Mischung von mangelndem Intellekt, Opportunismus, mangelnder Demut und Egoismus darf nicht weiter die Geschicke der vermeintlich liberalen Partei FDP und des politischen Liberalismus in Deutschland sein. Dafür alles zu tun ist jetzt erste Bürgerpflicht all derjenigen, die noch ein bisschen liberale Überzeugung im Blut haben... um dann die nächsten zwei Jahre zu nutzen, um das Vertrauen liberaler Wähler zurückzugewinnen.

Übrigens: Die Union steht kein bisschen besser da... Wenn Mappus zynisch ankündigt, sich bei Brüderle persönlich bedanken wollen, kann man nur froh sein, dass er abgewählt wurde, spricht doch diese Aussage genau dafür, dass auch sich gewünscht hätte, dass die Lüge nie aufgeflogen wäre. Der Respekt vor den Menschen in dieser Republik scheint deutschen Spitzenpolitikern komplett abhanden gekommen zu sein... Unerträglich!!!

Sonntag, 27. März 2011

Tabula Rasa - Westerwelles Zeit ist endgültig abgelaufen

Die Zeit von Guido Westerwelle ist endgültig abgelaufen. Das haben die Wähler längst erkannt, die Partei tat sich mit dieser Erkenntnis allerdings bisher schwer. Der Parteivorsitzende selbst suchte die Verteidigung immer wieder im Angriff und hatte auch kein Problem damit, den Wahlerfolg in Hamburg für sich zu proklamieren und zum Bundestrend auszurufen, obwohl einzig und alleine Landesthemen dort eine Rolle gespielt hatten. Mit den Niederlagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat nun die Götterdämmerung eingesetzt, will die FDP sich nicht endgültig überflüssig machen. Gründe dafür gibt es bei näherer Betrachtung mehr als genug. Zuallererst sind die zahllosen strategischen Fehlentscheidungen von Guido Westerwelle zu nennen, die tatsächlich nicht erst nach der gewonnenen Bundestagswahl anfingen.

Schon im Wahlkampf 2002 konnte man den mangelnden Kompass und das fehlende Fingerspitzengefühl erahnen, als der noch recht frische Bundesvorsitzende zunächst die Eskapaden von Jürgen Möllemann nicht zu stoppen wusste und danach auch mangelnde Demut gegenüber der Oderflut erkennen ließ. Auch in den Jahren 2003, 2005 und 2007 gab es immer wieder harte Diskussionen über den Kurs der Partei; Strategiepapiere wurden verfasst und diskutiert und Guido Westerwelle schrammt, mit verschiedenen taktischen Mitteln und der Ankündigung von Änderungen auch nach der zweiten verlorenen Bundestagswahl an einer Absetzung vorbei. Geändert hat sich allerdings tatsächlich nichts. Über Jahre wurden inhaltliche Debatten auf Bundesparteitagen durch satzungstechnische Tricks und vor allem durch die regelmäßige Ansetzung kurz vor wichtigen Wahlen, um die Delegierten zu disziplinieren. Für wichtige Ämter gab es seit Jahren keine Kampfkandidaturen, die Ergebnisse der Kandidaten erinnerten an sozialistische Staaten. Die Qualität der Mitglieder im engsten Führungszirkel, war dort regelmäßig so, dass keiner von ihnen dem Bundesvorsitzenden gefährlich werden konnte: niedrig. So verstrichen zehn Jahre, in denen zwar das Image der Partei auf Hochglanz gebürstet wurde, nicht aber die Voraussetzungen für eine Regierungsübernahme gelegt wurden. Das rächte sich, in Verbindung mit weiteren Fehlentscheidungen während der Koalitionsverhandlungen in Bezug auf Inhalt, Ministerien und deren Besetzung, nach Eintritt in die Regierung mit Macht. Seit dieser Zeit liegt ein Schatten der Unglaubwürdigkeit über Guido Westerwelle – und der FDP an sich, die es nicht geschafft hat, sich trotz großer Bauchschmerzen in weiten Teilen der Basis gegen den Vorsitzenden aufzulehnen.

Auch wenn die Wahlniederlagen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz besonders aufgrund von energiepolitischen Fragestellungen zustande kamen, liegt die Schuld bei Guido Westerwelle und seinen Getreuen, die gemeinsam mit Angela Merkel im „Herbst der Entscheidungen“ versäumt hatte, die Verlängerungen der Laufzeiten für Atomkraftwerke in einem sauberen Prozess zu beschließen und diese Entscheidung den Menschen zu erklären. Selbst wenn es bis hierher noch Menschen gibt, die Westerwelle die angeführten Verfehlungen entschuldigen und sich mit dem einen oder anderen Bauernopfer zufrieden geben würden, gibt es einen weiteren Grund, der auch dem letzten Liberalen die Augen öffnen sollte. Wer Freiheit predigt, darf sich bei einem Rendezvous mit der Freiheit nicht abwenden. Dies hat Westerwelle nicht nur bei der Bundespräsidentenwahl getan, als mit Joachim Gauck eine Persönlichkeit zur Wahl stand, die wie kaum eine andere in Deutschland für einen gelebten Freiheitsbegriff steht. Vielmehr hat auch die Entscheidung für eine Enthaltung in der Libyen-Frage im UN-Sicherheitsrat die Zweifel noch weiter anwachsen lassen, ob tatsächlich freiheitliche Überzeugungen oder doch eher wahltaktische Überlegungen die Grundlage der Entscheidungen des Guido Westerwelle sind.

Sicher, diese Frage müssen sich die anderen Parteien in ähnlicher Form stellen, hat doch die SPD schon vor Jahren ihren Markenkern nachhaltig mit der Agenda 2010 beschädigt, gefolgt von den Grünen, die in Hamburg gegen ihre ureigensten Überzeugungen Politik machten und sich mit Händen und Füßen gegen unerwünschte Bürgerbeteiligung wehrten. Erst vor kurzem reihte sich die Union nahtlos ein, egal ob mit ihrer Haltung in der Guttenberg-Affäre, der Reaktion auf das Unglück in Japan oder der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat. Politik muss sich insgesamt fragen lassen, an welchen Werten sich die Wähler überhaupt noch orientieren können, wenn weder auf Kardinaltugenden noch auf Standhaftigkeit entlang eigens formulierter Grundsätze mehr Verlass ist. Vermutlich hat das auch mit einer Politikergeneration zu tun, die es nicht geschafft hat, ihr veraltetes Denken in die neue Zeit zu übersetzen, quer durch alle Parteien. Die FDP allerdings muss die Frage, wie sie mit diesem Problem umgeht, als erste beantworten. Denn sie hat mit Guido Westerwelle einen Parteivorsitzenden, der sie seit Jahren in die falsche Richtung und – ohne echten Richtungswechsel – auch ins Nirwana führt. Von alleine gehen wird er nicht. Ein Gegenkandidat bei den anstehenden Parteivorstandswahlen wäre daher ein wichtiger erster Schritt zum Neuanfang. Dieser kann natürlich nicht nur aus einem Austausch des Parteivorsitzenden bestehen, während ansonsten ein „Weiter so!“ proklamiert wird. Brüderle, Pieper und Homburger müssen ihren Hut ebenso nehmen, wie Westerwelle selbst. Ein Versagen in diesem Umfang kann nie an einer Person alleine fest gemacht werden. Das gilt übrigens inzwischen nicht mehr nur für die Parteiämter, sondern gleichermaßen für die Führungspositionen in Regierung und Fraktion. Schwarz-gelb wird um eine Kabinettsumbildung nicht herum kommen. Und die FDP sollte hier eher die Chance sehen, als das Risiko. Scheut sie auch diesen Schritt weiterhin, wird der Ritt in den Abgrund sich ungebremst fortsetzen.

Montag, 14. März 2011

Erdbeben in Japan – tektonische Verschiebungen in der deutschen Politik

In den Parteizentralen herrscht seit dem Beben am Freitag Alarmstimmung: SPD und Grüne spüren Aufwind, CDU und FDP müssen aufgrund des strittigen Atomkompromisses damit rechnen, die Landtagswahlen überraschend deutlich zu verlieren. Beide Seiten versuchen sich jetzt zu positionieren, um die Situation für sich zu nutzen bzw. den Schaden in Grenzen zu halten. Auch wenn alle das offiziell bestreiten: Die Katastrophe in Japan ist längst zum Wahlkampfthema geworden.

Dabei ist die einzige Frage, die wirklich strittig war in der ganzen Diskussion doch seit dem Wochenende beantwortet: Nein, Atomkraftwerke sind nicht sicher. Nein, selbst die hochtechnisiertesten Kulturen sind offensichtlich nicht in der Lage, die Risiken zu kontrollieren. Und ja, wir müssen so schnell wie möglich aus der Kernkraft aussteigen.

Über Jahre standen Aussage gegen Aussage, Gutachten gegen Gutachten. Sowohl Gegner als auch Befürworter hatten vermeintlich gute Argumente auf ihrer Seite, beide Seiten hatten aber auch die gleiche Schwachstelle in ihrer Argumentation: Die Unsicherheit. Egal ob pro oder contra, die Argumente basierten auf Annahmen. Seit dem Wochenende aber wissen wir, wer Recht hatte.

Auch wenn Rainer Brüderle von einer „neuen Lage“ spricht, die sich ergeben habe und Guido Westerwelle eine neue Risikoanalyse fordert, beides geht am Kern des Themas vorbei. Die Atomkraftbefürworter – und zu denen zähle ich mich selbst zumindest insofern, als ich nicht grundsätzlich dagegen war - sollten zugeben, dass sie falsch lagen. Auch wenn es einem Paradigmenwechsel in der Politik gleichkäme. Und wenn sie mit Häme und Spott der Gegenseite rechnen müssen. So weh es tut: In diesem Fall haben Jürgen Trittin und Renate Künast eben Recht gehabt und Angela Merkel, Guido Westerwelle und Rainer Brüderle Unrecht. Das muss so aber nicht für alle Zeiten und für alle Themen gelten. Nur in diesem einen Fall hilft leugnen eben nicht mehr.

Jetzt zu handeln, und zwar nicht nur im Sinne eines Placebo bis zu den Landtagswahlen, ist unerlässlich. Wir können nicht von heute auf morgen die deutschen AKWs abschalten, insofern werden mit einem Restrisiko leben müssen. Aber wir müssen den Zeitraum, über den auf deutschem Boden noch Kernkraft genutzt wird, soweit es geht begrenzen. Dazu taugt die Vorgehensweise des rot-grünen Atomkompromisses nicht, noch weniger aber die des schwarz-gelben. Laufzeiten zu verhandeln auf Basis rein ökonomischer Kennzahlen und in Verhandlungen mit den zu reglementierenden Unternehmen verbietet sich. Auch hier müssen Fehler eingestanden und korrigiert werden – und es müssen so schnell wie möglich Szenarien entworfen werden, wie der Ausstieg kurzfristig gelingen kann. Das wird Geld kosten, ganz sicher. Aber einen Tod muss man eben sterben – und spätestens seit dem Wochenende sollte große Einigkeit darüber bestehen, dass die finanzielle Belastung dem realen Tod vorgezogen werden sollte.

Es stünde übrigens allen politischen Protagonisten gut zu Gesicht, jetzt nicht an die Wahlen oder die eigene Partei zu denken, sondern tatsächlich einmal gesamtgesellschaftliche Verantwortungsbereitschaft zu zeigen. Wenn die eine Seite Fehler eingestehen würde und bereit wäre umzudenken und gleichzeitig die andere sich mit Polemik zurückhielte, dann wäre das ein Sieg für die politische Kultur und würde das Ansehen der beschädigten politischen Klasse deutlich steigern.