Donnerstag, 25. Dezember 2008

Verbrecherjagd im Touristen-Jeep

Rucksack gestohlen, Pässe futsch. SPIEGEL-ONLINE-Leser Christoph Giesa lernte die Methoden der Polizei in Mosambik auf einer unkonventionellen Verbrecherjagd kennen. Weil der Streifenwagen kaputt war, mussten die Bestohlenen selbst Gas geben - mit den Beamten auf dem Rücksitz.

Christoph Giesa, Düsseldorf:
Ich war mit zwei Australiern in ihrem Geländewagen in Ostafrika unterwegs. Bei einem Zwischenstopp an einem Postamt in einem kleinen Ort nahe Inhambane in Mosambik verließen wir alle das Auto, hatten es aber weiter im Blick. Trotzdem mussten wir später feststellen, dass jemand durch ein kleines, leicht zu öffnendes Fenster auf der Rückseite des Wagens einen Rucksack gestohlen hatte – samt zwei Reisepässen.

Nachdem wir vergeblich versucht hatten, verschiedene Einheimische davon zu überzeugen, dass es für sie auch finanziell durchaus interessant sein könnte, uns die Pässe zu besorgen, blieb uns nichts anderes übrig, als die Polizei aufzusuchen. Das Polizeiquartier war nach westlichem Empfinden ein Rohbau – keine Türen, kein Putz, die Zellen waren mit Gefangenen überfüllt. Es gab kein Fax, Internet sowieso nicht, keine Funkgeräte, kein Festnetztelefon. Immerhin waren alle Polizisten mit Mobiltelefonen ausgerüstet.

Wie im James-Bond-Film

Das Amtszimmer hätte als Kulisse für eine Folterszene in einem "James-Bond"-Film herhalten können – der Schreibtisch aus dunklem Holz und verschlissen, keinerlei Schmuck, kein Kalender, nur eine kleine Tischlampe. Wir als unverdächtige Zivilisten, die doch nur eine Anzeige aufgeben wollten, saßen auf einer etwa 30 Zentimeter hohen Holzbank drei Meter vom Schreibtisch entfernt und durften nur mit Genehmigung des zuständigen Polizisten aufstehen. Da dieser kein Wort Englisch sprach, musste ich die Verhandlungen alleine führen, weil meine beiden Begleiter des Portugiesischen nicht mächtig waren.

Obwohl der Polizeibeamte bedrohlich über uns thronte, war er durchaus freundlich und hilfsbereit. Ohne größere Probleme gaben wir die Anzeige auf, wobei lediglich die Frage nach dem Wert des Rucksacks für leichte Verwirrung sorgte - der Gesamtwert des in Australien gekauften Gepäckstücks belief sich auf etwa das Eineinhalbfache des Jahresgehalts des Polizisten.

Nachdem die Formalitäten geklärt waren, gingen die Ermittlungen schnell voran. Nach wenigen Telefonaten schien der Beamte eine heiße Spur zu haben, machte uns aber deutlich, dass wir ein Auto bräuchten – leider sei das einzige Polizeiauto gerade kaputt. So kam es also, dass wir mit dem Jeep der Australier und zwei einheimischen Polizisten auf der Rückbank in ein benachbartes Township fuhren.

Dort stiegen die Polizisten aus und verschwanden nacheinander in verschiedene Hütten, während sich um unser Auto eine Traube von etwa 30 Menschen sammelte, die böse dreinschauten und uns offensichtlich beschimpften – eine Situation, die uns dringend wünschen ließ, an einem anderen, netteren Ort zu sein.

Täter und Opfer im gleichen Auto

Einer der "Demonstranten" hatte sogar eines der geklauten T-Shirts an. Wir nahmen dies zur Kenntnis, entschieden uns aber dagegen, deshalb einen größeren Disput anzuzetteln. Die Kleidung war schließlich nicht so wichtig wie die Pässe. Bald kamen die Polizisten mit zwei etwa 13- oder 14-jährigen Jungen zurück, die beide Kleidung aus dem Rucksack trugen, und schlugen sie – das hatten wir natürlich nicht gewollt, konnten es aber auch nicht verhindern.

Die Beamten packten die beiden zu uns ins Auto und setzten sich wieder dazu, was ein allzu surreales Bild ergab: Die Diebe, die Bestohlenen und die Gesetzeshüter zusammengezwängt in einem voll beladenen Jeep. Es ging zurück aufs Revier, wobei während der Fahrt von der Rückbank immer abwechselnd Beschimpfungen der Übeltäter und Lobeshymnen auf die eigene Cleverness von Seiten der Polizisten zu hören waren.

Auf dem Revier bekamen die Australier ihre Pässe zurück. Die beiden Diebe landeten, begleitet von ein paar Fußtritten, zusammen mit etwa zehn anderen in einer etwa fünf mal fünf Meter großen Zelle. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil die Kinder so behandelt wurden. Außerdem hatte das ganze Geschehen meinen Magen etwas mitgenommen, weshalb ich nicht umhin kam, die Polizeitoilette zu benutzen. Diese bestand aus einem Donnerbalken im Hinterhof – nicht gerade das, was man sich wünscht, aber in der beschriebenen Situation besser als nichts.

Während ich dort saß, schaute ich in Richtung des Gebäudes und sah die beiden Diebe mitsamt ihrer Mithäftlinge, wie sie mir durch die vergitterten Fenster zuschauten. In diesem Augenblick war ich mir tatsächlich nicht mehr sicher, ob ich mit meinem Reiseziel die richtige Wahl getroffen hatte. Dieser Gedanke war aber schnell wieder verflogen.

http://www.spiegel.de/reise/fernweh/0,1518,486765,00.html

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