Ich bin ja eigentlich ein Freund des ÖPNV. Ab und an kommt es aber zu seltsamen Begegnungen. So auch wieder gestern, auf dem Weg von Otto nach Hause. Ich nutze die 13 Minuten in der U-Bahn typischerweise zum lesen. Derzeit ist es "Das Ende der Geduld – Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter" von der inzwischen durch ihren Selbstmord traurig berühmt gewordenen Kirsten Heisig, ehemals Jugendrichterin in Berlin-Neukölln. Während ich dort über typische kriminelle Karrieren jugendlicher Intensivtäter lese, steigen ein junger Mann und eine junge Frau zu, beide vermutlich etwa 17 bis 18 Jahre alt. Er trägt Kapuzenpulli unter der Bomberjacke, scheint sehr austrainiert. Sie trägt den typischen Pimkie- und Orsay-Chic, viel zu große Kreolen, viel zu verbranntes Gesicht. Sein Handy klingelt und er unterhält sich ohne ein Anzeichen von Unsicherheit laut über einen Drogendeal (Gras) und droht dem Anrufer unverhohlen, seinem Bruder eins "auf die Fresse zu geben", wenn er "den Deal" ohne ihn durchzieht. Ich bin fassungslos. Aber was macht man in dem Moment? Die Polizei zu rufen macht keinen Sinn, weil ja im juristischen Sinne nichts vorgefallen ist. Ich beobachte weiter. Die beiden beginnen sich über eine Vorladung vor Gericht zu unterhalten.
Er: "Ey Scheiße, ich hab nen Brief von den Bullen bekommen."
Sie: "Ich nicht. Was soll die Scheiße, Alter. Hast Du den weggeschmissen?"
Er: "Was willst Du, Du Schlampe?"
Sie: "Wenn ich da nicht hingehe, dann ficken die mich total. Ich bin auf Bewährung, Alter!"
Er: "Dann ruf da an, Alter. Ich hab keine Ahnung wo Dein Scheißbrief ist!"
Stille. Sein Blick fällt auf mein Buch. Ich merke, dass er den Titel liest. Ich schaue an beiden vorbei und merke dabei, wie er sie auf das Buch aufmerksam macht. Nur mit halb gedämpfter Stimme murmelt er etwas von "so ein Dreck" und "die dumme Schlampe macht immer noch Probleme, obwohl sie tot ist". Langsam wir mir mulmig. Aber die beiden steigen an der nächsten Station aus und würdigen mich keines Blickes mehr.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen