Donnerstag, 5. November 2009

Ab heute bin ich mal Hartz IV - Donnerstag

Donnerstag, 28. Januar.
Ich schlafe wieder aus. Keine Frage. Aus dem Frühstück wird ein Brunch, dazu läuft der Fernse-her. Unterschichtenfernsehen. Das Wetter ist bemerkenswert grau. Ich greife zum Notebook und recherchiere noch etwas zum Thema Hartz IV. Ich lerne, dass in den Regelsatz von 359 € verschiedene Ausgabeposten mit unterschiedlichen Prozentsätzen veranschlagt sind. Für Nahrung, Getränke und Tabakwaren sind 37% vorgesehen. Bei meinen zu erwarten-den 519 € wären das genau 192,03 € im Monat oder 6,40 € am Tag. „Mein Kaffee bei Starbucks kostet alleine schon 3,20 €“, schießt es mir als erstes durch den Kopf. Auf die Frage, was man denn für 3,20 € am Tag noch Leckeres konsumieren könnte, fehlen mir die Antworten. Nudeln mit Tomatensoße und abends Brot mit Butter? Das Problem wird vorerst zurückgestellt. Ich habe gehört, dass es nicht weit von mir einen Imbiss gibt, wo Hartz-IV-Empfängern 20 Prozent Nachlass auf die Currywurst gewährt wird. Dort will ich sie treffen, meine Brüder und Schwestern im Geiste. Ich will aus erster Hand erfahren, wie es ist, arbeitslos zu sein und wie es sich so lebt vom vieldiskutierten Hartz IV. Der Kiosk ist gut besucht, trotz leichtem Schneeregen. Ich geselle mich dazu und spreche einige der Männer direkt an. Ich erzähle ihnen von meiner drohenden Arbeitslosigkeit und bitte um ihren Rat. Sie sind alle gerne bereit, mir zu helfen. Auch wenn die meisten Geschichten doch eher von den eigenen frustrieren-den und erniedrigenden Erlebnissen bei den Sozialbehörden handeln. Es wird schnell deutlich: keiner hier ist glücklich mit seinem Schicksal. Die „Sozialschmarotzer“, die nebenbei schwarz arbeiten oder dealen und sich so ein vergleichsweise schönes Leben ergaunern, sind hier nicht anzutreffen. „Die machen Dich nackig, sag ich Dir!“ berichtet Heinz, ein ge-lernter Maurer mit kaputten Gelenken unter zustimmendem Gemurmel der anderen. „Alles musst Du offenlegen. Alles. Und Deine Eltern und Kinder auch! Da gibt es keine Privats-phäre mehr!“ Ich erschrecke bei dem Gedanken, Frau Neihus vom Arbeitsamt meine Kontoauszüge, meinen Depotauszug und meinen Mietvertrag vorlegen zu müssen. Clemens, 38, ungelernt aus Ostdeutschland, lässt mich hochschrecken. Und glaub ja nicht, dass Du einen Heller von denen bekommst, so lange Du noch Erspartes rumliegen hast oder in einer zu gro-ßen Wohnung wohnst. Ich hab geerbt. Drei Tage später haben sie mir die Stütze gestrichen, bis ich fast alles aufgezehrt hat-te. Wer arbeitslos wird und vorgesorgt hat, ist der Dumme!“ Mir bleibt fast die Currywurst im Hals stecken. Ganz offen-sichtlich gab es da noch den einen oder anderen Paragraphen, den ich nicht kannte. Mein Plan löste sich nach und nach in Wohlgefallen auf. Ich gebe eine Runde Glühwein aus und verabschiede mich freundlich von den Anwesenden. Auf dem Weg nach Hause rufe ich ein paar Freunde an. Keiner hat Zeit. Alle arbeiten. Ich fühle mich alleine. Es ist kalt. Arbeitslos sein ist vielleicht doch nichts für mich.

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